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Augenblicke auf der Autobahn
Wenig los für diese Zeit, da kann ich getrost auf der linken Spur bleiben. Wieder so eine ewige Kolonne schwerfälliger LKWs und – Mist! Wie könnt es auch anders sein – ein Wohnmobil muss alle überholen. Scheiß Camper. Immer halten sie den Verkehr auf. Jetzt wär’s grade so schön geflutscht.
Langsam mal da hinten. Hoffentlich kann der noch früh genug abbremsen, ich brauch keinen, der meinen Kofferraum kürzer macht. BMW. Klar. Aber immerhin in rot, anders als die Spießer mit ihrem dunkelblau und silbern. Irgendwie bist du zu nah auf mir drauf, sonst sähe ich nicht, dass du interessant aussiehst. Kein Business-Dress, nur T-Shirt, trotz fettem Auto. Dunkles, längeres Haar. Deine Lippen bewegen sich. Du singst? Hören wir den gleichen Sender? Summer in the city …balam… Du klebst förmlich an mir. Wäre ein Strafzettel wert. Gleich kann ich rechts rüber, das Wohnmobil hat sein bestes gegeben. Du wirst mich überholen. Ich möchte dich genau sehen. Du ziehst an, unsere Autoschnauzen liegen auf gleicher Höhe. Ich schau nach links. Interessiert blickst du zu mir herüber und plötzlich lächelst du. Was für ein Mann! Du hebst deine Hand zum Gruß und ziehst an mir vorbei. Mein Herz macht bumm-bumm.
Du reihst dich vor mich ein. Wirst um einiges langsamer. Ich verstehe. Blicke in den Rückspiegel, Fahrbahn frei: Ich wechsele nach links. Drücke ungestüm das Gaspedal durch. So ein Quatsch. Ich will doch nicht an dir vorbeidüsen. Tempo runter. Schnauze an Schnauze. Blick nach rechts. Wieder ein offenes, warmes Lächeln von dir. Wir sehen uns zu lange an, dafür, dass wir auf der Autobahn rasen.
Ich schenke dir auch eines. Rüberziehen. Du bist dran.
Du bleibst hinter mir. Ich schere nicht mehr aus. Du trottest bis zum nächsten Hinweis-Parkplatzschild hinter mir her. Noch 1000 Meter. Du überholst mich plötzlich emsig und ziehst wieder knapp vor mir rein. Dein rechter Blinker fängt mit seinem Rhythmus an. Du willst raus. Noch 500 Meter. Fahr ich auch raus? 300 Meter... was mach ich nur? 200 Meter... vielleicht bist du ja ein Dösel? 100 Meter... egal, jetzt oder nie!
Ich setze auch den Blinker, bremse stark ab und lenke mein Auto in den Parkplatz.
Wir kommen in der Parkbucht hintereinander zum Stehen. Ich bekomme schwitzige Hände und hole tief Luft. Du springst ungestüm aus dem Auto und kommst flink auf mich zu. Groß bist du. Lächeln kannst du! Ich sitze bewegungslos im Wagen. Du kommst immer näher und bist gleich auf meiner Fahrerseite. Ich fasse mir ein Herz und drücke meine Tür auf. Du bist angekommen und legst beide Unterarme auf die Seitenscheiben. Ich lächle schüchtern hoch und bin so was von aufgeregt.
Dein Lächeln wird dünner und verschwindet. Du ziehst die Schultern hoch und stammelst: „Entschuldigung, ich habe Sie verwechselt.“
Mein Hals zieht sich zusammen. Ich kann nicht mehr schlucken. Ich würge ein „Kann passieren“ heraus, ziehe mit ungeheurer Wucht die Tür zu, dass es über den ganzen Parkplatz knallt und fahre weiter. Du bleibst irritiert stehen. So ein Arsch! Auf zum nächsten Wohnmobil, das ausgeschert einen trägen LKW überholt. Im Radio höre ich die Gedanken des Tages einer evangelischen Vikarin. Die fehlt mir gerade noch. Ich lade eine Santana-CD und lass mich von Carlos etwas beruhigen.