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Ausgesorgt
Die schäbige Altbauwohnung neben der Autobahnausfahrt hatte Angelina vor zwei Monaten für sich und Anton gemietet. Zwei Zimmer, möbliert mit Küche und Bad. Die Einrichtung war auf das Nötigste beschränkt, dafür billig und keine Fragen. Ein Bett, Kühlschrank, Fernseher, ein Schrank, ein Tisch und zwei Stühle. Sie hatten sich beim Vermieter unter falschem Namen eingetragen und legten ihm gefälschte Ausweise vor. Überhaupt lebten sie seit Tagen mit Lügen auf der Zunge. Keine Zeit für grosse Gefühle. Ihren ehrgeizigen Plan hatten sie durchgezogen und die Sparkasse, bei der Anton als Hausmeister angestellt war, um einiges an Bargeld erleichtert. Auf dem Tisch standen zwei gebrauchte Gläser. Ihr Plan war aufgegangen. Sie hatten es geschafft. Eine Sporttasche gefüllt mit Hunderttausend Euro wartete geduldig in einem Schliessfach am Bahnhof auf sie. Sie musste grinsen und verzog dabei das Gesicht. Ihr Blick verlor sich irgendwo in der Weite, als sie daran denken musste, wie sie Anton das erste mal begegnet war; das erste mal in seine schönen, dunklen Augen gesehen hatte...
Es war Sommer letzten Jahres, als Angelina sich im Schaufenster der örtlichen Sparkasse die Börsenkurse ansah. Doch sie interessierte sich nicht für die elektronische Schautafel, sondern spähte unauffällig durch den handbreiten Spalt zwischen Tafel und Fensterrahmen in die dahinterliegende Schalterhalle. Sie hatte beide Hände in die Manteltasche vergraben, wovon die linke einen nicht ganz ungefährlichen Gegenstand umklammerte. Sie sah einen Kunden und eine Schalterangestellte, die gerade ein paar Geldscheine abzählte und sie in einen Umschlag steckte. Angelina schaute angespannt auf die Digitaluhr der Börsenkurstafel. Es war kurz vor Schalterschluss. Der Kunde nahm seinen Umschlag, sagte noch etwas zu der Angestellten und verliess die Bank. Rasch ging Angelina zum Eingang und betrat ihrerseits die Sparkasse. Die automatische Schiebetür hatte sich noch nicht hinter ihr geschlossen, da flog ein Schraubenzieher haarscharf an ihrem Kopf vorbei und streifte sie leicht an der Schulter. Erschrocken machte Angelina einen Schritt zur Seite und stolperte dabei über einen Blumenbottich. Sie stützte sich mit einer Hand an der Eingangssäule ab, während sie die andere, die Schreckschusspistole fest umklammert tief in ihrer Manteltasche stecken liess. Der Schraubenzieher kullerte geräuschvoll auf dem steinernen Boden davon. Anton stand auf einer Leiter neben der Eingangssäule und schaute gequält auf sie hinunter. "Oh, Himmel, tut mir Leid, sind sie verletzt ?" rief er und sprang mit einem Satz herunter. "Nein, nein, ist nichts," stammelte Angelina, "ich habe mich nur erschrocken."
Der Aufprall des Schraubenziehers hatte sie total aus dem Konzept gebracht und sie war nun etwas unschlüssig, wie sie weiter vorgehen sollte. Während sich Anton nach seinem davon rollenden Schraubenzieher bückte, entschied sich Angelina ihr Vorhaben abzubrechen. Sie ging zum Schalter und zückte an Stelle des Bleispenders ihre Geldbörse. "Ist ihnen wirklich nichts passiert?" fragte nun die etwas unsicher dreinblickende Angestellte. "Ach woher, ist ja noch mal gut gegangen", sagte Angelina und grinste zu Anton, der sich etwas verschämt am Bart kratzte. Angelina hatte sich wieder im Griff. Sie wechselte ein paar englische Pfund in Euro um und verliess danach die Bank. "Warten sie", rief ihr Anton nach, der gerade sein Werkzeug zusammenpackte. "Ich habe gleich Feierabend. Darf ich sie auf einen Kaffee einladen ?". "Ja, warum nicht", antwortete Angelina, "auf diesen Schreck könnte ich einen vertragen." Und so kam es, dass Anton und Angelina sich von nun an häufiger sahen. Angelina hatte ihren Plan nicht etwa verworfen, nein, sie hatte ihn lediglich etwas abgeändert.
Anton war aus dem selben Holz geschnitzt wie Angelina, dass war ihr nach den ersten beiden Treffen in seiner Lieblingskneipe und den darauffolgenden Fragerunden im Bett sofort klar. Schnell wurde Angelina bewusst, dass sie sich hier einen potentiellen Komplizen geangelt hatte. Anton der Wunderlampenverkäufer. (Einmal kräftig reiben und dann einfach drauflos wünschen, was das Zeug hält). Anton, der Schlüsselmeister zum heiligen Gral. Bitte nach ihnen, Gnädigste. Anton, der ihr den Zugang zur grossen Altersvorsorge verschaffen konnte.
Und letzte Woche war es dann soweit. Abends um sieben kam Anton zur Kneipentür herein. Angelina sass an einem der kleinen Tische im hinteren Teil der Kneipe und nuckelte an ihrem Drink. Als sie ihn sah, winkte sie ihm zu. Er setzte sich ihr gegenüber und beugte sich etwas nach vorne, als würde er gleich ein riesiges Geheimnis verraten. (Du musst mir versprechen, es keinem weiterzuerzählen,) Angelina beugte sich ebenfalls vor und sie sahen jetzt aus, wie zwei verliebte Teenager, die sich das erste mal Küssen sollten. Anton war ganz aufgeregt. "Ich habe heute die beiden ollen Geldboten belauscht", sagte er keuchend im Flüsterton. "In der Toilette. Musste dafür dreimal `ne funktionierende Glühbirne ersetzen. Und jetzt rate mal, über was die diskutiert haben." Er rieb die beiden Spitzen von Zeigefinger und Daumen gegeneinander. Angelina schaute ihm direkt in die dunklen, funkelnden Augen. Diese dunklen Augen, tief und unergründlich wie ein Bergsee. Doch jetzt funkelten sie wie Edelsteine und die Gier des Geldes blitze aus ihnen hervor. Angelina zog die Nase kraus und rieb ebenfalls die Fingerspitzen gegeneinander. "Geld," sagte sie flüsternd. "Und wie. Scheine, Schotter, Kohle. Einen ganzen Berg voll Kohle." Sie versank für einen Moment völlig in seinen Augen und bekam nur halb mit, wie es aus Anton nur so heraussprudelte. Er erzählte vom Geldtransport am Donnerstag, von Ankunfts- und Abfahrtszeiten, das Einlagern des Geldes in den Tresoren, das verteilte Abholen am Freitag, die Wachablösung während den Bürozeiten. "Angie, mit dem ganzen Moos haben wir ausgesorgt. Wie gehen wir jetzt vor, grosse Denkerin?" sagte er zum Schluss und strahlte sie an. Angelina tauchte unvermittelt aus dem Bergsee auf und verliess den Ort ihrer Träume. Sie beugte sich noch etwas mehr nach vorne und setzte eine geschäftsmässige Miene auf. "Okay, Grosser, jetzt ziehen sich die Geier zur Beratung ins Nest zurück." Sie zahlte ihren Drink beim Hinausgehen an der Theke und folgte Anton, der ihr in gespielter Dienermanier die Tür aufhielt. Der Coup konnte beginnen.
Die Strecke zu ihrer Wohnung, wo sie in einer Woche zusammen Champagner trinken sollten, legten sie getrennt zurück. Sie mit der U-Bahn, er mit dem Bus. Beide hatten einen Hausschlüssel. Als Anton mit einer Tüte Lebensmittel die Wohnung betrat, war Angelina bereits tief über die auf dem Boden ausgebreitete Stadtkarte gebeugt und notierte sich auf einem Block mögliche Fluchtwege. Auf dem Tisch waren verschiedene nützliche Gegenstände nebeneinander aufgereiht. Zwei Pistolen, ein paar Handschellen, ein grosses und zwei kleine Seile, Strickmützen, Walkie-Talkies, usw. "Hei, Angie, du bist ja schon mitten drin", lachte Anton und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. "Kuck mal, den habe ich von unterwegs mitgebracht." Anton hielt die Schampusflasche in die Höhe. "Stell ihn doch schon mal kalt", sagte Angelina und machte sich weiter Notizen zum Bankgebäude.
Um 23:00 Uhr war es dann soweit. Angelina hatte den Plan ausgearbeitet. "Hör zu Anton", sagte sie und nahm den vollgeschriebenen Block zur Hand. Anton döste mit nacktem Oberkörper auf dem Bett und sah sich irgend eine langweilige Talkshow an. "In groben Zügen läuft das ganze wie folgt ab." Sie setzte sich zu ihm auf die Bettkante. Er schaltete den Fernseher aus und lauschte den Ausführungen ihres Plans. Anton sollte sich nach der Geldeinlagerung einschliessen lassen und die Alarmanlage mittels Manipulation an der Schaltzentrale ausser Gefecht setzen. Dann mit einem Kurzschluss die Klimaanlage für den Computerraum lahm legen, anschliessend "Angelinas-24-h-Klimaanlagen-Reparaturdienst" bestellen und hereinlassen. Der Wachmann wird kurz nach der Ablösung überwältigt und dann werden die Treso…", Anton döste für einen Moment weg und bekam den mittleren Teil nicht mehr mit "…und ab damit zum Nest. Hei, Anton, hörst Du mir überhaupt noch zu?", fauchte Angelina ihn etwas ärgerlich an und Anton setzte sich mit einem Ruck auf. "Ich finde deinen Plan toll", rief er und wurde rot im Gesicht, "ganz ehrlich, aber erkläre mir das ganze doch bitte morgen noch einmal in aller Ruhe. Es war ein langer Tag". Er legte den Kopf schief und Angelina konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er war sexy, wenn er so schaute. Sie warf den Block auf den Tisch, zog sich den Pulli über den Kopf und sprang halb nackt zu ihm aufs Bett. Sie liebten sich wild, hemmungslos und verschliefen prompt den nächsten Morgen.
Dann kam der Tag X. Und der Tag danach. Der Bankraub war genau nach Angelinas ausgeklügeltem Plan abgelaufen. Es war zu schön, um wahr zu sein. Und immer wieder ging Angelina die Nacht in Gedanken durch, während sie mit der ersten U-Bahn und einer Tasche voller Tausender am Morgen zum Bahnhof fuhr. Das Beste war, dass der Wachmann persönlich die Türe öffnete um Angies 24 Stundenservice einzulassen. Sie musste schmunzeln und spielte verträumt mit den Halteriemen der Sporttasche. Und dann Anton, wie er zuerst die Alarmanlage und dann den Wachmann austrickste. Sie stieg am Bahnhof aus und ging zielstrebig zu den Schliessfächern unter den Rolltreppen. Sie öffnete Schliessfach Nr. 207 und verstaute darin die gefüllte Sporttasche. Sie steckte den Schlüssel in ihre Jeans, ging zur Bushaltestelle und machte sich auf zum Nest…
Und nun stand sie da, mit der Champagnerflasche in der Hand und starrte kalt auf den am Boden liegenden Körper. Anton hatte tatsächlich geglaubt, die Flugtickets seien unter der Tischplatte versteckt. Als er sich niederkniete um sie für seine "Denkerin" hervorzuholen, ergriff Angelina die Flasche und schlug zu. Es gab ein hässliches Geräusch als die Flasche auf Antons Schädel prallte. Ein kurzes Sternengewitter vor seinen Augen, dann wurde es dunkle Nacht um ihn herum. Er kippte vornüber und schlug hart auf dem Boden auf. Angelina hörte ein lautes Knacken, als Antons Nasenbein zu Bruch ging. "Tja, Anton", sagte sie leise, "leider ist hier unser gemeinsamer Weg zu Ende". Sie liess die Champagnerflasche fallen und ging rasch zur zweiten Sporttasche hinüber. Sie öffnete den Reissverschluss und erblickte die zweite Hälfte ihrer Altersversorgung. "Anton, Anton, du warst einfach zu…" Ein Stich im Magen liess sie zusammenzucken. Ihr wurde mit einem Mal schwindlig. Ich habe wohl den Champagner etwas zu schnell hinuntergeleert, dachte sie und setzte sich keuchend neben die Tasche. Schweisströpfchen traten auf ihre Stirn. Sie schaute zu Anton, der wie eine betende Statue mit dem Gesicht zur Seite am Tisch lehnte. Ein erneuter Stich, diesmal hinter der Brust trieb ihr die Angst und noch mehr Schweiss auf das Gesicht. Ein Arm schien wie gelähmt und sie krümmte sich vor Schmerzen. Die Hand verkrampfte sich um ein paar Geldscheine. "A-n-t-o…", keuchte sie mit zittriger Stimme und fiel auf die Seite. Ihr Kopf lag auf dem Boden und sie schaute mit über der Brust verkrampften Armen zu Anton hinüber, sah das Blut auf seinem Hinterkopf, seine aufgerissenen dunklen Augen und war sich sicher, ein letztes Aufblitzen darin zu erkennen. Dann entfaltete das Gift seine ganze Wirkung und Angelinas Muskeln verkrampften sich zu einem einzigen tödlichen Schmerz. Dann wurde ihr leichter. Der dunkle Bergsee lag vor ihr und Angelina versank darin; tiefer und immer tiefer….