Aussage
Vielleicht wenn Trude nicht geschrieen hätte, nicht gekreischt hätte, dann würde er nicht hier am Gendarmerieposten sitzen.
Dabei kannte Karli die Trude gar nicht. Oder vielleicht gerade deswegen. Deswegen weil er sie nicht kannte. Wegen Trude, die er nicht kannte. Und wenn sie nicht gekreischt hätte, müsste er nicht diese Aussage machen, müsste er nicht ins feiste, grinsende Gesicht dieses Inspektors schauen, dieses Inspektors, der beinahe quiekte vor Vergnügen. Karli hasste Exekutivkörper. Besonders wenn sie so selbstzufrieden ihre lächerliche Macht zur Schau stellten. Grau, mausgrau, warum waren diese Gendarmen eigentlich grau uniformiert? Vielleicht deswegen, damit diese feisten Gesichter umso röter hervorleuchten konnten? Karli wusste gar nicht, warum er überhaupt hier am Posten sitzen musste.
Gut, ja, er hatte Fredl leicht touchiert. Von der Seite. Meine Güte, so etwas passierte doch Dutzende Male an so einem Tag auf der Piste. Wenn da jeder gleich von der Gendarmerie wie ein Verbrecher behandelt werden würde, wo käme man denn da hin? Fahrerflucht. Imstichlassen eines Verletzten. Ist doch lächerlich! Schuld war doch diese Trude, die er nicht kannte. Sicher, er hätte vielleicht bei Fredl bleiben sollen nach dem kleinen Rempler. Aber es ist doch nichts Aufregendes, wenn ein Snowboarder in den Schnee fällt, oder? Die machen das doch dauernd, da muss doch keiner anstoßen, damit die in den Schnee fallen. Was also hätte er sich denken sollen, als Fredl Flug ansagte? Und überhaupt, was interessierte ihn Fredl, wenn da diese Trude, die er nicht kannte, seine Aufmerksamkeit erregte? Niemand, also wirklich überhaupt niemand nahm Notiz vom Fredl. Wie sollte da jemand das Stöhnen vom Fredl hören, während Trude über die Piste kreischte? Das grenzte ja nun wirklich an Schikane, was ihm hier am Posten vorgeworfen wurde. Noch dazu: Wen hätte es gekümmert, wenn er ein anderer gewesen wäre? Wenn ein anderer als er mit Fredl zusammen gestoßen wäre? Niemanden hätte es gekümmert, kein Schwein! Mein Gott, jeder zweite Snowboarder verletzt sich irgendwann einmal, da muss doch nicht gleich ein fetter Gendarm einschreiten.
Weil Fredl im Krankenhaus seinen, Karlis Namen nannte. Er hätte ja einfach sagen können, er wäre gestürzt. Oder irgendein Unbekannter wäre in ihn hinein gefahren. Und nun saß er hier diesem grinsenden Amtskappel gegenüber. ER, nicht diese Trude, die eigentlich Schuld an dieser Misere hatte.
„Die Trude! Die Trude!“ hatten einige geschrieen, sonst wüsste er nicht einmal, dass Trude Trude hieß.
Trude hatte es eilig. Ziemlich eilig. Sie wusste, die Kleinlachtalhütte hatte nur ein Klo. Und das bedeutet Wartezeiten, vor allem in der Hochsaison. Sehr gut möglich, dass sie das dann nicht mehr durchstehen würde.
Völlig klar, dass Frauen kein Bier mögen. Zumindest Trude war das klar. Bei DEN Wartezeiten auf den Damenklos!
Nur Trude - Trude liebte Bier!
Sie war Anfang dreißig und genoss das Leben. Dazu gehörte neben Schifahren hin und wieder auch ein kräftiger Schluck.
In Kombination mit Schifahren war Biertrinken zwar ein riskantes Unternehmen in der Hochsaison bei nur einem Klo in der einzigen Schihütte auf der Route, doch konnte sie damit rechnen, dass sie es gleich SO eilig haben würde? Nein, konnte sie nicht! Überhaupt, wie hätte Trude vorhersehen sollen, dass sie im Sturm auf dem Sessellift hängen bleiben würde? Eben!
Ihr roter Schianzug war ein kleines Problem. Also musste sie ein wenig weiter in den Wald hinein, damit der nicht all zu sehr hervorleuchtete. Das kostete natürlich zusätzlich wertvolle Zeit. Die Schi behielt Trude lieber angeschnallt. Erstens hatte sie es wirklich eilig und zweitens wollte sie beim Pinkeln nicht im Schnee versinken. So schnell sie es schaffte, war die Schihose herunten. Eben als sie sich den Slip über die Knie runtergezogen hatte und ihren Drang zu befriedigen begann, gaben ihre Schi mit einem kleinen Ruck nach. Verzweifelt fasste Trude mit der linken Hand auf die Seite, vergeblich nach einem Ast als Bremse heischend, während sie mit der rechten die Schihose festhielt. Trude spürte den kühlen Fahrtwind an ihrem entblößten Hintern, als sie in tiefer Hocke mit quasi von Schihose und Slip gefesselten Füßen zwischen den Bäumen hervor auf die Piste schoss.
War es die kalte Zugluft zwischen den Beinen, war es der Schreck, als sie die vielen Leute auf der Piste sah, oder auch die Angst, mit nacktem Hinterteil in den kalten Schnee zu radieren, Trude kreischte auf. Trude schrie aus Leibeskräften.
Ihr war es in diesem Augenblick völlig egal, dass sie dadurch eine Sturzserie auf der Piste auslöste.
Und dass der dicke Dorfgendarm sich nun feixend Karlis Geschichte anhörte.
© NoWall 2004