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Autorenblues Eins-Punkt-Drei

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04.03.2004
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Autorenblues Eins-Punkt-Drei

Die Party gestern muss gigantisch gewesen sein. Mein Schädel hat zwar heute morgen wider Erwarten nicht die Ausmaße einer Telefonzelle angenommen, aber er hat sich zu einem hochempfindlichen Detektor für seismische und akustische Ereignisse in Kombination mit extremer Wetterfühligkeit verwandelt. Erschütterungen, der Oberbayrische Föhnwind und laute Geräusche sind die Hölle.

Natürlich läutet das verdammte Telefon. Das Ding produziert allerdings heute nicht die üblichen Klingelzeichen, sondern waschechte heavy-metal-sounds; Töne, materialisiert in Form stählerner Schaschlik-Spieße, die der Apparat mit rhythmischer Präzision in meine Gehörgänge katapultiert. Gnadenlos.
Stecker `raus oder abheben?
Besser abheben.
„Hmpf!?“
„Äh, guten Tag, spreche ich mit Herrn Hanf?“
Eine freundliche Frauenstimme. Ich will aber heute nicht freundlich sein. Ich kann nicht.
„Hab ich doch gesagt, oder?“
„Verzeihung, ich konnte sie eben nicht richtig verstehen.“
Irgendwie kommt mir ihre Stimme eigenartig vor. Eigenartig im Sinne von fremd und doch vertraut. Muss aber nicht so sein, denn auch meine eigene Stimme klingt heute eher seltsam. Vielleicht ist der letzte Schaschlikspieß daran schuld. Ist wohl auf halbem Weg zwischen meinen Ohren steckengeblieben.
„Mein Name ist Felicitas Wanninger. Ich bin Lektorin bei der Verlagsgruppe Droemer-Knaur. Ich möchte gerne mit Ihnen über Ihr eingesandtes Manuskript sprechen. Der Roman hat uns recht gut gefallen, Herr Hanf.“

Stell dir vor, du stehst in einem Aufzug, der ziemlich flott nach oben fährt und plötzlich reißt das Zugseil.
Vollständige Schwerelosigkeit für wenigstens eine Sekunde. Eine Schrecksekunde, die eine Ewigkeit dauert.
„Äh, Herr Hanf, sind sie noch da?“
Ich sollte jetzt dringend eine vernünftige Antwort geben, das ist mir klar. Die Aufzugkabine rast derweil mit 330 km/h in Richtung Tiefgarage.
Felicitas, Felecitas, Fellatitas, ich liebe dich, bitte leg nicht auf. Gleich fällt mir was ein und meine Stimme kommt bestimmt auch gleich wieder zurück.
Droemer Knaur?
Da lag doch kürzlich was in meinem Briefkasten.
Droemer Knaur. Droemer Knaur? Donnerwetter!
Funkensprühend greifen plötzlich die stählernen Zangen einer automatischen Notbremse in die seitlichen Führungsschienen meines virtuellen Fahrstuhls. Mit einem mörderischen Ruck bleibt die Kabine stehen. Eine Riesenfaust schmettert mich zu Boden. Ungefähr in Höhe Level 42.
>Made by Droemer Knaur Verlagsgruppe< lese ich auf den rotglühenden Bremsbelägen.
Ich erinnere mich jetzt ganz deutlich. Es war am vergangenen Dienstag.
Von der Droemer Knauer Verlagsgruppe kam die letzte Absage, zusammen mit einem meiner Manuskripte. Ein halbes Jahr nach der Einsendung an den Schneekluth Verlag! Der übliche Serienbrief, zusammengemörtelt aus standartisierten Textbausteinen.
"Sehr geehrter Herr Hanf,
haben Sie herzlichen Dank für Ihren Brief vom Juni 2002 und das Angebot, Ihr Manuskript „Das N-Projekt“ in unserem Verlag zu publizieren.
Wir haben Ihr Exposee und das Manuskript mit Interesse durchgelesen. Zu unserem Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir von Ihrer freundlichen Offerte keinen Gebrauch machen können, weil die von Ihnen angebotene Thematik in unserem Verlagsprogrammen bereits abgedeckt ist. Mit der Bitte um Verständnis....blah, blah, blah."
Ist heute nicht der erste April?
Meine gelähmten Stimmbänder erfahren eine Spontanheilung.
„Verarschen kann ich mich auch selber!“
„Aber ich muss doch sehr bitten, Herr Hanf,“ sagt die ominöse Frau Wanninger am anderen Ende der Leitung. Ihre Stimme klingt pikiert.
Kann man eine Person durch’s Telefon grinsen hören? Der Kater hinter meinen Schläfen jedenfalls kann das, er ist hochsensibel.
Und er kann verstellte Stimmen erkennen.
„Mensch Dani, du blöde Kuh, wie kannst du mich so erschrecken! Der Adrenalinstoß hätte mich fast umgebracht. Mit Männern über Fünfzig darf man doch sowas nicht mehr machen, das ist vorsätzliche Körperverletzung.“
Dani’s schadenfrohes Gelächter lässt mich mit schmerzerfülltem Gesicht zusammenzucken.
„April, April, ich hab‘ dich ordentlich `reingelegt, gib es zu!“
Warum haben angehende Schauspielerinnen immer so entsetzlich laute, überartikulierte und aufdringliche Stimmen?
Muss mit ihrem verdammten Ego zu tun haben. Oder mit altersbedingten Phasenverschiebungen in meinen Gehörgängen.
Sag bloß, das Mädel will mir ausgerechnet heute wieder eine von diesen unproduktiven privaten Dichterlesungen auf’s Auge drücken.

„Hör mal, Dani, könntest du um Himmels Willen etwas leiser sprechen? Hast du mich nur deshalb angerufen, um mich zu verarschen? Ok, es ist dir gelungen. Kann ich sonst noch etwas für dich tun?“
„Du bist wohl `n bisschen schräg drauf heute. Kann das sein, dass du einen kleinen Affen hast, Alter?“
„Red‘ kein‘ Quatsch, ich habe nur einen veritablen aber durchaus sozialverträglichen Kater, wenn’s recht ist. Meinen letzten Affen habe ich vor ungefähr zwanzig Jahren geschoben.“
„Jetzt sei doch nicht so krätzig, Mann. Ich hab echt gute Neuigkeiten für dich.“
„Tut mir leid, entschuldige. Was sind das für Neuigkeiten?“

Gute Neuigkeiten sind gezählt wie Sonnentage. Ich muss jeden einzelnen nutzen, die nächste geschlossene Wolkendecke kommt bestimmt und sie wird sich wieder monatelang über meinem Kopf halten. Gute Neuigkeiten können manchmal sogar einen ausgewachsenen Kater vertreiben. (Schlechte Neuigkeiten sind auf rätselhafte Weise stets in erdrückender Überzahl. Sie sind wie rote Gummibärchen – kein Mensch kann mir bis jetzt erklären, wieso eine volle Tüte immer zu mindestens 75% aus roten Bärchen besteht.)
Die Membrane des Telefonhörers an meinem Ohr scheppert unangenehm.
Die Neuigkeit klingt noch viel unangenehmer.
Ich solle unbedingtundaufjedenfall heute abend eine private Dichterlesung mit Texten aus meinen Roman abhalten.
Spinntdieoderwasheuteaufkeinenfall!
Jadoch, und es wäre ganz wichtig, weil nämlich nicht nur ihre Agentin käme, (was geht mich eine Agentin für Schauspieler an), sondern auch eine alte Freundin von ihr, die - wie sie gehört hat - in irgend einem Verlag als Lektorin arbeitet. Oder so.
VERLAG. LEKTOR. IN. Oder so.
Warum sagt sie das nicht gleich? Ich werde mir eine Klinikpackung Alkarselzer besorgen. Jetzt sofort. Und Katzenfutter und Bier.
Und eine Flasche Prosecco natürlich. Ob Lektorinnen Shit oder lieber Gras rauchen? Keine Ahnung, aber die meisten sind allergisch gegen Katzenhaare, da bin ich mir ganz sicher. Ich muss Staubsaugen und Rosi samt Klo und Futternäpfchen im Schlafzimmer einsperren, tut mir leid.
Wie muss denn ein Autor überhaupt aussehen, der zum ersten mal einer Lektorin gegenüber steht? Zeitvergeistigt mit geräumigen Cargohosen, Nike Turnschuhen, T-Shirt, Augenringen und Dreitagebart, ganz in Schwarz wie die Profi-Kreativlinge oder besser altlinksintellektuell im Rollkragenpulli-Baskenmützen-Cordjacken-Look? Vielleicht sollte ich mir auch Gedanken machen über die Positionierung diverser Sitzmöbel für die Audience.
Regel Nummer eins: Ein Autor posiert zuhause grundsätzlich vor einem proppevollen Bücherregal oder einem Schreibtisch, auf dem sich die Folianten türmen.
Kein Problem, Bücher habe ich genug. Allerdings sollte ich die Titel nach strategischen Gesichtspunkten anders einordnen. Freakbrothers- und Werner-Comix, Karl-May-Bände und Sience-Fiction-Paperbacks machen sicher keinen vorteilhaften Eindruck. Ein oder zwei laufende Meter Enzyklopädien und Brockhäuser wären jetzt nicht schlecht. Sowas schafft sofort eine gediegene Atmosphäre solider humanistischer Bildung und abgeklärten Wissens.
Oder auch nicht.
Eine Frauenpower-Zeitgeist-Lektorin steht wohl kaum auf massive Brockhaus-Fassaden, Bruyiere-Pfeifen und Old-Spice-Aftershave, also vergiß es. Die Cordjacke auch. Vielleicht doch die moderne Werbetexter-Belletristik gezielt in den Vordergrund stellen. Den Stapel eigener Manuskripte an exponierter Stelle natürlich nicht vergessen. Und den Computer! Er muss unbedingt eingeschaltet sein, kein Bildschirmschoner, nur Microsoft Word mit einem geöffneten Textdokument, das große Werk in Progress.....
Die Musikinstrumente bleiben auf jeden Fall im Wohnzimmer. Ich sehe schon die PR-Fotos und Texte auf den Innenseiten des Buchumschlages:
Der begabte Autor ist ein vielseitig interessierter Mensch, der auch als professioneller Musiker erfolgreich ist........
Oder meinetwegen auch:
Der leidenschaftliche Musiker zeigt auch als Buchautor erfrischende Kreativität und ein hohes künstlerisches Niveau....
So ein saublöder Schmarrn.
Was mache ich mir überhaupt Gedanken über mein Outfit? Ich werde in jedem Aggregatszustand so unvorteilhaft aussehen wie immer, vor allem auf Fotos. Außerdem sagt mir eine innere Stimme, dass in meinem Briefkasten heute noch eine große Überraschung auf mich wartet. Eine Nachricht, die alle Überlegungen bezüglich meines Aussehens sowie der Gestaltung des heutigen Leseabends völlig irrelevant werden lässt.
Quasi die Mutter aller guten Nachrichten.
Irgendein(e) Lektor(in) in einem großen Verlag hat (auf Grund eines Versehens?) das falsche Manuskript (nämlich meines!) in die Hände bekommen. Er/sie hat es tatsächlich gelesen, und zwar von vorne bis hinten, konnte gar nicht anders, weil sie/er sich dem Sog der Erzählung schon nach den ersten Sätzen nicht mehr entziehen konnte.
Ich muss sofort runter zum Briefkasten!
Ich bin mir sicher, dass ich anschließend weder Dr. Alkaselzer noch D.‘s alte Freundin bemühen muss.
Leichtsinnigen Fußes springe ich die Stufen im Treppenhaus hinab und laufe mit klopfendem Herzen zu den Briefkästen. Dann stehe ich mit schreckgeweiteten Pupillen, ungläubig, jeder weiteren physischen Regung unfähig.
Oh nein, bitte nicht! Nicht schon wieder.
"Oh doch", sagt mein Briefkasten starrsinnig.
Wenn mich eines nahen Tages etwas anderes umbringt als Aids, Lungenkrebs oder Motorradfahren, dann sind das jene großformatigen, dicken, braunen Maxibriefumschläge, die mir mit ätzender Regelmäßigkeit zugestellt werden und die wegen Platzmangels zu einem Drittel aus dem Schlitz meines Postkastens heraus ragen. Darin enthalten sind bitterer Erfahrung gemäß stets meine abgelehnten Roman-Manuskripte.
Dieser Anblick hat nicht nur etwas Öbszönes, als vielmehr etwas Beleidigendes, zutiefst Erniedrigendes. Die perfekte Metapher einer höhnisch herausgestreckten Zunge, einer Geste des Spottes, die nicht nur mir, sondern auch der ganzen Mieterschaft im Hause kundtut, was ich für ein großkalibriger literarischer Versager ich in Wahrheit bin.
Wer tut mir ausgerechnet heute im Zeichen des Katers diese unsägliche Schmach an?
Die Ullstein Buchverlage! Von denen hätte ich das am allerwenigsten erwartet. Ehrlich. Ich bin schwer enttäuscht von diesen Menschen.
Beim Aufstieg in den vierten Stock bemerke ich die ersten Anzeichen meines hohen Alters. Das Treppensteigen ist entsetzlich kräfteraubend: Die Knie zittern, mein Rücken wird von Absatz zu Absatz gramgebeugter, das unselige Manuskript wiegt schwer wie Blei in meiner Hand, die Haare ergrauen mit jedem Schritt ein wenig mehr und der Atem wird kurz. Auch mein Gedächtnis und mein Gehirn werden deutlich schwächer als sie es ohnehin schon immer waren.
Visionen, Fantasien, Ideale, Optimismus – alles Dinge, die ich nun leider im Briefkasten zurück lassen muss, weil ich sie keine vier Stockwerke mehr mitschleppen kann. Es gelingt mir gerade noch, meine dürre, ausgemergelte Karkasse samt dem leeren Schädel am Treppengeländer entlang hochzuziehen.
Ich glaub, ich leide unter Demens.
Was war das überhaupt für ein Scheiß-Manuskript, das ich an Ullstein geschickt hatte?
Offensichtlich genau das Falsche. Selberschuld.
Rosi empfängt mich mit übertrieben mitleidigem Blick an meiner Wohnungstüre. Soweit sind wir schon.

Aber eine Minute später überwiegt doch meine Neugierde als Spezialist für hermetische Prosa.

Textbausteine transportieren einen enigmatischen Subcode versteckter, formaler Nuancen, die in der richtigen Kombination tiefreichende Informationen und Hinweise auf den wahren Stand der Dinge preisgeben.
Dann wollen wir doch mal sehen, wie die Botschaft diesmal lautet.
Der Krypto-Text-Astrologe in mir ist endgültig zum Leben erwacht.
Holla, was haben wir denn da? Beachtliche elf Zeilen Text!
Ich lese und bin bass erstaunt.
Eingerahmt von nur zwei standartisierten Textbausteinen sechs prachtvolle Zeilen voll beseelter, pulsierender und atmender Prosa, eigenhändig verfasst von einer leibhaftigen Verlags-Lektorin. Eine konkrete Antwort, eine individuelle Stellungnahme von allerhöchster Instanz! Das ist mir ja noch nie passiert.
Ich bin höchst erregt.
Selbst Rosi springt schnell auf den Küchentisch, setzt sich und blickt mich erwartungsvoll an. Ich lese ihr laut vor:

"Sehr geehrter Herr Hanf,
Vielen Dank für Ihr Vertrauen in die Ullstein Buchverlage und für die Zusendung Ihres Manuskriptes für den Roman >Tarock'n Roll<."

Das war Textbaustein Eins, das Intro.
Und jetzt kommt’s, Rosi, halt dich fest:

"Die Idee zu diesem Roman ist nicht uninteressant. Die Persiflage auf Kultbücher wie die Illuminatus-Trilogie und die Anlehnung an den Film >23 - Nichts ist wie es scheint< ist nicht zu übersehen. Leider halten wir die Umsetzung für nicht ganz gelungen, weil die Handlung zu abstrus wirkt."

Wieso, spinnen die? Was heißt hier zu abstrus? Weltumspannende Verschwörungen sind nun mal Tatsache, gerade weil sie in der Theorie so abstrus sind. Das ist doch der große Verschleierungs-Trick der Illuminaten!
Auch Rosi guckt sofort ganz empört.

"Der Text ist außerdem mit politisch provokanten Äußerungen gespickt, so dass unser Verlag eine Veröffentlichung nicht verantworten kann."

Hast du Töne? Der amerikanische Virus der politisch korrekten Weichspülerei hat jetzt auch das alte Europa infiziert. Seit wann darf ein Schriftsteller nicht mehr Provozieren? Kann eine Persiflage die politischen und moralischen Grundfesten der Bundesrepublik erschüttern? Ich darf also zum Beispiel kein geschriebenes Wort darüber verlieren, dass ich die Herren Wolfowitz, Bush und Chainey für Angehörige der mittleren und oberen Führungsetage des Illuminatenordens halte? (Zu dem übrigens auch Bin Laden gehört.)
Dafür gibt es nur eine plausible Erklärung. Auch die Ullstein Verlagsgruppe wird mittlerweile heimlich von den Illuminaten kontrolliert!
Meine Hand, die den Brief hält, beginnt unkontrolliert zu zittern.
Ich lese mit knirschenden Zähnen den letzten Satz, also den standartisierten Textbaustein Nummer zwei, der das Outro darstellt:

"Nach eingehender Betrachtung haben wir festgestellt, dass das Werk in unserem Verlagsprogramm keinen Platz finden kann.
Wir wünschen Ihnen jedoch auf Ihrem weiteren Weg viel Erfolg.
Mit freundlichen Grüßen
Katrin L.
Lektorat TB Belletristik."

Aber Leute, ich kann den Roman doch sofort und komplett umschreiben, wenn ihr wollt! Von mir aus mit völlig anderem Plot, mit geändertem Titel, neuer Sprache und komplett runderneuertem Personal. Abstrusitäten und politische Provokationen im Text sind schnell eliminiert, das ist doch heutzutage mit dem Computer keine große Sache mehr.
Alles kein Problem für mich. Sagt mir, was ich schreiben soll und ich tu’s!
Hm. Oder auch nicht.
Wie komme ich eigentlich auf die abwegige Idee, mich irgendwelchen Verlagsleuten zur Prostitution anzubieten? Genau das wollen die doch erreichen. Ich werde das ganz anders angehen. ICH muss die Spielregeln bestimmen!

Ich werde diesen netten Leuten bei Schneekluth- bzw. Ullstein-Verlag sofort einen freundlichen, aber in der Substanz unmissverständlichen Brief schicken, um sie bezüglich meiner künstlerischen Seriosität, meiner Kreativität und meines schriftstellerischen Potentials in’s Bild zu setzen, bevor sie – ausschließlich zu ihrem Schaden natürlich – leichtfertig das Interesse an mir verlieren. Ich muss ihnen klarmachen, dass ich wie eine tickende Zeitbombe bin, eine kulturell subversive Gefahrenquelle für ihre Organisation (Templer, vermute ich mal), die nur durch gebührende Aufmerksamkeit und verlegerische Zuwendung einigermaßen zu neutralisieren oder zu kontrollieren ist.

Irgendwann schrecke ich hoch von meinem Sofa und stelle fest, dass ich ein ausgedehntes Nachmittagsschläfchen gehalten habe. Es ist bereits abend geworden draußen, vor den Fenstern der Nation. Rosi wartet auf ihr Futter und auf ihre Lieblingssendung im Fernsehen. „Gernstl unterwegs“
Ich habe wieder geträumt.
In schwierigen Lebenslagen, (also die halbe Zeit meines Lebens), träume ich stets von einem Haus mit sprechenden Wänden.
Nein, ich meine keine öffentliche Toilette, keine Knastzelle und auch kein Multiplex-Kino. Es ist eine beseelte Wesenheit in der physischen Form eines lebenden Hauses. Es ist ganz normal, dass so ein Wesen (durch Vibrationen seiner Wände) sprechen kann. Dieses Haus hat stets einen weisen Rat für mich zum Abschied. Eine Weisheit, mit der ich nach dem Erwachen garantiert nicht mehr das Geringste anfangen kann.
Das ist wie auf Acid. Man kommt irgendwann endlich dem letzten Geheimnis des Universums auf die Spur, und wenn der Trip vorbei ist, hast du ausgerechnet dieses blöde kleine Geheimnis vergessen oder irgendwo liegen gelassen. Du kennst zwar den Witz, aber dessen Pointe nicht mehr. Zumindest gibt keine wirklich sinnvollen Worte mehr dafür in dieser Welt.
Also bleibt dir nichts anderes übrig, als weiter so vor dich hin zu leben wie bisher. Ein Leben, durch das sich ein traurig-dünner, schwachroter Faden zieht, der genau besehen nur aus dem unbestimmten Gefühl besteht, etwas verdammt Wichtiges verpasst oder verloren zu haben.
Du hast dann nicht nur einfach mal vorübergehend den Blues oder spielst ihn gelegentlich auf der Gitarre als Zwölftakter, sondern du lebst ihn, den echt totalen Blues!!.
Erweitertes Bluesschema, gewissermaßen.
Apropos Blues:
>Der Blues ist das Fegefeuer und zugleich das Nirvana des Rock’n Roll.<
Dieses starke Postulat stammt direkt von mir und ist deshalb automatisch urheberrechtlich geschützt.
>Schöne Grüße übrigens aus dem Nirvana!<
Diese Worte sind von Curt Cobain und sie sind nicht mehr rechtlich geschützt. Im Nirvana klaut jeder ungestraft von jedem, sagt Curt. Er hat kürzlich mal durch die Wände des Traumhauses ein paar Worte mit mir gewechselt. Muss voll krass sein da drüben. Wenn er das gewusst hätte..... Nur russische Gitarrenverstärker und Klampfen made in China. Kein Dope, kein Alk, keine Kohle, nichts zu pimpern, keine GEMA und kein MTV. Er denkt ernsthaft daran, sich ein zweites mal zu erschießen. Dadurch könnte er wenigstens wieder bei uns auf der Erde reinkarnieren.
Elvis hat das auch so gemacht und ist längst zurückgekehrt. Allerdings ist er jetzt ein ehrenamtlicher Muezzin und Aushilfs-Mullah in einer unbedeutenden Medrese irgendwo in Belutschistan oder so.
Das sind die Risiken einer unkontrollierten Reinkarnation.
Also Vorsicht, Leute!
Um auf meinen Traum zurück zu kommen: Das Haus hat allen Ernstes versucht, mir weiß zumachen, dass es für das Seelenheil eines unbekannten Schriftstellers besser sei, unentdeckt zu bleiben. Sobald nämlich auch nur die geringste seiner Schriften in Buchform veröffentlicht würde, wüchse sein Ego blitzschnell und völlig unkontrolliert in solch einem ungerechtfertigten Ausmaße an, dass seine arme Seele nicht einmal mehr durch ein irdisches Nadelöhr schlüpfen könne, geschweige denn gar in irgendwelche höheren spirituellen Gefielde aufsteigen.
Weder Dante noch Goethe seien jemals dort angekommen, wo sie eigentlich erwartet hätten, sich post mortem einzufinden. Sie säßen vielmehr auf unabsehbare Zeit vollkommen fest im Nirgendwo. Und zwar ohne jedes Schreibzeug, kein Papier, kein Bleistift, Nix! Zwar fein säuberlich gespeichert als spiritualisierte Enitäten, aber trotzdem unauffindbar verloren in den Tiefen der kosmischen Festplatte, weil Gevatter Tod diesen Dateien aus zwingenden technischen Gründen keinen Namen geben konnte. Nicht mal eine Nummer.

Unter diesem Aspekt muss ich uneingeschränkt zugeben, dass ich heilfroh sein kann, noch einmal glimpflich davon gekommen zu sein. Es war pures Glück, dass noch keines meiner Manuskripte von einem Verlag angenommen oder gar gedruckt worden ist.

Im regulären Wachzustand allerdings – also zum Beispiel jetzt gerade in diesem Augenblick, da meine Türglocke heftig läutet und mich dadurch in die Unbarmherzigkeit und Kälte des realen Jammertales zurück stößt - erscheint mir diese Geschichte von den verlorenen Dichterseelen doch ein wenig weit hergeholt zu sein.
Ganz abgesehen davon, dass ich plötzlich nicht mehr bereit bin, die Existenz lebendiger, sprechender Häuser ohne einen gewissen Vorbehalt anzuerkennen. Zumindest scheint es mir in diesem neuen Lichte durchaus angebracht, deren Kompetenz als Lebensberater grundsätzlich in Frage zustellen.
Außerdem sollte ich endlich aufstehen und die Türe öffnen.

Schon zehn Minuten später muss ich feststellen, dass möglicherweise die Gesellschaft uralter, sprechender Häuser doch weniger anstrengend ist, als die Gesellschaft nur leicht angejahrter, aber ebenfalls unentwegt sprechender, weiblicher Menschenwesen.
Dani hat alle diejenigen ihrer alten Freundinnen mitgebracht, die gerade nichts Besseres zu tun hatten, als sich von ihr am Telefon dazu überreden zu lassen, an einer privaten Dichterlesung teilzunehmen.
Der Dichter, das bin ich, wer sonst.
Aber trotzdem sollte sie mich nicht so nennen. Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich wirklich einer sein will. Oder überhaupt sein kann. Dichter sind verdammt altmodisch. In spätestens zehn Jahren ist ein Dichter mit Sicherheit nur mehr jemand, der bestenfalls eine Gesellenprüfung vor der Handwerkskammer abgelegt hat.

„Hey Alter, du bist jetzt voll der fette Texter, hab ich gehört! Krass, Mann! Find ich endsgeil“
Ich weiss zwar nicht, wie das späte Mädel heißt, das den gewagt-jugendlichen Spruch abgelassen hat. Aber fetter Texter find ich irgendwie schon endgeil.
Ihre vollfetten Titten auch.
(Obwohl ich normalerweise kein Melonenfan bin).
„Das ist meine alte Freundin Mona, von der ich dir am Telefon erzählt habe,“ sagt Dani entschuldigend.
„Oh, das macht nichts,“ antworte ich und versuche meinen irgendwie klebrig gewordenen Blick von Mona’s beeindruckendem Dekolletee loszureissen. Niemand hat mich darauf vorbereitet, dass Lektorinnen mit derart gut ausgeprägten Geschlechtsmerkmalen aufwarten können.
„Was hast du ihm denn über mich alles erzählt, Schätzchen,“ fragt Mona. Dann reicht sie mir ihre Hand und schaut mir dabei erstaunlich tief in die Augen.
Ihr Blick verrät mir alles.
Zum Beispiel, dass sie keine Katzenhaar-Allergikerin ist.
Dass sie keine Lektorin ist.
Und dass wir verwandte Seelen sind, ständig umherirrend auf der Suche nach dem ultimativen Quickie.
Die Lesung beginnt dann auch nur deshalb, weil Dani unbedingt darauf besteht. Ich glaube, sie hat Lunte gerochen. Vielleicht auch nur mein Testosteron.
Jedenfalls setzt sie sich als Vortragende noch auffälliger in Szene als jemals zuvor. Von der Beleuchtung über die Sitzposition bis hin zum Wasserglas, dem bedeutungsvollen Räuspern und der kalkulieren Schweigeminute zu Beginn überlässt sie nichts dem Zufall. Endlich erhebt sie die Stimme und verkündet mit biblischem Pathos:
„Kapitel Elf. Zweite Initiation!“

 

Hallo Cantalupo!

Ich habe tatsächlich deine Geschichte komplett durchgelesen, und weißt du warum? Sie hat mich a biserl gefesselt. Schöner Sprachstil, schöne Storie, alles prima. Mag ich leiden :thumbsup:

Hier einige Sachen, die mir beim Lesen aufgefallen sind:

Cantalupo schrieb:
Detektor für seismische und akustische Ereignisse in Kombination mit einer Wetterstation verwandelt.
"in Kombination mit einer Wetterstation" versteh ich nicht :confused:

sondern waschechte heavy-metal-sounds; Töne, materialisiert in Form stählerner Schaschlik-Spieße, die der Apparat mit rhythmischer Präzision in meine Gehörgänge katapultiert.
Schönes Bild, gute Formulierung. Hat besonders gefallen.

Stell dir vor, du stehst in einem Aufzug, der ziemlich flott nach oben fährt und plötzlich reißt das Zugseil.
In diesem Zusammenhang schönes Bild.

Warum haben angehende Schauspielerinnen immer so entsetzlich laute, überartikulierte und aufdringliche Stimmen?
Stimmt! Frag ich mich auch.

Spinntdieoderwasheuteaufkeinenfall!
Ich persönlich kann derartige Wortzusammenklumpungen langsam nicht mehr hören. Würd drüber nachdenken, das zu streichen, bzw. anders zu schreiben.

(was kümmern mich ihre alten Freundinnen. Junge sind mir lieber),
m. E. zu platt.

Ob Lektorinnen Shit oder lieber Gras rauchen?
:lol:

Der begabte Autor ist ein vielseitig interessierter Mensch, der auch als professioneller Musiker erfolgreich ist........
Oder meinetwegen auch:
Der leidenschaftliche Musiker zeigt auch als Buchautor erfrischende Kreativität und ein hohes künstlerisches Niveau....
So ein saublöder Schmarrn.
An sich ein großartiger Gag. Letzter Satz stört (mich). Würd ich streichen.

Verona oder Naddel oder D. Küblböck noch vor Dieter Bohlen gevögelt zu haben, (es waren übrigens unglaublich lausige Ficks und Daniel hat nicht die geringste Ahnung von Tuten und von Blasen erst recht nicht!)
Da bin ich beim Lesen kurz zusammengezuckt. Ich finde, deine Geschichte ist bis dahin viel zu gut, als dass sie Küblböck, Bohlen etc -Witze nötig hätte. Gefiel mir nicht.

Auch die Ullstein Verlagsgruppe wird mittlerweile heimlich von den Illuminaten kontrolliert!
SPitzen-Gag :thumbsup:

dass ein gewisser Boris B. diese regelmäßig aufsuchte, um sich ungestört Einen runter zu holen.
Muss nich sein (siehe oben Küblböck-Kommentar).

Irgendwann schrecke ich hoch von meinem Sofa und stelle fest, dass ich ein ausgedehntes Nachmittagsschläfchen gehalten habe. (...) Ich habe wieder geträumt.
Fand ich jetzt nicht so vom Hocker reißend. Es gibt doch schon sehr viele Gechichten, bei denen sich am Ende herausstellt, dass der prot nur geträumt hat. Fand ich aber auch nicht SO schlimm, dass ich eine Sreichung fordern würde :D

Muss voll krass sein da drüben.
Voll krass? Würd ich aber dem restlichen Sprachstil, bzw. der Ausdrucksweise des Prots anpassen.

Elvis hat das auch so gemacht und ist längst zurückgekehrt. Allerdings ist er jetzt ein ehrenamtlicher Muezzin und Aushilfs-Mullah in einer unbedeutenden Medrese irgendwo in Belutschistan oder so.
Wortgewandt/gut formuliert und lustig.

Gratulation! Hast mich gut unterhalten. Nächstes mal aber trotzdem ein klein wenig kürzer ;)

Schönen Gruß. Kaktus.

 

Servus Kaktus!

Freut mich, dass dich meine Geschichte ausreichend unterhalten konnte, auch wenn sie ein bisserl lang geraten ist.
Deine Anregungen machen mich ein wenig unsicher; sollte sich noch jemand an den Naddel-Küblböck-Passagen stören, werde ich diese wohl eliminieren.

Schönen Gruß u. ebensolchen Dank
Cantalupo

 

lang und gut

hallo cantalupo,
darf ich es auf einen kurzen nenner bringen? deine story ist lang und gut. das auf und ab des gefühlsbarometers, logische und bewusst unlogische überlegungen, witz und wortreichtum. hat mir alles gut gefallen. erinnerte mich irgendwie an eine gute kabarett-vorstellung. du springst elegant zwischen traum und wirklichkeit und schaffst es dabei, den leser immer mitzunehmen, ohne ihn zu überfordern.

klasse gemacht. wann kommt die nächste story? sozusagen kapitel zwölf?

herzliche grüße auch aus münchen
ernst

 

Ja grüaß di nachad, Ernst,
endlich amoi a gscheiter Münchner in der Runde. A echter oder a zuagroaster?

Danke für deinen erfreulichen Kommentar. Kann gerne noch mit ein paar ähnlich gestrickten Kapiteln dienen, u. A. auch mit Anekdoten aus d. Münchner Musikerszene.

An schena Gruaß und an guadn Rutsch
Cantalupo

 

nein, leider....

.... kein echter münchner. aber immerhin schon über dreissig jahre hier.
gruß
ernst

 

Moin Cantalupo,

Mir hat deine Geschichte leider nicht ganz so gut gefallen, wie meinen Vorrednern.
Stilistisch wars sehr schön - viele Bilder, lebhafte Sprache und so. Inhaltlich hat mich das Dingen aber ehrlich gesagt nicht vom Hocker gehauen. Deiner Geschichte fehlt in meinen Augen einfach das gewisse Etwas, es plätschert irgendwie so vor sich hin und verliert sich in Abhandlungen über Serienbriefe und Kübelböcke.
Für meinen Geschmack hast du an manchen Stellen auch zu weit ausgeholt - die Abschweifung über den CobainKurt, Blues und sprechende Häuser fand ich im Kontext der Geschichte ehrlich gesagt weniger interessant.

Also, schlecht wars auf keinen Fall und es war auch ganz nett zu lesen, aber das lag für mich in erster Linie am Schreibstil.

Ereignisse in Kombination mit einer Wetterstation verwandelt
Wetterstation?
Kann das sein, dass du einen Affen hast, Alter?“
Ich hatte mal einen ungarischen Schneeleoparden, der in meinem weiß gefließten Badezimmer immer Verstecken spielen wollte, und dann noch diesen ausgewachsenen Buntspecht aus Belgien, der mich die ganze Nacht lang mit rythmischen Salsaklängen auf meinen vollkommen wertlosen Ikeamöbeln wachgehalten hat, aber einen Affen hatte ich noch nie. Ist das ein regionales Sprichwort? Ein anderer Ausdruck für den Kater?
Spinntdieoderwasheuteaufkeinenfall!
Naja... kommt mMn reichlich albern daher
(was kümmern mich ihre alten Freundinnen. Junge sind mir lieber)
den Gag würde ich dringend streichen.
Metapher einer höhnisch herausgestreckten Zunge, einer Geste des Spottes, die nicht nur mir, sondern auch der ganzen Mieterschaft im Hause kundtut, was ich für ein großkalibriger literarischer Versager ich in Wahrheit bin.
sehr schön
Verona oder Naddel oder D. Küblböck noch vor Dieter Bohlen gevögelt zu haben,
Witze über diese Gestalten (und später auch den Tennisbecker) sind zu einfach und meiner unmaßgeblichen Meinung nach niemals und unter keinen Umständen lustig... da fällt dir sicher noch was besseres ein

 
Zuletzt bearbeitet:

Na gut, Massa Gnoebel, schlechter Sex und Promis fliegen raus.

Die Wetterstation misst Luftdruck, -Feuchtigkeit. -Temperatur , Windgeschwindigkeit etc. u. sollte eine Kombination aus seismisch-akustischer Sensitivität und Wetterfühligkeit bildhaft ausdrücken. Ich hab die Passage allerdings nun geändert.

"Einen Affen schieben" heißt, heftig unter dem Entzug von Opiaten zu leiden. :cool:

Danke & Grüße
Cantalupo

 

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