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Bügeln
Ein langer, anstrengender Tag neigt sich dem Ende entgegen. Ich komme nach Hause, fühle mich erschöpft, ausgezehrt und niedergeschlagen, bin gleichzeitig aber noch zu unruhig und aufgebracht, um die dringend benötigte Entspannung zu finden. Verzweifelt überlege ich, wie ich runterkommen und die Arbeit, die ich fatalerweise aus meinem Büro mitgenommen habe, wieder aus meinem Kopf schmeißen könnte. Mein Job bereitet mir keine Freude. Er ist anstrengend, stressig und uninteressant, aber, und das ist wohl der einzige Grund warum ich ihn mir antue, einigermaßen gut bezahlt. Als ich noch entnervt und unmotiviert an meinem Schreibtisch saß, waren meine Gedanken und Überlegungen daher nicht selten schon vor mir zurück in meinen heimischen vier Wänden.
Was also soll ich tun? Fernsehen? Schlafen? Laufen? Mich sinnlos betrinken? Ich weiß es nicht, laufe wie ein eingesperrter Tiger auf und ab, setze mich gelegentlich auf die Bettkante, den Wohnzimmertisch, die Klobrille, und bleibe doch ratlos. .... Da war doch noch dieser eine Kunde, der bis morgen früh unbedingt seine Ware bräuchte, wir diese aber nicht auf Lager hätten, und außerdem .... Verdammt! Schluss! Aus! Ich will nicht mehr Denken, nicht mehr Grübeln, fühle mich angewidert von all den Zahlen, nervenden Kunden und arroganten Vorgesetzten.
Nun ist es klar! Mein Entschluss steht fest! Gehetzten Schrittes mache ich mich auf in Richtung Bierkasten, wild entschlossen ihn bis auf den letzten Tropfen zu leeren. Bereits auf halbem Wege, werde ich aber abrupt gezwungen innezuhalten, als mir der Anblick eines Wäschekorbs voll frisch gewaschener und getrockneter Kleidung ins Auge sticht. Jetzt erinnere ich mich wieder, nun kommt das kurzfristig Verdrängte, Schmerzende schlagartig wieder hoch. Der Anblick des vollen Wäschekorbs macht mir endgültig und ein für alle mal bewusst, dass sie fort ist, mich meine Freundin für immer verlassen hat. Was war das nur wieder für ein dummer Streit! Verärgert warf sie mir vor, sie würde immer die Wäsche waschen, das Geschirr spülen und die Wohnung fegen, und überhaupt würde ich nie auch nur einen Finger rühren, wenn es darum ginge, irgendetwas zu säubern, zu putzen oder zu reinigen. Meine Einwände, ich würde immerhin die Autoreifen wechseln, den Müll wegbringen und auf der Arbeit schon genug Stress ertragen müssen, machten sie nur noch wütender. Schreiend und krakeelend warf sie den Wäschekorb auf den Boden und stürmte schnaubend aus der Wohnung, nicht ohne mir noch lautstark zuzubrüllen, dass sie sich felsenfest schwöre, mich faulen Sack nie mehr wieder sehen zu wollen.
Da liegt sie also nun, die Wäsche, und wartet darauf gebügelt, gefaltet und verstaut zu werden. Meinen Trinkplan kann ich erst einmal vergessen. Langsam bücke ich mich hinunter, um diesen, mich so häufig umgebenden, aber bisher doch gänzlich unbekannt gebliebenen Behälter aufzuheben. Interessant wie Wäsche aussieht, die nicht glatt und geordnet im Schrank verharrt. Ineinander gewunden wie die Proteine eines Eies nach dem Kochen, faltig und runzlig wie die Rinde eines alten Baumes lachen sie mich aus, die Socken, Hosen und Hemden. Ich beginne bereits zu ahnen, welch langen Weg meine Freundin, und vor ihr meine Mutter, ein jedes Mal zurücklegen musste, bis meine Wäsche in der Form erscheint, wie ich es gewohnt war. Bedächtig greife ich ein T-Shirt heraus. Es handelt sich um mein kostbares, schon leicht zerschlissenes Fußballshirt, das ich vor zehn Jahren von meinem geliebten, aber leider verstorbenen Vater zu Weihnachten bekam. Ungebildet beäuge ich es. Bügeln? Wie bügele ich es? Will ich es überhaupt bügeln? Genau! Warum ist mir gebügelte Wäsche denn so wichtig? Warum schmeiße ich meine Klamotten nicht einfach ungeplättet und verdrillt in meinen Schrank? So wie sie sind. So wie ich sie gerade in meinen Händen halte. Aber nein! Ich darf mich nicht so hängen lassen. Ein schlecht geordneter Kleiderschrank ist der erste Schritt zur völligen Verwahrlosung. Als nächstes lasse ich das Geschirr ungespült in der Küche stehen, die Dusche verschimmeln, den Hof herunterkommen. Oh, wie ich sie vermisse! Warum ist sie nur fort? Weil ich ein ‚fauler Sack’ sei … und bei Gott, sie hat recht! Zum ersten Mal fällt es mir wie Schuppen von den Augen, lichtet sich der Nebel meines Wohlstandes. Natürlich hat sie recht! Immer wurde mir alles nachgetragen, geputzt, gekocht, und eben auch gebügelt. All mein Wohlbefinden, mein voller Magen, meine saubere Wohnung, meine sanft und geschmeidig anliegende Wäsche, all dies wurde mir immer nur zugetan, nie selbst von mir bewerkstelligt. Ich schäme mich. Ich war ein unfähiger, träger Schmarotzer meiner engsten, vertrautesten Umwelt. Damit ist jetzt Schluss! Den Strom macht nicht die Steckdose, das Essen nicht der Supermarkt, und meine Wäsche bügelt nicht der Schrank.
Also los! Wo stehen das Bügelbrett und das Bügeleisen? Gut, gleich hier hinter der Tür des Waschraumes. Etwas umständlich aber letztlich erfolgreich gelingt es mir das Bügelbrett in das Wohnzimmer zu tragen und kreuzbeinig aufzustellen. Sollte ich vielleicht zuerst im Internet surfen und herausfinden, ob ich irgendwelche Besonderheiten, Kniffe oder Tricks zu beachten habe? Ach was! Anleitungen lesen war noch nie meine Stärke. Die Funktionsweise dieser Faltenglättungshilfe finde ich auch so heraus. Gut, das Bügeleisen ist eingesteckt, mit destilliertem Wasser gefüllt und betriebsbereit. Nun das erste Trumm. Ich greife hinein und erwische das oben liegende Fußballshirt, über das ich vor kurzem noch sinnierte. Soll ich wirklich dieses zuerst bügeln? Nein, lieber nicht. Fangen wir erst einmal mit einem mir persönlich weniger relevanten Kleidungsstück an, einem Probestück. Ja, das ist gut. Das Sparkassen-Werbe-T-Shirt. Wäre mit Sicherheit kein großer Verlust, falls meine mangelnden Bügelfertigkeiten hiermit gleich zu Beginn ein mehr oder weniger dramatisches Desaster verursachen würden.
So, das gute Teil ist über das spitze Ende des Bügelbretts gezogen und wartet ungeduldig auf den ersten Kontakt mit der heißen, glättenden Fläche des Eisens. Ich greife zu, hebe es und wage meinen allerersten Bügelversuch.
Wasserdampf befreiend und leise zischend setzt das Eisen auf und presst das erste ebene, gemangelte Dreieck auf das Sparkassen-Shirt. Fasziniert folge ich dem Glättungsvorgang, lasse das schwere Gerät immer gekonnter und leichthändiger über die hügelige Stoffplane streichen, traue mich kess in die problematischen Ecken an Kragen und Ärmel, stelle mir wissenschaftlich vor, wie die über 140° C heiße Bügelfläche unter Zuhilfenahme des stoßweise brodelnden Wasserdampfes die starren, unbequemen Falten eine nach der anderen sterisch flexibilisiert, ihre Plastizierfähigkeit erhöht, sie letztlich durch die Gewichtskraft des Bügeleisens und meiner Führhand verschwinden lässt und das Shirt in seine neue, mir so wohl bekannte, beeindruckend planare Form setzt.
Ergriffen von dem überraschend beruhigenden, erleichternden Bügelerlebnis und erfreut über mein Ergebnis, greife ich sofort wieder in den Korb, ziehe den nächsten Baumwollfetzen über das Brett, setze an, bügele, wende, bügele, stoße in die schwierigen Zonen, betrachte abermals mein zufriedenstellendes Werk und schließe den letzten Bügelvorgang mit dem Fußballshirt meines Vaters, meinem heutigen Meisterstück.
Warum bin ich nie früher auf diese entspannende, Konzentration und Geschick erfordernde Tätigkeit gestoßen? Hunderte Male bügelte sie meine Klamotten gleich neben mir, wenn ich auf der Couch lag, fern sah und sie anherrschte nicht immer vor das Bild zu treten. Nie bin ich nur auf die Idee gekommen ihr zu helfen, oder besser, wie ich nun reumütig weiß, sie abzulösen, das Eisen selbst in die Hand zu nehmen und loszulegen, abschalten, bügeln, beruhigen, die Gedanken in Einklang mit dem Arm schweifen lassen und mich fröhlich nach vollender Arbeit, nein Kur, neben sie ins Bett legen und ihr zuzuflüstern wie sehr ich sie liebe.
Ich habe all dies nie gemacht, begreife eindringlich warum sie mich verlassen hat und bereue mein Verhalten zutiefst, werde aber ab so fort alles daran setzen, sie wieder zurück zu gewinnen, wieder mit ihr zusammen zu ziehen, ihr beweisen, dass ich mich ändern will und werde.
Und wie ich nach der Arbeit entspannen und runterkommen kann, weiß ich nun auch.