- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Bühne und Zimt
Es roch nach Zimt, während ich am Bühnenaufgang auf mein Zeichen wartete.
Wie immer an dieser Stelle zog mir der Geruch in die Nase und ließ mich an nichts anderes denken. Im Grunde genommen war es ja gar kein Zimt, den ich da roch. Es war eine Mischung aus Angstschweiß, verschwitzten Tanzklamotten, erneuerungsbedürftigen Vorhängen und das Parfüm der Leiterin, die neben mir stand. Aber all das ineinander vermischt, ließ es eben nach Zimt riechen. Irgendwie passt der Geruch zu meiner Aufregung, dachte ich. Ich weiß nicht wie, aber er passt.
Komisch!? Warum fällt mir das immer jetzt auf, kurz vorm Auftritt, an einer Stelle, bei der dem Ein oder Anderem schon mal die Blase versagt. Mein Herz rast, aber das bin ich gewohnt. Ich weiß, dass wenn ich die Bühne betrete, alle Aufregung verfliegt, weshalb das so ist, allerdings nicht. Aber ich bin dem sehr dankbar. Würde ich in der jetzigen Verfassung singen, bekäme ich sicherlich keinen Ton heraus. Auch der Zimtgeruch verschwindet mit dem Aufgang zur Bühne. Schade eigentlich, murmelte mein Kopf.
„Du bist gleich dran!“ weckte mich die Bühnenleiterin mit einem Flüsterton, dem man als moderner Mediennutzer kaum versteht.
„Ich weiß, “ flüsterte ich zurück.
„Deine Gitarre. Alles bereit?“
„Ich hoffe doch, “ antwortete ich und lächelte.
„OK na dann … viel Glück …“
Sie blickte zum Bühnengeschehen und wartete auf einen bestimmten Wortlaut, den ich mir aus Protest nicht merken wollte.
„Das war dein Satz! Und los!“ Sie legte ihre Hand sanft auf meinem Rücken und es schien, als wolle sie damit meine Aufregung stehlen. Vorsichtig und routiniert stieg ich darauf hin die kurze Treppe hinauf und warf der Leiterin noch einen flüchtigen Blick zu.
„Jetzt komm ich!“
Die Bühne ist heiß. Viel heißer noch als mein Kopf. Es ist, auf Grund der brennenden Scheinwerfer, wie ein Aufgang in die gnadenlose Hitze und nichts scheint ihr zu entkommen. Bespickt von ihren Blicken setzte ich mich gelassen auf meinen Hocker. Erwartungsvolle, neidische, liebevolle und lüsterne Blicke, die ich in mir aufnehme und so gleich vergesse. Es ist von Nöten völlig Frei zu sein. Mein Kopf beruhigt sich und die Angst scheint verschwunden. Nur ein warmes Gefühl spüre ich in meinen Bauch und auch das Zittern meiner Hände versiegt im Rausch des Augenblicks. Ich bin bereit es ihnen zu zeigen. Bereit mich zu präsentieren. Alles zugeben.
Zwischen den vielen unbekannten Gesichtern sehe ich hier und da auch ein paar Bekannte. Mir war klar, dass jeder einzelne Auftritt alles verändern kann.
Erfahrungsgemäß gehe ich vom Schlimmsten aus und erwarte das Beste. Ich spielte das tiefe E und dann das A. Beide Seiten stimmten perfekt überein und ergaben ein wunderbaren Klang. Der schwarze Lack meiner Ibanez reflektierte im schrillen Licht der Scheinwerfer und ließ ein paar Augen zwinkern. Das Publikum war völlig still und wartete gespannt auf meinen Song.
Doch was war das!!? Plötzlich schrie ein junges Mädchen in der ersten Reihe völlig zerschoben meinen Namen. Ich wusste nicht ob mir das jetzt peinlich sein sollte oder….
Doch als der gesamte Saal in ein berauschenden Applaus versank, machte ich mir dies bezüglich keine Gedanken mehr. Was für ein Anfang! Zwei Töne gespielt und schon war das Publikum völlig aus dem Häuschen. Der Abend entpuppte sich zu etwas ganz Besonderem und ich fühlte mich frei und stark genug, jetzt mit meinem Song zu beginnen.
Der Sound meiner Klampfe passte unheimlich gut zur Situation und meine Stimme gab dem Ganzen den absoluten Flug. Die Atmosphäre hatte etwas Befreiendes. Etwas Unbeschreibliches. Doch wie so oft, nahm ich alles nur sehr verschwommen wahr. Ich spürte nicht viel dabei. Die jungen Mädels da unten, spürten sicherlich viel mehr. Eine heulte fast. O Gott! Sie heulte!
Es ist, als spielt jemand anderes. Irgendjemand aber nicht ich. Es ist so gefühllos und leer. In der Mitte des Songs frage ich mich plötzlich, was das alles soll. Ich hatte einfach keine Lust mehr weiter zu spielen. Sollte ich vielleicht aufhören? Genau jetzt aufhören!? Ja! Einfach die Gitarre in die Menge geworfen und ab durch die Mitte. Das wär’s doch! Die würden sicherlich dumm drein schauen. Aber es wäre mir egal. Meine Lustlosigkeit steigt mit jeder Zeile und ich frage mich wieder: Was soll der ganze Kram? Der ganze Film scheint so zerrissen und ich verliere mit jeder Sekunde die Lust ihn noch weiter zu projizieren.
Ich hör auf! Ich werfe alles hin und morgen verbrenn ich meine Gitarre und tanze nackt ums Feuer. Ich werde dem ganzen ein Ende bereiten. Weit weg werde ich ziehen. Dort wo es keine Klänge gibt. Nur ein leichter Wind der mich streichelt und mir ein Gefühl von Zuhause schenkt.
Der Song ist fast zu Ende. Alles verpasst und nichts gewonnen. Ich hasse es. Gleich sitzt ich wieder da und alles ist wie vorher. Was habe ich nur verpasst? Sie klatschen. Sie klatschen laut. Zu laut. Es ist wie dummes Geschrei in meinen Ohren. Sie verstehen nicht. Keiner dieser Schreihälse da unten versteht irgendetwas. Mein dankendes Lächeln lässt sie nur noch lauter schreien. Aber es gibt mir nichts. Es ist leer. Ein leeres dummes Brüllen!!
Das erste Gefühl, das mich wieder durchrann war Einsamkeit. Kurz nach dem ich die Bühne verließ. Einsamkeit und Angst. Und da schlich ER sich wieder an mich ran. Auf leisen Sohlen, so dass man es erst merkt, wenn er da ist. Der Wunsch zu Spielen. Meine Gitarre und ich. Auf der Bühne. Allein. Und das Scheinwerferlicht in meinen Augen.
Zimt.