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Bar Bar
Ein langer Tag findet sein Ende in den saubersten Straßen der Stadt. Die Nacht beginnt und ich versuche sie herunterzugurgeln, zusammen mit all den schlechten Erinnerungen, die sich wie Falkenklauen in mein Hirn gegraben haben.
Prost, Sie weißes Scheusal, ich ertränke mein Leben in Whisky! Hier an einem blankgeputzten Kieferntisch, den eine schrumplige Kröte in weißem Dress jede Minute sauberwischt, um sich wachzuhalten. Mit gekrümmten Rücken watschelt der Barkeeper durch´s „Phillies“, die edelste Kneipe weit und breit, und grinst mich zahnlos an, dann nickt er, wobei seine Falten ein Ballett aufführen, das ich jedesmal mit interessiertem Blick beobachte, und derweil feststellen muss, dass ich all das Geld nicht für den Alkohol zum Fenster herauswerfe, sondern immer wieder in eine kulturelle Veranstaltungen investiere. Dann lächele ich, weil ich weiß, dass ich kein Säufer bin, trinke einen Schluck und denke, dass mein Leben vielleicht doch einen Sinn haben könnte.
„Da ist noch ein Fleck,“ pflege ich den Alten dann anzulügen und meinen Zeigefinger wahllos auf den Tisch zu richten, woraufhin seine gelben Augen aus den Höhlen quillen und auf der nicht vorhandenen Problemstelle prompt ein Problem feststellen: Und schon ist der weiße Lappen zur Hand, mit dem eifrig herumgeschabt wird auf dem Fleckchen, auf dem ein Fleckchen vermutet wurde.
„Der Fleck“ keucht der Keeper nach einer Weile fanatischen Herumlappens mit schweißgetränktem Gesicht, „ist hartnäckig.“
Der Tag, an dem ihm mal richtige Flecken begegnen, wär´ echt ein Wendepunkt in meinem traurigen, kleinen Leben. Dass der Kerl auch nie müde wird..
Nein, er zerspaltet seine Wangen in klaffende Lachfalten und macht weiter. Von diesem Punkt an beginnt der Abend unterhaltsam zu werden, weil ich nach einem arbeitslastigen Tag endlich wieder einer Aufgabe nachgehen kann, die mir Spaß macht:
Ich stoppe die Zeit. Die Zeit, die es dauert, bis dem schneeweißen Schnösel klar wird, dass er in seiner Ordnungswut den Tisch in Splitter schrubbt, bloß um ein Erfolgserlebnis zu haben, das nicht größer sein kann als der Fleck, den mir der Alkohol ins Blickfeld geschüttet hat. Der Alkohol oder die Freude an der Tatsache, dass es – und sogar hier im Phillies— eine Existenz gibt, die noch wertloser und erbärmlicher ist als meine.
„Fünfundfünfzig Minuten. Neuer Rekord. Wie lang´ das wohl noch so weiter geht?,“ brummele ich gerade meine Rolex an, als ein wunderschönes, rosa Geschöpf das „Phillies“ betritt. Die Frau lässt sich so anmutig auf dem Barhocker nieder, dass ich für einen Augenblick doch glatt vergesse, meinen Whisky zu trinken – nur für einen Augenblick.
„Durstig?,“ kräht ihr der weiße Schwan entgegen und mir schwant, dass die rosa Krähe ihn dazu veranlasst hat, den Lappen auf den Boden- Klatsch! Wo ist die Frau hin? Und wer ist der Mann mit dem krummen Falkenschnabel, der jetzt vor mir hockt ?
Die Situation, dass sich eine Menschin zu mir in die Einsamkeit gesellt, hätte mich wahrscheinlich ohnehin überfordert, zumal ich bisher immer alleine war in meiner Bar, wo mich keiner sah, außer der eine da, diese ver- und in sich zusammengefallene, durch die Gegend krauchende Kreatur, die mich jedes Mal mit dem Charisma eines Kieselsteins in eine Welt willkommen heißt, die mir Ruhe und Gelassenheit schlückchenweise einflößt und vielleicht so etwas wie Glück.
Wer kein erfülltes Leben hat, braucht zumindest ein volles Glas. Und wem der Tag zu hell- und das Leben zu hoffnungslos ist, dessen Herz macht schon Luftsprünge nie endender
Glückseligkeit, wenn er die Gelegenheit bekommt, dem erhebenden Moment beiwohnen zu dürfen, wenn ein grottenhässlicher, buckliger Haufen Falten den Tisch wischt.
Das ist Entertainment!
Oder die Spinne, die an der Wand über der Herrentoilette jede Nacht an ihrem Netzt spinnt, das mit jedem Besuch, den ich dem alten Barkeeper abstatte, ein Stückchen perfekter wird. „Ach, du Spinne,“ denke ich mir, wenn ich sie schon stundenlang bewundert- oder ihr ein paar Tropfen Whisky in ihr Netz gestreut habe, „du bringst mehr zustande als ich. Und während ich hier der peinlichen Aufgabe nachgehe, vor den riesigen Glasscheiben des “Phillies“ zu hocken und all den Nachtschwärmern, die mich von außen begaffen, ein abschreckendes Beispiel biete, baust du dir ein seidiges, kleines Eigenheimaus aus deinen Körpersekreten . Wie gern wär´ ich an deiner Stelle.“
Nun, vielleicht ist diese Kneipe ja zu einer Art seidigem kleinen Eigenheim für mich geworden. Es ist nicht so, dass ich kein Haus hätte, nein, ich habe sogar ein großes, teures Haus, durch das fünf Kinder spuken und bald werden es sogar sechs sein. Und, wenn ich mich heute Nacht in diesem Haus aufhalten würde, um zu schlafen, dann würde neben mir im Bett ein bleiches, angsteinflößendes Wesen liegen, meine Frau, ein unbegreifliches Geschöpf, das ich aus beruflichen Gründen schon seit Jahren nicht mehr sehe, seit so vielen Jahren, dass ich Panik bekommen würde, wenn ich es sähe, denn wer teilt sich ein Bett mit einer fremden Person, mit der man nicht einmal den Tag teilt?
Nein, ich habe ein besseres zu Hause gefunden. Und da gibt es keine Fremden! Hier nistet sich niemand ein!
„Entschuldigen Sie, wissen Sie vielleicht, wie spät es ist?“ Der Schnabel des Kerls, der vorhin in meine Stammbar geflattert kam, ragt mir ins Gesicht.
Jetzt, da er sich zu mir umgedreht hat, erkenne ich, dass die junge Frau neben ihm sitzt.
Sie schenkt mir ein blutrotes Lächeln. Ihre Lippen bestehen mehr aus Lippenstift als aus Lippen. Sie leuchten geisterhaft durch die Nacht, so wie die ganze Frau vor der Glasfront des Phillies, vor dieser endlos schwarzen Wüste, rot erstrahlt wie eine Fatamorgana.
Das muss der Mensch sein, der mich schlagartig in ein neues Leben versetzen wird, der erste Mensch, der sich wirklich um mich kümmern wird!
Während ich auf die Erscheinung starre, verdecke ich die Zeit an meinem Arm mit der Hand und gebe in whiskygetränkten Worten zu verstehen, dass ich nicht wisse, wie spät es sei.
Der Mann dreht sich wieder um, legt die Schwingen vor sich auf den Tisch und bestellt zwei Getränke. Die Frau gehört also zu ihm. Von dieser Feststellung erschüttert, frage auch ich nach noch einem Schluck, der sofort genommen ist und sich, ehe ich mich versehe, schon in eine Anzahl verwandelt hat, die nur an den kilometertiefen Grübchen des Barkeepers beim Entgegennehmen des Geldes ungefähr einzuschätzen ist.
Immer wenn die alte Lachmöwe jetzt an mich heranwatschelt, um mir Trinkbares aus der Trinkbar zu geben, bevor ich ihr Bares gebe, meine ich für eine Tanzvorführung zu bezahlen, die mit jedem Mal pompöser und mitreißender wird und vor allem tief gehender – wie seine Falten eben.
Ja, ich fühle mich wie ein Opernbesucher in meinem korrekt sitzenden, blauen Anzug und unter der Melone auf meinem Kopf.
Als wäre ich ein völlig normaler und anständiger, fleißiger Bürger, der mit sich und seinem Leben völlig zufrieden ist.
Rosa –oder wie immer sie auch heißen mag— sieht mich wieder voller Bewunderung an, so wie sie es heute Nacht schon öfter gemacht hat. Sie hat diese wunderbar niedliche, scheue Art, kurz aufzuschauen, zu gähnen und den Blick dann wieder nach unten zu richten, eine Phase, die ich mehrere Minuten bei ihr beobachten kann, bis sie unsicher wie ein Rehkitz die
Pupillen so langsam vom Rand ihres Glases zu mir spazieren lässt, dass ich jetzt einfach nicht anders kann, als ihr einen Luftkuss zuzuhauchen.
Kaum hat der sie erreicht, verzieht Rosa ihr zartes Gesicht, so als wollte sie sagen: „Halt´ dich noch ein wenig zurück, Süßer, mein Mann sitzt neben mir.“
Und wie, um mir die bedrohliche Gegenwart ihres Falken zu demonstrieren, tippt sie ihm so lange auf die Schulter, bis er den Kopf vom Tresen nimmt und „Entschuldige bitte“ sagt.
Dann flüstert sie dem hässlichen Raubvogel mit dem kantigen Gesicht und der widerwärtigen Hakennase etwas ins Ohr und ihm sträuben sich die Federn .
Das erste Wort „Spätzchen“ verstehe ich noch. Was folgt ist wahrscheinlich die Erklärung, dass sie jetzt einen neuen Liebhaber gefunden hat, und dieser –das macht sie ihm mit ihrem edlen Feigezinger, äh, Zeigefinger deutlich, den sie stolz in meine Richtung streckt- dieser, sitzt genau vor ihr und hat sie von Anfang an mit seinen melancholischen Augen verzaubert und mit der nachdenklichen Art und Weise, wie er nach einigen Momenten schweigsamen, innigen Philosophierens bedeutungsschwanger an seinem Glas nippt.
Noch einmal grinst sie mich verliebt an mit nervös flackernden Augen und unruhig zitternden Händen. Was gäbe ich nicht alles, um von diesen Händen berührt zu werden?
Aber, um das zu erreichen, muss ich eine Unterhaltung mit ihr zustande bringen.
Schüchtern, wie die Kleine ist, kann ja nichts aus uns werden.
Also winke ich meine zukünftige Lebenspartnerin zu mir.
Und tatsächlich:
Rosa –sie heißt übrigens Rosa Wunderbar, wie ich im Moment logisch schlussfolgere- verlässt den Platz an der Seite ihres Mannes und läuft auf mich zu. Dieser leichte Gang! Dieser sachte, aber beständige Rhythmus, mit dem sie leise ein Füßchen vor das andere setzt, bis sie in voller Schönheit vor mir steht. Umwerfend sieht sie aus! Vor allem ihre filigranen, kleinen Hände lassen mich aus den Socken kippen. „Diese Frau haut mich um,“ denke ich und lache sie an.
Der Barkeeper winkt mir zu mit heftigen Bewegungen. Drollig, wie sich dieses unförmige, weiße Großväterchen für mich freut. Ich nehm´ es ihm nicht übel und winke zurück. Er winkt ab, fixiert mich mit seinen sonnengelben Augen. Warm sind diese Augen. Ich habe es vorher nur noch nie bemerkt. Er schüttelt den Kopf und zieht die Mundwinkel nach unten.
Noch nie habe ich ihn das machen sehen. Ach, du alte Lachmöwe, was bringt dich zu so einer Miene? Eifersüchtig, wie?
„Komischer Kauz,“ denke ich mir und sehe, wie er resigniert dreinblickend den weißen Lappen in die Hand nimmt. Der und seine Reinlichkeit! Den möcht´ ich erleben, wenn´s wirklich mal gilt, aufzuräumen, wenn die großen Glasfenster hier zerspringen!
Der Falke gibt einen gellenden Schrei von sich. Auch eifersüchtig, das alte Federvieh!
Aber nein! Was sehe ich? Rosa dreht sich noch einmal langsam zu „Spatzi“ um, um, um....
Um ihn mit ein paar Abschiedsworten in seinen neuen Lebensabschnitt zu entlassen! Ein Glück! „Ich kümmere mich um ihn.“ Ihre kirschsüßen Lippen und diese schmackhaften Worte stellen mich auf, steuern meine bebenden Whiskylippen an ihre und – Rumms! Es ist passiert. Das, womit ich am Anfang, des Abends nie gerechnet hätte:
Die Nacht um das Phillies wurde von weichem Licht hinweggespült, das durch die Glasfront auf uns beide fiel und auch ich, ein hoffnungsloser Bargänger, immer niedergeschlagen aber noch nie derartig wie in dieser Nacht, wurde durch die Glasfront meiner Stammkneipe im saubersten Viertel der Stadt schlagartig in einen Lebensabschnitt katapultiert, von dem ich bisher nur geträumt hatte, geschlagen von der schönsten Hand, die ich je gesehen hatte, von den blutrötesten Lippen mit den angenehmsten Worten verabschiedet , die je ein Mensch an mich richtete: „ Mach' mich nich' an.“