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Barnebis List
Barnebis List
Schon seit Wochen war das Land im tiefen Schnee begraben. Es gab Tage da schneite es ohne Unterlass und auch heute war es nicht anders. Seit zehn Tagen schritt Barnebi einher, ohne zu wissen wohin und ohne in dieser Zeit im geringsten Nahrung zu sich genommen zu haben. Für einen geräumigen Magen, wie ihn Barnebi besaß, eine geraume Zeit. Doch so einfach es gewesen wäre, sich dem Gesetz der Natur zu unterwerfen, so unmöglich war es für Barnebi durch die Ausgabe seines letzen Geldes, sich den Gesetzen des Menschen anzupassen. Schließlich war Barnebi seit dreißig Jahren selber ein Mensch, kannte seinesgleichen, die Macht des Geldes, wie wiederum auch dessen Reglement. Trotzdem waren Barnebi auch die zehn Gebote nicht entgangen.
Bisher kam es ihm nicht in den Sinn dagegen zu verstoßen. Jedoch heute, wo Barnebi für sich selber keine Chance mehr sah, nur noch der Hunger seine Gedanken und Innereien in Bewegung hielt, überraschte ihm das eigenartige Gefühl, mindestens ein Gebot, um seinen Hungertod zu entgehen, streichen zu müssen. Mit jedem Schritt, mit dem Barnebi durch knirschenden Schnee seinen Weg fortsetzte, strich er einen Teil des siebten Gebotes. Du darfst ruhig stehlen, wenn es keine Aussicht mehr gibt, dein eigenes Leben weiterhin zu erkaufen, sagte sich Barnebi bei seinen Überlegungen zu sich selbst. Als weiterhin tausend Schritte vergangen waren, die eisige Schneeluft Barnebis geschwächten Körper fast zerschnitten hatte, erreichte er ein Dorf, in dem der einzigste Traiteur seit kurzem seinen Dienst versah.
Ein angenehmer Geruch von verbranntem Öl und Fett kroch durch die Ritzen seines
Hauses in Barnebis Nase. Gleichsam verspürte Barnebi eine übermäßige Lust zu
leben, die ihm unbekannt geworden war, ihm aber in seiner Situation jegliche Angst
zu nehmen schien. So betrat er, mit der Gewissheit sein Leben fortsetzen zu können, jenes Haus und trug sich mit verbliebener Kraft in die Nähe des geöff- neten Ofens, der ihm vermisste menschliche Wärme vortäuschte. Barnebi fühlte sich wohl, obwohl er wusste schon jetzt ein Dieb zu sein. Da seine Kleidung schäbig war, täuschte er seinerseits den Besitz des Geldes vor, indem er seine ungeöffnete Geldbörse für den Traiteur gut sichtbar vor sich auf den Tisch legte, an dem er arglos sein rettendes Mahl erwartete und an dem ihm in seiner vermeintlilichen List das Paradies greifbar und erreichbar erschien.
Was soll mir schon geschehen, sagte sich Barnebi im singenden Klang der Messer und Gabeln. Ein schmackhaftes Täubchen, das man eigens für den Verzehr den Kopf umdrehte, wird man so übel mir nicht nehmen - wenn es darum geht es nicht zu bezahlen. Ein bisschen Streit vielleicht, und selbst der Gendarm, den man mit Sicherheit hinzuziehen wird, kann durch sein Eingreifen die Verdauung des kleinen Tierchens bis dahin nicht mehr verhindern.
„Wer leben will muss büßen“, scherzte Barnebi mit dem Traiteur, als dieser ihm das
Täubchen brachte.
Der Traiteur aber, der auf der Erde lebte und nur für bares Geld bediente, sann auf
Rache, nachdem er von Barnebi die Wahrheit erfuhr. In seiner maßlosen Wut, die er
in seinem Inneren geschickt verbarg, erdachte sich dieser daraufhin ebenso eine List.
„Ich werde Sie laufen lassen und den Gendarmen nicht verraten. In einem solchen Fall ist man ein Christ und Gentleman“, gab der Traiteur zu Barnebis Überraschung zu verstehen. „In meinem Hause sind Sie kein Helot. Doch sehen Sie selbst hinaus, das Wetter, es macht mir Sorgen. Wohin auch immer Ihr Weg sie führen mag, der Schnee, und besonders die Kälte wird Ihnen zu schaffen machen. Ich bitte Sie daher, trinken Sie deshalb ebenfalls auf meine Rechnung noch ganz sans gene einen heißen Grogh mit mir - dann schulden Sie mir nichts“, fuhr der Traiteur mit überaus freundlicher Stimme weiter fort.
Barnebi, der mit Barmherzigkeit nicht gerechnet hatte, tropfte eine Träne aus seinem
Gesicht und zerschlug lautlos neben seinen Füßen.
Der Traiteur jedoch, der sich indessen in der Küche befand, markierte zunächst eines
der beiden Gläser. In diese füllte er danach half end half Rum und kochendes
Wasser hinein.Um seine Mischung nicht geschmacklos anzubieten, gab er zuletzt noch Zucker hinzu, wobei er in Barnebis Glas mit „rührender“ Bewegung, einen Löffel langsam, aber tödlich wirkendes Gift auflöste.