- Beitritt
- 10.07.2006
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Beethoven auf Japanisch.
Der Schlaf wird gelegentlich zu einer Problembewältigungsstrategie umfunktioniert.
Das Rammen von Brotschneidemaschinen in das zierliche Rückrat eines auf dem Feldweg herum liegenden Sozialarbeiters auch.
Sobald man süchtig nach der Anwesenheit eines Menschen wird, der zweiunddreißig Jahre älter ist als man selbst und den Platz eines familiären Zusammenhangs einzunehmen scheint, sollte man ernsthaft in Erwägung ziehen, die Theorien von Freud als kindischen Symbolismus einzuordnen. Ich bin innerhalb von zwei Stunden dreimal und deprimiert auf ihrem Sofa aufgewacht, was in seiner Banalität und Erwartungshaltung an einer frühpubertären Vorstellung von Lethargie grenzt. In ihrer Gegenwart könnte ich sterben, da man in Situation gesteigerter Euphorie zu Leichtfertigkeit und Verharmlosung neigt. Wenn ich mein Leben als abgebildete Realitätsform auf ein zwischen zwei Platanen gespanntes Bettlaken projizieren würde, wäre das eine sozialkritische Gesellschaftsstudie mit politischem Hintergrund.
Was ist Lethargie? Bist du Frau oder Mann? Was kommt nach dem Tod? Prof. Dr. K. Löhfing aus Tübingen?
“Oh, schau mal, eine schmale Windelschnecke!”
Sie bückt sich und ich bin erstaunt darüber, wie elegant sie sich bücken kann und dann zeigt sie mir enthusiastisch eine Schnecke, die auf einem Blatt sitzt.
“Ja, ganz toll.”
“Ist doch niedlich, oder? Ich habe mal eine junge Biene gerettet, hab ich dir das schon erzählt? Ich habs irgendwie so brummen hören und dachte so, Scheiße, ist bestimmt ne ganz fette Hummel und dann lag da diese junge Biene und ich hab ne Pipette mit Wasser geholt und das so auf sie drauf geträufelt und dann hat sie das auch echt aufgesogen mit ihrem Rüssel, die haben ja so kleine Rüssel und dann ist sie weggeflogen.“
“Ehrlich?”
“Ja, aber ich bin nur so tierlieb, weil ich mal das Gesicht von einer Katze in ihre eigene Scheiße gedrückt habe, die ist total lieb gekommen und ich dachte die hat da in meine Pflanzen auf der Dachterrasse geschissen und später hat sich rausgestellt: SIe war es gar nicht! Es war die falsche Katze! Das war sicher der Schock ihres Lebens.“
Sowohl der Hausflur als auch ihre Neutralität sind überdimensional, ihre Gesichtszüge würden in seriösen Interviews vermutlich als markant bezeichnet und das Titelblatt der zum Magazin gehörigen Fernsehzeitung zieren. Ihre Wohnung ist im fünften Stock, tapeziert und einem englischen Kinohighlight entrissen, die Decken sind niedrig und überall stehen Stühle herum, die antik wirken und das Sofa im Wohnzimmer ist olivgrün und auch die Wände im Wohnzimmer sind olivgrün, ich verstehe das nicht so ganz. Wir trinken Tee. und plötzlich fühle ich nichts mehr, nur Angst, etwas falsch zu machen, ich fühle ein überdimensionales Holzstückchen im Nagelbett meines linken Zeigefingers und die überdimensionale Neutralität dieser Situation.
Ich frage: “Und warum hängen hier überall diese bescheuerten Hundebilder?”
“Ich weiß nicht.”
Ich würde gerne fragen: “Warum ist die Neutralität dieser Situation so überdimensional? Warum bist du der schönste Mensch, dem ich je begegnet bin in meinem angebrochenen Leben und warum habe ich das Verlangen danach, genau in diesem Moment erschossen zu werden und als blutig auseinander gerissener Organismus in deinen Armen zu beobachten, wie du geschockt über mein Verderben zu Boden sinkst und kotzen musst und glaubwürdig edelfies heulen. Ich möchte dir sagen, dass ich dich liebe, aber das geht nicht, weil ich dich stattdessen versehentlich mit der Hässlichkeit deiner an den Wänden hängenden Hundebilder konfrontiert habe und du dich momentan lieber mit Hundebildern auseinandersetzt als mit pubertären Drecksfotzen in sozialem Brennpunktzusammenhang. Weißt du überhaupt, dass ich in einem Plattenbau lebe und deswegen bemitleidenswert bin?”
“Also, ich weiß es eigentlich schon. Eine Freundin von mir hatte mal so eine Ausstellung und da war alles so dermaßen hässlich, dass ich aus Solidarität wenigstens die Hunde gekauft habe und die Hunde sind ja eigentlich auch ganz schön. Sag mal, sollen wir noch zusammen duschen?”
Ich erfahre in den folgenden zwei Stunden, wie es sich anfühlt, einen Menschen zu lecken und zu küssen, den ich vergöttere. Es fühlt sich besser an, als von einem Menschen geleckt und geküsst zu werden, der einen vergöttert.
Sie sagt berühren statt lecken, weil: „Ich mag das Wort nicht. Es hat so was von Restelecken. Ich bin kein Rest. Ich bin der Mensch, den du liebst.“
Woran ich denke: An Kommunismus, Fahrräder, meine Eltern, die Bandscheibe des indonesischen Höhlengnus und diese nougatfarbene Armbanduhr, aus der ich manchmal die Batterie rausmache und dann tue ich sie wieder rein, einfach so.
Woran ich nicht denke: Daran, dass sie früher stirbt als ich.
Ich putze und fresse und demonstriere und sitze auf einer Vorstufe zur Schizophrenie herum und löse binomische Formeln und beseitige die auf dem Küchenboden herumliegenden Schnittverletzungen in meiner grobmotorischen Ideenvielfalt mit einem Handfeger und rauche Kokain, weil da die Nasenschleimhäute nicht so gefährdet werden und fühle mich von der Zivilisation angesprochen, weil heute Kindertag ist. Und dann wacht sie auf und ich weiß: Wie verzwickt, ich habe immer geglaubt, jemanden zu brauchen, der sich darüber wundert, wenn ich Kornflakes aus einer Tasse esse aber sie wundert sich nicht, und vielleicht symbolisiert das unser auf Toleranz basierendes Vertrauensverhältnis.