- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 11
Begegnung der anderen Art
Sie mochte ihn nicht.
Seine Art – in einem Chat - zu reden, aufzutreten, war alles, was sie an einem Mann schon immer verabscheut hatte: Überheblichkeit, Arroganz, eine miese Einstellung zu Frauen. Kurz: die Art von Männern, mit denen sie die letzten Jahre ihres Lebens verbracht und unter deren Verhalten sie gelitten hatte.
Sie wollte nicht mehr mit ihm reden, ja noch nicht einmal mehr hören, was er von sich gab.
Tage später sprach ein Freund sie an „Kennst du ihn näher?“ Im Brustton der Überzeugung antwortete sie „Den muss ich nicht kennen, die Sorte hab ich zu Genüge genossen!“
Ihre Stirne überzog ein energisches Runzeln. Nie wieder würde sie mit dieser Art Mann auch nur kommunizieren.
„Du täuscht dich“, sagte der Freund, „Ich kenne ihn, er ist nett, ein wirklich lieber Kerl“. „Das vermag er aber geschickt zu verbergen“! entgegnete sie. „Sprich mit ihm, er ist es wert“, redete der Freund ihr zu. "Er würde gerne wieder mit Dir sprechen, hat er mit anvertraut, gib ihm bitte eine zweite Chance!" Sie war nicht so recht überzeugt, aber dieser Freund belog sie nicht, sie vertraute ihm und so…
…ließ sie sich bei der nächsten Gelegenheit auf ein Gespräch mit dem Mann ein, nicht persönlich, versteht sich, sondern wieder im Chat.
Zu ihrem Erstaunen hatte der Mensch Humor und unter vier Augen war er lange nicht so „eklig“ und arrogant, sondern ein guter Zuhörer. Das, was er sagte, schien Hand und Fuß zu haben, er war wirklich „nett“. Nun gut, er hasste dieses Wort, hatte er ihr erklärt. Warum? Er wollte nicht „nett“ sein, gefiel sich in der Rolle des Unantastbaren, des Beziehungsablehners, des Mannes, der seinen Weg geht und keine Frau an seiner Seite brauchte.
Himmel, ging ihr durch den Kopf, als er das zum ersten Mal von sich gab, wollte er „gerettet“ werden oder was? Sie beschloss für sich, auf diese Machart männlicher Existenz nicht einzugehen, der Mann war schließlich alt genug, wenn er denn meinte, so sollte er. Zu ihren neu gewonnenen Erkenntnissen über sich selbst gehörte, keinen Mann mehr retten zu müssen, zu akzeptieren, dass ein Mann sich ruinieren konnte, ohne dem Bedürfnis nachzugeben, der helfende Engel zu sein.
Die Gespräche mit „Mr. Macho“, wie sie ihn inzwischen schmunzelnd im Geheimen nannte, wiederholten sich. Mittlerweile telefonierten sie fast täglich, stundenlang – er hatte übrigens eine sehr sonore und erotische Stimme. Sie redeten über ihre Interessen, stellten viele Gemeinsamkeiten fest, lachten miteinander und debattierten über "Gott und die Welt".
Mit jedem Gespräch hatte sie mehr und mehr das Gefühl, diesem Menschen vertrauen zu können. Völlig irrational, sie hatte ihn noch nicht einmal gesehen. Sie wusste inzwischen einiges von ihm, aber im Grunde konnte sie das nicht „kennen“ nennen. Warum nur fühlte sie sich so wohl, so ungefährdet? Keine Ahnung, aber sie genoss es.
Zwei Wochen waren vergangen. An diesem Abend wollte sie sich mit ihrer Freundin in einem Lokal treffen. Ursprünglich hatte sie beabsichtigt, dort endlich in Erfahrung zu bringen, wie er aussah. Sie wusste, er wollte an diesem Abend dort auftauchen. Aus dieser Idee wurde nichts. Zwei Stunden, bevor sie sich auf den Weg machen wollte, rief er an. Er erzählte ihr, er habe sich erkältet, er leide unter diesem "Zustand" und würde an diesem Abend das Haus nicht verlassen. Männer!
Ein wenig Enttäuschung machte sich in ihr breit. Sie hatte schon über so vieles mit ihm gesprochen, gelegentlich war die Thematik sogar ins Erotische abgeglitten und schon deshalb hätte sie ihn gerne gesehen. Vielleicht war er hässlich wie die Nacht sie lächelte in sich hinein oder in Wirklichkeit schüchtern und völlig verklemmt. Sie beschloss, mit ihrer Freundin einen vergnüglichen Abend zu erleben und die Gedanken an ein Kennen lernen von Mr. Macho auf ein anderes Mal zu verschieben.
Und dann stand er vor ihr, lang aufgeschossen, schlank, eine markante Erscheinung und reichte ihr die Hand.
Sie ergriff sie. Sie wusste, wer da vor ihr stand, keine Frage.
Er hatte das hinreissenste Lächeln, dass sie bei einem Mann je gesehen hatte. Die ihm zu eigene Ironie spiegelte sich in seinen braunen Augen wieder. Als er am Tisch saß, bemerkte sie, dass er sie - unauffällig für die anderen - betrachtete. Er machte sich ein Bild von ihr, ohne aufdringlich zu wirken. Und sie betrachtete ihn, machte sich ihr eigenes Bild und das, was sie sah, gefiel. Sein Auftreten, sein Gesicht, seine Mimik, seine Stimme, alles passte schlüssig zu dem, was er und wie er in den langen Gesprächen geredet hatte.
Jetzt verstand sie. Die eine Seite, die er war, zu der er ihr in den Gesprächen Einblick gewährt hatte und die andere, den Macho, der die schwärmerischen Bemühungen der Frauen um sich herum mit freundlichen, manchmal spöttischen Kommentaren bedachte. Aufmerksam hörte sie seinen Gesprächen mit den anderen am Tisch zu, gelegentlich trafen sich ihre Blicke, von beiden Seiten interessiert, fragend und doch vertraut. Sie erfuhr: ihre Freundin hatte ihm verraten, dass sie ihn mit ihrer Anwesenheit hatte überraschen wollen. Doch er wollte selbst derjenige sein, der den Moment des ersten Treffens bestimmte und das war ihm gelungen. Sie sprachen auch miteinander, anders als sonst, spielerisch, seinem und ihrem Image entsprechend, wie in einer unausgesprochenen Übereinkunft, die Rolle des anderen nicht anzutasten.
Als er wieder ging, schaute er zu ihr hinüber, lächelte erneut und zwinkerte ihr zu.
In diesem Moment wußte sie:
Sie liebte ihn.