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Begegnung im Park
Die Stelle, an der ich stand, hatte ich anders in Erinnerung. Damals war hier ein Platz mit einem Brunnen und einem Café in dem man Eis essen konnte. Jetzt war dieser Bereich eingezäunt. Hinter dem Zaun lagen Baustoffe, standen Bagger und Raupen. Das Schild am Eingang hatte darauf hingewiesen, dass dieser Park neu gestaltet werden sollte. Aber gleich so rigoros? Ich wunderte mich, der Platz war ziemlich groß gewesen, ebenso der Brunnen. Links standen immer noch ein paar Gebäude. Obwohl, ich hatte sie völlig anders in Erinnerung, vielleicht waren es gar nicht die Selben? Außerdem fehlte links der Berg auf dem wir damals saßen. Den Platz hätten Sie vielleicht noch niedergemacht, immerhin war er ein Relikt aus der DDR, aber den Berg konnten Sie doch nicht einfach abtragen...? Dies konnte nicht die Stelle sein. Ich musste mich geirrt haben als ich glaubte, es wäre am Ende des Geländes gewesen. Rechts neben mir war allerdings eine Anhöhe. Vielleicht auf deren Rückseite?
Treppen führten hinauf durch das karge, winterliche Gehölz. Die Sträucher hatten noch nicht bemerkt, dass es auf den Frühling zuging. Ich machte mich an den kurzen Aufstieg. Die Plattform oben auf dem Berg kannte ich nicht, aber ich war ihn auch früher nie ganz hinaufgelaufen. Ich hielt mich schräg links und überquerte die große Wiese. Hier wimmelte es von Leuten. Ein Punker-Pärchen spielte mit seinen Hunden und trank dabei Bier, ein Jogger lief an mir vorbei und sah mir tief in die Augen. Wahrscheinlich schwul, dachte ich. Ich eilte weiter bis zu der Mauer, die das Plateau abschloss.
Als ich hinunterblickte, sah ich was ich gesucht hatte. Dort unten lag der Platz, genauso wie ich mich an ihn erinnerte. In der Mitte der hässliche Brunnen, Drei dünne Metallsäulen zwischen denen in ca. fünf Metern Höhe eine nach oben gewölbte, runde Metallschale ruhte. Die Wege, die von hier aus den Berg runterführten, liefen an der Stelle vorbei zu der ich wollte. Ich folgte dem Weg bis auf halbe Höhe, ging rechts zwei Stufen runter und war auf der kleinen Terrasse angekommen.
Gleich vorne auf einer Bank saß eine Frau mit kurzen roten Haaren und las ein Buch, dahinter, etwas nach vorne versetzt, stand die zweite Bank. Auf ihr saß ein älteres Pärchen, ruhig, schauend. Ich ging an ihnen vorbei und setzte mich auf den Steinrand. Ich hoffte, sie würden bald gehen.
Es dauerte eine ganze Weile, aber schließlich standen sie auf und setzten ihren Spaziergang fort. Die Bank gehörte mir. Das Seltsame an dieser Bank war, dass man sich auf ihr ruhig und abgeschottet vorkam, obwohl es drum herum von Leuten, Kindern und Hunden nur so wimmelte. Irgendwie wurde man hier zum Zuschauer und die Welt zum Theater. So saß ich ruhig und schaute.
Ich saß schon eine Weile versunken dort, als eine Stimme zu mir sagte: „Hallo Du.“
Ich wusste sofort wem die Stimme gehörte, als ich sie ansah erschrak ich dennoch, die ehemals langen Locken waren einem Pagenkopf gewichen.
„Schön, dass Du hier bist“, sagte sie.
„Hallo Sandra, schön, dass Du gekommen bist.“ Als wäre unser Treffen hier und heute nichts Ungewöhnliches, setzte sie sich neben mich auf die Bank und schaute auf den Platz.
„Du hast die Haare kurz“, sagte ich.
„Sie haben mich genervt“, sagte sie und sah mich an. „Du hast sie auch kürzer.“
„Ich hatte sie zwischendurch ganz ab“, antwortete ich, „mittlerweile wachsen sie wieder.“
Sie nickte. „Mit langen Haaren gefällst Du mir am Besten.“
Wir sahen beide den Kindern zu, die auf dem ausgeschalteten Brunnen Fangen spielten.
„Es ist lange her“, redete ich in die Stille.
„Einige Jahre waren es wohl, stimmt“, sie drehte den Kopf zu mir, „warum hast du nicht mehr angerufen?“ Vorwurf schwang in der Frage mit.
„Du hättest auch anrufen können“, erwiderte ich, „außerdem wolltest du umziehen, ich wusste nicht, ob du unter der alten Nummer zu erreichen gewesen wärst.“
Sie stieß trotzig die Luft aus. „Du hättest die Nummer raus bekommen, Sabine wohnt heute noch in der Wohnung. Ich bin erst ein halbes Jahr später umgezogen.“
Ich wusste nichts zu erwidern, etliche Male habe ich mich selbst gefragt, warum ich mich nie wieder gemeldet habe.
„Wie läuft Dein Studium?“, fragte ich aus Verlegenheit.
„Gut, in ein paar Jahren werde ich hoffentlich endlich Chirurgin sein.“
Wieder Stille.
„Bist Du mittlerweile mit dem Gerichtsmediziner zusammen?“ Ich bereute die Frage schon nach dem zweiten Wort.
„Ja“, war die kurze Antwort.
„Glücklich?“ Eigentlich wollte ich diese Frage nicht stellen.
„Am Anfang ja, mittlerweile wird’s öde, aber er ist gut im Bett ...“, sie grinste.
Das wollte ich absolut nicht hören, aber es war typisch Sandra.
„Und du?“, fragte sie, „immer noch Zeichner?“
„Ja“, antwortete ich, „immer noch im selben Büro.“
„Dachte ich mir ...“, kam es lakonisch zurück, „Freundin?“
„Seit zweieinhalb Jahren, ich liebe sie.“
Die Worte hallten nach und wurden hohl, lange sagte keiner ein Wort.
Als sie wieder sprach, tat es weh: „Ich habe Dich damals sehr gemocht, zeitweilig hielt ich Dich für meinen besten Freund. Warum ist aus uns nichts geworden?“
Mein Hals war trocken als ich antwortete: „Erinnerst Du Dich an das Hoffest damals?“
„Ja. Ich habe an dem Abend Claudia kennengelernt, sie war in Dich verliebt.“ Sie schaute nach vorne.
„Dasselbe hat an diesem Abend Claudia von Dir gesagt“, antwortete ich.
Sie zuckte mit den Schultern.
Ich sah sie von der Seite an.
„Ich habe euch beiden nicht geglaubt.“
Das stimmte, damals kam mir das sehr unwahrscheinlich vor, dass zwei Frauen an mir etwas finden könnten.
In ihrer Stimme lag Wut, als sie antwortete: „Mir scheinst Du geglaubt zu haben, immerhin hast Du die Nacht ja dann bei Claudia verbracht.“
„Ja, ich habe da übernachtet, aber alleine, sie ist nicht mit hochgekommen. Sie hat mir die Schlüssel gegeben und ist auf der Party geblieben. Am nächsten Morgen habe ich sie bei einem Nachbarn beim Frühstück getroffen. Vielleicht dachte sie, ich würde mit Dir in ihre Wohnung wollen. Ich war nur müde und wollte schlafen.“
Sie sah mich lange an.
„Warum haben wir es nie miteinander getan?“, fragte sie.
Auf diese Frage wusste ich keine richtige Antwort, obwohl ich sie mir oft selbst gestellt hatte.
Sie schaute nach vorne und blinzelte in die Sonne, als sie weiter sprach: „Ich hatte irgendwie immer das Gefühl, du fändest mich nicht attraktiv. Ich meine, warum glaubst Du wohl habe ich immer diese Anspielungen gemacht?“
Auch darauf wusste ich keine Erwiderung, schon damals hatte mich ihre sexuelle Offenheit verwirrt und verunsichert.
„Ich glaube“, fing ich an, „ich hatte zu großen Respekt vor Dir. Ich fand Dich toll, Deine Zielstrebigkeit, Deinen Humor, Deine ganze Art war so selbstsicher. Außerdem hast Du mir ständig von anderen Männern vorgeschwärmt, sie waren älter, erfahrener und tolle Liebhaber. Ich habe nie geglaubt es mit ihnen aufnehmen zu können. Ich hatte einfach Angst. Angst, dass es Dir nicht gefallen würde, dass es unsere Freundschaft zerstören könnte und Du mich danach für einen Waschlappen halten würdest.“ Ich war erschrocken über diese Antwort, die offenbar die ganze Zeit in mir geschlummert hatte.
„Wie, du fandest mich toll und hattest trotzdem Angst?“, fragte sie, „dabei wollte ich Dir mit diesen Männergeschichten eigentlich nur Appetit machen, Dich reizen.“
„Ich habe mich nie für einen tollen Liebhaber gehalten.“ erwiderte ich, „Dein offenkundiger Spaß am Sex hat mich davon abgehalten, es darauf anzulegen. Ich hatte Angst Dich zu enttäuschen.“
Sie ließ ihren Oberkörper zurück an die Lehne sinken.
„Oh Mann“, sie schüttelte den Kopf, „ich habe immer gedacht, Du fändest mich nicht gut genug, nicht sexy genug. Ich war ganz schön frustriert. Ich dachte, Du fändest mich hässlich.“
„Quatsch!“. Jetzt war es an mir den Kopf zu schütteln. „Hässlich, Du warst damals eine der schönsten Frauen, die ich überhaupt kannte!“
Wir sahen uns an. Soviel Zeit war vergangen, sovieles hatte sich geändert. Wir waren heute Andere als damals.
„Wir haben es wohl vermasselt, was?“, grinste sie mich an.
„Scheint so“, erwiderte ich, „gründlich! Aber vielleicht ist es gut so.“
„Ja, vielleicht“, ihre Antwort war nachdenklich, „Naja, zu spät jetzt. Wir haben uns verändert.“
Sie stand auf. „Schade, ich habe Dich wirklich sehr gemocht.“
„Ja, sehr schade, ich mochte Dich auch. Werden wir uns je wiedersehen?“
„Wer weiß“, antwortete sie, „vielleicht mal durch Zufall. Vielleicht auf dieser Bank. Oder irgendwo anders. Wir werden sehen.“
Sie lächelte, als sie mir die Hand gab.
„Es war schön Dich zu treffen“, sagte ich.
Sie nickte, „ja“.
„Wir werden sehen ...“, murmelte ich noch, aber das hörte sie nicht mehr.
Auf dem Rückweg aus dem Park war ich melancholisch und wünschte mir aufrichtig diese Begegnung hätte wirklich stattgefunden.