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Begegnung
Mir ist schlecht. Ich hätte nie gedacht, daß er nach all den Jahren noch diese Reaktion in mir hervor rufen könnte. Oder daß er überhaupt noch etwas in mir bewegen kann. Hatte ich wirklich geglaubt, über ihn hinweg zu sein?
Ich hätte wissen müssen, daß er heute hier ist. Ich hätte mich vorbereiten können aber jetzt stehe ich wie zur Salzsäule erstarrt da und glotze ihn quer durch den Raum an. In meinen Ohren rauscht das Blut und ich vergesse die Musik, die Leute, die Party um mich herum.
Ich reisse mich zusammen und schüttele mein Unbehagen so weit es geht ab. Meine Ohren glühen und meine Stimme ist belegt, aber ich wende mich wieder dem Gespräch zu, versuche witzig und gelöst zu sein. Aber meine Bewegungen sind hektisch, mein Lachen künstlich und niemandem im Raum kann entgehen, was für ein Nervenbündel ich bin.
Ich trinke meinen Wein zu schnell und merke, wie ich drohe betrunken zu werden. Ich schaue immer wieder zu ihm hinüber. Unauffällig. Er scheint mich nicht zu bemerken. Gut, denke ich und entschuldige mich bei meinen Gesprächspartnern um auf die Toilette zu huschen.
„Du mußt da wieder raus!“, sage ich fest zu meinem Spiegelbild, aber meine Beine bewegen sich nicht von der Stelle. Ich atme tief ein und aus, streiche etwas kaltes Wasser auf meine Handgelenke und Schläfen, stütze mich auf dem Waschbecken ab und schaue mich kritisch im Spiegel an.
Vor fünf Jahren hatte ich noch nicht diese kleinen Fältchen um die Augen. Meine Haare sind kürzer und haben eine andere Farbe als damals. Ich bin dicker geworden, ganz klar. Und älter. Hatte er sich auch verändert? Ich weiß es nicht, ich habe mich ja bemüht, ihn nicht so genau zu betrachten. Blödsinn, denke ich, er ist auch fünf Jahre älter geworden. Natürlich hat er sich verändert.
Ich hole noch einmal tief Luft und verlasse die Toilette, gehe zur Bar und hole mir eine Cola. Nur keinen Wein mehr, ich muß einen klaren Kopf behalten. Ich gehe von Raum zu Raum, werfe lächelnd Blicke hinein und gehe weiter. Ich entdecke ihn nicht. Halb froh, halb enttäuscht geselle ich mich wieder zu meinen Freunden.
Was hatte ich eigentlich erwartet?
Daß er auf mich zu kommt.
Und dann?
Ich weiß es nicht.
Unsere Trennung war nicht unbedingt das, was man freundschaftlich nennen könnte. Er wollte eine feste Beziehung, ich nicht. Ich tat alles, um ihn zu verletzen, ihn von dieser Beziehung abzubringen. Ich war feige. Ich ging mit anderen ins Bett damit er Schluss machen konnte. Für sich. Für mich. Ich war zu feige ihm ins Gesicht zu sagen, daß ich ihn nicht wollte. Daß er nur eine Ablenkung für mich war. Daß ich ihn nicht liebte.
Aber er forderte ein Gespräch und ich ließ mich darauf ein, wütend, weil ich nicht über meine Gefühle sprechen wollte. Es tat weh wie er sich danach umdrehte und mit hocherhobenem Kopf aus der Tür ging. Stolz, ohne einen Blick zurück zu werfen. Ich hätte erleichtert sein sollen, aber ich war es nicht gewesen.
Jahrelang waren wir uns aus dem Weg gegangen. Ich hatte mich kurz nach der Trennung Hals über Kopf verliebt und geheiratet. Mittlerweile war ich geschieden und die Ehe hatte deutliche Spuren in mir hinterlassen. Ich war froh, daß ich meine Freunde hatte. Ich muß ihnen in der Zwischenzeit ziemlich auf die Nerven gegangen sein, aber sie haben sich nie beklagt. Sie waren für mich da gewesen. Immer.
Sie hatten mich aus meiner selbstgewählten Einsamkeit geholt, mich immer wieder ins Theater, Kino oder zum Essen eingeladen. Und heute diese Party.
Keiner von ihnen schien ihn bisher bemerkt zu haben und ich glaube, er ist mittlerweile gegangen. Zumindest habe ich ihn nicht mehr gesehen, seit ich von der Toilette gekommen bin. Das Gespräch langweilt mich plötzlich und ich möchte nach Haus. Ich trinke aus, verabschiede mich und lasse mir von der Gastgeberin ein Taxi rufen.
Mit der Jacke über dem Arm gehe ich die Treppen hinunter und stelle mich vor die Haustür. Ich möchte nicht oben warten, in dem fröhlichen Lärm, der schlechten Luft.
Ich ziehe meine Jacke über denn es ist frischer als ich gedacht hatte und suche in meiner Handtasche nach Zigaretten. Ich stecke mir eine in den Mund und suche das Feuerzeug.
Rauchend warte ich auf mein Taxi.
Ist es richtig zu flüchten?
Er ist doch gar nicht mehr da, schelte ich mich und schnippe die Asche ab.
Warum bin ich so verwirrt und ängstlich? Was passiert war gehörte nicht zu meinen Glanzleistungen, aber ich sollte dazu stehen. Oder schäme ich mich für meine gescheiterte Ehe? Daß ich nicht in der Lage bin, eine Beziehung zu führen? Wäre es mit ihm anders gewesen?
Mein Taxi kommt und ich werfe meine Kippe weg, steige ein und lasse mich nach Haus fahren.
Ich glaube, ich habe noch viel zu lernen. Viel zu verarbeiten. Zu Haus beginne ich zu weinen, aus Selbstmitleid. Je mehr ich nachdenke desto schlechter fühle ich mich. Ich habe so lang mit mir gelebt und mich doch nie wirklich gekannt, nie wirklich gemocht. In dieser Nacht komme ich mir ein Stückchen näher.
Es wird noch lang dauern bis ich mit mir leben kann, aber ich werde es versuchen.