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Beim Zahnarzt
Heute war mal wieder einer von diesen richtig klasse Tagen. Ein Tag, an dem man abends dasitzt, eine genüßliche Zigarette raucht und hofft, er möge sich doch bald wiederholen, dieser Tag. Fast zu vergleichen mit Geburtstag oder wenigstens dem Geburtstag eines besten Freundes. Ich war beim Zahnarzt. Ein klasse Tag. Ausschlafen, bis halb neun, ein schnelles Frühstück. Wie üblich ein Ei in die Pfanne, dazu zweimal Schinken, bis alles brutzelt. Etwas Salz und viel Pfeffer dazu. Sehr schön, auch der Kaffee schmeckt lecker, das wird ein klasse Tag. Noch mal auf den großen Wandplaner gesehen. Jawohl gleich hab ich einen Termin. Nicht morgen, nicht gestern, nein in einer Stunde. Das bedeutet für mich zwei Dinge. Zum Einen, es gibt keine Zigarette zum Frühstück, ich möchte dem Zahnarzt gegenüber fair bleiben. Und zum Anderen, ich muss los, denn ich bin schon etwas spät dran. So etwas will man ja auf keinen Fall verpassen. Oder gar zu spät kommen. Man sollte niemanden verärgern, der gleich Dinge in meinen Mund steckt, womit in anderen Ländern Geständnisse heraus gefoltert werden.
Ich bin angekommen. Fünf Minuten vor der Zeit. Hoffentlich gibt das einen Bonus. Im Gespräch mit der Arztfachangestelltenhilfe, sehe ich im Augenwinkel meinen Zahnarzt an mir vorbei gehen. Auffällig und mit einem übernatürlich fröhlichem Lächeln übergebe ich ihr meine zehn Euro Praxisgebühr. Ich glaube beim Zahnarzt traut sich keiner die Praxisgebühr zu unterschlagen. Ich darf mich noch einen Augenblick in den Warteraum setzen. Ich kann es kaum abwarten. Seit über einer Woche freue ich mich schon, wie ein Kind auf den ersten Schnee. Schnell greife ich noch nach dem Stern und beginne einen Artikel über... „Herr Griebel“, werde ich aufgerufen. Oh das geht aber schnell. Suchend schau ich mich noch einmal im Warteraum um und entdecke einen älteren Herren. Mein Vorschlag ihn vorzuziehen wird abgelehnt. „Ich kann gern noch etwas warten. Wäre nicht so schlimm...“ keine Chance. Sie hat ihre Befehle und nun bin ich dran. Aber kein Problem, mutig schreite ich hinter ihr her. Wenn ich hier links abbiegen würde, wäre ich, zwei Stockwerke tiefer, in dreißig Sekunden beim Auto... Wird schon nicht so schlimm. Wieder einmal stelle ich unsagbaren Mut bei mir fest. So fühlt sich also ein Boxer, wenn er in den Ring steigt. Oder ein Unschuldiger auf dem Weg zum Henker.
Ich bin überwältigt von den vielen schönen Dingen hier. Und was für ein Service. Mir wird ein weißes Tuch umgehängt. Gut, es hängt an einer Klokette aber das Tuch ist strahlend weiß und sieht herzzerbrechend sanft aus. Hier sind bestimmt nur nette Menschen. Es beginnt. Ein Licht über mir wird eingeschaltet, das kenne ich noch von früher, und ein Instrument, zweimal geknickt und vorne ganz spitz, verschwindet in meinem Mund. Ein paar mal kratzt es, dann hab ich das Gefühl er hat dieses verdammte Ding verloren. Mittlerweile gräbt er mit zwei Händen in meinem Mund herum. „Machen sie doch bitte mal den Mund weiter auf!“ Bin ich Mick Jagger? Außerdem, was kann ich dafür, wenn er sein Handwerkszeug nicht unter Kontrolle hat. Nach zwei Minuten realer Zeit schaut er mich an. Ich glaube ich habe Schweiß auf der Stirn. „Sie haben super Zähne. Sind sie schon im Club der Kariesfreien?“ fragt er mich „Ja, ja und im Club der toten Dichter und seit zwei Wochen sogar im Club allein stehender Frauen über vierzig!“ Er schaut mich etwas irritiert an. Oh weh, das hat er ernst gemeint und jetzt habe ich ihn verärgert. „Gibt es so etwas wirklich?“ frage ich mit einem treu doofen Hundeblick. Ich versuche die Situation zu retten. „ Ja, für alle über achtzehn Jahren und ohne Karies. Ich fülle ihnen nachher eine Karte aus. Die können sie abschicken und bekommen dann jährlich Geschenke.“ Geschenke? Super, er mag mich noch. „Aber ihr Zahnfleisch...“ Ich habe es gewußt. Das berühmte Aber. Jetzt ist es da und gleich ist mein weises Tuch nicht mehr unbefleckt. Jetzt scheint er richtig los zu legen. Er greift nach irgend so einem Ding, das es jetzt, so kurz vor Weihnachten, bestimmt günstig im Baumarkt gab und beginnt. „Wenn Sie das zu sehr schmerzt, heben Sie einfach ihren Arm, dann könnten wir ein wenig betäuben.“ In diesem Moment glaube ich, dieser Doktor steht ein wenig neben sich. Ich habe nicht nur meinen Arm schon seit einer Minute oben, ich habe es sogar schon geschafft, sämtliche Sachen, links neben mir vom Pult zu schlagen. Ich werde mit einem Spray betäubt. Gegen eine Spritze hatte ich Einwände. Der Vorteil einer solchen Betäubung ist, dass man nicht mehr so viel spürt. Der Nachteil, dass man sämtliches Empfinden für seinen Mund und die Lippen verliert. Ich habe also keine Kontrolle mehr über irgendwelche Artikulationen. Was nicht schlimm wäre, wenn nicht mittlerweile eine Mischung aus Speichel und Blut in meinen Rachenraum fließen würde. Kann der nicht ordentlich absaugen? Mittlerweile hat er seinen Baumarktartikel auf Schlag umgestellt. Nur weil ich ein wenig betäubt bin, bin ich doch immer noch da! Weiß der das nicht? Ich versuche tapfer zu bleiben und mich durch gurgeln bemerkbar zu machen. Keine Reaktion. Ich gurgele lauter. Immer noch nichts. Ich versuche ihn mit ein wenig Spaß, aus seinem Arbeitseifer, zu befreien und gurgele jetzt die englische National Hymne. Ich gebe es auf. Dieser Mann ist super und läßt sich durch nichts ablenken. Ich werde ihn sicher später dafür loben. Doch im Moment wünschte ich mir nur, ich hätte doch heute morgen eine geraucht, um wenigstens ein wenig davon zurück geben zu können, was ich hier bekomme. Erst als mein rechtes Augenlied anfing zu zucken und mein linkes Auge sich komplett nach hinten verdreht, bemerkt er doch noch rechtzeitig seine etwas ungestüme Art und seinen zu weit nach vorne gerutschten Absaugschlauch. Nach nur zwanzig Sekunden und drei bis fünf tiefen Atemzügen später, war ich wieder voll dabei und bereit für eine weitere viertel Stunde fröhliches durch die Hölle wandern. Jetzt ging auch alles glatt. Wir haben alle aus unseren Fehlern gelernt und kommen zu einem netten und händeschüttelndem Ende. Fast hätte er mir noch auf die Schulter geklopft. Bestimmt war ich sein erster Patient heute, der mehr als eine halbe Kanne Blut durch den Raum gespuckt hat. Na ja, vergeben und vergessen. Ich werde mir jetzt noch schnell einen neuen Termin holen und dann ab nach Hause.
Ich habe jetzt Lust auf die eine oder andere Packung Zigaretten