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Being Daniel Porter
Being Daniel Porter
Eine Geschichte über tiefe Gefühle um ein mörderisches Vorhaben
Mein Name ist Daniel Porter. Ich bin Steuerberater, bewege mich langsam auf die Vierzig zu und lebe in Boston, Massachusetts. Ich trage gute Anzüge, fahre einen metallik-braunen Cheverolet Lumina, esse gerne Wackelpudding und heute Abend bring ich meine Frau um. Es wird im Affekt passieren, weil sie mir erzählen wird, dass sie schon seit einiger Zeit eine Affäre mit einem nahezu Unbekannten hat, der ihr vor einigen Wochen zufällig im Kaufhaus über den Weg gelaufen ist. Ich bin schon gut darauf vorbereitet, allerdings kann ich es nicht alleine tun. Ich brauche Unterstützung. Andrew Bentley wurde mir zugeteilt. Hatte den Namen nie zuvor gehört, aber der erste Eindruck war nicht der schlechteste, also ließ ich mich bereitwillig auf eine Zusammenarbeit ein.
Wir lernten uns vor etwa zehn Wochen kennen. Die ersten Tage verliefen eher ruhig. Nachdem Andy alles über mich in Erfahrung gebracht hatte, was man ihm an Informationen überlassen hatte, schob er mich beiseite und beschloss, mich für's erste einmal zu ignorieren. Ich akzeptierte das, schließlich hatten wir noch genügend Zeit, einander näher zu kommen. Er ging wie gewohnt in den Laden an der Ecke, kaufte Lebensmittel ein, gegen Mittag holte er seine Tochter von der Schule ab, ging mit ihr auf den Spielplatz oder ins Kino, brachte sie am Nachmittag zu seiner Ex-Frau zurück und am Abend suchte er das Pub in der vierzehnten Straße auf oder hing noch ein paar Stunden vor dem Fernseher herum. In all der Zeit verschwendete er kaum einen Gedanken an mich. Aber ich war da und das wusste er nur allzu gut.
Es war nicht viel, was ihn meine Gegenwart so deutlich spüren ließ. Einzelne Wörter, Sätze, die ich sagte, Handgriffe, Bewegungen, die mich kennzeichneten, Gestiken und Gefühle, die mich zu charakterisieren schienen. All das nagte zusehends an ihm. Ich nistete mich Tag für Tag ein Stückchen mehr in seinem Kopf ein, ersetzte Schritt für Schritt seine Gedanken durch meine, ließ seine persönlichen Gefühle langsam in den Hintergrund treten, um Platz für meine eigenen zu schaffen. Und es beunruigte ihn sichtlich immer mehr, dass er dazu offenbar noch nicht bereit war.
Ich musste ihm helfen, so konnte es nicht weiter gehen. Schließlich rückte der Tag, an dem wir gemeinsam meine Frau umbringen würden, immer näher. Und wenn er nicht bereit war, wer dann? Alleine war ich machtlos.
An einem Tag passierte es dann aber. Er ging wieder in den Laden an der Ecke und als ihn die Dame hinter der Glasvitrine fragte, ob er noch etwas außer dem Brot bekäme, antwortete er: "Ich denke nicht. Was würden Sie meinen? Kann ich wirklich mehr verlangen?" Da war es! Er hatte es getan! Das waren meine Worte! Gott, bin ich froh, Andy, jetzt sind wir ein Team! Vergiss die Verkäuferin, natürlich versteht sie es nicht, wie könnte sie auch. Ja, ich weiß, wir müssen deine Tochter abholen, aber vergiss mich nicht gleich wieder, das war nur der erste Schritt.
Andy hatte mich für den Nachmittag wieder ignoriert, seiner Tochter zuliebe, wie er mir erklärte. Das war in Ordnung, ich hatte ja selbst eine Tochter und auch ihr gegenüber würde ich mich so "normal" wie möglich verhalten. Man musste die Kinder ja nicht unnötigem Stress aussetzen. Als er Elizabeth, seine Tochter, am späten Nachmittag wieder zu seiner Ex-Frau brachte, nahm er mich jedoch überraschenderweise bei der Hand. "Du kommst spät", warf sie ihm in üblichem Ton vor. Ich kannte diese Worte mittlerweile schon. Bisher hatte sich Andy immer entschuldigt, wenn er mit Elizabeth wieder einmal die Zeit vergessen hatte und ein paar Minuten über dem vereinbarten Termin eingetroffen war. Aber heute würde er mich Belinda, seiner Ex-Frau, vorstellen. Er strafte sie mit einem langen, stechenden Blick und erwiderte dann in langsamen, klaren Worten: "Wie kannst du nur? Ist dir das alles nichts wert?" Belinda blieb versteinert stehen. Sie hatte sich bereits umgedreht, Elizabeth in ihr Zimmer geschickt und wollte die Tür schon wieder schließen. Ihr Kopf wandte sich in Zeitlupe zu Andy herum. "Hast du was getrunken?", fragte sie ungläubig. Andy stand wie angewurzelt vor der Tür und umkrallte meine Hand mit eisernem Griff. "Was ... um Himmels Willen ...", fuhr er präzisierend fort, "hab ich getan, dass du mir so dermaßen ins Herz stechen musst?" Sehr gut, dachte ich leise. Belinda schüttelte nur den Kopf und wandte sich wieder ab. Das musste sie sich jetzt nicht anhören. Andy aber, gestärkt durch meine Gegenwart, nahm sich meiner Kräfte an, ließ mich einen Fuß für ihn in den Türrahmen stemmen und seine Ex-Frau am Arm packen. Sie würde ihm jetzt Rede und Antwort stehen, diesmal bestimmt, er hatte ja mich dabei. Nie hatte er um eine Erkärung oder gar um eine zweite Chance gebeten. Von einem Tag auf den anderen hatte sie die Scheidung eingereicht und er hatte es akzeptiert. Er war einfach zu schwach gewesen, hatte er sich eingeredet. Zu schwach um ein Haus zu finanzieren, zu schwach um ein Kind groß zu ziehen, zu schwach um seiner Frau all das bieten zu können, was sie in seinen Augen verdient hätte. Aber heute war alles anders. Die scheinbare Schwäche war einem unbändigen Schmerz gewichen, der wiederum Erinnerungen wach rief und Kräfte mobilisierte, die er lange Zeit verdrängt und beinahe schon vergessen hatte. "Ich hab mir den Arsch aufgerissen für dich! Ich hab jeden beschissenen Job angenommen, nur um deinen Wünschen irgendwie gerecht werden zu können!", schrie er sie jetzt an. "Ich hab dir doch ein Leben geboten! Ist das alles nichts für dich?" Seine Stimme bebte, aber irgendetwas schien ihn von mir abzulenken. Belinda versuchte sich von seinem Griff zu befreien, was ihr jedoch nicht gelang. "Was willst du denn auf einmal von mir? Warum kommst du ausgerechnet jetzt damit an?, schrie sie zurück. "Das ist doch alles schon gegessen!" Unbeirrt fuhr er fort, "Wir haben eine Tochter, verdammt! Davon haben wir doch immer geträumt! Eine Familie!" Seiner Stimme mischte sich nun ein gebrochener Unterton bei. "Weißt du wie oft sie mich fragt, warum ich nicht mehr bei euch lebe? Ob es wegen ihr ist? Was soll ich ihr denn sagen? Ich weiß es einfach nicht! War ich dir einfach nur nicht gut genug? Ich hab dich geliebt, verdammt noch mal, ich hab dich geliebt!!!"
Sein Griff hatte Belinda in die Knie gezwungen, sie wehrte sich auch nicht mehr, als sie die ersten Tränen über ihre Wangen laufen spürte. "Du hast doch nie mit mir gesprochen", weinte sie jetzt los, sichtlich übermannt von ihren Gefühlen, die diese Situation auf einmal wieder hervorbrechen ließ. "Du hast mich geliebt und ich dich, das weißt du genau! Aber ich war einsam! Ich war so verdammt einsam, Andy! Kannst du das nicht verstehen? Du hast dich in deine Arbeit gestürzt und alles rund um dich vergessen! Wie oft hast du mich aus deinem Zimmer geschmissen, mich angeschrien, mich aus deinem Leben verbannt?! Wie oft, Andy, wie oft?!!" Sie sah ihn an, ihre verbitterten Gesichtszüge ließen ihn auf den Boden sacken. In diesem Augenblick entglitt seine Hand meinem Griff. "Ich liebe dich, Andy, aber ich kann so nicht leben", bei diesen Worten strich sie ihm über das Gesicht, streichelte ihm zärtlich eine Träne von der Wange. "Ich weiß einfach nicht mehr, wer du bist und ich kann nicht mit jemanden zusammen leben, den ich nicht kenne.", fügte sie leise hinzu. Er weinte haltlos.
Was dann geschah, weiß ich nicht mehr, denn ich verließ Andy an jenem Tag und habe auch nie wieder etwas von ihm gehört. Ein paar Tage später wurde mir John Malkovich zugewiesen und er füllte mich - seine Rolle - bisher auch wunderbar aus. Wie man es sich von einem Profi eben erwartet. Ich freu mich schon auf heute Abend.