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Bellum Pacis
"Das lateinische Wort ´bellum´ steht sowohl für ´Krieg´ wie auch für ´Gehirn´"- Auszug aus einer Tageszeitung
"Guten Morgen"
Wecker! – „Aufwachen!“ - Augen auf! - zu sich kommen… Montagmorgen...- "Willkommen im Jetzt, du Arsch!" -. In Großen roten Ziffer projiziert der Funkwecker von Tchibo die aktuelle Uhrzeit an die Decke meines "Domizils": 5:30h! Mein Magen krampft bei der ersten Bewegung des Tages und mir wird kurz speiübel. Der Kopf dröhnt und in den Schläfen hämmert ein ganzer Trupp von Bauarbeitern irgendeinen beschissenen Wolkenkratzer zusammen! - "Heul nicht rum! Steh auf!" – Quälend langsam folgt mein Körper unwillig den Befehlen meines Hirns. Der Versuch sich ins Badezimmer zu schleppen erinnert mich an das Buch das ich gestern Nacht vor dem Einschlafen noch weiter gelesen hatte: „Todesmarsch“ von Richard Bachmann…gutes Buch – ganz nett geschrieben….
Mein Gesicht brennt und mein Kopf platzt gleich! Immer stärker wird das Hämmern und immer lauter wird der Lärm der Jets! – „ Nicht weich werden!“ – Beim Rasieren bemerke ich das die große grüne Stelle die ich seit einigen Tagen auf meiner rechten Wange habe über Nacht geschmolzen ist. Hm…hoffentlich hab ich jetzt nicht das Bett versaut! Keine Zeit für so was… gar keine Zeit!
„Frühstück“
Cornflakes mit Milch und viel Zucker. Wie jeden Morgen! Und Kaffee! Schöner, schwarzer, heißer Kaffee… Tut meinem Magen bestimmt gut! Außerdem ist Koffein gut für die Durchblutung! Dann machen mir die Kopfschmerzen weniger aus und ich brauch mich nicht dauernd dran zu denken dass mein Gesicht sich auflöst! Wie neulich bei dem Jungen aus dem Haus schräg gegenüber. Dem ist das auch passiert – dabei hab ich doch eigentlich nur einmal…hm…vielleicht nicht gut…ach egal…gar keine Zeit! Ich kann mir nicht erklären warum heute Morgen ein Finger fehlt….Gestern waren sie doch noch alle da? Keine Zeit zum Nachdenken…gar keine Zeit! Zurück in die Schachtel und ab in den Schrank! Später…ja, viel später kann ich spielen…spielen.
„06:28h“
Bahnhof…was ein Scheiß! Ich muss mich übergeben - schon wieder. Langsam reichts mir!
-„LOSER“- Ein Stück meiner Backe ist raus gebrochen und liegt vor mir auf dem Boden in einer fast schwanenförmigen Lache grün-gelber Kotze. Mit einem kurzen kontrollierenden Blick versichere ich mich, dass keiner mein Missgeschick bemerkt hat und entschließe mich den gallertartigen Klumpen meines stinkenden Fleischs liegen zu lassen… gar keine Zeit!
- der Zug kommt!
„06:30h“
Einsteigen… geschickt überdecke ich das klaffende Loch in meiner Wange indem ich so tue als würde ich über was sehr wichtiges nachdenken und mich dabei demonstrativ am Kopf kratzen. Scheint zu funktionieren! Mein Vater hatte mal zu mir gesagt, es sei wichtig immer beschäftigt auszusehen! So könne man sich manchen unangenehmen Fragen entziehen oder auch einfach nur diesen Verkäuferwichsern die dich in jedem Wal-Mart auf dem weg nach draußen mit irgendeiner Scheiße Vollquatschen wollen! Oh, wie ich diese Leute hasse! Soll Dundee sie holen! Einen nach dem anderen!
–„Nimm sie dir doch einfach! Mach schon!“-
Ich such mir einen Platz auf einer Vierersitzgruppe aus. Nicht dass ich die Wahl hätte- Der Zug ist wie immer brechend voll- aber hier ist nur ein Platz belegt. Ich setze mich der jungen Frau schräg gegenüber, da ich es nicht ausstehen kann fremde Leute zufällig zu berühren und meine Beine nun mal sehr lang sind. Sie sieht kurz zu mir rüber…..und lächelt!
Meine Kehle schnürt sich zusammen!
„06:32“
Vor Schreck hab ich vergessen die Hand weiter vor die Wange zu halten. Mein Magen krampft noch mehr als die ganze Zeit schon als es mir bewusst wird… Ich schließe die Augen in Erwartung eines Kreischens oder Gelächter, aber nicht passiert! Vorsichtig und langsam öffne ich die Augen und schaue auf die Frau…
Sie lächelt mich noch immer an als wurde sie nicht bemerken was mit mir los ist! Arrogant und in grenzenloser Selbstgefälligkeit sitzt sie da und ignoriert meinen Zustand!! Ihr Lächeln wirkt plötzlich abstoßend bemitleidend…Ihre Augen weit und überheblich auf mich gerichtet…degradierend den mit schneeweißer Haut bezogenen Kopf in meine Richtung geneigt…die makellosen Zähne mit Speichel bedeckt wie bei einem gierigen Aasfresser der nur darauf wartet das die Beute die er sich ausgesucht hat endlich einen qualvollen Tod findet…die Hände frömmelnd wie zum Gebet in den Schoß gelegt…wie glimmende Holzspäne bohren sich ihre Blicke in meine Augen…ihre Gedanken schießen durch meinen Kopf und sammeln sich in meiner Hirnmitte…immer stärker dröhnt mein Schädel…droht gesprengt zu werden…heißes Blei bahnt sich seinen Weg durch meine verätzte Speiseröhre.
Ein großer, pumpender Klumpen aus meiner Kehle fällt mir auf die Füße.
Die schwere Last des Eisens an meiner Brust nimmt mir den Atem! Die Gedanken unbändig wie ein heulender Sturm! Bilder hinter den Augen, viele Bilder! Scharf schneiden sie in meinen Sehnerv! Ein Klumpen Metall an meinen Rippen! Kalter Stahl! Gottgleich schön! Gefühlte materielle Geborgenheit! Industrieller Mutterbauch! Tiefblaues Glück!
Ich hebe den Kopf…
Sie sieht mich an…
Ein Ruck! Ein Fingerzucken! Ein einzelner Augenblick! Gefühle der Verbundenheit! Geborgenheit! Anteilnahme! Unverständnis! Angstgefühle? Kontakt! -„Na Endlich!“-
Ich schieße ihr ins Gesicht.
„Kunst…“
Den Eintritt der Kugel in ihren Kopf kurz unter dem linken Nasenflügel…von mir aus gesehen…sehe ich wie in Zeitlupe. Der von der Laufreibung stark erhitzte Geschoßmantel sengt einen schwarzen Fleck in ihre Haut. Welch wunderschöner Moment unausweichlichen Schicksals! Ich wünschte mir ein Maler zu sein um diese Szenerie auf ewig festzuhalten.
Ihr Lächeln und dieser nichts ahnende Gesichtsausdruck. Ihre reflexbedingt geschlossenen Augen. Die Kugel. Der Fleck! Was ein trauriges Szenario… Wenn andere Menschen mein Gemälde in einer Ausstellung sehen könnten würden sie vor Ergriffenheit weinen- dessen bin ich mir sicher! Fleisch reißt auf, Knochen Splittern, Gewebe verteilt sich in einer feinen Staubwolke vor ihrem Kopf. Der Ur-Knall…beim Zurückschlagen bricht ihr das Genick.
Ich kann es hören.
„06:33“
Die kurzen Haare an ihrem Hinterkopf stellen sich kurz auf als sich die Beule bildet.
Einen Augenblick später bricht der Hügel in der Mitte auf und das Metall verlässt die Öffnung um seinen Weg weiter fortzusetzen. Auf Wiedersehen kleine Kugel! Flieg so weit du kannst weg von hier! –„Ich wollte immer schon Reisen!“- Dünne Säulen aus Blut stehen wie gefrorenes Quecksilber im luftleeren Raum. Vereinzelte kleine Wolken einer nicht definierbaren Flüssigkeit wabern wie morgendlicher Bodennebel um ihr Haupt- ein friedlicher Anblick…Oder?
-Warum Sie, fragst Du mich?-
-Besser Sie als Dich, antworte ich Dir!-
„Sum, es, est, sumus, estis, sunt“
Der Junge von schräg gegenüber, der hatte das auch mal. Als er gegangen war hab ich alles aufgehoben. Sogar die Schnürsenkel, einfach alles! Er hat geschrieen als sie gekommen sind. Aber er hatte es verdient! Er war fett! Fett und faul! Er war selbst schuld…zuviel schlechtes Essen. Er hätte sie nicht herausfordern dürfen! Dafür war er zu langsam!
Es war Sommer und er hatte kurze Hosen an als sie gekommen sind. Seine Oberschenkel haben laute Patschgeräusche gemacht als er weggerannt ist. Gekeucht wie ein Lungenkranker hat er als er am Ende der Straße war…er war fast da! Aber sie waren schneller! Sie sind immer schneller! Ich weiß es, ich habe es gesehen, mich hat es interessiert.
Sein Hals war schon ganz grün. Von der Stirn bis zur Brust war alles grün. Ich war einen Tag vorher noch bei ihm. Ich mochte ihn, irgendwie.
Seine Hand hätte ich besser nicht genommen…
Ich kann hören wann sie kommen. Ich fühle es.
Ich hätte es wissen müssen…!
„Oft enttäuscht die Hoffnung!“
Im Sommer hab ich ihm oft beim spielen im Garten vor seinem Haus zugesehen. Den ganzen Tag lang hat er „Ritterburg“ gespielt, oft bis spät in die Nacht, bis ihn seine Mutter rein gerufen hat. Manchmal musste sie ihn regelrecht rein schleifen, so sehr hat er sich geweigert. Ich glaube er hat sie gehasst, nein, ich bin mir sicher das er das hat! Sie war einer von den Menschen die man eigentlich nur hassen kann! Nenn mich oberflächlich aber es war so! Wenn du sie kennen würdest, würdest du sie auch hassen!
Im Winter war er auch oft draußen im Garten- meistens hinter dem Holzverschlag, seiner „Ritterburg“! Da konnte ihn seine Mutter vom Küchenfenster aus nicht sehn wenn er rauchte.
Ich hab ihn beobachtet. Hat sich gut angefühlt….
Sie hat ihn oft geschlagen wenn er nicht so wollte wie sie, oder wenn sie einfach nur Lust dazu gehabt hat. Sie war ein sehr böser Mensch. Ich glaube das er deshalb so oft „Ritterburg“ gespielt hat. Es war wunderbar ihm zuzusehen mit welcher Leidenschaft und Ausdauer er seinen modrigen Holzverschlag, Entschuldigung, seine „Burg“, gegen Feinde verteidigt hat. Ich denke er hat es gegen seine Mutter verteidigt, nein, ich bin mir sicher!
Einen Sommer bevor sie ihn geholt haben hat seine Mutter den Verschlag von einem Bekannten einreißen lassen. Von dem gleichen Bekannten vor dem sie jeden dritten Samstag im Monat den Brandt´schen Kniefall übt, wenn seine Frau in der Bibelgruppe ist.
Sein Opel hat dann immer drei Häuser weiter geparkt, immer! Jeder hatte es bemerkt, aber nur ich, ja ich wusste bescheid!
Ich vermisse diese Tage und Abende am Fenster….
„Ich fühle es…!“
Der Kopf verliert seine Form und sackt in sich zusammen als er auf ihre Schulter kippt.
Die Sekunden bis zum ersten Aufschrei ziehen sich wie Jahre und meine Erwartung, nein meine Gier, die Vorfreude auf dieses erste Zeichen der Realisation der Situation wächst ins Unermessliche!
Dann kommt er! Heiser wie eine alte Dampfsirene und schrill als könne er Glas zum zerspringen bringen trifft er meinen Kopf von schräg rechts hinter mir. Es zerreißt mir fast den Hinterkopf, so heftig trifft mich das Ergebnis! Es klingt wie eine Kinderstimme, so unbeholfen und entsetzt! Angst breitet sich aus um mich und den Knochensack vor mir. Wildes Gekreisch und das Geräusch von aufgescheuchten Vogelschwärmen. Panisch aneinander rennende Menschen, Leiber die sich reiben und quetschen, Männer die Schutz hinter anderen Männern suchen, Kinder die nicht verstehen, Frauen die reagieren und schreien als würden sie verstehen, dumpfes Schnaufen und schaben!
All das Gehörte wird zu Bildern unglaublicher Gewalt die durch meinen Kopf rotieren- was eine abgefuckte Diashow!
Mein Blick haftet starr an dem Resultat seiner eigenen Arroganz. Ein Gefühl wie frischer Schnee, weich und rein füllt meinen Verstand! Mein Magen entspannt sich und die Bildränder verschwimmen. Dinge beginnen sich aufzulösen…
-„Kannst du es fühlen?“- Ich kann es fühlen! Oh Gott, es ist soweit!
Sie Kommen!