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Benji

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25.03.2003
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Benji

Verwendete Wörter: Sand, Rinde, weltbewegend, Perle, Hundeschnauze

Benji

Ich lief am Meer entlang. Es war noch sehr früh am Morgen, und bis auf ein paar tapfere Schwimmer, die bereits im türkisfarbenen, kühl wirkenden Wasser ihre Runden drehten, hatte ich den Strand für mich alleine. Ich genoss die wohltuende Ruhe, die nur ab und zu von dem Schrei einer Möwe unterbrochen wurde und lauschte der Melodie der Wellen.

Die ersten Sonnenstrahlen tasteten sich vorsichtig über den Rand des weit ins Meer hineinreichenden Berges, und ließen hinter mir die Gebirgszüge der Sierra Helada in einem sanften rötlichen Licht schimmern.
Ein paar weiße Wolken zogen, Segelschiffen gleich, am Horizont gemächlich über den Himmel. Weiter hinten am Strand sah ich einen Spaziergänger mit einem Hund, der fröhlich um seinen Begleiter herumtollte. Dieser warf ab und zu einen Stock ins Wasser und der Hund sprang über die Wellen hinterher.
Ich blieb stehen, um das Spiel der beiden eine Weile zu beobachten. Ich musste kurz lächeln, doch sofort überkam mich wieder unendliche Traurigkeit.

Auch ich machte diesen Morgenspaziergang normalerweise nicht alleine, sondern wurde von meinem treuen vierbeinigen Freund begleitet, einer Promenadenmischung mit den schönsten braunen Augen, die man sich nur vorstellen konnte. Fast immer fand auch er einen kleinen Stock oder ein Stück Rinde, die er mir dann vor die Füsse warf und mich sanft mit seiner weichen Hundeschnauze anschubste, so als wollte er sagen: Na los, mach schon und wirf endlich. Jeden Morgen drehten wir unsere kleine Runde, die meistens bei einem Café solo in meinem Stammcafé endete, nachdem wir in der Dorfbäckerei frische Brötchen fürs Frühstück besorgt hatten.

Doch dann war da vor zwei Wochen dieser rücksichtslose Autofahrer gewesen, der einfach mit Vollgas durch die schmale Dorfgasse gerast war. Er hatte Benji voll erwischt und hoch durch die Luft geschleudert. Der Tierarzt hatte eine gebrochene Hüfte und eine Kopfverletzung festgestellt. Benji war sofort operiert worden und man hatte ihm eine Metallplatte in die Hüfte eingesetzt. Seitdem lag er in der Tierarztklinik und wurde durch einen Tropf künstlich ernährt, da er nicht alleine fressen konnte. Es ging ihm sehr schlecht, und morgen wollte der Tierarzt entscheiden, ob Benji eingeschläfert werden musste.
Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es ohne ihn sein würde. Uns beide verband etwas ganz Besonderes. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, wo ich keinen Sinn mehr in meinem Leben gesehen hatte, da hatte mir eine gute Freundin eines Tages ein wuscheliges weißes Bündel auf den Schoß gelegt – Benji, der in einem Müllcontainer ausgesetzt worden war. Von diesem Tag an waren wir unzertrennlich gewesen.
Ich hatte durch ihn meinen Lebensmut wiedergefunden und schließlich auch eine neue Beziehung.

Langsam ging ich weiter, ließ den Mann mit seinem Hund hinter mir zurück.
Nur ab und zu war noch sein Rufen und das fröhliche Bellen des Tieres zu vernehmen. Ich musste daran denken, wie ich Santiago kennengelernt hatte. Genau an diesem Strand war es gewesen. Ich war mit Benji spazieren gegangen und auch Santiago hatte seinen Hund dabei gehabt. Die beiden Hunde verstanden sich auf Anhieb und waren im Sand herumgetollt. So waren wir ins Gespräch gekommen, hatten über nichts Weltbewegendes geredet, uns einfach nur nett unterhalten. Wir hatten uns gleich wieder für den nächsten Morgen verabredet und uns schließlich ineinander verliebt.

Die Sonne war mittlerweile vollständig hinter der Bergkuppe hervorgekommen und strahlte schon eine beachtliche Wärme aus. Es versprach, wieder ein heißer Tag zu werden. Ich schaute nach unten. Hier und da lag eine Muschel, oder auch eine von den Wellenbewegungen rund geschliffene, bunte Glasscherbe im Sand. Doch dann fiel mein Blick auf etwas Glänzendes. Als ich mich hinunterbeugte, erkannte ich, dass es eine perlmuttfarben schimmernde Perle war, die dort eingebettet lag. Vorsichtig hob ich sie auf und befreite sie von dem feuchten Sand, der an ihrer Unterseite haftete. Sie war wunderschön, ungefähr so groß wie der Nagel meines Zeigefingers, und obwohl ich kein Experte bin, würde ich doch sagen, dass sie echt war. Bestimmt hatte sie irgend ein Strandgänger verloren, denn ich konnte mir kaum vorstellen, dass es hier an unserer Küste Austern gab.
Ich steckte sie in meine Hosentasche, vielleicht würde ich mir irgendwann einmal ein Schmuckstück daraus machen lassen.

Weiter vorne sah ich Juan. Er stand bei den Tretbooten, die er zusammen mit seinem Sohn während der Sommersaison vermietete. Im Winter ging er fischen. Ich konnte nicht genau sagen, wie alt Juan war, schätzte ihn aber auf mindestens Anfang siebzig. Wind und Sonne hatten auf seinem Gesicht ihre Zeichen hinterlassen, es war im Winter wie im Sommer braungebrannt und von tiefen Falten geprägt.
„Hola Juan“, begrüsste ich ihn, und küsste ihn rechts und links auf die ledrige Haut seiner Wangen. Er fragte, wie es Benji ginge, und ich zuckte nur resignierend mit den Schultern.
„Unverändert, morgen entscheidet sich, ob er eingeschläfert werden muss.“
Ich zeigte ihm die Perle, die ich gefunden hatte. Vorsichtig nahm Juan sie zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtete sie von allen Seiten.
„Weißt du, was es bedeutet, wenn man am Strand eine Perle findet?“, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf.
„Also, dann hör gut zu.“ Wir setzten uns auf den Rand eines Tretbootes und er begann mit leiser Stimme zu erzählen.

„Vor vielen Jahrhunderten lebte ein Riese in einer Höhle dort oben in der Sierra Helada. Eines Tages kenterte an den Felsen vor unserer Küste ein Maurenschiff, auf dem sich eine wunderschöne Prinzessin befand. Der Riese, Roldán mit Namen, rettete sie als einzige von der gesamten Besatzung vor dem Ertrinken. Die beiden verliebten sich ineinander und waren von da an unzertrennlich. Eine Hexe, die ebenfalls in den Bergen lebte, hasste die Prinzessin wegen ihrer Schönheit und neidete dem jungen Paar sein Glück.
Sie verfluchte die Maurin und prophezeite, dass binnen einer Woche, wenn die letzten Sonnenstrahlen hinter dem Berg Puig Campana verschwunden seien, die Prinzessin sterben müsse. Roldán und seine Geliebte waren untröstlich, doch sie konnten nichts gegen den Fluch ausrichten. Als der Abend des besagten Tages angebrochen war, da erfasste Roldán eine solche Wut, dass er sein Schwert ergriff und mit all seiner Kraft ein viereckiges Stück aus der Bergspitze des Puig Campanas herausschlug. Einem riesigen Donnerschlag gleich, landete der Felsbrocken vor unserer Küste im Meer. Siehst du“, Juan deutete auf die Insel Islote, "noch heute ist der Felsen vorhanden, deswegen nennen wir unsere Insel auch ¨Cuchillada de Roldán¨- der Schwertstreich des Roldán.
Auf jeden Fall konnte der Riese auf diese Weise das Leben seiner Liebsten um ein paar kostbare Stunden verlängern. Die beiden verbrachten ihre letzte gemeinsame Zeit am Strand, wo die Prinzessin bittere Tränen vergoss. Und wie durch ein Wunder verwandelten sich alle ihre Tränen in wunderschöne perlmuttfarbene Perlen, die den Glanz ihrer Augen widerspiegelten und auf den Sand hinunterfielen. Als der letzte Sonnenstrahl schließlich hinter dem Bergrücken verschwunden war, da schloss die Prinzessin für immer die Augen. Roldán nahm sie auf seine Arme, und verschwand mit ihr in den Fluten des Meeres.
Und ob du es glaubst oder nicht, immer wieder finden Menschen Perlen an diesem Strand, und man sagt, dass diejenigen von einer großen Last befreit werden."

„Was für eine schöne, traurige Geschichte, Juan“, seufzte ich. „Nur leider glaube ich nicht an Märchen.“
Ich verabschiedete mich und machte mich sofort auf den Heimweg, ich verspürte heute keine Lust mehr auf einen Kaffee.
Zuhause angekommen, hatte ich kaum die Tür aufgeschlossen, als sie bereits von innen aufgerissen wurde.
„Cariño, der Tierarzt hat gerade angerufen“, bestürmte mich Santiago.
„Benji hat gefressen, es geht ihm besser.“ Er zog mich in seine Arme und küsste mir die Tränen von den Wangen.

"Und ich glaube doch an Märchen", flüsterte ich, während meine Hand die winzig kleine Ausbuchtung in meiner rechten Hosentasche ertastete.

 

Liebe Susi,
danke für deine ausführliche Kritik.
Ich habe deine Verbesserungsvorschläge alle übernommen. Du hast Recht, der Abschnitt, der das Strandleben beschreibt, ist wirklich überflüssig, ohne ihn fließt die Geschichte viel besser. :)
Freut mich, dass sie dir ansonsten gefallen hat.

Liebe Grüsse
Sylvia

 

Hallo Illu,
liest du dich durch meine Geschichtenliste?:D
Freut mich natürlich, dass du auch diese hier gelesen hast.
Der Satz mit den Sonnenstrahlen gefällt mir gerade gut. Was findest du denn daran holperig, das mit den tastenden Sonnenstrahlen? Oder besser gefragt, wie würdest du denn sowas formulieren?
Na ja, da sieht man halt, wie verschieden die Geschmäcker sein können.:D
Schön, dass dir die Geschichte ansonsten gefallen hat.

LG
Blanca

 
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Hallo illu, (ja, es heißt ilusionista, mit einem l übrigens,das Wort ist zwar männlich, hat aber eine weibliche Endung- eine Ausnahme eben. :) )
Den weit ins Meer hineinreichenden Berg gibt es wirklich und ich hab schon super tolle Sonnenaufgänge gesehen, bei denen sich die Sonnenstrahlen eben wirklich langsam über den Bergrücken hervortasten. Dabei wird dann der gegenüberliegende Gebirgszug rötlich angestrahlt.:)

LG
Blanca

 

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