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Berührungen
Berührungen
Gefühle sind etwas Seltsames. Sie bestimmen unser Denken, unser Handeln, unser Leben. Doch sie können trügerisch sein.
Träume sind etwas Seltsames. Sie können unser Denken, unser Handeln, unser Leben bestimmen. Doch sie sind trügerisch.
Das musste ich in zwei lauen Sommernächten schmerzlich erfahren.
Seit meinem zwanzigsten Lebensjahr träumte ich jede Nacht denselben Traum. In einem Raum, wo es nach duftendem Holz und wohlriechenden Speisen roch, konnte ich fühlen, wie eine wunderschöne Frau, die ich nicht sehen konnte, meine Wange streichelte. Es war ein wunderbares Gefühl… Neuartige Geborgenheit und gleichzeitig etwas Vertrautes – immer nach dem Aufwachen wusste ich, dass die Frau, die mich so berühren konnte, einmal mein Leben bestimmen würde.
Ich war fast dreißig, als die erste jener besagten Sommernächte eintrat.
Ich war als Kurier unterwegs, durchquerte drei Bundesstaaten, um meine Lieferung zu fahren, und machte in einem Motel halt, um etwas zu essen und die Nacht dort zu verbringen.
Und als ich am Abend mein Omelett zu mir nahm, sah ich sie. Eine wunderschöne Frau setzte sich zu mir an den Tisch. Als ich sie sah, wusste ich – das musste sie sein!
Sie war auf dem Heimweg von ihrem Urlaub, und war, genau wie ich, nach Maine unterwegs, wo sie wohnte. Wir verstanden uns auf Anhieb hervorragend und sie lud mich ein, sie in Bangor zu besuchen, wenn meine Fuhr beendet sein würde.
Sie machte sich dann auf den Weg nach Hause, doch bevor sie den Speisesaal verließ, blieb sie noch einmal stehen.
„Du hast da noch ein wenig Ei!“
Jetzt! Endlich war es soweit! Sie berührte meine Wange, um das Ei wegzustreichen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ihre Haut die meine berührte, sodass ich es fast mit der Hand hätte fassen können – und setzte drei Schläge lang aus.
Sie war es nicht. Eine einfache Berührung, nichts Besonderes, und schon war sie verschwunden, die wunderschöne Frau, die mich nicht berühren konnte, wie sie es sollte.
Ich besuchte sie nicht, beschloss, sie nie wiederzusehen. Die Suche nach der Richtigen wurde zu einer Obsession – ich konnte keinen Raum betreten, ohne nach dieser Note in der Luft zu schnuppern, die ich sowohl im Traum als auch im Motelrestaurant wahrgenommen hatte. Dort war alles so perfekt gewesen, warum hatte es so kommen müssen? Warum war es nicht SIE gewesen?
Auf den Tag genau drei Jahre später fuhr ich eine ähnliche Route wie damals. Und übernachtete in demselben Motel.
Am Abend dieser lauen Sommernacht – der zweiten dieser Art – war ich wieder in diesem Raum, mit demselben Duft, der meine Sinne betörte.
Und da war sie wieder. Mit ihrer Familie. Sie war inzwischen eine verheiratete Frau mit einer Tochter und besuchte das Motel mit ihrem Mann und dem Kind, das vielleicht ein Jahr alt war.
Sie ging mit ihrer Tochter auf dem Arm vorüber und erkannte mich nicht wieder. Das kleine Mädchen schaute mich wie gebannt an, streckte eines seiner niedlichen Ärmchen aus und strich mir über die Wange.
Das war sie. Die Berührung, nach der ich so lange gesucht, nach der ich mich so lange gesehnt hatte. Nicht die Frau, die ich lieben sollte, schenkte mir diese Berührung, sonder das Kind, das meines hätte sein sollen.
Die Erkenntnis brach über mich herein wie eine haushohe Welle, ertränkte mich in meinen eigenen Tränen, die ich schluchzend noch immer vergoss, als die Familie den Speisesaal längst verlassen hatte.
Diese Tränen werden wohl nie versiegen.
Gefühle sind etwas Seltsames. Sie bestimmen unser Denken, unser Handeln, unser Leben. Doch sie können trügerisch sein.
Träume sind etwas Seltsames. Sie können unser Denken, unser Handeln, unser Leben bestimmen. Doch sie sind trügerisch.
Das musste ich in zwei lauen Sommernächten schmerzlich erfahren.