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Bergwelt
Der Berg ruft.
Wenn man so nah am Gebirge aufwächst, ist das Bergwandern ein normaler Bestandteil der Freizeitbetätigung. Die meisten anderen Buben hatten mir voraus, dass sie einen Vater hatten, der mit ihnen auf den Samerberg, den Heuberg, die Hochries oder den Brünnstein gewandert war. Die Familienberge eben auf die ein Vater, der diesen Namen verdient, mit seinen Kindern steigt, um sie mit ihrer Heimat vertraut zu machen.
Meine Mutter war eigentlich kein Bergfex. Und auch durch Beruf und uns zwei Geschwister so in Anspruch genommen, dass das Bergwandern als Freizeitfaktor ausfiel. Alleine die Bahnfahrt ins Gebirge hätte ihre Finanzen überstrapaziert.
Grün vor Neid bin ich geworden, wenn der eine oder andere Spezl erzählt hat, dass er mit dem Vater auf der Kampenwand gewesen sei. Damals hab ich mir schon geschworen, dass ich einmal selber Buben haben wollte, mit denen ich dann all das unternehmen würde was ich jetzt so vermisste. Dass das dann auch geklappt hat, ist etwas wofür ich einfach dankbar bin.
Auf alle Fälle war ich Feuer und Flamme, als der Peter vorschlug – ich war damals noch nicht ganz 9 Jahre alt – wir sollten zu viert auf den Heuberg steigen. Er selbst, sein älterer Bruder Günter, der Pfliegl Hansi und ich. Dort wollten wir, damit sich das auch lohnte, eine Woche bleiben.
Nun war meine Mutter recht großzügig, wenn ich selbstständig etwas zu unternehmen vorhatte. Hat mich auch in diverse Ferienlager geschickt. Aber dies war doch etwas Anderes. Ganz ohne Erwachsenen Betreuung. Und eine ganze Woche lang. Dazu kam, dass sie den Günter nicht in ihr Herz geschlossen hatte. Der war 2 Jahre älter als wir und als rechter Rabauke bekannt.
So erfand ich eine etwas abenteuerliche Geschichte von einer Klassenfahrt, bei der ich mitkommen dürfte ohne zu dieser Klasse zu gehören. Der Peter und ich besuchten nämlich verschiedene Schulen.
Unter dieser Prämisse hat Mutti ihren Segen gegeben und mich mit Bekleidung und Lebensmitteln ausgerüstet. Von Geld war damals nicht die Rede. Das ergab einen tüchtigen Rucksack.
Mit den Radln sind wir, den Inndamm entlang und über Neubeuern nach Nußdorf gestrampelt. Unter der alten Mühle haben wir die Radl abgestellt und sind den Kreuzweg nach Kirchwald hinauf gestiegen. Von dort weiter zur Daffner Alm, die unser eigentliches Ziel war.
Einzig der Günter war schon einmal mit seinem Vater auf dem Heuberg. Und der konnte sich nur sporadisch an den Weg erinnern. Nicht dass es viele Abzweige gegeben hätte. Aber die Rucksäcke waren schwer, heiß war es, Wegschilder gab es dazumal auch kaum. Und so waren wir irgendwann gar nicht mehr sicher ob wir uns auf dem richtigen Weg befanden und überhaupt jemals auf die Daffner Alm kommen würden. Weil keiner von uns eine Uhr besaß waren wir uns auch über die Dauer des Aufstiegs und die Tageszeit nicht mehr im klaren. Kurz, wir waren nah am Verzwei-feln. Vor einer weiteren Wegbiegung, von denen wir inzwischen hunderte hinter uns haben mussten, haben wir keuchend resigniert. „Jetzt setzt´ ma uns erst einmal hin und machen Brotzeit,“ befahl der Günter, der von der Richtigkeit des Weges auch nicht mehr überzeugt war. „Dann schaun wir, ob wir´s finden oder umkehr´n.“ Umkehren? Was für eine Blamage! Aber in unserer Verzweiflung haben wir wirklich mit dem Gedanken gespielt.
Mit Essen und Trinken (Eine Scheibe Brot mit Streichkäs und Frigeobrause) kamen jedoch die Lebensgeister und der Ehrgeiz zurück.
Wir packten wieder zusammen, schulterten unsere Rucksäcke und waren wild entschlossen, wenn es sein musste, bis Abends zu marschieren. Irgendwann würden wir diese verflixte Daffner Alm schon erreichen.
Eine höhere Macht – so schien es uns – musste unser Klagen erhört haben. Nach nur zwei Serpentinen öffnete sich der Wald zu einer herrlichen weiten Bergwiese. Geschafft!
Da standen wir nun auf einer sonnen überfluteten Alm, ringsum Almhütten, und wussten nicht wo wir denn am Besten um Quartier fragen sollten. Damals weideten auf der Daffner Alm auch Pferde, die dort frei herum liefen und keinem Menschen etwas zu leide taten. Aber neugierig waren sie! So kamen zwei von ihnen auf uns zu um die neuem Bergbewohner zu begrüßen. Das waren allerdings große Pferde. Fast doppelt so hoch wie wir. Was tun, wenn die uns über den Haufen rennen wollten? Mit zwiespältigen Gefühlen sahen wir den Tieren entgegen über deren Absichten wir durchaus geteilter Meinung waren.
„Die tun uns nix!“ „Weißt das gewiß?“ „Und wenn´s uns was tun möcht´n?“ „Pferde mögn Zucker!“ „Woher sollen wir jetzt Zucker nehmen?“ „Du hast gesagt du hast Zucker dabei.“ „Aber doch kein Würflzucker! Nur Zucker lose in der Dose.“ „Na tu halt den her.“
So holte ich eine Dose mit Zucker aus meinem Rucksack und schüttete etwas davon in den Deckel derselben. Ich hielt dieses Friedensangebot einem der beiden Pferde entgegen um uns das Tier gewogen zu machen. Das Pferd schleckte auch ganz begeistert aus dem Deckel, während das zweite Tier beobachtet hatte, wo der Segen herkam und mir mit einem Stups die ganze Zuckerdose aus der Hand stieß.
Da war es um mein Heldentum geschehen. Alles fallen lassend rannte ich den Rossen davon, die, von dem Zuckersegen beglückt ihrem Wohltäter folgten. Voller Angst war ich bemüht in die Deckung der nächstliegenden Almhütte zu gelangen und lief hinter der Hütte herum zum Eingang.
Das hätte ich nicht tun sollen. Hinten aus der Hütte schob nämlich die Sennerin jeden Tag die Hinterlassenschaft der Kühe, die tagsüber im Stall standen und in der Abendkühle auf die Weide getrieben wurden. Natürlich rutschte ich aus und platschte längs in den grünbraunen Segen. Die Pferde, viel klüger als ich, waren vorher stehen geblieben. Auf und auf dreckig und stinkend wurde ich den Verdacht nicht los, dass die Tiere über mich den Kopf schüttelten.
Schmutzig und niedergeschlagen kam ich auf der anderen Seite am Eingang an. Vor der Hütte saß eine Sennerin in den Fünfzigern und drehte am Butterfass. „Ja um Christi Willen! Bub, wie schaust denn Du aus! Tu draußen bleiben und zieh dein Gewand aus. Do drüben am Brunnen kannst dich abwaschen.“
Nachdem die Pferdegefahr abgewendet war, kamen auch meine Spezln über die Alm herüber. Ihre Komplimente über meinen „klassischen Hechtsprung“ und die „saubere Bauchlandung“ halfen nicht sehr meine Stimmung zu heben. Die Rosl, so hieß die Sennerin, hatte ihre mütterlichen Gefühle entdeckt. „Wenn Einer von Euch am Butter-fass weiterdreht, dann kümmer´ ich mich erst mal um den Saubär´n.“ Meine hellsichtige Mutter hatte eine zweite Garnitur Kleidung eingepackt, so dass ich mich allmählich wieder menschlich fühlen durfte.
Und so sind wir auch zu einer preiswerten Unterkunft gekommen. Nachdem Rosl´s Fürsorge erst einmal geweckt war, hat sie uns auch gar nicht mehr weg gelassen. „Bleibt da Buben, bevor euch noch was Schlimmer´s passiert.“ Gegen das Versprechen, ihr bei der Arbeit ein bisschen zu helfen, durften wir bei freier Kost und Logis die ganze Woche Butter rühren, melken, Kühe eintreiben und was der Abenteuer mehr waren.
Da könnte ich mich heute in den Dreck schmeißen wie ich will, den Kopf schütteln würde höchsten meine Frau.