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Besser gehts nicht
"Digga ... noch da?" Ich schaue rüber zu Elli und suche nach Lebenszeichen. Er sitzt auf der Couch neben mir, im Schneidersitz, mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen. An sich nichts Neues. Wir haben Jahre damit verbracht uns in den Schlaf zu trippen, doch mache ich mir diesmal Sorgen.
Meine Augenlieder sind schwer und ich fühle mich angenehm träge, immobil, ausgebremst. So als hätte ich alle Zeit der Welt nur für mich allein. Ich lege meine Hand auf seine Schulter und schüttle ihn behutsam durch, so wie es ein großer Bruder tun würde.
"Hä, was?" Er schreckt hoch und schaut mich mit zu Schlitzen verengten Augen an.
"Alles gut?" Ich muss lächeln. Schön, ich wollte ohnehin nicht zu besorgt aussehen.
"Jaja ... a-a-alles gut." Elli nickt stumpfsinnig vor sich hin und fixiert dabei den Fernseher, als wäre nichts gewesen. Ein schöner, fetter Apparat auf dem Family Guy läuft. Sein Zimmer ist übersät mit Konsolen, Computerzubehör und allerlei teuren Geräten, die nie benutzt werden. Elli hat mehr Geld, als er verarbeiten könnte. Manchmal habe ich das Gefühl er erstickt förmlich daran.
"Geile Benzos halt ... man hat dich gewarnt!" Julchens dreckige Lache schallt durch den Altbau. Ich konnte den spaßfixierten Penner noch nie wirklich leiden. Er nimmt die Dinge zu leicht, zu unbedacht. Er denkt verdammt noch mal nie nach.
Die Benzos sind wirklich erste Sahne. Immerhin nehme ich sie mittlerweile fast jeden Tag. Sie erinnern mich an Besseres, auch wenn sie vergleichsweise nur an der Oberfläche kratzen. Sie erfassen nicht deine gesamte Seele, während sie dich in die Horizontale zwingen und bis zum Rand mit tiefster Befriedigung erfüllen. Sinn- und bedingungsloses Glück vom allerfeinsten. Stattdessen greife ich auf reine Trägheit zurück. Schlafmittel sind ein schwacher Ersatz, aber ein annehmbarer.
"Junge!" Der Fernseher dröhnt gedampft vor unseren Augen. Peter Griffin prügelt sich mit einem menschengroßen Hühnchen. Julchen lässt erneut seine dreckige Lache über uns los, während er hyperaktiv auf seinem Platz umherspaßtet. "... so behindert!"
Ich lehne mich zurück und versinke in der Couch. Ich muss plötzlich an meinen Stiefvater denken. Generation "nimm zwei", hat er uns genannt. Ich muss lachen. Alles, was herauskommt, ist ein müdes Grinsen.
*****
Es klingelt. Ein zweites, ein drittes, ein fünftes und ein sechstes Mal. Ich öffne meine Augen und schaue mich träge um.
Julchen steht vor Elli und rüttelt ihn wach.
"Ey, Elli ... ELLIIIIE! Clemens ist da!"
"Wiewas jetzt schon?" Elli schreckt auf altbekannte Weise hoch und versucht wach zu bleiben.
"Was für jetzt schon? Der Sack ist wieder ne Stunde zu spät!" Julchen reicht ihm eine halb ausgetrunkene Flasche Scotch.
"Komma klar, das ist jetzt wichtig." Am liebsten würde ich ihm das debile Grinsen aus dem Gesicht prügeln.
"Erfrisch dich! Werd vital!"
"Julchen, lass mal stecken." Mein Körper wehrt sich dagegen, aber der Verstand besteht darauf. Ich richte mich aus den gemütlichen Untiefen der Couch auf und reiße Julchen die Flasche aus der Hand. Ich stelle sie auf den Tisch und halte Elli einen Spiegel unter die Nase.
"Jooaaah ... Das ist bestimmt gesünder." Elli grinst verstrahlt und greift nach dem Spiegel, darauf ein zusammengerollter Geldschein und ein Häufchen Pepp.
"Kommt wirklich besser als Hartalk zu Benzos... Ganz schlechte Kombination." Ich dachte schon mehrmals ich müsste gleich sterben, nur weil ich die falschen Dinge gemischt hatte.
"Die scheiß Stimme der Vernunft, alter.", quiekt Julchen mit verstellter Stimme. Seine Hände flattern hyperaktiv vor meinem Gesicht umher.
"Verdammte Hacke... SETZ DICH HIN, JULCHEN!"
"Zwing mich, Wichser!" Julchen lacht wieder. Diese gottverdammte Lache ...
*****
Clemens öffnet die Tür mit einem lauten, basslastigen "Naaa ... was geht?" Er hat zwei Kollegen im Schlepptau, die beide nicht besonders vertrauenserweckend aussehen. Verbrauchte, hagere Gestalten mit tiefschwarzen Augenringen und zerfledderten Klamotten.
Clemens trägt einen Rucksack, den er vor Ellis Füße schmeißt. Er setzt sich aufs Bett, sein Kollege daneben, der andere bleibt erst mal stehen.
"Neue Connec, wird jetzt wieder gut laufen" Clemens hält ununterbrochenen Augenkontakt und hat dabei ständig den Anflug eines Grinsens im Gesicht.
"Korrekt!" Elli stürzt sich gierig auf den Rucksack und fängt an Gras, Pepp und MDMA in kleine Tütchen abzupacken. "Nächste Woche kommt dann mehr?"
"Jaja ... kein Stress." Clemens spricht langsam und mit Nachdruck, dabei wippt er mit dem Oberkörper leicht hin und her als hätte er einen Krampf im Bein und wollte es sich nicht anmerken lassen. Er schaut sich im Zimmer um und bleibt an mir hängen.
"Moinsen, alles fit?" Der Junge blinzelt nie. Zumindest kommt es mir so vor.
"Besser gehts nicht ..." Ich greife nach dem Spiegel. Zu viel los für meinen Zustand. Zeit sich abzulenken und halbwegs wach zu werden. Vielleicht möchte ich auch nur beschäftigt sein, um mich nicht mit Clemens und seinen scheiß Egomanen unterhalten zu müssen.
Früher war das anders, aber ich möchte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Es ist mir schon fast zu viel, dass er regelmäßig bei Elli aufkreuzt. In ihm sehe ich keinen Kollegen, ja nicht einmal eine Person, ich sehe nur die stetige Versuchung vor meinen Augen.
"Lass mal kosten" Clemens streckt seine Hand nach dem Spiegel aus und grinst mich an. "Macke hat dich übrigens vermisst. Warn schöner Geburtstag ... hätte sich gelohnt." Dabei meine ich so etwas wie Mitleid in seinem Blick zu erkennen.
"Keine Chance." Ich bin nervös, habe kein Bock, das alles zum zehnten Mal vor aller Welt breitzudiskutieren.
"Ich hab ihm gesagt er kann gerne bei mir rumkommen, ihr alle. Nur lasst euren Scheiß zu Hause."
"Klar" Clemens zieht die Augenbrauen hoch und lehnt sich zurück.
"Sag ich ihm." Das alles ist eine Farce. Sie alle kennen meine Meinung und wir alle wissen, dass sie bei mir nichts verloren haben. Genauso wie ich nichts mehr bei Macke zu suchen habe. Kollegen sind nunmal auf gemeinsame "Interessen" angewiesen.
"Boah alter, was zum Fick!?" Elli hält ein Tütchen mit penisförmigen Tabletten hoch und lächelt schelmisch.
"NEIN?!" Julchen reißt ihm den Beutel aus der Hand und mustert den Inhalt.
"Ey, Master hat genau dieselben, Steffi auch. Selbst im verkackten Sams hatten die alle." Julchen nimmt sich zwei raus und schmeißt ein Drittes ein.
"Überall, wo man hinsieht, nur Schwänze, alter!" Er lacht, alle stimmen in die dreckige Lache mit ein.
"Ohne Scheiß, die gehen am besten weg." Clemens zündet sich eine Kippe an.
"Kein Plan wieso, vielleicht weils witzig ist. Teilweise biete ich den Leuten bessere Drops für den gleichen Preis an und sie nehmen trotzdem die Schwänze." Er lacht. Es ist mehr ein lautes Ausatmen mit verzogenen Mundwinkeln.
"Die Kiddis heutzutage, alle schwanzgeil, ich sags dir!", tönt Clemens Begleitung, während er mit verschränkten Armen in der Tür steht. Wieder die Lache... Julchen stimmt am lautesten mit ein. Er geht mir auf die Nerven.
Währenddessen holt der andere Neuankömmling, auf dem Bett sitzend, ein Stück Alufolie aus seiner Jackentasche und streut braunes Pulver aus einem Tütchen hinein. Ich komme ins Stocken und kann mein Blick nicht davon abwenden. Es ist wie dieser Spruch mit dem Autounfall. Ich kann einfach nicht wegsehen, auch wenn es vielleicht besser für mich wäre.
Ich merke, wie Clemens mich neugierig mustert, als würde er auf etwas warten. Diese Wichser! Die haben sich doch abgesprochen! Ich werde das Gefühl nicht los, dass das alles nur ein scheiß Test ist, dass Clemens auf dieser Welt nichts Besseres zu tun hat, als mich herauszufordern und zu prüfen.
Sogar Julchen ist jetzt still und beobachtet neugierig, wie der Typ ein Feuerzeug herausholt und sich ein langes Metallröhrchen in den Mund steckt. Im letzten Moment stockt er und schaut, von der plötzlich eingetretenen Stille irritiert, fragend in die Runde.
"Ahso ... ja ... ist das o. k. für dich?", fragt er Elli, der erst jetzt, von seiner Arbeit abgelenkt, bemerkt, was hier vor sich geht.
"Schore, oder was?" Sein Gesprächspartner nickt.
Eine Weile starrt Elli nur auf die Alufolie, dann sagt er: "Klar. Ist ein freies Land". Erst jetzt merke ich, dass ich meine Zähne so stark es geht, aufeinander presse. Mein Kiefer verkrampft sich. Am liebsten würde ich jetzt so schnell es geht nach draußen stürmen und rennen, bis ich umfalle.
Der Typ hält sein Feuerzeug unter die Alufolie und saugt die aufsteigenden Dämpfe durch das Röllchen in den Mund. Der Vorgang dauert nur einige Sekunden, dann wird sein Blick trübe und teilnahmslos. Die Augenlieder senken sich, dabei bleibt eins etwas weiter geöffnet als das andere. Er schaut zu Elli und mir.
"Wollt ihr auch was?"
Ich denke nicht nach. Stattdessen stehe ich auf und verlasse fluchtartig das Zimmer.
"Wasn los?"
"Nichts. Alles gut" Ich bleibe kurz stehen und schaue Clemens in die Augen.
"Ich geh nur pissen."
*****
Ich stehe in Ellis Badezimmer und komme einfach nicht zur Ruhe. Ich mustere mein Gesicht im Spiegel und spüre, wie kaltes Wasser über meine schwitzenden Hände läuft. Ich zittere, wie ein Alkoholiker auf Entzug. Mein gesamter Körper ist so verkrampft, dass an Pissen nicht zu denken ist.
"Schön ... und jetzt komm darauf klar, du Schwachmat", presse ich gedämpft zwischen den Zähnen hervor. Ich hasse das Abbild meiner bleichen, verkrampften Fresse. Ein halb totes, triebgesteuertes Tier ohne Sinn und Verstand.
Es juckt zwischen den Zehen, ich habe das Gefühl meine Füße würden sich schälen, die Haut Schicht um Schicht abpellen, in der vergeblichen Hoffnung doch noch irgendwoher einen erlösenden braunen Tropfen zu erhalten.
Mit einem Schlag kommt alles wieder hoch. Ich fühle mich nach deutlich mehr als nur den Benzos.
Was Elli, unser kleiner Trottel, wohl jetzt gerade macht?
Ich atme ein paar Mal ein und aus, spüle das Gesicht mit kaltem Wasser ab und versuche mich zu fangen.
*****
Elli sitzt auf der Couch und hat wiedermal den Kopf gesenkt. Vor ihm liegt ein dampfendes Blech. Seine Arme gleiten langsam nach unten und er atmet laut aus, dabei schaukelt sein Oberkörper leicht hin und her.
"Du weißt schon, dass das eine richtig beschissene Mischung ist?" Ich deute auf das Päckchen mit Benzos auf dem Tisch und lasse mich laut und lustlos auf die Couch fallen.
Ich weiß, dass alles Zureden jetzt sinnlos ist. Ich habe meinen Einsatz verpasst. Man kann niemanden belehren, dem es sinn- und bedingungslos gut geht.
"Joooo ..." Ein abwesendes Augenpaar schaut an mir vorbei.
"Korrekt ..." Elli atmet laut und scheppernd ein "Erste Sahne ..."
Der Eigentümer der Schore liegt mittlerweile mit geschlossenen Augen auf dem Bett, Clemens sitzt immer noch daneben.
"Sagt man zwar ... aber eigentlich, ergänzen sie sich gut." Er greift nun selber zur Alufolie. "Man muss ja nicht gleich übertreiben"
Er zieht die aufsteigenden Dämpfe in sein ausdrucksloses Gesicht und schaut mir in die Augen.
"Solange er nur raucht und nicht fixt ist doch alles in Lot."
Ich erwidere nichts. So habe ich auch mal gedacht und ich weiß, dass Clemens die Dinge beschönigt. Er kann unmöglich so blöd sein.
*****
Clemens ist gegangen und hat seine Kollegen gleich mitgenommen. Julchen hat sich ihnen angeschlossen. Elli liegt mit halb geschlossenen Augen auf dem Bett und gibt keine Lebenszeichen von sich, außer der trägen, langsamen Atmung, die sich anhört, als würde er schlafen, jedoch sind seine Augen leicht geöffnet.
Ich beobachte gedankenverloren den Fernseher und sage es schließlich doch. Ich habe diesen Monolog schon seit Jahren zurechtgelegt und doch Niemalz von mir gegeben.
"Elli?"
"Joooo ..."
"Ich weiß du hast jetzt Besseres zu denken" Ich lehne mich vor und suche nach Augenkontakt.
"... und ich weiß auch, dass mein Timing nicht schlechter sein könnte, aber das sollte das letzte Mal für dich sein."
Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er mich verstehen kann.
"Es gibt Dinge, die sind einfach zu gut. Du wirst dir dieses Gefühl merken, wenn du nicht damit aufhörst. Du wirst alles damit vergleichen, jede Empfindung, die dir im Leben unterkommt und das Leben wird immer den kürzeren ziehen."
Ich stehe auf und merke, dass ich immer noch zittere.
"Die Frau zu ficken, die man seit Jahren liebt, ist ein Scheiß dagegen. Jeder Erfolg, sei er sozial, emotional, beruflich oder sonst was, ist ein Scheiß dagegen."
Elli liegt immer noch da, in der stabilen Seitenlage, und lacht plötzlich leise und geistesabwesend vor sich hin. Es ist wohl das Dümmste, was ich jemals in meinem Leben gesehen habe.
"Shit und Scheiß ... ", flüstert er leise vor sich her.
"Scheiß und Shit ..."
Ich gebe es auf, stehe auf und hole mein Handy raus.
"Wir sehen uns, hab deinen Spaß." Ich reiche Elli die Hand und er schaut mir unerwartet in die Augen.
"Alles gut?"
"Jaja ... alles super." Was fragt er mich das?
"Hau rein."
Als ich das Haus verlasse, wähle ich bereits Clemens' Nummer.
Meine Hände zittern immer noch.