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Besuch

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08.09.2008
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Da ist er wieder, dieser Blick, vor dem ich mich jedes Mal fürchte. Ängstlich und unsicher.
Sie kennt mich nicht, kennt mich nicht mehr. Sie wundert sich, dass sie Besuch von einer Fremden bekommt, die sie mit Du und mit Oma anspricht. Sie fragt sich, wer diese Person ist, da sie selbst doch erst Dreißig ist, keine Kinder und Enkel hat. Das weiß sie genau.

Ich streichle sie, sie ziert sich etwas. Mag es nicht so recht annehmen, obwohl es sicher angenehm ist. Ich bin ihr sympathisch, das spüre ich. Leise beginnt sie, mir von sich zu erzählen. Sie weiß nicht, warum sie hier ist, sagt sie, unter all diesen alten Leuten. Die sie alle nicht kennt. Sie fragt, ob ich sie mit nach Hause nehmen würde, alles wäre besser, als hier bleiben zu müssen.
Da wächst ein Kloß in meinem Hals, ich kann ihr nicht helfen. Ich nehme sie an der Hand und
gehe ein Stück mit ihr spazieren. Sie freut sich an den kleinen Dingen, am Glitzern des Wasserstrahls im Springbrunnen, am Fallen eines bunten Blattes.
Von mir erzähle ich ihr nun, von meinem Alltag und auch von ihrer kleinen Urenkelin. Sie lauscht gespannt und verwundert.
Als der Abschied naht umarmt sie mich. Und nun sagt sie diesen Satz, den sie immer sagt, wenn ich mich von ihr verabschiede. „Es war nett, Sie einmal kennen zu lernen. Bitte besuchen Sie mich doch bald wieder!“

 

Danke, für eure Kommentare. Habe die Vorschläge gleich umgesetzt.

Was die Formulierung der alten Dame angeht, ich habe sie bewusst nicht in wörtliche Rede gesetzt. In dem Wissen, dass sie es wohl nicht so ausdrücken würde.

 

Hallo Isapia,

ein tragischer Abriss, der sich leider viel zu häufig in der Wirklichkeit wiederfindet.

So ganz zufrieden bin ich mit deinem Text noch nicht, aber da fehlt nur wenig.
Kurzgeschichte hast du hier ja mal sehr ernst genommen. Bei dieser Kürze entwickelt sich nicht wirklich eine Geschichte, wir haben es hier ja eher mit einer Momentaufnahme zu tun. Prinzipiell ist das in Ordnung, aber etwas Mehr hätte es schon sein dürfen. Ansetzen würde ich an deiner Stelle bei deiner Prota. Dergestalt sind da noch recht wenige Emotionen spürbar, einmal von der Einleitung abgesehen, wo du von Ängsten Sprichst. Diesen Anstrich verlierst du jedoch zu rasch aus den Augen. Genauso hätte ich mir ein Bild von der Oma gewünscht. Du beschreibst sie nicht und verspielst dadurch eine mögliche Portion Anteilnahme seitens des Lesers. So ist es eher das Gefühl, ja, Demenz ist furchtbar. Aber das wird durch das Thema ausgelöst, nicht durch deinen Text. Um deinen Text also mehr Tiefe zu geben, um wirklich an deiner Prota und an dem Schicksal der Oma Anteil nehmen zu können, solltest du deine Skizze mit Farbe füllen. Gib ruhig Details zum besten. Wie klingt beispielsweise die Stimme der Oma, leuchten ihre Augen auf bei bestimmten Dingen? Die Möglichkeiten sind groß.

Am Anfang kippst du aus der Perspektive:

Da ist er wieder, dieser Blick, vor dem ich mich jedes Mal fürchte. Ängstlich und unsicher.
Sie kennt mich nicht, kennt mich nicht mehr. Sie wundert sich, dass sie Besuch von einer Fremden bekommt, die sie mit Du und mit Oma anspricht. Sie fragt sich, wer diese Person ist, da sie selbst doch erst Dreißig ist, keine Kinder und Enkel hat. Das weiß sie genau.
Du erzählst aus der perspektive der Besucherin, der fette Teil jedoch ist die Perspektive der Oma. Das passt nicht zusammen.

grüßlichst
weltenläufer

 

Salve Isapia,

erst mal ein Lob in sprachlicher Hinsicht für Dein Realitätsdestillat. Wobei es ruhig länger, detaillierter, schärfer werden dürfte, denn so oder so ähnlich wie Deine lesen sich die meisten "gesunder Angehöriger trifft auf Dementen"-Geschichten. Da kann noch ordentlich Butter bei die Fische!

Zu dem Oma-Satz: hier muss ich den Vorkritikern widersprechen. Solche "klaren" Sätze können sehr wohl von Dementen kommen, vor allem wenn es sich nicht um eine Alzheimer-Demenz, sondern um eine vaskuläre Demenz handelt. Ich weiß nicht, ob du dich über dei Krankheit informiert hast, da steckt viel mehr Potential drin, das man in einer Geschichte verwerten kann, als das ewige "und sie versank in ihrer Jugend".

Aber sprachlich wie gesagt sehr hübsch.

Gruß, Pardus

 

Hallo Isapia,
ja, ich finde auch, dass du gut erzählen kannst und stimme den Vorrednern im Wesentlichen zu. Mir erscheint es allerdings unglaubwürdig, dass eine Demenzkranke sich durchgehend als dreißigjährig empfindet. Doch darauf will ich nicht pochen. Ich denke, du wolltest nicht mehr als diese Skizze schreiben, doch ich würde gerne mehr lesen! In Zukunft, versteht sich.
LG,
Jutta

 

Hallo Jutta,

Demenzkranke haben meistens die Eigenschaft, dass das Kurzzeitgedächtnis verloren geht. Immer mehr, immer mehr. Bis sie eines Tages wieder in ihrer Kindheit ankommen. Meine eigene Großmutter ist jetzt wieder in ihrer alten Heimat, in der sie seit weit über 50 Jahren nicht mehr wohnt. Sie fragt nach Leuten, die sie damals kannte. Es ist schon seltsam.

Ich danke euch für eure wohlwollenden Kritiken und eure Ratschläge.

Beste Grüße
Isapia

 

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