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Besuch
Besuch
Da ist er wieder, dieser Blick, vor dem ich mich jedes Mal fürchte. Ängstlich und unsicher.
Sie kennt mich nicht, kennt mich nicht mehr. Sie wundert sich, dass sie Besuch von einer Fremden bekommt, die sie mit Du und mit Oma anspricht. Sie fragt sich, wer diese Person ist, da sie selbst doch erst Dreißig ist, keine Kinder und Enkel hat. Das weiß sie genau.
Ich streichle sie, sie ziert sich etwas. Mag es nicht so recht annehmen, obwohl es sicher angenehm ist. Ich bin ihr sympathisch, das spüre ich. Leise beginnt sie, mir von sich zu erzählen. Sie weiß nicht, warum sie hier ist, sagt sie, unter all diesen alten Leuten. Die sie alle nicht kennt. Sie fragt, ob ich sie mit nach Hause nehmen würde, alles wäre besser, als hier bleiben zu müssen.
Da wächst ein Kloß in meinem Hals, ich kann ihr nicht helfen. Ich nehme sie an der Hand und
gehe ein Stück mit ihr spazieren. Sie freut sich an den kleinen Dingen, am Glitzern des Wasserstrahls im Springbrunnen, am Fallen eines bunten Blattes.
Von mir erzähle ich ihr nun, von meinem Alltag und auch von ihrer kleinen Urenkelin. Sie lauscht gespannt und verwundert.
Als der Abschied naht umarmt sie mich. Und nun sagt sie diesen Satz, den sie immer sagt, wenn ich mich von ihr verabschiede. „Es war nett, Sie einmal kennen zu lernen. Bitte besuchen Sie mich doch bald wieder!“