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Betriebsversammlung

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24.04.2003
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Betriebsversammlung

Herr Professor Doktor Doktor Fendrich von Heidenreich, oberster Geschäftsführer des Betriebs und begeisterter Golfspieler (Handicap 25), eröffnete die Betriebsversammlung mit einem Schluckauf.
Er trank hastig ein Glas Wasser halb leer, und begann mit seiner Rede, die ohne Umschweife direkt aufs Wesentlichste kam, und einen Excel Sheet beschrieb, der gerade eben noch auf die große Saalwand projeziert werden konnte, ohne, dass die Zahlen unleserlich klein wurden.
Dann klickte er schnell noch einige weitere Folien durch, und verlor ein paar Worte über dieses und jenes Diagram.
Kann doch eh kein Idiot verstehen, lautete seine Devise. Bei einigen Aufstellungen kam sogar er ins Grübeln, obwohl er die Präsentation eigenhändig hatte erstellen lassen. Als er zufällig einen Rechtschreibfehler unterhalb eines Tortendiagrams entdeckte, machte er sich eine gedankliche Notiz, und warf der Personalchefin einen bösen Blick zu, die ihrerseits so tat, als würde sie sich den Blaiser zurechtzupfen. Schweiß trat Heidenreich auf die Stirn. Hoffentlich hatte sonst niemand den Fehler bemerkt. Dafür würden Köpfe rollen, das war sicher.
"Also, wie angemerkt, ist der Profite im QM 06 unterhalb des O.L.L.R.S. auf die gestiegenen Fixkosten in den eigenen Produktionshallen zurückzuführen, die im Wesentlichen durch die geplante Personalanpassung geplante Reduzierung Ausgleich schaffen wird, zwischen den angestrebten externen Quality-Suspend-Indicates, warum ich im Besonderen auch auf die Unumgänglichkeit der outgesourcten Finance Disposables gerade auf dieses Thema zu sprechen kommen werde, sobald ..."
Da! Da fehlte ein Komma im letzten Satz. Was für eine Ungeheuerlichkeit. Da wollte man den Leuten aus der Produktion schonend beibringen, dass ihnen gekündigt wird, und dann diese Taktlosigkeit. Als wenn Ortographie keinerlei Bedeutung mehr hätte.
Zusätzlicher Schweiß trat auf Heidenreichs Stirn. Außerdem war ihm, als wäre sein Hemd zu eng. Der mittlere Bauchknopf übte einen gefährlichen Druck nach außen hin aus. Darunter war nichts, nur behaarte, nackte Haut. Es wäre eine Katastrophe.
"Übergeben wir das Wort an Herrn Doktor Siemers. Leiter der Human Resources"
Sichtlich überrascht, verwischte Siemers schnell das frisch aufgetragene Gel in seinen Haaren, brachte die Seidenkrawatte in Position, fuhr mit dem akkubetriebenen Bügeleisen kurz über die schwarze Stoffhose, und betrat mit einem Gewinnerlächeln die Bühne. Nur seine Aufzeichnungen hatte er liegen lassen. Seit jeher war Siemers kein Mann der auswendig gelernten Reden gewesen, daher kam auch er ohne Umschweife zum Wesentlichsten.
"Gibt es irgendwelche Fragen?"
Einhundertzwanzig Arme schnellten in die Höhe.
Siemers sondierte sorgfältig aus.
Entwickler ... zu intelligent.
Vertriebsinnendienstler ... Fragen, auf die ich keine Antwort weiß.
Qualitätswesen ... der Typ wird mich in die Enge treiben.
Produktion ... zu direkt.
Azubi ... Azubi? Oh Mann!
Marketing ... brauche ich nicht aufzurufen. Der Etat wird nicht erhöht.
Aha. Endlich!

"Ja, bitte? Warten Sie, ich komme mit dem Mikrophon zu Ihnen."
Einige ´Buh´ Rufe aus dem Publikum.
"Was ich gerne wissen möchte, ist, werden Sie alles Menschenmögliche unternehmen, unseren Betrieb auch in Zukunft mit Hilfe von Spitzenpersonal wettbewerbsfähig zu halten?"
Kurze Pause.
Dann: "Eine sehr gute Frage, Herr Professor Doktor Doktor Fendrich von Heidenreich. Qualifikationen sind in der heutigen Zeit gefragt wie eh und je. Aber ... und das möchte ich betonen ... wir brauchen auch Leute, die anpacken können; keine Frage. Nur brauchen wir davon in Zukunft deutlich ... ich will es anders ausdrücken: Durch das Verschmelzen der Weltmärkte, die offenen Grenzen, Leuten in anderen Ländern eine Chance zu geben, Fixkosten zu senken ... und glauben Sie mir ... wenn wir das nicht machen, dann sitzt hier in einem Jahr keiner mehr von Ihnen, weil es unseren Betrieb nicht länger gibt. Eine Personalanpassung ist schlussendlich der einzige Weg, in diesem gefährlichen Wirtschaftsurwald zu überleben. Und ... der demnächst aufgestellte Sozialplan wird alle Mitarbeiter, die in der Anpassung inbegriffen sind, sehr berücksichtigen, und wir werden niemanden, also wirklich keinen Einzigen, unberücksichtigt lassen."
Gedämpftes Klatschen.
"Nun, wenn es keine weiteren Fragen mehr gibt, dann übergebe ich das Wort an den Betriebsratsvorsitzenden."
Kalle Magonie schüttelte heftig den Kopf, stand aber trotzdem von seinem Platz auf. Viele hatten ihn gewählt, weil sie um sein Problem wussten. Es verhalf ihm dazu, auch mal klare Wörter zu reden, und nicht immer bloß mit der Geschäftsführung rumzukuscheln. Kalle Magonie hatte vor seiner Wahl in den Betriebsrat, und vor seiner Wahl zum Betriebsratsvorsitzenden, im Wareneingang gearbeitet. Dort hatte er hauptsächlich Kartons ausgepackt.
Das Interessante an Kalle Magonie aber war, - und da waren sich wirklich alle einige - dass er an dem Tourette Syndrom litt. Der konnte Kontra geben, aber wie!
Der dickbäuchige Mann stellte sich aufs Podium, und legte dann auch gleich so richtig los. Vorher schüttelte er noch kurz den Kopf.

"Liebe Kollegen und Kolleginnen", begann er zu brüllen.
"Was uns hart Arbeitenden hier heute gezeigt wird, ist wie immer ... Arschloch, Wichser ... wie immer nur das, was wir alle kennen. Der kleine Mann wird geschröpft, und ... Arschloch, Arschloch ... keiner unternimmt was dagegen. Aber wenn die sogenannten hohen Herren vorhaben, hier langjährige Mitarbeiter aus der Produktion ... Wichser! ... zu entlassen, dann wird es Zeit, dagegen anzukämpfen. Hurensohn!
Ich weiß nicht, wie dieser ganze komplizierte, neue Managerschwachfug funktioniert, aber ich weiß, ... Arschloch, Wichser ... dass wir die Starken sind. Wir haben diese Firma ... Wichser ... groß gemacht. Also kämpfen wir. Mein Kollege von der IG Metall ... Fickscheiße, Arschloch ... wird Euch jetzt mal erzählen, das es andere gibt, bei denen es genauso angefangen hat."
Die Leute standen auf, applaudierten, pfiffen anerkennend. Eine halbminütige Standing-Ovation.
Kalle machte Platz für seinen Gewerkschaftskumpanen.

"Als ich damals, in meiner heute Insolventen, nein, pleite gegangenen Firma, der Betriebsrat war, da kamen die gleichen tollen Töne. Geldgeile Manager, und Yachten haben die, das könnt Ihr ... mir ... glauben, da haben wir auch alles so hingenommen, aber dann gings bergab, und die IG-Metall setzt sich für jeden Eurer ... ja, ganz Recht ... EURER Arbeitsplätze ein. Der Kollege hat absolut Recht!"
Ein "Arschloch" kam von der Seite.
"Wir müssen kämpfen!!! Kämpfen, kämpfen, und mit Worten laut schießen. Und wenn wir am Boden liegen, dann kämpfen wir weiter, und wir ... werden ... überleben. Also, steht auf und wehrt euch. Lasst es nicht geschehen."

***

Zwei Monate später waren die Sozialpläne aufgestellt, und die Hälfte der Belegschaft entlassen.

Who cares?

 

Herr Doktor Doktor Professor Fendrich von Heidenreich, ...
der höchste Titel zuerst - dieser Menschenschlag ist da etwas eigen
"Übergeben wir das Wort an Herrn Doktor Siemers. Leiter der Human Resources."

Hallo Cerberus81,

deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Das Thema Arbeitsplätze und Kostensenkung auch mal von einer anderen Seite zu betrachten, ist eine gute Idee.
Allerdings fand ich die Einleitung etwas zu lang. Eine Straffung würde deiner Geschichte sicher gut bekommen.

Ciao

MiK

 

Hi Mik!

Ich hab die Sache mit der Anrede geändert.
Bei der Geschichte war ich mir nicht sicher, ob ich sie hier, oder in Satire posten sollte.
Sie ist beides; obwohl der satirische Aspekt ganz eindeutig im Vordergrund steht.
Danke dir fürs lesen und kommentieren.

P.S. Ob der Text von einem Mod nach Satire verschoben werden kann?

 

Bei der Geschichte war ich mir nicht sicher, ob ich sie hier, oder in Satire posten sollte.
Sie ist beides; obwohl der satirische Aspekt ganz eindeutig im Vordergrund steht.
Ja, ich denke bei Satire ist sie gut aufgehoben.

Ciao

MiK

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Cerberus81,

ich finde den Text für eine Satire noch nicht konsequent satirisch genug. Er hat Ansätze, aber verspielt auch immer wieder diese Möglichkeit. Der Anfang gefällt mir weitgehend, er nutzt seine Möglichkeit für eine atmosphärische Einstimmung. Der Einstiegssatz ist super.

Ab der Übergabe an Dr. Siemers wird es etwas zäh.

Den BR-Vorsitzenden unter einem Tourette-Syndrom leiden zu lassen ist eine pfiffige Idee und hat großes satirisches Potential. Das aber nutzt du meiner Ansicht nicht so, wie du es nutzen könntest. Du ballerst die krankhaft begründeten Ausbrüche irgendwo in den Text und beschränkst dich fast nur auf "Arschloch" und "Wichser". Welch eine Verschwendung! Du könntest die Rede das BR-Vorsitzenden so aufbauen, dass er eine flammende und großartige Rede hält, und genau an den passenden Stellen seine Ausbrüche einen Sinn ergeben. DAS ist meines Erachtens die kreative Herausforderung deiner Geschichte.

Das Ende würde ich auch etwas geschickter lösen.

Mein Fazit: Das Thema bietet viele Möglichkeiten, von denen du noch nicht alle genutzt hast. Was du aktuell daraus gemacht hast zeigt aber deutlich, dass du mit etwas Feinarbeit und Verdichtungswillen ganz sicher viel mehr aus dem Thema herausholen könntest.

Grüße von Rick

 

Hallo Cerberus,


Diese Stelle fand ich treffend, schön auf die Spitze getrieben:

„fuhr mit dem akkubetriebenen Bügeleisen kurz über die schwarze Stoffhose, und betrat mit einem Gewinnerlächeln die Bühne“.

Den „Wichser“ rufenden Betriebsratvorsitzenden halte ich für unglaubwürdig, da gäbe es sicher andere Möglichkeiten seine Unterlegenheit zu satirieren. Der Schluss wirk wie ein plötzliches aufhören, der englische Satz sollte eigentlich unnötig sein, dieses Gefühl des `aufgegeben worden seins´ müsste die Geschichte vermitteln.


"Also, wie angemerkt, ist der Profite

- Profit


durch die geplante Personalanpassung geplante Reduzierung Ausgleich schaffen wird

- ist die Doppelung Absicht?


Ortographie

- Tja, ob Orthographie noch eine Rolle spielt?


Einige ´Buh´ Rufe aus dem Publikum

- ‚Buh’

LG,

tschüß Woltochinon

 

Hallo zusammen.

Ich habe mir den Text nocheinmal in Bezug auf eure Kommentare durchgelesen.
Am Ende könnte ich wirklich noch eine Menge ändern. Hier und da sind mir auch noch ein paar andere Dinge aufgefallen.
Das "Profite" ist übrigens beabsichtigt, da es in englisch ausgesprochen werden soll. Auch die Doppellung ist Absicht, da die Konfusheit des Satzes für die verwirrende Sprache stehen soll, die von Geschäftsführern auf solchen Versammlungen gerne verwendet wird.
Ich werde nocheinmal dran rumfrickeln.

Danke für eure Kommentare!

 

Hi Cerberus,

bis zu der Stelle, an der du den Mitarbeiter mit Tourette-Syndrom einführst, finde ich die Gesicht wirklich enorm gut. Aber diese Auflösung ist mE nach sehr sehr künstlich und im übrigen machst du dich hier natürlich über die Krankheit lustig, auch wenn du sie im Zusammenhang positiv besetzt.

Warum erfolgen die Sprachticks eigentlich nicht, bevor er auf die Bühne gerufen wird?

liebe Grüße,
nils

 

Hi cerberus,

da schon einiges geschrieben wurde, möchte ich es nicht wiederholen. Ich finde auch den Einstieg gelungen, aber eine stark nachlassende Tendenz ab der Rede des Betriebsrats.
Mein Problem damit ist die Plattheit der Parolen, die Betriebsrat und Gewerkschaftsfunktionär von sich geben. Das sollte wohl auch die Hilflosigkeit andeuten, in der sich Gewerkschaften durch die Globalisierung befinden, viel mehr als Parolen gibt es da nicht, es wirkt aber auf mich, als wären dir als Autor keine besseren Argumente eingefallen. Und so sollte es bestimmt nicht sein.

Noch einige orthografische Dinge:

die ihrerseits so tat, als würde sie sich den Blaiser zurechtzupfen
Das ist ein Blazer
und da waren sich wirklich alle einige
Als ich damals, in meiner heute Insolventen, nein, pleite gegangenen Firma,
insolventen (klein, bezieht sich ja auf Firma, auch wenn dein RS Programm, diesen Bezug nicht erkennt)

Lieben Gruß, sim

 

Hi Cerb,

Er trank hastig ein Glas Wasser halb leer, und begann mit seiner Rede, die ohne Umschweife direkt aufs Wesentlichste kam, und einen Excel Sheet beschrieb, der gerade eben noch auf die große Saalwand projeziert werden konnte, ohne, dass die Zahlen unleserlich klein wurden.
Dieser Satz ist konfus durch den Einschub mit und des fetten Teils. Ich stolperte sehr. Vielleicht machst du zwei Sätze draus?
Dann klickte er schnell noch einige weitere Folien durch, und verlor ein paar Worte über dieses und jenes Diagram.
Diagramm

Als er zufällig einen Rechtschreibfehler unterhalb eines Tortendiagrams
dito

entdeckte, machte er sich eine gedankliche Notiz, und warf der Personalchefin einen bösen Blick zu, die ihrerseits so tat, als würde sie sich den Blaiser zurechtzupfen.
Blazer -siehe sim

Sichtlich überrascht, verwischte Siemers schnell das frisch aufgetragene Gel in seinen Haaren, brachte die Seidenkrawatte in Position, fuhr mit dem akkubetriebenen Bügeleisen kurz über die schwarze Stoffhose, und betrat mit einem Gewinnerlächeln die Bühne.
Komma nach überrascht weg

Ich konnte mich für diese Geschichte nicht begeistern. Bei solchen Passagen wie:

"Also, wie angemerkt, ist der Profite im QM 06 unterhalb des O.L.L.R.S. auf die gestiegenen Fixkosten in den eigenen Produktionshallen zurückzuführen, die im Wesentlichen durch die geplante Personalanpassung geplante Reduzierung Ausgleich schaffen wird, zwischen den angestrebten externen Quality-Suspend-Indicates, warum ich im Besonderen auch auf die Unumgänglichkeit der outgesourcten Finance Disposables gerade auf dieses Thema zu sprechen kommen werde, sobald ..."
lese ich sofort quer, weil ich ahne, dass es satirisches Blabla ist, dem ich gedanklich nicht unbedingt folgen muss. Einmal quergelesen, hat man auch nicht mehr so die Bereitschaft, sich ganz darauf einzulassen.

Das ist für dich zwar keine konstruktive Kritik, aber immerhin eine Rückmeldung einer Leserin ;).

Lieber Gruß
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Guten Abend Cerberus,

der erste Satz ist genial, genialst, so mag ich Geschichtenanfänge. Auch die Beschreibung der Seelenpein des obersten Managements in Bezug auf die geleistete Vorarbeit, die in Widerspruch zu der zu vermittelnden Botschaft steht finde ich gelungen.

Der Dreh mit den Tourett-BR hat mich zugegebenermaßen vor Vorfreude laut auflachen lassen (sowas passiert mir sonst eher selten :)), ich habe ein Faible für schwarzen Humor und finde, daß jede Teilgruppe einer Gesellschaft das Recht hat, Zentrum von Situationskomik zu werden.
Und dazu kommt, daß ich schon lange nicht mehr überzeugt bin, daß der Graben zwischen "Gut" und "Böse" zwischen Gewerkschaften (und im Besonderen der IG M) und den Bonzen oder Managern auf der anderen Seite läuft. Also freut es mich, daß dieses s/w-Bild von Dir differenzierter gezeichnet (oder halt eben nicht nachgemalt) wird.

Daß ich dennoch nicht endgültig glücklich bin mit der Geschichte, liegt wohl daran, daß´Du einen Spagat machst, zwischen einer durchaus ernsten Begebenheit (die Reduktion von 50% Planstellen, sprich Menschen mit ehemals einem Arbeitsplatz) inkl einer moralischen Wertung und einer Satire.
Mir persönlich wäre die reine Satire lieber gewesen, doch dafür passt der letzte Satz, der englische nun garnicht. Aus dem lese ich, daß Dir wohl die Gesellschaftskritik wichtig(er) ist als politisches Kabarett, und darum wird in diesen Moralinstrudel die Satirik runtergespült.
Dabei würde der vorletzte Satz m.E. beides bringen, halt politische Satire, Kabarett.

Doch den Daumen trotzdem hoch, ich hab das Lesen genossen :)

Classenkampf Seltsem

 

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