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Betrug. Skepsis.

Beitritt
27.12.2005
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Betrug. Skepsis.

Ich zögere etwas, bevor ich mich überwinden kann, den Klebestreifen am Briefumschlag anzulecken. Ein widerlicher, stechend-süßlicher Geschmack verbreitet sich ausgehend von meiner Zunge in allen Nerven meines Körpers und bringt mich dazu, mich vor Ekel zu schütteln.
Aber dieser Brief ist es wert. Ich muss meiner Mutter einfach erzählen, was mit meiner Frau passiert ist. Denn seit Kurzem sind wir zu dritt in unserer Wohnung.

Ich weiß nicht, wann es angefangen hatte, ich bin nicht einmal sicher, ob sie sie nicht vielleicht von Anfang an dabei hatte und ich nur nichts bemerkt habe. Jedenfalls wüsste ich von keinem Ereignis, dass es ausgelöst haben könnte. Ich weiß nur noch, wann sie es mir schließlich gestanden hat.
Ich weiß, das klingt wie in einem schlechten Film, aber das kam so: Ich war einen Tag früher als geplant von einer Dienstreise nach Hause gekommen, weil ein Kunde seinen Termin abgesagt hatte. Ich betrat die Wohnung und war zunächst verwundert, weil ich ihre Stimme hörte.
»Erzähl mir von dir, was hast du gemacht in der letzten Woche?«, hörte ich sie fragen und »Bist du wieder gesund?«
Mit wem redete sie nur? Wir bekommen fast nie Besuch und auch das Telefon klingelt nur äußerst selten. Ich blieb vor der Wohnzimmertür stehen und wartete auf eine Antwort, auf ihre Fragen und somit auf meine Frage, doch alles, was ich hörte, war ihre Stimme.
»Das ist gut zu hören. Ich hatte mir auch was eingefangen, aber ich war nach einer Woche durch zum Glück.«
Sie musste also telefonieren. Ich wartete weiterhin auf ein Anzeichen darauf, mit wem sie telefonierte, denn ich hatte einen Verdacht. Wenn Männer einen Tag früher als geplant von Dienstreisen wiederkommen, dann entdecken sie normalerweise, dass ihre Frau sie betrügt.
Als ich sie schließlich lauthals lachen hörte, war mein letzter Zweifel endgültig beseitigt. Ich stieß die Wohnzimmertür auf und stürmte hinein. Sie wirbelte herum und blickte mich erschrocken an.
»Das hätte ich wirklich nicht von dir gedacht, Anke«, sagte ich.
»Was meinst du?« Sie wirkte konfus, sie war vollkommen durch den Wind, aber sie besaß tatsächlich die Dreistigkeit, so zu tun, als wüsste sie nicht, wovon ich rede.
»Woran liegt es? Was habe ich denn getan? Ich habe doch immer alles für dich gemacht!« Ich war den Tränen nahe, besonders weil sie mich immer noch fragend anguckte.
»Wovon zum Teufel redest du denn?« Sie spielte das wirklich gut.
»Von deiner Affäre, wovon denn sonst?«
»Eine Affäre? Was für eine Affäre denn?«
Da entdeckte ich, dass sie gar kein Telefon am Ohr hatte. Er musste sich also irgendwo verstecken. Ich durchsuchte das ganze Wohnzimmer und stellte schließlich, obwohl er eigentlich nicht entkommen sein konnte, die ganze Wohnung auf den Kopf. Doch so sehr ich mich auch bemühte, er war nicht zu finden.
»Wo steckt er? Sag schon!«, schrie ich sie schließlich an. Da brach sie in Tränen aus.
»Ich habe keine Affäre und ich weiß auch nicht, wie du darauf kommst.«
»Mit wem hast du dann geredet?«
Zunächst antwortete sie nicht, sie musste sich erst überwinden, aber schließlich gestand sie mir: »Ich... ich habe einen imaginären Freund.«
Ich musste anfangs sehr lachen, als sie mir das erzählt hat, denn ich hielt es für einen Spaß. Aber schließlich musste ich feststellen, dass sie es ernst meinte.
Meine Frau war verrückt geworden.

All das will ich meiner Mutter in diesem Brief erzählen. Ich will mich gerade auf den Weg zum Postkasten machen, da begegne ich im Wohnzimmer meiner Frau.
»Was hast du da?«, fragt sie.
»Was meinst du denn?« Ich will nicht, dass sie weiß, was ich meiner Mutter über sie erzähle. Sie würde den Brief lesen wollen.
»Den Brief, was denn sonst?«
»Welchen Brief denn?«
»Tu nicht so«, sagt sie und reißt mir den Brief aus der Hand. Sie steckt ihren Finger unter die Lasche des Umschlags und macht mit einem Ruck den Klebestreifen wieder zunichte.
Ich beobachte, wie sie knisternd den Brief auseinander faltet und wie ihre Augen förmlich über das Papier fliegen. Mit jeder weiteren Zeile wächst ihre Enttäuschung und ich mache mich auf ein Donnerwetter bereit.
»Geht das schon wieder los, Georg?« Sie sagt es ganz ruhig, aber ich weiß genau, dass sie es nicht ist. Verrückte werden oft sehr böse, wenn man sie mit ihrer Störung konfrontiert.
»Was meinst du?«
»Erstens schreibst du schon wieder deiner Mutter und zweitens erzählst du schon wieder, dass ich einen imaginären Freund habe.«
»Und was ist daran falsch?« Wieso versteht sie denn nicht, dass ich das meiner Mutter erzählen muss? Ich mache das ja nicht, um ihr weh zu tun. Ich wollte ja auch gar nicht, dass sie es liest. Aber wir müssen der Realität nun einmal ins Auge blicken.
»Was daran falsch ist?«, fragt sie. »Deine Mutter ist seit dreizehn Jahren tot. Du musst das endlich mal einsehen.«
»Aber Schatz«, beginne ich zu erwidern, doch sie unterbricht mich.
»Ich bin nicht dein Schatz.« Jetzt kommt also das wieder. Wieso muss sie immer, auch bei dem kleinsten Streit, unsere Ehe in Frage stellen? »Wir sind noch nicht einmal verheiratet. Ich bin deine Pflegerin, begreif das endlich!«
»Wieso sagst du das immer? Du tust mir doch weh damit. Du bist nicht ganz normal, das ist aber kein Problem für mich, wir bringen das wieder in Ordnung. Dieser imaginäre Freund, den werden wir schon los, auch wenn du im Moment glaubst, dass du das nicht willst.«
»Oh mein Gott«, schreit sie verzweifelt, »du machst mich noch verrückt!«

Danach hat sie das Haus verlassen und seit dem habe ich sie nicht mehr gesehen. Ich kann auch das Haus nicht verlassen, kann nichts essen und nichts trinken. Ich mache mir ein bisschen Sorgen um sie, aber ich habe derzeit nicht die Kraft, weiter zu machen.
Es ist ein täglicher Kampf. Ich gehe immer und immer wieder einen Schritt auf sie zu, aber sie bewegt sich so weit weg von mir, wie sie nur kann. Das macht sie immer, wenn wir uns streiten. Und dann tut sie etwas, was mich besonders wütend macht, aber was auf der anderen Seite auch wieder typisch für Verrückte ist: Sie erklärt dann andere für verrückt. Sie projiziert ihre eigene Störung auf mich. Das macht mich vollkommen fertig.

Ich bin sehr froh, dass ich dir das alles erzählen kann, mein Freund, ich wünsche mir nur von ganzem Herzen, dass du mir antwortest.

 

Hi!

Grundsätzlich finde ich die Idee ganz gut. Als Anke (Lass die Namen doch weg - sie verursachen nur überflüssige Assoziationen beim Leser und sind völlig überflüssig; da sind zwei Menschen verschiedenen Geschlechts. Fertig.) ihm gesteht, dass sie einen imaginären Freund hat, war ich sehr überrascht und wirklich gespannt, wie es weiter geht. Leider wird die zweite Wendung (seine Mutter ist tot) zu vorhersehbar und die letzte; dass er der Verrückte ist, erscheint zuviel des Guten, obwohl die Idee, wie gesagt, nicht schlecht ist, wenn auch nicht das Neueste der Welt.

Was mir sauer aufgestossen ist, war die unprofessionelle Reaktion der Pflegerin. Warum sollte sie ihrem Patienten an den Kopf knallen, dass er endlich mal klar kommen soll? Unlogisch.

Ich weiß, das klingt wie in einem schlechten Film, aber das kam so:
Es klingt tatsächlich wie in einem schlechten Film. Streich Klischees wie diese - sie werden nicht besser, weil du sie erkennst und dem Leser als solche vorsetzt. Denk dir etwas anderes als die Dienstreise aus, etwas dass nicht ganz so ausgelutscht ist. Dann wird der Satz überflüssig.

Beim Lesen bin ich auch über folgende Stelle gestolpert:

Wenn Männer einen Tag früher als geplant von Dienstreisen wiederkommen, dann entdecken sie normalerweise, dass ihre Frau sie betrügt.
Ach was. Wirklich? In der schon recht langen Einleitung (was nützt die ganze Sache mit dem Geschmack des Briefumschlages?) wird selbst der naivste Leser darauf kommen, dass dein Protagonist einen Betrug in Verdacht hat. Der zitierte Satz ist vollkommen überflüssig. Ein ungalanter Schlag für den Leser; als wolltest du es ihm mit der Nagelpistole auf die Stirn tackern.

Den Abschluss finde ich ganz gut gelungen, hoffe aber, dass du uns noch etwas Plastischeres geben könntest; eine knappe Skizze eines einsamen Mannes, der verloren in einem Zimmer sitzt. Als frostiges Ende einer frostigen Story. Vielleicht stehe ich damit aber auch allein - manche Leser werden das Ende, wie es ist, sicherlich lieber mögen.

Liebe Grüße
L

 

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