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Bildbetrachtung „Liebesspiel im Wartezimmer“
Bei meinem ersten Arztbesuch in diesem Jahr sitze ich nicht wie üblich mit Zeitschriften gelangweilt in der angespannten Atmosphäre des Wartezimmers sondern, mit gedrehtem Kopf und staunend vor diesem Abstrakten Gemälde.
Das mächtige Rot beherrscht den Großteil der Bildfläche. Dynamisch, schnell und heftig umwirbt es das Gelb, windet sich um es, umarmt es eng. Das Gelb folgt dem Treiben des Rots. Etwas zurückhaltend und abwartet lässt es sich vom Rot umschließen. Das Gelb hat seine Unbefangenheit abgelegt und vertraut dem Rot, welches sich dieser Macht und Verantwortung wohl bewusst ist und um das Gelb herum sich schützende Geborgenheit aufbaut. Das Gelb fühlt sich wohl, und sicher.
Lange schaue ich auf das Rot, an verschiedenen Stellen versuche in einen Zugang zu bekommen zu diesem aktiven Rot. Immer wieder überrascht es mich, wenn ich meine seinen Charakter und seine Ziele zu erkennen. Es entgleitet mir immer wieder beim Versuch es als ganzes zu erfassen. An den wenigen Stellen an denen sich das Rot mit dem Gelb vermischt, an den Farbübergängen entsteht die Liebe. Eine leuchtende Ausstrahlung, ein dem orange nahe tretender Farbton, ein Einheit aus zwei Farben. Diese Stellen bringen mir eine Deutlichkeit entgegen die ich immer vermisst habe in meinen Beziehungen und nun endlich gefunden habe. Diese Eindeutigkeit die so selbstverständlich, ungespielt und ehrlich aus dem Treiben der beide Farben hervorgeht.
Am oberen Bildrand schleicht sich sehr bescheiden und ängstlich ein helles Azurblau in das Bild, begleitet von zwei blassen, aber selbstbewussten violetten Farbwolken. Ihre Aufgabe im Bild bleibt mir ein Rätsel, die wirken so unscheinbar. Ich als Betrachter empfinde Mitleid für die beiden Farben, die scheinbar etwas vorhaben, sich aber ihrem Ziele nur schleppend nähern.
Sie tasten sich langsam an das Treiben der beiden Liebesfarben heran. Vielleicht wollen sie das Rot und Gelb beim Liebesspiel necken?
Mein Blick fällt wieder auf das Rot und das umschlungene Gelb. Ich kann mich hineinversetzen in die Rolle des Rots, den Hauptakteurakteur im Bild, der das Gelb würdevoll in Szene setzt.
Ich spüre das Gelb, wie es sich in seiner Weichheit mit mir verbindet, ohne dass wir uns ganz vermischen. Diese rote Kraft zu spüren bedeutet alles Statische zu vergessen und in eine rauschende Bewegung zu verfallen. Mein Körper beginnt zu zittern und meine feuchten Hände reiben sich gegenseitig. Es ist nicht die Farbe an sich die auf mich überspringt, eher diese gewaltige Wucht, diese gigantische Kraft die so zärtlich auf das Gelb einwirkt und Rücksicht auf dessen Zerbrechlichkeit nimmt.
Ich sehe das Bild eben aus den Augen eines Verliebten, so unüchtern.
„Herr Rosner bitte!“ ließt die Sprechstundenhilfe von ihrer Karte und hält mir die Tür auf. Ich lasse eine weiße Zimmerwand zurück und eine handvoll Wartende Patienten denen ich auch wünsche dass sie sich ein solches Bild an die Wand malen.