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Bildungswahnsinn

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01.10.2010
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Bildungswahnsinn

"Die Bildung ist unsere einzige Ressource, hat der Bundesminister gesagt. Nimm dir daran ein Beispiel!" Pauline warf mir einen Brockhaus-Band so kräftig in die Magengrube, dass ich zu schwanken begann und hinzufallen drohte. Doch Chalkias stützte mich gerade noch rechtzeitig ab. "Du wirfst noch mit Büchern, Pauli? Wie primitiv du doch bist. Sowas löst man heute eleganter, nämlich digital." Chalkias zog eine CD-Rom aus seiner Hemdtasche, die er mir in die Hand drückte. "Digitale Bibliothek. Ich hoffe, du interessierst dich für Geschichte? Da ist sie drauf, nicht in Teilaspekten, überuntergliedert, sondern komplett, in toto." Sekunden später schleuderte Bülent Kaiser eine dieser CD-Roms wie einen Wurfstern nach Chalkias. Dieser befühlte seine aufgeschlitzte Wange und sah ungläubig nach dem Kaiser, der seine Wurfhaltung aufrechterhielt, als wäre ein Bildhauer in der Nähe. "Ich hab es dir schon oft genug gesagt: Wir Historiker können mit Jacob Burckhardt nicht mehr arbeiten. Er ist überholt, du Hundesohn." Neben dem Kaiser stand ein dickbebrillter Junge mit Topfschnitt, offenbar sein Sohn oder Vater, na jedenfalls jemand, der seine Meinung teilte und sie dümmlich abnickte. Es kam zu einer türkisch-griechischen Quellenkritik-Battle, bei der das ein oder andere derbe Wort und bald auch die ein oder andere Faust flog. Das war mir zu dumm. Was mich allerdings nachdenklich machte, war die Frage, wieso diese Studenten so bildungseuphorisch, ja geradezu bildungswahnsinnig daherredeten. Im Rechenzentrum das gleiche Bild: wie verkabelte Labormäuse hockten Asiaten vor den Bildschirmen, niemals aufsehend, nicht einmal zwinkernd. Hunderte Drucker liefen heiß und spuckten ganze Bücher, wenn nicht Gesamtausgaben aus. Meine Augen tränten; die Drucker verströmten eine Backofen-Hitze und schienen dem Raum zudem Luft abzusaugen. Mit knapper Not konnte ich meine Hand dem Sog eines Druckers entziehen, der einen dampfenden Bauplan ausspie. Mit Mundschutz und Atemmasken, wie ich jetzt erst sehen konnte, saßen die Asiaten vor ihren Rechnern. Allein das niemals aussetzende Geräusch klimpernder Tasten hätte mich zielsicher in den Wahnsinn getrieben, wäre ich nicht im letzten Moment geflohen. Vor der Universitätsbuchhandlung streiften vermummte Ritalin-Dealer und andere Dunkelmänner herum, die sich meist in Rudeln auf ihre Opfer/Kunden stürzten. Ein Informatiker, der es offenbar für nötig hielt, ein Gespräch mit mir zu initiieren, erklärte mir, dass sich vor allem Erstsemester das Zeug andrehen ließen, während erfahrenere Studenten durch die Rudel wie durch Luft hindurchgingen. Schön hast du das gesagt, dachte ich. Gespräche sind wie Feuer: man muss sie austreten, bevor man allzu viele Nerven auf sie verschwendet. So ließ ich die Hackfresse mit ihrer Menschenkenntnis allein.

 
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Guten Tag, Salamander,

ich weiß nicht recht, was ich mit diesem Text soll. Er ist gut geschrieben, es sind gute Passagen drin, und dann ist er aus.
Das ist höchstens ein Rahmen, in den man eine Handlung hängen könnte, oder der Einstieg zu einer Geschichte. Es wird ja nichts erzählt, nur ein paar Szenen werden beschrieben und dezent Meinung abgesondert, der man zustimmen könnte oder nicht, aber davon hat ja keiner was. Der Text steht da, als sei er nicht für Leser geschrieben, sondern eher für ein Tagebuch.
Schade drum, Du könntest sicher auch eine gute Geschichte schreiben. Mach doch mal! :D

Hier sind ein paar Sachen, die mir aufgefallen sind:

Es kam zu einer türkisch-griechischen Quellenkritik-Battle, bei der das eine oder andere derbe Wort und bald auch die eine oder andere Faust flog.
Ich hab nie gelesen, daß Battle (als Anglizismus) feminin wäre. Auch, wenn es Schlacht heißt, hör ich immer nur das Battle.
Backofen-Hitze
Ritalin-Dealer
Warum müssen da Bindestriche stehen? Das sieht ohne viel besser aus. :)
Im Rechenzentrum das gleiche Bild: Wie verkabelte Labormäuse
ausspieh
ohne h: ausspie
Opfer/Kunden
Wie würdest Du das vorlesen? "Opfer-Schrägstrich-Kunden"? "Opfer-beziehungsweise-Kunden"? "Opfer-oder-Kunden"?
So würd ich es auch hinschreiben und auf den Schrägstrich verzichten. Oder Du entscheidest Dich für eins.
ein Gespräch mit mir zu initiieren, erklärte mir
Eins kann weg
Gespräche sind wie Feuer: Man muss sie austreten

Ich würd auch zu entschieden mehr Absätzen raten: Umbrüche bei Wörtlicher Rede und überhaupt Absätze. Das macht den Text leserfreundlicher.

Gruß,
Makita.

 

Hallo Salamander

Ein durchaus aktuelles und wichtiges Thema, das Du da angeschnitten hast.

Verzeih, auch wenn Übertreibung zu politischer Verlautbarung gehört, nehme ich Dir dies jedoch nicht ab:

"Die Bildung ist unsere einzige Ressource, hat der Bundesminister gesagt. …"
Deutschland hat durchaus auch andere Ressourcen. Plausibler schiene mir die Formulierung … eine unserer wichtigsten Ressourcen …

Die kurze Geschichte selbst wirkt auf mich wie ein Schnellschuss, eine Idee, die Du unbedingt sofort los werden wolltest. Der Beginn war mir als Leser stimmig. Der folgende Teilsatz eine gelungene bildliche Stimmung:

... der seine Wurfhaltung aufrechterhielt, als wäre ein Bildhauer in der Nähe.
Doch dann kommt Füllmaterial, dessen Logik nicht gegeben ist, auch nicht als Joke:

… Junge mit Topfschnitt, offenbar sein Sohn oder Vater, na jedenfalls jemand, der seine Meinung teilte und sie dümmlich abnickte.
Das abdriften ins Rechenzentrum, quasi in ein Superhirn, weist sich nur noch als verlegenes herumirren um die Fassade eines Wissensspeicher. Damit ist die ganze Glaubwürdigkeit geopfert.

Schade, bei dem Einstieg hätte sich eine kleine aber treffende Ironie an der Bildungspolitik zeichnen lassen. Aber vielleicht – falls meine Bedenken Dich ansprechen - spornt es Dich an, einen fulminanten Sinn hineinzuprojizieren.

Gruss

Anakreon

 

@Makita

Ja, es ist wohl an der Zeit für mich, mal aus dem Fragmentarischen herauszukommen, was allerdings nicht so einfach ist, wenn man heute schon nicht mehr verträgt, was man gestern geschrieben hat. So bleibt es bei Putschversuchen: alles oder nichts.

Das "ausspieh" war mein Fehler, das "mit mir" wurde gestrichen, über die "Backofen-Hitze" ließe sich streiten, die Dinge, die dir sonst noch aufgefallen sind, würde ich, so wie sie da stehen, durchaus verteidigen.

Ich kenne nur die "Battle of Britain". "Das" ist mir in diesem Zus. unbekannt.

Ritalin-Dealer - das geht, zumindest für mein Empfinden, nicht in eins zusammen.

Opfer/Kunden - alternativlos. Und/oder logisch falsch; resp./bzw. zu kurz bzw. unliterarisch, respektive bzw. beziehungsweise zu lang bzw. ungeschmeidig.

Umbrüchen stehe ich eigentlich eher feindlich gegenüber, fressen zu viel Papier. Passt eher zur Dramatik. Über Absätze kann man reden, bei diesem kurzen Text aber verzichtbar.

@Anakreon

Einige deiner Sätzen klingen so, als hätte Adorno gerade Hegel gelesen. "Das abdriften ins Rechenzentrum, quasi in ein Superhirn, weist sich nur noch als verlegenes herumirren um die Fassade eines Wissensspeicher. Damit ist die ganze Glaubwürdigkeit geopfert." Versteh ich nicht.

Das Zitat ist ein Übertreibung, richtig. Aber auch das Originale eines gewissen Guido W.

 

So bleibt es bei Putschversuchen
Bedauerlich. Dann wird also in Deinem Land ein Minister nach dem andern nachts aus dem Bett gezerrt, auf dem Balkon im Pyjama dem Volk präsentiert und erschossen?
fressen zu viel Papier
Wär das hier Papier, klänge die Ausrede weniger bescheuert, trotzdem: Guter Versuch. :D

Viel Spaß noch hier!

 

Guter Text, keine Geschichte. Wer ist Pauline, wer Chalkias, wer der Kaiser? Beide bleiben so blass wie der Ich-Erzähler, werden eigentlich nur eingeführt um dem Text halbherzig ein Alibi unterzuschieben, instrumentalisiert wie als wolltest du sagen "So, das war die Geschichte und jetzt kommen wir zum Eigentlichen, meiner gepfefferten Meinung zu der ganzen Sch**ße". Oder was soll die Stippvisite im Rechenzentrum? Wie, das soll so sein? Es wirkt so nicht ausgegoren, unfertig und alles in allem schade. Hätte eine richtig gewiefte Psychotripsatire werden können oder sowas.

Viele Grüße,
-- floritiv.

 
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Für eine Geschichte bräuchte man anderes Personal. So ist es ein burleskes Schauspiel, eine Clownerie, eine bunte Skizze, was mir natürlich bewusst ist. Man kann dem Text nicht vorwerfen, dass er nicht ist, was er nicht sein soll. Das Leben besteht nur aus guten Szenen, wenn überhaupt. Geschichten offenbaren einen Willen zum Sinn. Den hab ich nicht. Ich kann nur schreiben, was ich mir abnehmen kann, und das sind eben vor allem Fragmente, Ausschnitte, Eindrücke.

 

Hallo Salamander,

Es kam zu einer türkisch-griechischen Quellenkritik-Battle, bei der das ein oder andere derbe Wort und bald auch die ein oder andere Faust flog.

das müsste heißen: es kam zu einem ....bei dem auch....


lieben Gruß Jan

 

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