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Bills, Bills, Bills
Es regnete. Schon wieder. Dennis stand vor der Pizzeria und rauchte eine Zigarette. Er sah zu, wie der Regen in kleinen Bächen die Straße herunterrann und verschiedenes Zeug mitschwemmte. Zigarettenkippen, Flaschenkorken - Verdammt! Da schwamm doch tatsächlich ein Gummi vorbei! Dennis schüttelte den Kopf und nahm einen weiteren tiefen Zug. Er versuchte ein paar Rauchringe zu produzieren, der leichte Wind zerstörte seine Bemühungen jedoch rasch.
Das Geschäft ging in letzter Zeit echt nicht gut. Die Pizzeria war fast immer leer. Es war schon verrückt: war das Wetter gut, verbrachten die Leute ihre Freizeit im Bad oder sonstwo im Grünen. War es schlecht, blieben sie zuhause und fraßen Tiefkühlpizza oder sonst einen Mist. Wenn das so weiterging, würde er den Laden wohl bald dichtmachen müssen.
Dennis schnippte seine Zigarette auf die Straße und steckte die Hände in seine Hosentaschen. Die Tür der Pizzeria ging auf und Tim, einer der beiden Köche, steckte seinen Kopf heraus. "Dennis?" Dennis blickte weiter die Straße runter, als er antwortete:
"Jep?"
"Telefon für dich."
"Wer ist es?"
"Luigi, der Lebensmittellieferant." Dennis drehte sich zu Tim um.
"Fuck! Was will er?"
"Naja, weiß nicht so genau. Ich versteh' nur die Hälfte von dem, was der Typ redet. Aber ich glaube es geht um ein paar offene Rechnungen."
Dennis überlegte kurz, ob er rangehen sollte. "Sag ihm, ich rufe zurück."
"Ich glaube, er will dich wirklich unbedingt sprechen."
Kurze Pause.
"Tim?"
"Ja?"
"Sag ihm, ich rufe ihn zurück. Und wenn er sagt, daß ihm das nicht paßt, dann sag ihm, er soll sich eine italienische Salami bis zum Anschlag in seinen haarigen Hintern rammen. Okay?"
Tim grinste. "Okay, Alter. Ich sag ihm, du rufst zurück."
"Danke."
Tim verschwand wieder in der Pizzeria.
Luigi. Dennis bezahlte seine Rechnungen schon seit Wochen nicht mehr. Womit auch? Er konnte Luigi zwar gut leiden, aber momentan sah es einfach nicht gut aus. Tim und Tom, seine zwei Pizzaköche arbeiteten auch schon seit einigen Wochen, ohne daß Dennis sie bezahlen konnte. Aber die beiden wollten ihn nicht im Stich lassen. Die drei waren seit knapp zehn Jahren befreundet. Auf Tim und Tom hatte sich Dennis immer verlassen können. Dennis mußte was unternehmen. Sonst war er am Ende. Irgendwie mußte er Geld auftreiben. Er brauchte nur soviel, um die offenen Rechnungen und seine Schulden bei Tim und Tom bezahlen zu können.
Er machte sich die nächste Zigarette an und blies Rauch in den Wind. Der Regen hatte sich vorgenommen, noch ein paar Stunden zu bleiben. Toll. Dennis überlegte weiter.
Tim saß auf der Theke und rauchte ebenfalls eine Zigarette. Tom döste auf einem Sessel vor sich hin. Die beiden hatten letzte Nacht einen draufgemacht. Tim konnte solche Exzesse relativ gut wegstecken, Tom hingegen war am nächsten Tag immer komplett erledigt und benötigte mehrere Tage Rekonvaleszenzzeit. Seltsam, wie verschieden Zwillinge manchmal sein konnten.
"Ich mach mir Sorgen um Dennis." sagte Tim.
"Mhmm..." machte Tom. Seine Augen waren geschlossen. Er war jedoch wach. Einigermaßen...
"Sieht so aus, als würde er den Laden bald dichtmachen müssen."
"Mhmm..."
"Ein verdammter Jammer. Wir sollten ihm helfen!"
Tom hob kurz seinen Hintern und liess einen fahren. Es machte Pffffff... "Naja, wir könnten ihm schon helfen." Der Geruch, den Tom verbreitete war vernichtend.
Tim wich zurück, "Oh, Mann! Vermoderst du innerlich? Das ist ja widerlich!" Er verzog sich würgend ans andere Ende des Raumes und rauchte seine Zigarette weiter.
"Wie lange steht er schon da draußen?" wollte Tom wissen.
"Seit knapp zwei Stunden. Und wie es aussieht, hat er nicht vor, reinzukommen." Tim beobachtete den Regen durch ein Fenster. "Mann, was für ein beschissenes Wetter!"
"Was denkst du?" fragte Tom.
"Was denk ich worüber?" fragte Tim zurück.
Tom richtete ich auf und rieb sich das Gesicht mit beiden Händen, ehe er aufstand. Er ging zum Fenster, an dem Tim stand, "Was denkst du, sollen wir ihm helfen?"
Tim überlegte, "Weißnich'. Ich würde ihm gerne helfen. Meinst du, es wäre schon an der Zeit?"
"He, Mann! Dennis hat's echt nicht leicht momentan. Wir haben jetzt seit Wochen die Hände in den Schoß gelegt und beobachtet. Ich denke es ist an der Zeit, daß wir einschreiten."
Tim überlegte, "Was denkst du, auf wieviel sich seine Schulden insgesamt belaufen?"
"Ich denke so an die 15, 16 Kracher werden's wohl schon sein."
"Naja, ist ja nicht wirklich viel Geld, oder?"
"Nicht wirklich."
"Du meinst, wir sollten ihm die Kohle geben?"
"Ich denke, daß wir ihm damit helfen würden. Ja, wir sollten ihm die Kohle geben."
"Was wird Albert sagen?"
"Scheiss auf Albert, Mann! Mom und Dad haben ihn angestellt um die Knete zu verwalten. Wir können jederzeit darüber verfügen. Wenn mir der alte Knacker blöd kommt, verpass' ich ihm eine!"
"Hast wohl recht."
Beide hielten kurz inne und beobachteten Dennis durch das Fenster.
"Wie stellen wir es an?" fragte Tim schließlich.
"Keine Ahnung, Alter."
Dennis würde das Geld niemals akzeptieren, wenn die beiden es ihm einfach so geben wollten, daß wußten sie. Er würde sich fragen, wie die beiden an so viel Geld rangekommen waren. Sie hatten Dennis nie in ihre finanzielle Situation eingeweiht. Hatte sich irgendwie nie ergeben. Es mußte irgendeine Möglichkeit geben, daß er darüber stolperte. Und er durfte auf keinen Fall auf die Idee kommen, den Besitzer des Geldes ausfindig zu machen um ihm das Geld zurückzugeben. Er hatte zwar Schulden, aber man konnte nie wissen. Das Gewissen eines Mannes schaltet sich zu den unglaublichsten Zeitpunkten aus und ein.
"Wir könnten es per Post schicken." sagte Tim.
"Spinnst du? Niemals! Das kommt doch nie an. Wenn die von der Post spitzkriegen, daß da Geld drinnen ist...."
"Du hast recht. Wir hängen ihm eine Tüte mit dem Geld in der Früh an die Tür der Pizzeria. Wenn er aufsperrt, wird er es entdecken."
Tom schüttelte den Kopf, "Zu riskant, zu riskant."
"Na dann mach du halt 'nen Vorschlag!"
Tom dachte angestrengt nach.
"Ich hab's! Wir verstecken die Knete in einer Pizzaschachtel. Bei Feierabend geben wir ihm die Schachtel und sagen, er soll sich die Pizza zuhause reinpfeiffen. Er nimmt sich oft eine Pizza mit nach Hause, richtig?"
"Richtig."
"Und zuhause macht er den Karton auf und findet das Geld! Tataa!" Tom legte einen Stepptanz hin. Als sein Kopf wieder zu dröhnen anfing, ließ er es bleiben.
"Du bist ein Idiot." sagte Tim.
"Wieso?"
"Wenn Dennis den Karton aufmacht, dann wird er doch wissen, daß das Geld von uns ist. Wir haben ihm die Pizza ja angeblich gemacht!"
Tom machte ein verdutztes Gesicht. "Verdammt, du hast recht! Mist, die Idee mit der Pizzaschachtel war nett!"
"Dann halt etwas anderes. Es muß auch anders gehen."
Tim und Tom rauchten sich beide eine Zigarette an und überlegten.
Dennis stand noch immer draußen und beobachtete den Regen. Autos fuhren von Zeit zu Zeit vorbei und spritzen Wasser auf den Gehsteig vor ihm. Der Postbote schlurfte die Straße entlang und blieb vor ihm stehen. Er hatte einen gelben Regenmantel an und sah aus, wie ein nasser Waldschrat mit einem gelben Regenmantel. "Hi, Dennis!"
"Hi, Bob!"
"Was'n Scheißwetter!" schimpfte Bob und stampfte mit den Füßen auf.
"Allerdings."
"Was stehst'n hier draußen im Regen rum?"
"Wollte nur ein wenig frische Luft schnappen."
"Alles klar. Hier ist deine Post" Bob kramte in seiner Tasche und überreichte Dennis einen Stapel Kuverts.
"Danke Bob."
"Alles klar Dennis! Paß auf dich auf!" Er stapfte weiter durch den Regen. Dennis hörte ihn erneut über das Wetter fluchen.
Er sah sich die Kuverts durch. Mahnungen, Rechnungen, Zahlungserinnerungen. Und ein Brief von seiner Tante May. Seine Tante! Verdammt! Er hatte ihr schon vor einem Monat einen Brief geschrieben, als er gemerkt hatte, daß er finanzielle Schwierigkeiten bekommen würde. Er war immer ihr Lieblingsneffe gewesen. Sie war eigentlich nicht mal seine richtige Tante. Irgendwie über mehrere Ecken waren sie verwandt. Wie genau, hatte Dennis nie herausgefunden. Sie wohnte irgendwo in Australien und hatte eine riesige Farm mit zigtausend Rindviechern oder so. Irgendwie hatte sie eine Menge Kohle erwirtschaftet, die Alte war stinkreich. Und nun hatte sie ihm zurückgeschrieben. Dennis steckte sich die Rechnungen in die Hosentasche und öffnete das Kuvert.
"Lieber Dennis!" stand da.
"Ich habe deinen Brief erhalten und mußte mit großer Sorge lesen, wie schlecht es dir geht. Bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla ." Dennis überflog den Brief bis zum wichtigen Teil. "...und deswegen habe ich mich entschlossen, dir unter die Arme zu greifen. Ich habe für dich ein Konto eingerichtet, auf dem dir ein Kontorahmen von der doppelten Höhe deiner derzeitigen Schulden zur Verfügung steht. Sozusagen ein Polster. Ich hoffe, dir ist damit geholfen. Ich möchte, daß du weißt, daß du dich immer auf deine Tante May verlassen kannst bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla bla."
"Scheiße!" dachte Dennis, "ich habe Geld!" Ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht, das für den restlichen Tag nicht verschwinden sollte. Endlich konnte er seine Schulden bei Luigi und den anderen Lieferanten begleichen. Endlich konnte er Tim und Tom bezahlen. Er hatte keine Ahnung, wie die Armen über die Runden kamen. DIe mußten mittlerweile am Hungertuch nagen. Auf gute Freunde konnte man sich eben verlassen!
Er öffnete die Tür der Pizzeria und trat ein.
"Per Überweisung oder als Scheck." sagte Tim.
"In einer Torte oder durch den Briefschlitz." sagte Tom.
Dennis trat zu den beiden, "Worüber redet ihr?"
"Nichts" sagte Tim.
"Nichts" sagte Tom.
Dennis wedelte mit dem Brief, "Seht ihr das?"
Tim und Tom blickten auf den Brief.
"Ja."
"Ja."
Dennis faltete ihn auf und hielt ihn den beiden vor die Nase.
"Wißt ihr was da drinnen steht? Ich bekomme eine Darlehen von meiner Tante May! Und sie will es nicht mal zurückgezahlt haben! Ist das nicht toll?" Dennis machte einen Freudensprung.
"Das ist ja riesig!" freute sich Tim.
"Wow! Wie nett von ihr!" freute sich Tom.
Dennis legte den beiden je einen Arm auf die Schultern.
"Jungs, ich weiß ehrlich zu schätzen, was ihr in den letzten Wochen für mich getan habt. Ehrlich."
"Schon okay" sagten beide wie aus einem Mund.
"Nein, nein! Ich weiß, daß ich mich auf euch verlassen kann! Jetzt mehr denn je! Ihr habt mich in meiner schwierigsten Zeit nicht im Stich gelassen! Das will ich honorieren. Ich gebe euch beiden, abgsehen von euren ausstehenden Zahlungen selbstverständlich, je 500 Mäuse extra!"
Tim und Tom sahen sich gegenseitig an.
"Wow!" sagte Tim und grinste.
"Hui!" machte Tom und klatschte in die Hände.
"Ihr braucht mir nicht zu danken!" sagte Dennis. "Das habt ihr euch redlich verdient. Wie habt ihr eigentlich all eure Rechnungen bezahlt, die letzten Wochen?"
"War nicht so schlimm." sagte Tim.
"Nee, überhaupt nicht." sagte Tom.
Dennis rauchte sich eine weitere Zigarette an, seine zweiundzwanzigste heute und setzte sich ans Fenster. Tim hatte ihm ein Bier abgezapft und brachte es ihm zum Tisch. "Auf dich, Alter!" Er klopfte Dennis auf die Schulter.
"Du bist der Boss!" sagte Tim und lachte.
"El Jefe!" sagte Tom und hielt Dennis den nach oben gerichteten Daumen hin. Die zwei lachten und verzogen sich in die Küche.
Dennis fühlte sich seit Wochen wieder gut. Das war doch kaum zu glauben, wie sich die Dinge machmal änderten! Vor einigen Minuten hatte es noch in Strömen gegossen und von einer Sekunde auf die andere hatte es aufgehört! Die ersten Sonnenstrahlen kamen durch. Und er war sein Schulden los.
Was für ein Tag!
Was für ein Leben!
[ 08.06.2002, 17:29: Beitrag editiert von: grOOvekill@ ]