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Birnenkompott

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06.07.2006
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Birnenkompott

Einkaufen ist für mich ein Akt der Entspannung. Ich hänge mich hinter einen Einkaufswagen, grase gemächlich die Regale ab, lasse die angebotenen Waren auf mich wirken und knipse das Gehirn aus. Paul Anka säuselt sein Put your head on my shoulder aus dem Lautsprecher, mein Wagen rauscht durch die Gänge, und ich erhole mich von dem stressigen Tag im Büro. Draußen ist es längst dunkel.
Beim Obst greift ein in die Jahre gekommener Pantoffelheld nach einer Birne, und seine dicke, schweinsköpfige Frau sagt, die Birnen können wir nicht nehmen, die sind weich, und morgen sind sie verfault, und dann taugen sie höchstens noch für Kompott. Aus Trotz nehme ich mir eine aus dem Karton und schiebe weiter, bis ich mich bei den bunten Schachteln mit den Cornflakes und Müslis wieder finde. Eine Frau in meinem Alter studiert die Packungen. Vermutlich sucht sie nach dem passenden Müsli für ihren Sohn, der vom Sitz des Einkaufswagens aus an ihrem Ärmel zupft und vergeblich nach dem silbernen Armreif greift. Sie streichelt zärtlich über seine Wange, flüstert ihm beruhigend ins Ohr, und ein paar ihrer schwarzen, glatten Haarsträhnen verdecken mir die Sicht. Irgendwoher kenne ich diese Frau! Der kleine Junge grinst jetzt. Breiter, offen stehender Mund, rundes Mondgesicht, ausdrucksschwacher Blick. Down-Syndrom. Ein Mongoloid, denke ich. Nein, das darf man heute nicht mehr sagen, ermahne ich mich. Zu einem Schwarzen darf man ja auch nicht mehr Neger sagen, und eine Nervenheilklinik nennt man nicht mehr Irrenhaus.
Ich nehme mir Müslipackungen aus dem Regal, lese zum Schein die Aufschriften und sehe immer wieder verstohlen zu der jungen Mutter neben mir, bis sie den Kopf hebt, kurz auf das Regal blickt und mich direkt ansieht. Das Lächeln, das ihrem Sohn galt, verschwindet aus ihrem Gesicht, ihr Mund schließt sich, sie wendet sich ab. Mein Atem setzt aus. Die dunklen Augen. Die feinen Gesichtszüge. Der schief gewachsene Schneidezahn! Britta! In zwanzig Jahren habe ich sie nie ganz vergessen. Meist waren es die stillen Momente, als sich das Bild dieses zerbrechlichen Mädchens in meinen Kopf schlich. Ich werde nervös, möchte sie ansprechen, - Britta, wie geht’s dir so? - aber ich flüchte um die Ecke und klammere mich hinter meinen Einkaufswagen.

Zwei Reihen hinter mir saß sie. Sie war die Kleinste in unserer Klasse. Ihr hellgrünes Kleid, der braune Schulranzen, alles schien zu groß für sie, sie verlor sich in den Kleidern, verlor sich in diesem ausladenden Raum. Das einzige, das unserem Klassenzimmer etwas Wärme gab, waren die Büsche und Bäumchen draußen vor den Fenstern, doch da war das Glas dazwischen, und man konnte sie nicht riechen. Man roch nur die alten Bücher und das Bohnerwachs, und vor der Pause die Brote, wenn die Schüler ihre Plastikdosen aufmachten. Die Wände hatten über die Jahre einen graublauen Stich bekommen, und der Boden war aus grauem Linoleum, mit schwarzen Adern durchzogen. Hinter grünen Tischplatten saßen unbarmherzige Vorpubertäre, die ihre Probleme mit sich selbst auf verschiedene Arten zu lösen versuchten. Und mittendrin versteckte sich Britta in ihrem Kleid.
Es war in meinem fünften Schuljahr. Britta war erst seit einem halben Jahr in unserer Klasse. Sie kam zu uns als Scheidungskind; als Kind, das von einer Stadt in die andere zieht; als Schlüsselkind am Wochenende und als Heimkind an allen anderen Tagen. Wenn die ganze Klasse über irgendeinen Blödsinn lachte, drehte ich mich um und hoffte, sie lacht auch, und manchmal tat sie es sogar. Das waren Momente, in denen ich kurz davor war, ihr etwas Nettes zu sagen. Ich bewunderte ihre Zähne. Einer war schief, was mir besonders gut gefiel, aber das behielt ich streng für mich. Überhaupt behielt ich es für mich, dass ich sie hübsch fand. Vor den anderen missachtete ich sie, denn wer Britta nicht missachtete, machte sich zum Außenseiter.
In den Pausen, wenn wir auf den Schulhof rannten, die Buben sich zum Kartenspielen oder Fußball zusammentaten und die Mädchen zum Gummihüpfen, setzte sich Britta still auf einen schwarzen Heizkörper im Flur. Zwei, drei Rippen genügten ihr. Dabei knabberte sie meistens an einem Apfel oder einer Birne, und ich konnte von draußen durch den verglasten Flur ihren Rücken sehen. Kerzengerade saß sie da wie eine Schaufensterpuppe und aß ihr Obst. Ich hätte gerne gewusst, wo hin sie sieht, ob sie etwas im Busch beobachtete oder ihr Obst, oder ob ihr Geist in eine bessere Welt gleitet, doch ich habe es nie erfahren. Nicht einmal den Mut brachte ich auf, mich neben sie zu setzen, weil ich Angst hatte, mich unbeliebt zu machen. Unbeliebt bei den wichtigen Leuten. Leuten wie Tom.
Tom war der Sohn des Metzgers. Wen er nicht mochte, den kickte er beiseite. In meiner Erinnerung trägt Tom ein gelbes Sweatshirt, auf dem einen in roter Schrift das Wort „Frucade“ warnt, jetzt kommt er gleich vorbei, mein Träger, mach schon mal den Weg frei, und man tat es selbstredend, denn vor Tom hatte man Respekt. Wer sein Freund war, fühlte sich stark und selbstbewusst, und dessen Ansehen in der Klasse steigerte sich, so lange er bei Tom was galt. Auch wenn ich diesen Status nicht erreichte, war ich froh, bei ihm geduldet zu sein, stolz wenn er mich beim Fußball in sein Team wählte und glücklich wenn er mich lobte.
Britta versuchte so gut wie möglich, Tom aus dem Weg zu gehen, denn wenn sie ihm begegnete, schrie er vor der versammelten Menge los, Leute, schaut her, die Dummliese ist da. Dummliese! Dummliese! , und alle lachten. Auch ich lachte, biederte mich an bei Tom wie ein Straßenköter, und nur an mutigeren Tagen blieb ich unbeteiligt in der Ecke stehen.
Du bist so blöd wie ein Kuhfladen, hatte er einmal zu Britta gesagt, die einfachsten Fragen sind zu hoch für dich. Damit meinte er die Fragen der Lehrerin an Britta, weil sie nie eine Antwort gab, nie eine Antwort geben konnte, einfach nichts herausbrachte, wenn fünfundzwanzig feindselige Mitschüler ungeduldig auf einen Fehler warteten, wie ein Boxer auf die Zehn, wenn der Ringrichter den Gegner auszählt.
Richtig verletzend müssen Toms Sprüche über Brittas Mutter gewesen sein. Britta wohnte im Kinderheim, und als die Kinder am Anfang nach ihrer Mutter fragten, gab sie offen darüber Auskunft. Brittas Mutter arbeitete in München in einem Bekleidungsgeschäft und gehörte wohl zu jenen Frauen, die wegen eines Unfalls namens Kind nicht ihre Jugend gegen eine Erziehungsaufgabe eintauschen wollen. Jedenfalls blieb sie die meiste Zeit in der Weltstadt mit Herz, und ihre Tochter holte sie nur jedes zweite Wochenende zu sich. Tom nannte Britta statt Dummliese oft Kinderheimlerin.
„Und deine Mutter ist ne Nutte, drum bist du im Heim!“, sagte Tom, und andere nannten sie einen Nuttenbalg.
Ich beschützte sie nur in meinen Gedanken. Stumm sah ich zu, als sie eines Morgens durch die Dummheit von Markus als Diebin verschimpft wurde. Markus war ein gutmütiger Trottel mit Hornbrille, und seit einem Tag vermisste er seinen Geldbeutel. Er weinte wie ein kleines Kind, erzählte es mit gebrochener Stimme der Lehrerin, und Manu aus der letzten Reihe kannte sofort die Schuldige.
„Die Britta ist gestern als Letzte aus dem Klassenzimmer. Wir Mädels sind vor ihr raus.“
Britta war natürlich keines von besagten Mädels, denn die Mädels nannten sich Black Angels, und Manu war ihre Anführerin. Was Tom bei den Jungs war, das war Manu bei den Mädchen. Sie setzte Trends. Manu war die Erste in der Klasse, die neonfarbene Schnürsenkel an den Adidas Trophy-Boots hatte. Links gelb und rechts rot. Ich hasste sie. Ich hasste, wie sich ihr Gesicht zu einer ausgedrückten Zitrone zusammenzog, wenn ihr etwas nicht passte, ich hasste ihre große Klappe, mit der sie ihre Dummheit übertünchte, und ich hätte sie am liebsten bespuckt, wenn sie Britta eine blöde Strebersau nannte. Aber wenn Manu schrie, Britta, reiß bloß dein verblödetes Maul nicht auf, dann grinste ich Manu an.
Mit ihrer Verdächtigung erntete sie sofort beifällige Kommentare von den Mitschülern. Und nicht nur die Schüler konnte Manu überzeugen. Unsere Lehrerin hieß Frau Gabriel. Sie war eine fünfzigjährige, verbitterte Jungfer mit roten Haaren, dünnen Lippen und einer faltigen Haut. Frau Gabriel stieg voll in die Fahndung der Black-Angels-Führerin ein.
„Britta. Wenn du wirklich den Geldbeutel genommen hast, kannst du es uns jetzt sagen. Deine Ehrlichkeit soll nicht bestraft werden“, und beinahe feierlich, als wolle sie die Sache damit abschließen, fragte sie das Mädchen ultimativ, „Britta, jetzt noch einmal: Hast du den Geldbeutel mitgenommen? Jetzt ist der Zeitpunkt, es uns zu sagen.“
„Nein Frau Gabriel, ich habe wirklich keinen Geldbeutel eingesteckt“, antwortete Britta mit heller, abgebrochener Stimme.
Enttäuscht setzte Frau Gabriel den Unterricht fort und ließ Britta hinterher mit den Anfeindungen von fünfundzwanzig Elfjährigen alleine.
Als sie am nächsten Tag auf ihrem warmen Heizkörper saß, blieben kleine Gruppen von Mitschülern vor ihr stehen wie vor einer Mülltonne und brüllten ihr ins Gesicht. Diebin, Lügnerin, asoziale Schlampe, gib das Geld zurück. Ich schlurfte an ihr vorbei, als würde sie nicht existieren.
Am nächsten Morgen verkündete der schusselige Markus voller Freude, er habe seinen Geldbeutel in einem Nebenfach des Schulranzens gefunden, und die Welt war für Frau Gabriel und die Klasse wieder in Ordnung. Ein Wort der Entschuldigung hörte Britta weder von Frau Gabriel, noch von einem Mitschüler. Dafür konnte sie wieder in Frieden auf ihrem warmen Heizkörper sitzen.
Die Menschlichkeit war später einmal in Frau Gabriels Unterricht ein großes Thema. Sie führte uns einen Film vor, in dem man abgemagerte Juden in einem KZ sehen konnte, die in der nächsten Szene als nackte Leichen auf Lastwägen gestapelt wurden. Die üblichen Albernheiten hörten für eine Stunde auf. Es wurde stiller in der Klasse. Nach dem Film hielt Frau Gabriel uns noch einen moralischen Vortrag.
„Das, was damals in Auschwitz passiert ist, kann sich jederzeit wiederholen“, ermahnte sie uns mit nach unten gerichteten Mundwinkeln. „Wir müssen uns ständig prüfen, ob wir Menschen mit anderer Hautfarbe oder Behinderte behandeln wie Unseresgleichen. Das, was ihr da gesehen habt, ist noch nicht einmal vierzig Jahre her. Wir Deutschen dürfen diese Dinge nie vergessen.“
In das stille Klassenzimmer drang Manus selbstgerechte Stimme. „Diese Arschlöcher! Die gehören alle erschossen! Nazischweine!“
Ich drehte mich zu ihr um und sah Hass in ihren Augen. Hass gegen Unbekannt, denn Manu interessierte sich weder für das Dritte Reich, noch für Menschenrechte, aber das Anprangern dieser Naziverbrecher war ein gutes Ventil für ihren Weltengroll.
Frau Gabriel sprach weiter. „Keine Sorge. Die Anführer, die nicht Selbstmord begangen haben oder flüchten konnten, sind beim Nürnberger Prozess vor einem ordentlichen Gericht angemessen verurteilt worden. Wie ihr wisst, hat sich Hitler selbst …“ dann unterbrach sie sich selbst und sprach zu Britta, die teilnahmslos aus dem Fenster sah. „Nun, Britta. Dieses Thema interessiert dich wohl nicht. Wir müssen uns nicht wundern, wenn so viele Menschen behaupten, sie hätten damals von all den Verbrechen nichts gewusst. Verantwortung übernehmen für das, was um uns geschieht, Britta, nicht Ignoranz, darauf kommt es an.“
Für diese heuchlerische Predigt hätte ich am liebsten Frau Gabriels ausgetrocknetes Gesicht zerknüllt und in den Papierkorb gekickt. Ihre Mission zur Bekehrung der Jugend schien für sie vollzogen, und die Früchte davon hingen an den Lippen meiner Mitschüler. Natürlich fing Manu damit an, doch fast die ganze Klasse stimmte in den Chor ein.
„Nazisau! Nazisau! Nazisau!“ schrieen sie los, sobald Britta auftauchte. Diese Erniedrigung musste sie zwei Wochen lang durchstehen, bis das Thema Nazis und Juden und Hitler langsam wieder in der Versenkung verschwand.

Mit den Monaten wurde Britta immer stiller. Ihren schiefen Zahn bekam ich nicht mehr zu sehen, denn das Lachen hatte sie verlernt. Ihr einziger Freund war der warme Heizkörper. Ich wollte mich ihr nähern, aber mir fehlte die Courage, und die beste Gelegenheit ließ ich kläglich verstreichen.
Es war nach der Turnstunde. Da ich mein Duschzeug vergessen hatte, kam ich als erster aus der Umkleide. Für die Mädchen war das Turnen ausgefallen, und als ich durch den verglasten Flur zu unserem Klassenzimmer ging, saß Britta auf ihrem Heizkörper. Wir waren alleine. Sie kramte in ihrer Schultasche, und ich verlangsamte meinen Gang, wollte etwas sagen, wusste aber nicht was.
Als sie mich sah, legte sie die Tasche beiseite und sprach mich an. „Frank?“, begann sie leise und vorsichtig.
Ich nickte.
„Magst du eine Birne?“
„Nein danke“, antwortete ich nüchtern und trottete in das leere Klassenzimmer.
Tagelang dachte ich nach über die verpasste Chance, nahm mir vor, sie etwas zu fragen. Wollen wir zusammen Hausaufgaben machen? Ja, das müsste ich mich trauen, dachte ich mir.
Ich blieb feige.
Den Gipfel der Feigheit erklomm ich an jenem Tag im März. Es war der Tag, an dem ich Britta zum letzten Mal sah.
Der Unterricht war zu Ende, und ich war der Letzte im Klassenzimmer. Zwei Minuten zuvor war Britta gegangen, und kurz vor ihr waren Tom und seine beiden Kumpels in den Flur hinaus. Sie mussten dort auf sie gewartet haben. Als ich aus dem Klassenzimmer kam und an dem verkratzten Eisengriff der Glastür ziehen wollte, hörte ich Toms Stimme aus der Toilette.
„Hey! Runter damit, zieh es aus! Komm du Schlampe!“, rief er, begleitet von dem dümmlichen Gelächter der beiden anderen Jungen. Durch die Knabenstimmen drang leise Brittas Gewimmer. Nein, nein, nein, schluchzte sie. Ich muss ihr helfen, dachte ich, aber ich marschierte schnell zum Ausgang, meinen gewohnten Heimweg entlang. Den Hausmeister müsste ich verständigen, dachte ich. Dachte ich. Und dann war ich zu Hause und hoffte, dass in der Schultoilette nichts Schlimmes passiert war.
Am nächsten Morgen war Britta nicht da. Sie ist erkrankt, sagte Frau Gabriel, und die Woche darauf erwähnte sie beiläufig, Britta habe die Schule gewechselt. Keinen schien es zu interessieren, und sicher hatten die meisten das dunkelhaarige Mädchen in dem viel zu großen Kleid nach wenigen Wochen vergessen.
Mir ging sie nie wieder aus dem Kopf.

Ich schiebe meinen halbvollen Einkaufswagen zur Kasse. Bezahle. Warte. Diesmal werde ich sie ansprechen, ohne die Hemmungen, die ich als Kind noch hatte. Eine Freundschaft mit ihr könnte ich mir gut vorstellen. Eigentlich könnte ich mir alles mit ihr vorstellen. Ich beobachte, wie sie ihren Sohn die Einkäufe auf das Fließband legen lässt, ohne ihn zu drängen, und wie sie die Kassiererin dabei anlächelt mit ihrem schiefen Zahn, und ich weiß jetzt, dass aus dem Mädchen, in das ich als Junge so verknallt war, eine tolle Frau geworden ist.
„Entschuldigung“, sage ich, als sie mit dem Einkaufswagen an mir vorbeischiebt. „Wir kennen uns.“
Sie mustert mich.
„Kann sein.“
„Frank Mantler. Wir sind ein Jahr lang in dieselbe Klasse gegangen. In die Fünfte. Britta, richtig?“
„Stimmt. Ich kann mich dunkel erinnern.“
„Du siehst toll aus. Wie geht es dir?“
„Gut, danke. Ich habe als Krankenschwester gearbeitet, bis vor zwei Jahren der Kleine zur Welt kam.“
Sie streichelt über den Kopf ihres Sohnes, der rhythmisch in seinem Sitz herumwetzt.
„Wenn du Lust hast, könnten wir uns mal zu einer Tasse Kaffee treffen.“
„Tut mir Leid“, sagt Britta, „aber ich hänge nicht sehr an der Vergangenheit. Ich wünsche dir alles Gute, Frank“.
So stehe ich noch eine Weile da und starre auf die Scheibe, in der ich mich mit meinem Einkaufswagen spiegele, während sie den ihren samt Kind zum Parkplatz schiebt.

Mein Audi rauscht durch die beleuchteten Straßen der Stadt. Auf dem Beifahrersitz liegt die Einkaufstasche, und ich taste mit der Hand nach der Birne, die ich im Supermarkt gekauft habe. Als ich sie finde, halte ich sie unentschlossen in meiner Hand. Eigentlich habe ich gar keinen Hunger. Ich denke an Britta heute, an Britta damals, an den Jungen, der ich war, der genau gewusst hätte, was recht und unrecht ist, aber den Charakter eines Herdenschafes hatte. Ich möchte den Jungen zum Teufel jagen.
Und ich frage mich, ob mein Charakter heute besser ist, oder ob sich nur andere Herausforderungen stellen als damals. Andere Gelegenheiten, die ich genauso verpasse, ohne es zu merken.
Fest entschlossen beiße ich in die Birne. Morgen wäre sie vielleicht verfault.

 

Hallo BacardiFreezer,

Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen: Eine zufällige Begegnung mit der Vergangenheit bringt Frank zum Nachdenken. Britta, die Außenseiterin in Schultagen, die auf der Toilette sehr wahrscheinlich von Mitschülern mißbraucht worden ist oder zu irgendetwas gezwungen wurde, was sie nicht wollte - und Frank, der sich nicht getraut hat, ihr zu helfen. Die ganze Zeit nicht.
Man möchte Situationen dieser Art gern Klischee nennen, aber das sind sie nicht. Ich glaube, kaum jemand kann grausamer sein als Kinder, die es auf einen Mitschüler abgesehen haben. Und das passiert leider in viel zu vielen Klassenzimmern jeden Tag.

Sehr gut hat mir gefallen, wie Du die Birne als Symbol in Deine Geschichte eingefügt hast; damals hat sich Frank nicht getraut, sie von Britta anzunehmen, jetzt, viele Jahre später, bietet sie ihm keine an (weil sie mit der Vergangenheit abgeschlossen hat), aber er greift nach einer Birne und beißt später, nach dieser Begegnung, in sie hinein. Das ist, als wollte er für sich selbst irgendetwas wiedergutmachen, die Vergangenheit vielleicht einholen.

Wirklich: Spitzenleistung! :thumbsup:

Gruß
stephy

 

Hallo BacardiFreezer,

gab es wohl Klassengemeinschaften, in denen eine Britta nicht am Rande und im Mittelpunkt der Klassenagressionen stand ? Ich jedenfalls habe sehr ähnliche Bilder erlebt, vielleicht mit anderen Parametern, anderen Protagonisten, anderen Sprüchen, und sie kamen mir nach langer Zeit des Vergessens beim lesen Deiner Geschichte wieder ins Bewusstsein.
Das ganze bringst Du mit einer schönen Melancholie, wobei mir besonders der Schluss richtig gut gefällt, zu dieser eher traurigen Geschichte finde ich ihn wundervoll positiv.

Hat mich berührt und erinnert, zwei gute Eigenschaften von Geschichten, dafür ein großes Kompliment von mir.

Grüße,
C. Seltsem

 

Hallo BacardiFrieser,

beeindruckende Geschichte, vor allem berührend in ihrer unspektakulären Art. Mit dem eingestreuten Tiefsinn übertreibst du es nie, und wirst nirgends übersentimental oder moralisierend.

Vor allem gelungen finde ich die Beiläufigkeit mit welcher Britta dann den Versuch abwehrt, von ihrer Vergangenheit eingeholt zu werden.

Textlich und formal nicht das geringste zu meckern.

Mongoloid“, sagte man früher, so wie man einen Schwarzen „Neger“ nannte, und Nervenheilkliniken „Irrenhäuser“.

Starke Ausformulierung des Themas Euphemismus.

Schönen Tag noch,

AE

 

Hallo Bacardi Freezer,

deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen.

Inhaltlich hat sie mich sehr angesprochen, vor allem, weil du hier ein Thema ansprichst, dass ständig aktuell ist. Die Rolle deines Protagonisten fand ich sehr gelungen gewählt - einer der eigentlich nicht will und sieht das es falsch ist und denoch nicht den Mut hat, sein Verhalten zu ändern.
Und einer, der sich selbst als Erwachsener noch fragt, ob er sich groß geändert hat.
Ich finde deine Geschichte bringt einen dazu, sein eigenes Verhalten zu hinterfragen. Wenn es vielleicht auch nicht in jeder Klasse einen "Extremfall" wie Britta gibt, so wird doch schon jeder etwas Ähnliches erlebt haben. Und bestimmt werden viele Situationen finden, in denen sie sich auch nicht gerade toll verhalten haben.

Gelungen fand ich auch den Schwenk in die NS-Zeit. Ohne viel Worte darum zu machen bringst du die Scheinmoral und das Wegschauen der damaligen Zeit ins Spiel. Etwas, das mit Britta - im kleinen Rahmen - auch passiert.

Das Ende hat mich sehr nachdenklich gemacht. Vielleicht hätte ich mir ein fröhlicheres Ende gewünscht. Eines, in dem Britta verzeihen kann und es Frank gelingt, seine alten Fehler wieder auszubügeln. Aber irgendwie hätte es auch nicht so richtig gepasst.

Deine Geschichte ist sehr lebendig. Du hast sehr viele Details eingestreut, ohne dabei langatmig zu werden. Im Gegenteil - du erreichst damit, dass man sich als Leser mitten in der Geschichte befindet, mit den Protagonisten hofft und bangt.

Kleinigkeiten:

Es war ein anstrengender Tag im Büro, Paul Anka säuselt “Put your head on my shoulder” aus dem Lautsprecher, und ich schalte ab.

Es ist natürlich klar was du meinst, aber dieses "ich schalte ab" klingt im Zusammenhang komisch. Als würde die Musik abgeschaltet werden. :)

Ihre schwarzen, glatten Haarsträhnen fallen nach vorne, gerade als ich ihr Gesicht näher betrachten will.

Zugunsten des Leseflusses würde ich vielleicht auf "gerade" verzichten.

„Die Britta ist gestern als letzte aus dem Klassenzimmer. Wir Black Angels sind zu fünft vor ihr gegangen.“

Hm... bin mir hier unsicher, aber diese Ganggeschichten waren in der Schule doch immer total geheim. Daher wundert mich, dass Manu das einfach so der Lehrerin sagt. Wahrscheinlicher erscheint mir hier, dass sie sagt: Ich bin gestern mit X, Y und Z etc. / Und die anderen Mitschüler wissen, dass diese Mädels die Black Angels sind.

Lieben Gruß, Bella

 

Hallo BacardiFreezer,

auch mir hat deine Geschichte gut gefallen. Wenn so etwas wie Klassentreffen ansteht, schwanke ich immer, ob ich mich drücke, oder ob ich die Gelegenheit nutze, mal zu fragen, ob andere es genau so erlebt haben wie ich. Manchmal ist es gut, auch von anderen zu hören: Wir haben dir unrecht getan, selbst, wenn man für sich schon zu dieser Einsicht gekommen ist. Und bestimmt ist es auch gut, es zu sagen.
Brittas gibt es auch heute noch in vielen Klassen. Und leider habe ich oft erlebt, dass Lehrer das für ihre Klasse leugnen, denn es würde ihre Kompetenz in Frage stellen.

Einige Details:

Bei Tom denke ich an einen blonden Jungen mit einem gelben Sweatshirt, auf dem der Schriftzug „Frucade“ über einer breiten Brust prangte
Ich habe natürlich die Zeiten nicht recherchiert, vielleicht war es in Hamburg auch anders, aber die Beschreibung des Klassenraums scheint mir zu einer anderen Epoche zu gehören als die Beschreibung des Jungen.
„geh auf die Seite!“
geh zur Seite wäre doch viel kürzer. ;)
und heute noch sehe ich meine eigene Fresse vor mir, wie sie sich lachend bei Tom anbiedert und in den Chor einstimmt.
"vor mir, die sich lachend" erschiene mir sprachlich korrekter.
und so musste Britta die Stunden nach der Schule im Kinderheim verbringen.
der Kleidung nach spielt das ja in den Siebzigern, da gingen die Kinder nach der Schule eher in Kindergärten. Es kann natürlich sein, dass Tom das wusste, aber ignoriert hat. Aber an dieser Stelle spricht ja nicht Tom.
„Nazisau! Nazisau! Nazisau!“ schrieen sie los
laut Duden nur schrien
und ich suche mit meiner rechten Hand nach der Birne, die ich im Supermarkt gekauft hatte.
Tempus: habe
oder ob sich nur andere Herausforderungen stellen als damals, andere Gelegenheiten, die ich genauso verpasse wie damals, ohne es zu merken.
"wie damals" kannst du streichen, es nimmt dem Satz ein bisschen die Eindringlichkeit.

Lieben Gruß, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey, so ne Kritik gibt einem natürlich ein gutes Gefühl. Freut mich, dass die Geschichte so eine gute Resonanz bekommen hat. Danke @ alle

@ Bella
Bei den beiden ersten Punkten gebe ich Dir Recht - wäre so besser!

„Die Britta ist gestern als letzte aus dem Klassenzimmer. Wir Black Angels sind zu fünft vor ihr gegangen.“

Hm... bin mir hier unsicher, aber diese Ganggeschichten waren in der Schule doch immer total geheim. Daher wundert mich, dass Manu das einfach so der Lehrerin sagt. Wahrscheinlicher erscheint mir hier, dass sie sagt: Ich bin gestern mit X, Y und Z etc. / Und die anderen Mitschüler wissen, dass diese Mädels die Black Angels sind.

Hm, ich weiß was Du meinst, aber meine Manu ist eben ganz stolz auf ihre Bande und hat auch kein Problem, das lautstark in die Gegend zu tröten - auch wenn die meisten Kinder vielleicht anders sind.

@sim
Vorbild war meine Schule Anfang der Achtziger. Und jemand mit so nem T-Shirt existiert sogar in meiner Erinnerung.

"geh auf die Seite" hat man bei uns in Bayern so gesagt :-) aber wenn Du aus Hamburg kommst ist das natürlich eine andere Welt :-)

beim nächsten Kästchen geb ich Dir Recht.

Bei uns gab es schon Kinder aus dem Heim, deren Eltern sich nicht um sie kümmern konnten und sie dann am Wochenende oder so abholten...okay, das mit dem täglichen abholen ist nicht recherchiert, bin mir auch nicht sicher ob das so gewesen sein konnte.

Bei den letzten drei Kästchen hast Du mich vollkommen überzeugt. Vor allem, dass das zweite "wie damals" dem Satz die Eindringlichkeit nimmt!

Danke Dir für die mal wieder intensive Rezension, und allen anderen natürlich auch fürs Lesen und Posten!

LG
Bacardi

 

Hallo BacardiFreezer,

ein interessanter Plot und jeder findet sich in diesem Thema wieder, sei es als Britta, Tom oder Frank.

Mir hat die Geschichte gut gefallen. Sehr gut hast du das Kneifen des Prot (und sein "sich-selbst-hassen" dafür) dargestellt, die Übergriffe auf Britta mit Hure und Nazisau dagegen fand ich etwas plakativ, aber vielleicht gab es schon solche Vorfälle in der Art.

Das I-Tüpfelchen auf diese Geschichte wäre gewesen, wenn das Mobbing etwas subtiler, deswegen aber nicht weniger gemein, von statten gegangen wäre.

Ich habe vieles angemerkt, bitte nicht erschrecken ;). Manches ist nur Geschmackssache, einiges solltest du aber tatsächlich ändern :).


lasse die angebotenen Waren auf mich wirken und knipse mein Gehirn aus.
Es war ein anstrengender Tag im Büro, Paul Anka säuselt “Put your head on my shoulder” aus dem Lautsprecher, und ich schalte ab.
Fettgedrucktes sagt für mich jeweils das gleiche aus, eines würde ich streichen.
Aus Trotz greife ich mir Eine aus dem Karton und schiebe weiter.
eine

Ihr Sohn sitzt auf dem Kindersitz des halbvollen Einkaufswagens
Die Kinder sitzen doch in einem Sitz?

und zupft an ihrem Ärmel, greift nach ihrem silbernen Armreif, während sie nach dem richtigen Müsli sucht.
Zweimal ihrem liest nicht schön, auf das zweite kannst du doch verzichten, da es ja klar ist, dass es ihrer sein muss.

Breiter, offen stehender Mund, rundes Mondgesicht, ausdrucksschwacher Blick. Er hat das Down-Syndrom. „Mongoloid“, sagte man früher, so wie man einen Schwarzen „Neger“ nannte, und Nervenheilkliniken „Irrenhäuser“.
Die Erklärung des Down-Syndrom wird mir zu breit getreten, denn wem erzählt der Prot das nun? Ein innerer Monolog ist das nicht, denn er weiß es ja. So wirkt es sehr belehrend für mich als Leser.


Das Lächeln, das ihrem Sohn galt, verschwindet aus ihrem Gesicht, ihr Mund schließt sich, sie wendet sich von mir ab.
Was soll dieser Satz aussagen? Erkannt hat sie ihn ja nicht, wie man später erfährt. Wieso verliert sich dann ihr Lächeln? Das führt meiner Ansicht nach etwas auf eine falsche Fährte, weil ich erst annahm, sie hätte ihn erkannt.

Mein Atem setzt aus. Die dunklen Augen, die feinen Gesichtszüge! Der schief gewachsene Schneidezahn! Britta! In zwanzig Jahren habe ich sie nie ganz vergessen. Meist waren es die stillen Momente, als sich das Bild dieses zerbrechlichen Mädchens in meinen Kopf schlich. Ich werde nervös, möchte sie ansprechen, - Britta, wie geht’s dir so? - aber ich flüchte um die Ecke und klammere mich hinter meinen Einkaufswagen.
Schöner Absatz :).

Vor den Anderen missachtete ich das stille Mädchen, so wie alle anderen auch.
Vielleicht könntest du das zweite anderen mit einem anderen Wort ersetzen?

In den Pausen, wenn wir auf den Schulhof rannten oder uns in gackernde Grüppchen aufteilten,
Bisher wusste ich nicht, was für ein Geschlecht der Ich-Erzähler hat. Nun aber war mir klar: Gackernde Grüppchen = Frau bzw. Mädchen :D


setzte sich Britta auf einen schwarzen Heizkörper im Flur, der über dem Boden angebracht war. Zwei, drei Rippen genügten ihr zum Sitzen.
Einerseits ein gut getroffenes Bild mit den Rippen, man kann sich Britta sehr gut vorstellen ihn ihrer Zartheit - aber auch hier eine Wiederholung. Dabei könntest du doch nach ihr einen Punkt machen.

Leuten wie Tom.
Tom war der Sohn des Metzgers in unserem Dorf. Wen er nicht mochte, den kickte er beiseite. Bei Tom denke ich an einen blonden Jungen mit einem gelben Sweatshirt, auf dem der Schriftzug „Frucade“ über einer breiten Brust prangte. Wenn er an einer engeren Stelle an einem jüngeren oder gleichaltrigen Schüler vorbei ging und weniger als zwei Meter Breite zur Verfügung hatte, fuhr er den Ellbogen aus und blökte „geh auf die Seite!“
Wer sein Freund war, hatte es leicht, war schon aus diesem Grund bei allen respektiert. Auch wenn ich diesen Status nicht erreichte, war ich froh, bei ihm geduldet zu sein. In den Pausen wählte er die Leute aus, die mit dem Tennisball das tägliche Fußballmatch bestritten. Da war ich immer mit dabei. Durch seine robuste Spielweise war Tom einer der Leistungsträger. Britta versuchte so gut wie möglich, ihm aus dem Weg zu gehen.
Toms gibt es in jeder Schule, in jeder Klasse und die meisten Leser wissen, wie diese Alphatiere gestrickt sind. Ich finde, du gehst hier bei den Erklärungen zu sehr ins Detail und verlierst dadurch kurz den Faden.
Mir war dieser Abschnitt zu lang. Ich würde kürzen.


und so musste Britta die Stunden nach der Schule im Kinderheim verbringen.
Kinderheim? Meinst du KiTa? Unter Kinderheim verstehe ich eine Institution, in dem Kinder fest wohnen.

Wenn unsere Lehrerin nicht im Klassenzimmer war, schrie er Britta an. „Kinderheimlerin! Deine Mutter ist ne Nutte, drum bist du im Heim!“, und andere riefen nur „Hey du Nutte!“
:hmm: - bischen dick aufgetragen, aber wer weiß, wie gemein Kinder sein können ...

Ich beschützte sie nur in meinen Gedanken.

Manu war die Erste in der Klasse, die neonfarbene Schnürsenkel an den Adidas Trophy-Boots hatte – links gelb und rechts rot.
Ist das schon zwanzig Jahre her :D?
Ich hätte Frau Gabriel für diese heuchlerische Predigt am liebsten das ausgetrocknete Gesicht zerknüllt und in den Papierkorb geworfen.
hier fände ich: ihr ausgetrocknetes Gesicht besser

Diese Erniedrigung musste sie zwei Wochen lang durchstehen, bis das Thema Keinen mehr interessierte.
keinen
Ich war ausnahmsweise der Erste, der aus der Umkleidekabine ging, da ich mein Duschzeug vergessen hatte.
der erste

Der Weg zum Ausgang führte vom Klassenzimmer aus nach Links und durch eine Glastür zu dem Flur, in dem Brittas Heizung war.
links und im nächsten Satz ergo: rechts

Ich stand im Türrahmen des Klassenzimmers, wollte zu der Glastüre gehen, als ich aus den Toilettenräumen Toms Stimme hörte.
Der eingeschobene Satz dünkt mir nicht vollständig.


Dann warte ich. Diesmal werde ich Kontakt zu ihr aufnehmen. Vielleicht kann eine Freundschaft daraus entstehen, vielleicht auch mehr.
Da will der Prot aber viel auf einmal. Mehr als Freundschaft? Gleich eine Beziehung?
Ich beobachte, wie ihr kleiner Sohn ein paar Einkäufe auf das Fließband legen darf, wie Britta die Kassiererin freundlich anlächelt.
Du machst das wohl absichtlich mit dem ", wie ..." . Für mich klingt das nur rund, wenn bei der letzten wie-Aufzählung ein und vorangesetzt wird.

Sie streichelt über den Kopf ihres Sohnes, der rhythmisch auf seinem Einkaufswagensitz wetzt.
in seinem

Ich sitze am Steuer meines Wagens, fahre durch die beleuchteten Straßen. Die Einkaufstasche liegt neben mir auf dem Beifahrersitz, und ich suche mit meiner rechten Hand nach der Birne, die ich im Supermarkt gekauft hatte. Als ich sie finde, lege ich sie auf den Sitz, eigentlich habe ich gar keinen Hunger. Ich denke an Britta heute, an Britta damals, an den Jungen, der ich war, der genau gewusst hätte, was recht und unrecht ist, der den Charakter eines Herdenschafes hatte. Ich möchte den Jungen zum Teufel jagen.
Und ich frage mich, ob mein Charakter heute besser ist, oder ob sich nur andere Herausforderungen stellen als damals, andere Gelegenheiten, die ich genauso verpasse wie damals, ohne es zu merken.
Ich schnappe mir die Birne und beiße entschlossen hinein. Morgen wäre sie vielleicht verfault.
Viele Satzanfänge mit ich

In der Vorschau sehe ich gerade, dass du weitere Antworten bekommen hast, seit ich heute morgen schon anfing, an deiner Geschichte zu arbeiten. So kann es zu Wiederholungen kommen, was die Fehlerliste betrifft, aber das kontrollier ich jetzt nicht mehr.
Lieber Gruß
bernadette

 

Hallo Bernadette,

vielen Dank, dass Du Dir so viel Mühe gemacht hast.

Konstruktiv war es auch, da werd ich auf einiges zurückgreifen, wenn ich die Geschichte mal korrigiere.

Das Lächeln, das ihrem Sohn galt, verschwindet aus ihrem Gesicht, ihr Mund schließt sich, sie wendet sich von mir ab.

Was soll dieser Satz aussagen? Erkannt hat sie ihn ja nicht, wie man später erfährt. Wieso verliert sich dann ihr Lächeln? Das führt meiner Ansicht nach etwas auf eine falsche Fährte, weil ich erst annahm, sie hätte ihn erkannt


Das war schon Absicht! Ich dachte es mir so, dass ihr sein Gesicht (vielleicht unterbewusst) noch bekannt vor kommt, und sie daher im Unterbewussten auch ein schlechtes Gefühl bei seinem Anblick bekommt.
Die Szene lässt aber auch Spielraum für andere Interpretationen, was ja gar nicht schlecht ist.

Liebe Grüße
Bacardi

P.S.: Die Geschichte ist sogar schon 25 Jahre her! Und ich geh schon auf Ü30-Parties :-)

 

Hallo Bacardi,

ja, solche Kinder gab und gibt es natürlich auch, die in der Woche im Erziehungsheim leben und von dort aus zur Schule gehen. Es mag Zufall sein, dass mir die nie in Gymnasien begegnet sind oder von den Kindern in den Heimen, in denen ich meine Berufspraktika absolviert habe auch nur eines auf einem Gymnasium war, aber den Schultyp deiner Geschichte erinnere ich eh gerade nicht.
Also Britta kann entweder täglich in die Kindertagesstätte gehen und dort abends von ihren Eltern abgeholt werden oder im Heim leben und nur das WE (in den Achtzigern meistens sogar nur jedes zweite WE) bei den Eltern verbringen.

Lieben Gruß, sim,

 

Hallo BacardiFreezer,

gute Story, hat mir wirklich gefallen. Das Thema im passenden Stil erzählt und ich finde auch den Aufbau deiner Geschichte gut konzipiert. Einen Ich-Prot mit mangelnder Zivilcourage finde ich in diesem Zusammenhang sehr nützlich, man ist dadurch als Leser noch ein bisschen dichter dran an der Schamgrenze und denkt sofort verzweifelt an die eigene Vergangenheit. Wie war ich eigentlich damals? Wie habe ich mich verhalten? Habe ich auch gelacht, wenn mal wieder einer der Außenseiter vera... wurde? Habe ich etwa mitgemacht? Und dann gibt es ja auch noch die Außenseiter selbst, denen sowas widerfahren ist.

Also, du siehst schon an diesen paar Überlegungen, dass deine Geschichte viele Anstöße zum Nachdenken gibt. Wenn eine KG das erreicht, dann finde ich das schon ziemlich gut.

Fazit: Sehr gelungen und mit Interesse gelesen!

Grüße von Rick

 

Hallo Rick,

danke fürs Lesen und Deinen Kommentar.

Ja, man sieht, wie wichtig ein guter Plot ist. Die Ideen kommen dann oft während des Schreibens, aber ein guter Haupt-Handlungsstrang ist die Basis.
Die Birnen-Symbolik inclusive Titel ist mir übrigens erst nach dem ersten Entwurf eingefallen. Es lohnt sich also, wenn man nach der ersten Fassung noch ein paar Tage mit der Geschichte "schwanger geht"

Gruß
Bacardi

 

Hallo BarcadiFreezer,

auch ich kann mich dem Lob nur anschließen, du beschreibst Brittas Schicksal eindrucksvoll aus der Situation des Ich-Erzählers, dann außen herum die Sache mit der Birne. Der letzte Satz:

Ich denke an Britta heute, an Britta damals, an den Jungen, der ich war, der genau gewusst hätte, was recht und unrecht ist, der den Charakter eines Herdenschafes hatte. Ich möchte den Jungen zum Teufel jagen.
Und ich frage mich, ob mein Charakter heute besser ist, oder ob sich nur andere Herausforderungen stellen als damals, andere Gelegenheiten, die ich genauso verpasse wie damals, ohne es zu merken.

fasst die ganze Geschichte nochmal präzise zusammen und auch ich kann mich gut noch in meine Schulzeit reinversetzen (ja, genau genommen hat sie erst vorgestern aufgehört :D), also ich meinte eher an die Zeit, in der ich in der 5./6./7. Klasse war und jede Klasse so ihre Britta ausgemacht hat. Und die Situation, zu wissen, dass es Unrecht ist, sich aber nicht dagegen wehren, aus Angst, selbst Britte zu werden, das ist auch etwas, das sicher viele schonmal mitgefühlt haben. Sehr eindrucksvoll beschrieben das Ganze!

Rechtschreib- und/oder Tippfehler habe ich beim Lesen allerdings noch ein paar gefunden, da aber meine Vorgänger schon Listen angefertigt haben und du die Geschichte noch nicht überarbeitet hast, habe ich mir die Mühle jetzt nicht gemacht, dir die Fehler aufzulisten.

Viele liebe Grüße,

Sebastian

 

Hallo BarcadiFreezer,

Die Geschichte ist dir vortrefflich gelungen. Die Kinderhölle, die einige Kinder als Schule erleben, hast du gut beobachtet erzählt. Meine Tochter kommt jetzt auch in die fünfte Klasse ...

LG
Goldene Dame

 

Hallo BF,
eine schöne Geschichte. Ich denke es wurde schon alles positive erwähnt, deshalb will ich meinen einzigen Kritikpunkt einmal direkt ansprechen. Ich habe bei deiner kg ein wenig das und dann und dann und dann Gefühl, wenn du weißt was ich meine. Die einzelnen Abschnitte lesen sich ein wenig aneinandergeklebt. Ich weiß grad nicht, wie ich es anders ausdrücken soll. Aber das ist auch nur meine rein subjektive Meinung. Absolut gern gelesen!

Einen lieben Gruß...
morti

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Morphin, Smilodon und Goldene Dame und Morti,

sorry dass ich erst so spät antworte, bin auf KG.de zur Zeit nur noch phasenweise unterwegs.

Hat mich gefreut, Eure Gedanken zu der Geschichte erfahren zu dürfen!

@morti: ja, ich weiß was Du meinst. Das ist ein Schwachpunkt in fast allen meinen Texten, und wenn es sogar bei dieser, einer meiner besseren Geschichten, auffällt, bestätigt das diese Tatsache. Seit Längerem arbeite ich an einem größeren Manuskript, und eben auch daran, dass sich ein Satz besser an den nächsten schmiegt. Und gerade zur Zeit glaub ich, dass ich es ein bissl gecheckt hab - zumindest erkenne ich es seit kurzem selber. Es liegt daran, dass ich die Satzlängen und die Satzarten (Hauptsätze und Nebensätze) nicht genug bzw. nicht passend variiere, und auch inhaltlich könnte es sein, das sich ein Satz nicht immer logisch an den Vorhergehenden fügt.
Irgendwann, wenn ich mir mal die Zeit nehme, die KG zu überarbeiten, werde ich darauf achten und dann bin ich gespannt, ob ich das ausmerzen kann. Wenn das passiert ist, würde mich Deine Meinung interessieren.

So long
Bacardi

 

ich könnte jetzt alles, was die anderen bereits gesagt haben, nochmal wiederholen, das lasse ich aber bleiben...ich begnüge mich mit einem simplen "Exzellent". denn das ist die geschichte.

 

@JoHap:

danke für das Lob :-)

@bluefin:
ja, die subtilere Darstellung wäre vielleicht schön gewesen, aber ist eben nicht so ganz einfach umzusetzen.

dass der Grund mit Waisenhaus nicht ausreicht, da bin ich nicht Deiner Meinung. Okay, das es "literarisch" nicht ausreicht, mag sein, das zu beurteilen ist mir jetzt irgendwie zu hoch, aber "logisch" find ich es schon, wenn ich mir die Mechanismen - nicht nur bei Kindern - vor Augen halte: Das Mädchen wird von der Mutter vernachlässigt, zumindest können es die Menschen so interpretieren, und dann geht einer her, und setzt das Gerücht in die Welt, die Mutter sei deshalb eine Schlampe, es entsteht der Eindruck, das Mädchen sei aus "schlechten Verhältnissen", und die Sache wird zum Selbstläufer. Einzelne Leute müssen keinen speziellen Grund für so was haben, Antipathie oder Probleme mit sich selbst, Komplexe, reichen schon aus. Manche Kinder werden auch einfach fertig gemacht, weil sie schwach wirken, und wer die Opferstellung bezieht, der wird auch zum Opfer. Auch Mobbingopfer in Firmen können zu solchen werden, ohne sichtbaren Grund. Dann gibt es wieder diese Alphatiere, denen das nie passiert, ist eben auch ne Sache der Persönlichkeit.

Der Schluss zu effekthascherisch...ich weiß was Du meinst, aber ein kleines Ausrufezeichen zu setzen und die Gefühle des Prot zum Ausdruck zu bringen, ohne in die Richtung zu gehen, stell ich mir schwierig vor.

Aber danke für die Gedanken und Verbesserungs-Anregungen!

PS: habe mit einer Überarbeitung angefangen - in ein paar Wochen werd ich die neue Fassung reinstellen.

 

Hallo BacardiFreezer

Prima Geschichte, habe sie gerne gelesen.
Auch wenn da eine (muss das wirklich sein?) Überarbeitung folgt, möchte ich dir meine Gedanken zu dieser Fassung geben.

Kennen wir sie nicht alle aus unserer Vergangenheit? Den schusseligen Markus, die alles und jeden anführende Manuela und eben, die designierte Aussenseiterin Britta? Ja, ich kenne sie, und du lässt mich mit deiner Erzählung eintauchen ins Poesiealbum mit den Schmuddelseiten der Vergangenheit.

Nur ein klitzekleiner Krittel:

Ich beschützte sie nur in meinen Gedanken.
Auch wenn ich die Aussage verstehe, wirkt "beschützen" für mich etwas zu paradox. Verteidigen fände ich besser, da es, durch das unausgesprochene Wort, nur eine wirkungslose Absicht ist.

Glanzlichter:

Und mittendrin versteckte sich Britta in ihrem Kleid.
Dafür konnte sie wieder in Frieden auf ihrem warmen Heizkörper sitzen."

Vielen Dank für diese gut erzählte und nachwirkende Zeitreise.
Toller Schluss, man kann Geschehenes nicht ungeschehen machen, man kann es nur verdrängen, bis es einem irgendwie, irgendwo wieder einholt.

Gruss
dot

 

Hallo BacardiFreezer,

Ja, was soll ich denn jetzt noch dazu sagen? Mir fällt nur ein Satz ein, um alle vorangegangenen Kritiker dieser Geschichte zu toppen:
Dies ist die beste Geschichte, die ich bisher in diesem Forum und ÜBERHAUPT gelesen habe.

Ergänzungen?
Wozu?

Gruß
Bantam

P.S.: :thumbsup: (10 von 10 Punkten)

 

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