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Bis zum Hals in Gulaschsuppe

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12.12.2001
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Bis zum Hals in Gulaschsuppe

Es donnerte, als das Abendrot den Himmel hinunterfloß und am Horizont versickerte. Blitze schnitten durch die Schwärze, die dem Rot folgend das Firmament hinunterrollte. Begleitet von Regen und Sturm, die sich auf unheimliche Weise ohne Wolkenhilfe ins Bild gestohlen hatten, fiel schlußendlich der Vorhang endloser Dunkelheit. Das Ende.

Stunden vor dem Fallen des Vorhanges erwachte Wilbur schweißgebadet aus einem Alptraum, der, dessen war er sich sicher, ihn die ganze Nacht gequält hatte und ihn wohl umgebracht hätte, wäre er nicht endlich aufgewacht. Es dauerte noch eine gefühlte Ewigkeit, in der sich Schlaf und Wachen bekriegten, bis letzteres schließlich den Sieg errang und Wilbur die Kontrolle über sich selbst zurückgab. Sofort schnellte er mit dem Oberkörper hoch und warf gehetzte Blicke in jeden Winkel seines Schlafzimmers. Doch wieder ließ sein Körper ihn qualvolle Augenblicke warten und blind in die Dunkelheit starren. Dann schälten sich undeutliche Schemen aus der Schwärze, welche langsam vor dem aggressiven Grau zurückwich, das Wilburs Schlafzimmer eroberte. Dieser wichte sich mit der Bettdecke den Schweiß aus dem Gesicht und schaute sich mit weit aufgerissenen Augen um.
Nichts war zu sehen, was zu weiterer Beunruhigung Anlaß gegeben hätte. Der Mond schien schüchtern aus wolkenverhangenem Himmel durch die schweren Vorhänge und zeigte die Schränke, den kleinen Schreibtisch und die Türe ruhig an ihrem gewohnten Platz stehen. Auch die restlichen Schatten, die das Zimmer bevölkerten, taten nichts ungewöhnliches und so sank Wilburs Herzschlag wieder auf gesundes Normalmaß. Er ließ sich zurückfallen und versuchte, sich weiter zu beruhigen. Sollte er aufstehen? Vielleicht war es besser - die Aussicht einer neuen Episode des eben Geträumten behagte ihm gar nicht und der bloße Gedanke beschleunigte seinen Puls wieder.
Zur Ruhe kam er nicht mehr, denn vom Flur her drangen Geräusche an sein überempfindliches Ohr, die definitiv nicht vom Flur her kommen durften. Ein leises Tapsen wie das einer zu groß geratenen Katze, das Schnauben eines Hundes, das mindestens nach einem Höllenhund verlangte und... ein Schaben... ein Schaben als bewegten sich Hufe über die Holzdielen. Dann knarrte die Türe verdächtig und ließ Wilbur wiederum in seinem Bett hochfahren. Er starrte auf die Tür, die sich jedoch keinen Zentimeter weit bewegte. Beängstigende Stille folgte, er hielt den Atem an und lauschte, und dann wölbten sich langsam, aber deutlich, faustgroße Beulen in das Holz der Tür als wäre es Gummi. Ein Scharren durchbrach die Stille, dann ein weiteres und noch eines und schließlich schien es, als kratzten tausend Tatzen über die Tür. Wilburs Blick wurde schärfer bis er das Scharren auch visuell wahrnahm, als winzige Wölbungen im Holz, in drei, vier oder fünf parallelen Reihen nebeneinander her fahrend.
Vom Schrecken gelähmt krallte sich Wilbur an seiner naßgeschwitzten Bettdecke fest, während die Tür sich immer weiter ins Zimmerinnere wölbte wie eine hölzerne Blase. Diese platzte schließlich und zerbarst in tausend Holzsplitter, die in alle Ecken des Zimmers schossen und Wilbur einige schmerzhafte Wunden zufügten. Doch das bemerkte der Getroffene nicht, denn zu fixiert war er auf das, was da durch den nunmehr leeren Türrahmen auf ihn eindrang. Aus der Dunkelheit schälte sich zuerst ein aufrechtgehendes Schwein, das ihm grunzend näher kam. Über und über mit Warzen bedeckt sah es in seiner buckligen Haltung äußerst bedrohlich aus, verstärkt durch die klaffenden Öffnungen an seiner Linken und am Hals, aus denen das Blut unablässig troff. Dahinter zwängte sich ein bulliges Ungetüm ins Zimmer. Zwei spitze Hörner rissen ein paar Späne aus dem Rahmen und schnaubend baute sich ein riesiger, zweibeiniger Ochse vor Wilbur auf und funkelte ihn aus zwei blutrot unterlaufenen Augen finster an. Sodann folgte eine Horde kleineren Rotwilds, dem ohne Ausnahme eine Hälfte des Unterleibes durch ein grobschlächtiges Holzbein ersetzt war. Derart verkrüppelt schlurften sie über den Dielenboden und unterlegten so den monströsen Auftritt mit passend schiefen Geräuschen. Als bedürfte es noch einer Steigerung der Absurdität ihrer Erscheinung, saß auf jeder rechten Schulter der Tiere ein Huhn mit blutverkrusteten Federn und gekürzten Schnäbeln und fing, kaum waren ihre Träger zum Stehen gekommen, mit einem ohrenbetäubenden Konzert an.
Wilbur bekam von alledem nichts mehr mit, denn der erste Anblick dessen, was sich ihm da näherte, hatte ihn gnädigerweise mit völligem Verlust seiner Sinne gesegnet.
Als er erwachte, hing er mit Händen und Füßen an eine Stange gefesselt mit dem Rücken nach unten und rang nach Luft. Wieder machte er den Kampf gegen seine Benommenheit durch, gewann endlich und wünschte sich sogleich, verloren zu haben. Denn sein Blick fiel auf seine beiden Träger - zwei Gehörnte, Ziegen wohl, die aussahen wie Baphomet und ihn wohl geradewegs in die dämonischen Niederungen der Unterwelt trugen. Die beiden befanden sich, wenngleich Wilbur diese Kenntnis aufgrund seiner unglücklichen Perspektive verwehrt blieb oder sie wenigstens riechend erahnen konnte, in der Mitte einer längeren Prozession aufrechtschreitender Tiere, deren größter Teil aus kreischendem Geflügel und humpelndem Wild bestand. An der Spitze stolzierten mit stolzgeschwellter Brust die Rindviecher mit ihren Schweineadjutanten, gleichsam einen drastischen Kontrast zu sich selbst wie zu den ihnen Nachfolgenden bildend. Die Schweine mochten weniger Adjutanten als Priester sein, denn sie schwenkten kleine, an Ketten befestigte Schälchen, aus denen dichter, grüner Qualm über die Köpfe der Marschierenden quoll und unterlegten das allgemeine Getöse mit gegrunzten Chorälen.
So bewegte sich der animalische Marsch unbehelligt durch die nächtlichen Gassen. Wilbur sah Menschen am Straßenrand stehen, doch waren sie augenscheinlich zu nichts anderem im Stande als mit offenen Mündern auf die Vorbeiziehenden zu starren. Auch Wilburs verzweifelte Schreie, so sie durch den Lärm seiner Jäger überhaupt zu hören waren, riefen keinerlei Reaktionen hervor, ja selbst der Umstand, daß vereinzelte Pechvögel von ungestüm aus der Formation ausbrechenden Ziegen durchbohrt oder von schweren Hufen zertrampelt wurden, konnte die allgemeine Erstarrung nicht lösen.
Bald hatte der bizarre Zug die letzten Ausläufer der Stadt erreicht und kam nach weiteren langen Minuten auf einer kleinen lichtung inmitten eines winzigen Wäldchen am Rande der Siedlung zum Stehen. Das Rotwild verteilte sich schnell in alle Richtungen als einer der riesigen Ochsen auf seinen Gefangenen zukam. Er blitzte ihn aus seinen feurigen Augen gierig an und brummte dann einige Anweisungen, deren Verständnis Wilbur zum Glück nicht vergönnt war. Seine Träger schienen aber sehr wohl verstanden zu haben und setzten ihre Last auf der Stelle ab. Die Fesseln wurden ihm abgenommen, jedoch kam erst gar keine Hoffnung auf Besserung seiner Lage auf als die beiden Ziegen ihn brutal nach oben rissen, in ihre Mitte nahmen und ihn rücksichtslos an den Rand der Wiese schleiften. Dort stand eine kleine Holzhütte, in die er geschmissen und dann alleine gelassen wurde. Immerhin, hier roch es nach verrottendem Fleisch - widerlich, aber dennoch eine Wohltat nach dem bestialischen Gestank seiner Peiniger.
Wiederum hatte Wilbur keine Zeit zur Besinnung, denn entgegen seiner ersten Annahme befand er sich keineswegs alleine in der Hütte, dunkle Ecken sich vor seinen Augen langsam ein wenig aufhellten. Er war nicht nur nicht alleine, er war buchstäblich umzingelt von einer kleineren Armee von Hasen, die ihn mit ihren großen, einfarbigen Knopfaugen bewachten. In dem spärlichen Licht war ihr Fell ausnahmslos dunkelgrau, doch es waren unzählige kleine Wunden auszumachen, auf denen es sich auffällig eklig bewegte. Noch bedrückender wurde der Anblick, als die Hasen ihre Mäuler aufrissen und fletschend ihre langen, spitzen Zähne entblößten. Der Speichel lief ihnen aus den Mundwinkeln und die Augen verformten sich zu dünnen Schlitzen. Draußen mischte sich ein gleichmäßiges Trommeln in den lauter werdenden Singsang der Schweine. Dann waren sie über ihm. Ein Meer aus Fell und blitzendem Zahnwerk brauste über ihn hinweg und kaum daß sich der erste Hase festgebissen hatte, versank Wilbur ein weiteres Mal in die barmherzige Umarmung der Ohnmacht.
Dieses Mal war es die Hitze, die Wilbur weckte. Als er die Augen aufschlug war alles verschwommen, doch, wie er mit Entsetzen feststellen mußte, diesmal nicht durch getrübte Sinne, sondern durch verdampfendes Wasser bedingt. Er saß in einem Kessel, der mit einer trüben, übelriechenden Flüssigkeit gefüllt war, die schon anfing, die ersten Blasen zu bilden. Durch den aufsteigenden Dampf sah er das Wild und die Ziegen in wirren Zuckungen um sein Behältnis tanzen. Die Schweinepriester hatten ihren Gesang zu wahnsinnigem Schreien anschwellen lassen, das nur durch das zunächst leise Blubbern an Wilburs Ohren gestört wurde. Die Tiere ließen ihre Glieder in unmöglichen Verrenkungen um ihren Körper kreisen und beugten sich im Rhythmus des Geschreis vor und zurück. Durch den Schweiß, der in Wilburs Augen stand und den Wasserdampf sah der Tanz aus als schwebten Geister durch einen Alptraum, aus dem er nicht mehr erwachen würde. Über allem lag der grüne Qualm aus den Schalen der Schweine - nur den Ochsen, die erhaben im Hintergrund standen, schienen die Nebelschwaden auszuweichen.
Plötzlich verlor die unwirkliche Szenerie alle unheimliche Faszination als ein Fuß an Wilburs Gesicht vorbeischwamm. Dann folgte ein Bein, umgeben von kleinen Fleistückchen, und danach kam ein weiterer Fuß und ein zerbissenes Bein, das die nahe Flüssigkeit rot färbte. Es waren seine Gliedmaßen, denn an seinem Rumpf fehlten die Entsprechungen. Auch die Arme, die wohl hinter ihm trieben. Das widerliche Wasser fing an zu brodeln. Wilburs Augen rollten nach oben bis nur noch das Weiße zu sehen war. Seine Haut schlug Blasen und rötetete sich, bis sich die Farbe endlich in ein knuspriges Braun verwandelte. Ein gieriges Stöhnen erklang auf der Lichtung und ließ den Kessel zittern.
Dann fiel der Vorhang.

 

Hi falk,

na, da ist der vegetarische Missionseifer ja ein bisschen mit dir durchgegangen, oder?
Natürlich kann man die Geschichte als Albtraum lesen. Denn sonst ist dieses seltsame Bewusstsein von Karno (heißt bestimmt in irgendeiner Sprache Fleisch, erinnert wenigstens an Carne) schwer zu deuten. In kochender Brühe sitzen, Gliedmaßen schon abgehackt, das sehen und riechen können, aber nicht gleichzeitig schreien vor Schmerzen, alle Achtung.
Gut, die Geschichte steht ja auch unter Seltsam. ;)
Sie erscheint mir manchmal im Ausdruck etwas zu bemüht und umständlich. Dadurch steigt man beim Lesen vielleicht aus und dadurch milderst du für mein gefühl das beschriebene Horrorszenario auch etwas ab.

Dieser wichte sich mit der Bettdecke den Schweiß aus dem Gesicht
An dieser Stelle fehlt ein s.

Lieben Gruß, sim

 

Ok, zugegeben, daß man die Geschichte so interpretieren muß, kann ich nicht leugnen. Aber gemeint war sie nicht so - ich arbeitete letztes Jahr an einer Tankstelle und als ich eines Arbeitstages am Regal mit den Fressalien vorbeilief, hatte ich plötzlich den Satz "Bis zum Hals in Gulaschsuppe" im Kopf. Meine folgenen Untersuchungen ergaben, daß dort zwar Gulaschsuppe stand, von Hälsen und Bissen aber nichts zu sehen war.
Die Idee war also Eingebung des Tiergottes. Ich hätte sie wohl auch als Fleischesser geschrieben! :D

Was den Stil angeht hast du nicht so Unrecht - ich schwankte beim Schreiben zwischen Gruselgeschichte und Augenzwinkern. Deswegen habe ich von der Horror/Grusel-Rubrik auch abgesehen. Mal schauen, ob man das vielleicht noch etwas glätten kann.

 

Hallo falk,

nach diesem Einstieg

„Es donnerte, als das Abendrot den Himmel hinunterfloß und am Horizont versickerte. Blitze schnitten durch die Schwärze, die dem Rot folgend das Firmament hinunterrollte. Begleitet von Regen und Sturm, die sich auf unheimliche Weise ohne Wolkenhilfe ins Bild gestohlen hatten, fiel schlußendlich der Vorhang endloser Dunkelheit. Das Ende.“

Erwartet man schon etwas Dramatisches und so kommt es dann auch. Ein Problem ergibt sich aus Überschrift (die könnte man auch bei Humor finden) und sonstigem Stil: Man weiß nicht, soll das jetzt grausig sein, oder persiflierendes Augenzwinkern?

L G,

tschüß Woltochinon

 

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