Bist du das?!
Der Raum war hübsch geschmückt, keine Frage. Ein riesiges Spruchband verziehrtedie Wand. Abitur 1995. Ich war nicht die Erste. Zwei Frauen und ein Mann hatten es sich bereits im Raum gemütlich gemacht. Sie tranken Kaffee und plauderten. Plötzliche, kindliche Schüchternheit überwältigte mich und mit Trippelschritten kämpfte ich mich zu meinen ehemaligen Mitschülern vor.
„ Hallo Leute“, krächzte ich und ärgerte mich über das „ Leute“, das pseudo jungendlich klang.
„ Emilia! Bist du das?“, stellte eine dunkelhaarige Frau, die ich als Anne erkannte,
die rhetorischste Frage, die man überhaupt auf einem Klassentreffen fragen kann, wenn man sich eh schon sicher ist, wen man vor sich hat.
„ Anne! Klaus! Susi!“, rief ich begeistert und stellte mein eingefrorenes Lächeln ein. Gleichzeitig zog sich mein Magen vor Unwohlsein zusammen.
„ Setz dich und erzähl von deinem Leben“, rief Susi, wie ich fand, reichlich affektiert.
Was soll ich schon erzählen? Soll ich dir die letzten zehn Jahre wiedergeben?, dachte ich genervt. Stattdessen antwortete ich lahm:
„ Na ja ich habe studiert und arbeite nun als angehende Anwältin.“
Drei nickende Fratzen blickten mir entgegen. Nervös pulte ich Holz aus dem Tisch und nickte ebenfalls. Schweigen entstand, peinliches Schweigen.
„ Schön, dass du meine Einladung angenommen hast!“, rief Anne so plötzlich, dass ich zusammen fuhr.
„ Ja, ich freue mich auch“, antwortete ich brav. Ich dachte:
Was hätte ich auch sonst tun sollen um deiner aufdringlichen Art zu entfliehen?
„ Und was machst du so?“, wendete ich mich an Klaus und besann mich selbst auf das oberflächliche Geplänkel.
„ Ich bin Kinderarzt. Ich arbeite am Klinikum in Münster.“
Ich nickte wieder. In dem Moment betrat ein hoch gewachsener Mann den Raum. Wieder wurde ich in die Jugendtage zurück geworfen, als ich mein Herz heftig schlagen fühlte. Mein Jugendschwarm, mit dem ich nie zusammen gekommen war.
„ Hallo, Max!“, riefen alle und standen auf um ihn zu begrüßen. Nur ich blieb wie angenagelt sitzen. Max – ich erkannte die schönen dunkel blauen Augen und das struppige, braune Haar.
„ Hallo Emilia“, begrüßte er mich und nun erkannte ich auch die männlich tiefe Stimme.
„ Hallo Max“, erwiederte ich und zwang mich zu einem Lächeln. Ich musste annehmen, dass es sehr schief ausfiel. Am Liebsten hätte ich mich selber einmal kräftig gekniffen. Ich ärgerte mich über meine Nervosität, es war zehn Jahre her seit ich Max das letzte Mal gesehen hatte. Ich war eine Frau und kein Teenie mehr. Für einen Moment schloss ich die Augen und beruhigte mich wieder etwas. Als ich sie wieder aufschlug fing ich ein Augenzwinkern von Max auf und schon schlug mein Puls wieder Purzelbäume. Er hatte noch genau die unwiderstehliche Austrahlung wie vor zehn Jahren.
Anne hatte dieses Klassentreffen organisiert und nun strömten die Leute in Scharen herein. Die Meisten erkannte ich, andere nicht. Hätte ich doch mal alle erkannt.
„ Emilia!“, kreischte eine und schlang die Arme um mich.
„ Toll siehst du aus“, lobte sie und lachte mich an.
„ Ähm ja du auch...“, stammelte ich und versuchte krampfhaft dem stark geschminkten Geischt vor mir einen Namen zu zuordnen.
„ Wie geht’s dir? Was macht das Studium? Hast du wirklich Jura studiert?“, fuhr mein Gegenüber unbeirrt fort.
„ Jaaa, ja das habe ich. Und du....“ Ich hoffte darauf, dass sie meinen Satz beenden würde. Sie tat mir nicht den Gefallen.
„ Also, Emilia! Du wirst doch noch wissen was ich studieren wollte!“
Panisch schüttelte ich den Kopf. Die Frau lachte laut.
„ Unfassbar! Ich habe doch nun wirklich kein Geheimnis draus gemacht!“
„ Medizin?“, versuchte ich es auf gut Glück. Die Frau klatschte in die Hände.
„ Genau! Du hättest mich auch enttäuscht, wenn du es nicht mehr gewusst hättest!“, rief sie und mir fiel ein Stern vom Herzen.
„ Ich geh jetzt mal zu Max“, sagte sie und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Schlagartig wurde mir bewusst wer vor mir stand.
„ Cora!“
Cora sah mich verwundert an.
„ Ja, Emilia, was ist noch?“, fragte sie irritiert. Ich wurde rot wegen meines plötzlichen Ausbruches. Als ich nicht antwortete ging sie zu Max. Benommen setzte ich mich auf einen Stuhl. Cora, die berühmteste Schönheit der ganzen Schule hatte mit mir gesprochen. Ein Mädchen für das selbst der Schulwarm Max kein Problem war. Cora, die die Trends setzte hatte mit mir gesprochen.
Wir sind nicht mehr im Jahr 1995!, erinnerte mich eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf an die Realität. Ärgerlich nahm ich meine Tasche und verließ den Raum. Ich hatte genug von Klassentreffen. Hatte es mich doch zehn Jahre danach, wieder zurück in die Pubertät geworfen.