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Blau wie Breslau

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14.06.2022
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Blau wie Breslau

Ich schaue sie an, sehe sie da sitzen auf der Bank, händchenhaltend, diese alte Hand haltend, dem Gebrabbel lauschend, kichernd, zwinkernd, das Luder, kaum Titten, aber was für ein Arsch, was für Beine und diese Augen grün wie Gift.
Sie sagt, sie trinke ihren Kaffee immer schwarz, denn sie sei süßer als Zucker, und letztens habe sie im Fitness nen Typen kennengelernt, Muskeln, geiler Körper, aber Schwanz so groß wie ihr Daumen, sie habe den kaum gespürt, auch nicht im Mund, da habe sie gleich den Respekt verloren und wusste, der isses nich. Denn sie will nen Mann zu dem sie aufschauen kann, der ihr weiche Knie und rote Backen macht, sie packt und hochhebt und festhält, sie loslässt und sagt: Da lang, mir nach!
Ich schaue sie an, sehe sie da sitzen auf der Bank, im Sonnenschein auf dem Balkon, diese runzlige Hand, die sie hält, geborgen zwischen ihren, diese Witwer-Hand, die im Krieg dabei war, Finger am Abzug in Stalingrad, Finger im Arsch im Winter in Sibirien, bibber, bibber hinterm Gitter und warme Gedanken an Edeltraud vom Tegernsee. Ohne die hätt er nich überlebt, sagt er, der schmalzige Romantiker mit den silbernen Haaren, der sanfte Riese mit dem Gemüt eines Kaninchenzüchters, der SS-Deserteur, der ganz genau weiß, was er sagen muss, um zu wirken wie ein Lamm.
Aber ich weiß es besser. Der hat Polen überfallen, Schätzchen, dein Breslau niedergewalzt, das ist Geschichte, da gabs keine Mitläufer, da gabs nur Mittäter. Würd der jetzt unterm Hakenkreuz neben dir sitzen, würd der anders reden, das is mal klar. Da würd der Führer vor der Liebe kommen, der Führer vor der Familie, der Führer vor der Treue. Treue, pah! Muss gar nix heißen, dass der siebenundfünfzig Jahre verheiratet war. Kann trotzdem rumkarnickelt haben. Außerdem wars damals einfacher verheiratet zu bleiben, weils schwieriger war, sich scheiden zu lassen. Und Liebe, pah! Ist doch nur Show, wenn der wegen seiner Edeltraud rumflennt. Will zeigen, dass er weinen kann, n Poeten-Herz vortäuschen, damit du ihn in den Arm nimmst, er dich riechen und antatschen kann, der notgeile Bock, müssteste mal sehen, wie der dir auf den Hintern glotzt, wennde nicht hinschaust. Da kullern die Augen in die Hoden und produzieren Saft, da pumpt das Poeten-Herz die impotente Eichel dick, da is der scharf wie dem sein Maschinengewehr in Stalingrad. Da denkt der nich mehr an den Holocaust, da denkt der nur an dich.
Ich schaue sie an, sehe sie da sitzen auf der Bank, und die uralte Schube rollt mir ins Blickfeld und fragt, wann ihr Vater sie abholen kommt.
„Übermorgen“, sage ich.
„Ich dachte heute.“
„Nein, erst übermorgen.“
„Ich hab jetzt aber schon die Koffer gepackt.“
Welche Koffer?, denke ich. Niemand hat hier Koffer, hier ist Endstation. „Rollen Sie mal n Stückchen zurück.“
„So?“
„Perfekt.“
Ich schaue sie an, sehe sie da sitzen auf der Bank, die dunkle Medusa, schwarze Locken, zischelnde Zungen, vom Sonnenlicht glühend geleckte Haarspitzen …
„Und Sie sind sicher, dass mein Vater nicht heute kommt?“
„Todsicher“, sage ich. „Und jetzt ab auf ihr Zimmer, Frau Schube. Ist Mittagsruhe.“
„Ich glaub Ihnen nicht. Ich will den Verantwortlichen sprechen.“
„Ich bin der Verantwortliche.“
„Dann Ihren Vorgesetzten.“
„Ich bin mein eigener Chef.“
„Das ist impertinent!“
„Wieso?“
„Weil Sie frech sind!“
„Ich sag nur wies is.“
„Wo kann ich mich hier beschweren?“
„In ihrem Zimmer.“
Die Schube dampft ab, rollt den Gang lang, begegnet dem Fassbinder, der seriös aussieht. Anzug, Krawatte, saubere Fingernägel. Ein manisch-depressiver Millionärssohn, nie was gearbeitet, gerade depressiv und schon seit Jahren pleite, seit Jahren alt auch, darum ist er hier. Ich sehe, wie ihn die Schube anspricht. Die beiden verstehen sich. Blaublüter halt.
Ich schaue sie an, sehe sie da sitzen auf der Bank, Beine übereinandergeschlagen, Sandale abgestreift wippt ihr nackter Fuß, die Nägel türkis lackiert, und ich geh auf die Knie, robbe mich an, lutsche am großen Zeh, sauge am Knöchel, knabbere an der Achillessehne. Augen grün wie Gift, kaum Titten, aber was für Beine! Was für ein Arsch!
Sie sagt, ihr Ex war Koch, zwanzig Jahre älter, gut im Bett, gut mit Zunge, aber dann hat er den Schrank aufgemacht. Der Umschnalldildo war schwarz, aber das war nicht das Problem, das Problem war, dass er zu stöhnen anfing, zu stöhnen wie ein Mädchen, und da hat sie den Respekt verloren, da wusste sie, der isses nich.
Sie sagt, sie wisse nicht, wer Stanislaw Lem sei, finde aber Lewandowkis Nase süß, aber kein Vergleich zu Ibrahimovic, mit dem würde sie sofort ins Bett, ohne nachzudenken, wie ne Bitch, das sei ihr egal, Bitch sei nur ein Kampfbegriff des Patriarchats. Okay, so hat sie das nicht gesagt, aber so ähnlich: Ich tue, wie ich will.
Sie sagt, sie habe kaum Brust, sie wisse das, habe fast nur Nippel, darum achte sie auf ihre Po und Beine, laufe Inlineskate, das sei gut für die Po, die Beine. Und meine flache Bauch, schau. Ich hab ganz flache Bauch, wie Tänzerin. Bitch, hab ich da gedacht, und Stimmt gesagt.
Sie sagt, ihre Lieblingsfarbe sei blau, denn blau sei die Farbe des Wassers, und Breslau sei voller Wasser, sei das Venedig des Ostens, die blaue Stadt, die schönste Stadt. Sie sagt Rammstein. Sie sagt The Departed, sie sagt, hab ich nicht. Sie sagt Hunde, Johnny Depp, Soljanka, Audi A3. Sie sagt Malediven, McChicken, Bart, Penelope Cruz, Frühling. Sie sagt Tequila, Frutti di Mare, Schnecken, Pistazie, Maja, Sergej, Armani. Sie sagt Spinnen. Sie sagt Küssen. Sie sagt, bist du immer so neugierig? Nur bei Menschen, die mich interessieren, sage ich.
Ich schaue sie an, sehe sie da sitzen auf der Bank, die beiden, händchenhaltend, der Himmel blau, ein Zitronenfalter auf dem Geländer, Lachfältchen im dement grauen Gesicht, Grübchen unter blauen Augen, kantiges Kinn, Zahnprothesen, und ich weiß, sie wäscht ihn untenrum, obwohl er das noch selber kann. Wäscht ihm die Eier, den Schwanz, zieht die Vorhaut zurück und umschlingt die dicke Eichel mit dem Waschlappen. Jeden Morgen tut sie das, denn er ist ihr Liebling, da darf kein anderer ran. Anleitung, sag ich, gib ihm Anleitung, das feuert seine Synapsen an, er ist nicht so dement, wie du denkst, er weiß noch, wie man sich den Schwanz wäscht. Aktivierende Pflege, sag ich, wir machen hier aktivierende Pflege.
Aber sie tut es trotzdem, macht den Fallecker passiv, Hände hinterm Rücken verschränkt steht er da, und was für ein Schwanz, impotent doch imposant, steif sicher unerträglich, ein Beckenbrecher, und ich überrasch sie oft dabei, in der Hocke, wie sie das Smegma entfernt. Sie sieht mich dann an, so von unten her, klimpernde Wimpern, ist-doch-nicht-so-schlimm-wie-du-tust-warum-regst-du-dich-so-auf, und ich spür die Frage brennen, will die Antwort rausbrechen, kriegs aber nicht hin, ist wie Sand im Maul.
Dieser verdammte Fallecker, sie schneidet ihm sogar das Schnitzel oder den Fisch am Freitag, hat ihm einen Schal geschenkt, damit sie ihn im Winter raus zum Rauchen nehmen kann. Was für ne Sonderbehandlung! Warum?, frag ich da. Er hat Angst vor Kälte, sagt sie da. Und ich mag ihn, sagt sie da. Männer wie ihn gibt’s heute nicht mehr, sagt sie da.
Und ich sag: „Wie meinst du das?“
„Gäntlemän“, sagt sie.
Poah, Alter, ich schaue sie an, sehe sie da sitzen auf der Bank, mit ihren Haaren, ihrem Breslauer Arsch, klar will ich sie ficken, aber nicht nur, da ist noch mehr, was Übernatürliches, was Heiliges. Ich mein, ich hab beim Wichsen noch nie an sie gedacht, hab mir das verboten, und sie kommt mit Gäntlemän.
Fritzi bringt mich zum Lachen, Fritzi hat Stil, Fritzi sagt immer, was er denkt. Wäre Fritzi jünger, würd ich ihn heiraten. „Er war ja so ein schöner Mann, schau hier, sein Hochzeitsfoto, schick nicht? Diese Haare …“
„Und schau seine Frau an, die Edeltraud“, sage ich. „Fett mit fetten Brüsten. Gar nicht so wie du.“
„Das kommt mit Alter“, sagt sie. „Wenn ich schwanger, ich werd auch dick.“
„Du willst Kinder?“
„Mit richtige Mann, ja.“
Und ich schaue sie an, sehe sie da sitzen auf der Bank, neben mir im Frühling, grüne Blätter, blauer Himmel, warmes Licht, Pollen und Schmetterlinge verstopfen mir den Hals, doch sie sagt: „Ich weiß nicht.“
„Original Italiener“, sage ich. „Steinofen Pizza. Beste Frutti de Mare weit und breit.“
„Ich weiß nicht.“
„Dann Kneipe. Rammstein. Tequila.“
„Ich weiß nicht. Du Kollege und ...“
„Kaffee? Kenn da nen Bäcker, echt gute Krapfen.“
„Ich weiß nicht, nein, noch nicht jetzt, später vielleicht ...“
„Weißt du überhaupt, was Krapfen sind?“
„Sind Gebäck, süß, mit Marmelade drin.“
Ich schaue sie an, sehe sie da sitzen auf der Bank, die Polin und den SS-Deserteur, händchenhaltend, kichernd, ihre Haut weiß wie Schnee, seine grau wie der Tod, brabbel, brabbel alter Brabbler, sabber ihr die Schürze voll, lass die Zahnprothesen klappern, zeig dein breites Lächeln, und gib dem Thrombus eine Chance, lass ihn sich bilden in deinen sklerotischen Adern, lass ihn sich lösen, aufsteigen und dein Hirn, deine Lunge oder dein Herz verstopfen, lass dich sterben, denn deine Zukunft ist vorbei und deine Kinder und Enkelkinder besuchen dich nur noch am zweiten Weihnachtsfeiertag.
Komm schon Sommer-Sonne, schlag zu, knüppel ihn nieder, mal ihm Schwärze vor die Augen und kick ihn in die Kiste. Komm schon Krebs, falls es dich gibt, nage, nag dich durch die Bauchspeicheldrüse, friss dich voll, reier auf die Leber, in die Blase, lass die Pisse blutig werden. Komm schon Demenz, mach sein Hirn porös und leer, mach ihn zum Niemand und wisch ihm das verdammte Grinsen aus dem Gesicht … Dieser Glückspilz! Warum mag sie ihn so gern?
Ich schaue sie an, sehe sie da sitzen auf der Bank, stehe auf und gehe raus. Die Sonne brennt, ich schwitze sofort, geb mir Feuer, blicke auf die Berge, den blauen See, die verstopfte Straße unter dem Balkon. „Wasn Verkehr, wie?“, sage ich und ziehe den Aschenbecher über den Tisch zu mir. „Muss wohl Freitag sein.“
Ich schaue sie an, und SS sagt: „Früher bin ich mit meiner Edeltraut auch oft am Wochenende raus aufs Land gefahren. Wir haben angehalten, wo es uns gefiel, haben eine Decke ausgebreitet und den Himmel angeschaut, lagen da oft bis zum Abend, und wer den ersten Stern entdeckte, bekam einen Kuss.“
„Das muss schön gewesen sein“, sagt sie.
„Ich hab früher Interrail gemacht“, sage ich. „Also früher heißt bei mir vor zwei Jahren. Hab fast jede Nacht im Schlafsack auf der Isomatte gepennt, in Schottland, in Irland, in Frankreich, in Spanien, hab immer geschaut, dass ich irgendwo am Strand schlafen kann, weißt schon Anna, der Sternenhimmel über mir, das Rauschen des Meeres, die Möwen, der Geruch des Salzwasser in der Nase, die Brise auf der Haut, und am nächsten Morgen hab ich ne Muschel eingesammelt, die mir besonders gut gefiel, als Erinnerung an diese Nacht, diesen Tag, diese Stunde, diesen Moment ...“
Ich schaue sie an, und SS sagt: „Das muss schön gewesen sein.“
„Fritzi“, sagt sie da, und ich sehe, wie sie seine Hand drückt. „Was hältst du von diese Mann?“
„Von dem Jungen?“
„Ja, er mich gefragt, ob ausgehen mit ihm, aber ich nicht sicher.“
„Warum?“
„Du mir sagen warum.“
SS mustert mich. Und ich erinnere mich, wie er seinen Schnürsenkel mit dem des anderen Schuhs zusammenband und beim Aufstehen hingefallen wäre, wenn ich ihn nicht aufgefangen hätte. Oberschenkelhalsbruch, Rollstuhl bis zum Ende, Fritzi, du schuldest mir was, aber er sagt: „Ich weiß nicht, Mädel.“
„Jetzt komm schon“, sag ich. „Schau mich an. Blaue Augen, blonde Haare, gib mir dein Heil.“
„Wie?“
„Wie, ja“, sagt sie. „Ich versteh auch nie, was sagt. Das große Problem. Er reden und reden, und ich nicht wissen was sagt, was eigentlich will.“
„Also komm ey, das ist doch klar, ich ...“
„Lass das Mädel ausreden, Junge!“
„Okay, Neunzehnneunundreißig, wenn du das sagst. Aber ich dachte, das Mädel, das Anna heißt, sei fertig mit reden, und jetzt käm ich dran.“
„Er immer reden.“
„Du redest zu viel, Junge.“
Also schweige ich, lausche den Auspuffen, den Motoren, dem Dröhnen der verstopften Landstraße, und schaue sie an, sehe sie da sitzen auf der Bank, händchenhaltend. „Fritzi“, sagt sie dann. „Frag ihn, was er will von mir?“
„Was willst du von ihr, Junge?“
„Ich will mit dir ausgehen.“
„Fritzi frag ihn, was er will wirklich?“
„Was willst du wirklich, Junge?“
„Ich will wirklich mit dir ausgehen, Anna.“
„Fritzi, frag ihn, was das bedeuten?“
„Was bedeutet das, Junge?“
„Krapfen essen, Kaffee trinken, ein Spaziergang am See, Sonnenuntergang, Stille bis auf das Schwappen des Wassers, glitzernde Lichter ...“
„Ich versteh nicht. Fritzi, sag ihm, er soll sprechen klar.“
„Du sollst klar sprechen, Junge.“
„Okay. Also schau mich an, Anna, schau mich an. Denn ich schaue dich an, sehe dich da sitzen auf dieser Bank, und ...“
Vibration in meiner Hose. Vibration in Annas Brusttasche. Sie zückt das Mobiltelefon, schaut auf das Display. „103“, sagt sie. „Der Ramdam. Ich gehe.“
„Allein?“
„Ich schaff das.“
„Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst.“ Und ich schaue ihr nach, sehe sie da gehen, diesen Gang entlang schweben, Rücken gerade, Kinn oben, die kleinen Brüste rausgedrückt. Im Schnee, im Schnee würd ich sie gern bumsen, Griffel im Nacken, Gesicht in die Kälte gedrückt, Wärme von hinten. Im Norden vor unserm Iglu, Polin. Dein Po weiß in der Sonne.
„Sag, Fritzi“, sage ich und schaue den alten Mann an. „Warum erzählt sie mir, dass ihre Brüste groß wie Schokomuffins sind? Wie Schokomuffins mit nem Smartie als Nippel drauf? Warum? Ich mein, ich hab sie das nie gefragt. Warum erzählt sie mir das von sich aus?“
„Junge, du stellst dir zu viele Fragen.“
„Also soll ich einfach reinbeißen?“
„Wo hinein, Junge?
„In den Schokomuffin.“
„Ich versteh dich nicht, Junge.“
„Na, sie sagt, ihre Brüste sind wie ...“
Dann der Ruf, ich sehe sie am Ende des Gangs stehen, sie ruft nach mir, ich komme. Ramdam sitzt auf dem Toilettenstuhl, die arthritischen Finger umklammern die Haltestange, er zittert, Parkinson, und sagt: „Ich spür meine Beine nicht.“ Aber das ist es nicht, denke ich, es ist sein Fett, sein Fett und Bequemlichkeit, er will hochgehoben werden. Ramdam ist Politikum, sein Sohn ein hohes Tier in der CSU, kommt manchmal vorbei, um Fotos knipsen zu lassen. Staatlich subventionierte Altersheime? Super! Daumen hoch! Mein Vater ist auch hier drin! Und schaut euch an, wie fett er ist, wie rosig seine Wangen sind. Blau-weiß kariert ist der Himmel.
„Er will nicht aufstehen“, sagt Anna.
„Ich spür meine Beine nicht“, sagt Ramdan.
„Bei Drei“, sag ich, und pack Ramdan unter den Achseln, sehe wie die Knöchel seiner zitternden Hände, die die Haltestange umklammern, weiß hervortreten. „Eins … Zwei … Drei!“ Und dann wucht ich den fetten, katholischen Ägypterkörper hoch und halte ihn fest gegen die geflieste Wand gedrückt. „Alter! Benutz deine Beine!“
„Ich spür meine Beine nicht!“
„Drück die Knie durch, Alter! Sonst lass ich dich fallen!“
Ramdam drückt, dann steht er, und ich stehe hinter ihm, halte ihn weiter unter den Achseln gepackt und trete einen Schritt zurück, damit Anna dem Simulanten den Arsch abwischen und die Hose hochziehen kann.
Und da passiert es. An der Wäscheleine zuckt ein Zitteraal und Annas Hinterkopf touchiert meinen Schwanz. Einmal, zweimal, dann nochmal.
„Will sehen“, sagt Ramdam dann, als er im Rollstuhl sitzt, und Anna schiebt ihm den Toilettenstuhl vor die Augen. Es ist normaler Kot, nicht zu fest, nicht zu weich und gesund braun. „Gut“, sagt Ramdam, und ich schaue sie an, sehe sie da gehen, den Toilettenstuhl schiebend und denke: So nah war ich ihr noch nie.
„Bring Sie ins Bett.“
„Wie?“
„Ins Bett“, sagt der Ägypter. „Ich will ins Bett.“

 

Hallo Mand,

flapsig, schnell und wie ein flacher Stein, der über das Wasser springt in zahllosen Sprüngen. Mal oberflächlich (Thematik) unterhaltend und dann wieder wie Nadelstiche, Dornen und ganze Salven brettharte Realität. Es ist nicht meine Art, so zu schreiben und so zu denken, aber Du hast mich vortrefflich bei Leselaune gehalten. Ich weiß auch nicht, ob "man" so schreiben darf - grammatikalisch - wo das Satzzeichen zu setzen ist und wo nicht, aber mir als Künstler ist es eh egal - das Stilmittel kommt gerade recht, um damit auf den Punkt zu kommen. Ja, hab ich gern gelesen und mich konntest Du begeistern.
Grüße - Detlev

 

Hallo @Mand

ist normalerweise nicht meine Art, mich in meinem Kommentar kurzzufassen aber bei deinem Text fällt es mir schwer, einzelne Stellen herauszugreifen oder konkrete Verbesserungsvorschläge zu machen, da er für mich als Ganzes eigentlich gut funktioniert und es jetzt keine explizite Stelle gibt, wo ich etwas anzumerken hätte. Wie im Kommentar meines Vorredners angemerkt, passt auch für mich die Art deiner Sprache. Der vulgäre, unverblümte Ton liest sich hart, passt aber gut rein.

Ich habe allerdings zwei Probleme mit deinem Text. Zum einen ist er mir schlicht zu lang. Dadurch verliert der Effekt deiner derben Sprache im Verlauf des Textes zunehmend an Wirkung. Zumindest für mich. Ich finde, du könntest im Mittelteil streichen, ohne dass dadurch deinem Text etwas verloren gehen würde. Ich glaube sogar, dass der Effekt dadurch stärker zutage treten würde.
Selbiges gilt für mich auch für deine derbe Sprache. Wie gesagt passt der Ton gut. Es wird mir aber dann irgendwann zu viel, heißt, die Derbheit wird etwas überstrapaziert und wirkt dadurch immer mehr beliebig und austauschbar. Es wiederholt sich ein wenig. Ich finde, dass du hier den Ton an der einen oder anderen Stelle ein wenig zurückdrehen könntest, ohne dass etwas verloren geht. Ich glaube, dadurch käme die Derbheit deiner Sprache insgesamt noch besser zur Geltung.

So viel von mir. Vielleicht kannst du damit etwas anfangen. Insgesamt gerne gelesen!
Viele Grüße
Habentus

 

Hallo @Mand

Kann mich dem Tenor meiner Vorredner anschliessen: Habe ich gerne gelesen und die derbe Sprache passt sehr gut. Für mich hat die Geschichte auch sofort eine Art Monstersog entwickelt, also deine Sprache zieht ordentlich durch den Text und es gibt keine Stolperer oder Stellen, wo etwas nicht klar war. Ich finde den Text aber auch etwas zu lang, sprich für mich nutzt sich das recht schnell ab, vor allem auch, weil nicht wirklich viel stehen bleibt, also so rein inhaltlich, wenn man mal die derbe Sprache weglässt. Dann fänd ich's eher langweilig. Also will sagen, die Sprache hat mich durch den Text getragen. Wenn die nicht so wäre, wie sie ist, hätte ich gleich nach den ersten paar Absätzen abgebrochen, weil mich der Inhalt einfach in keiner Weise anspricht. Um's mal im Jargon der Geschichte zu formulieren: Vom rein inhaltlichen Aspekt des Textes gesehen, ist der für mich noch flacher als die Titten dieser Polin :D

Dennoch ein paar Anmerkungen, wohl alles eine Frage des Geschmacks (wie so vieles):

Würd der jetzt unterm Hakenkreuz neben dir sitzen, würd der anders reden, das is mal klar.
Weiss nicht, ob ich die Stelle vielleicht doch nicht ganz richtig gelesen habe, aber würde da vielleicht noch einen draufsetzen: Würde der überhaupt noch reden? Würde der sich nicht einfach nehmen, was ihm zusteht? Vielleicht einfach: [...] würd der anders mit dir umgehen, das is mal klar.

Bitch sei nur ein Kampfbegriff des Patriachats.
Patria[r]chats, nicht?

Dann diese Stelle hier:

Sei sagt, ihre Lieblingsfarbe sei blau, denn blau sei die Farbe des Wassers, und Breslau sei voller Wasser, sei das Venedig des Ostens, die blaue Stadt, die schönste Stadt. Sie sagt Rammstein. Sie sagt The Departed. Sie sagt, hab ich nicht. Sie sagt Hunde. Sie sagt Johnny Depp. Sie sagt Soljanka. Sie sagt Audi A3. Sie sagt Malediven. Sie sagt McChicken. Sie sagt Bart. Sie sagt Penelope Cruz. Sie sagt Frühling. Sie sagt Tequila. Sie sagt Frutti di Mare. Sie sagt Schnecken. Sie sagt Pistazie. Sie sagt Maja. Sie sagt Sergej. Sie sagt Armani. Sie sagt Spinnen. Sie sagt Küssen. Sie sagt, bist du immer so neugierig? Nur bei Menschen, die mich interessieren, sage ich.
Kleiner Verdreher: Sei = Sie
Dieses ständige Sie sagt hat mich an der Stelle schnell ermüdet. Der Prot fragt und sie antwortet, die Fragen, die er ihr stellt, kann man sich vorstellen. Das ist wie aus dem Maschinengewehr gefeuert. Aber mir wurde es etwas zuviel des Guten. Auch wenn die beiden letzten Sätze schön wirken können nach diesem Stakkato. Mein Vorschlag:
Einige der Sie sagte-Dinger rauskürzen, so dass ungefähr dies stehenbleibt:

Sie sagt, ihre Lieblingsfarbe sei blau, denn blau sei die Farbe des Wassers, und Breslau sei voller Wasser, sei das Venedig des Ostens, die blaue Stadt, die schönste Stadt. Sie sagt Rammstein, The Departed, sie sagt, hab ich nicht, sie sagt Hunde, Johnny Depp, Soljanka, Audi A3, Malediven, McChicken, Bart, Penelope Cruz, Frühling, Tequila, Frutti di Mare, Schnecken, Pistazie, Maja, Sergej, Armani, Spinnen. Sie sagt Küssen. Sie sagt, bist du immer so neugierig? Nur bei Menschen, die mich interessieren, sage ich.

Das fände ich runder und weniger ermüdend zu lesen. Aber wie gesagt, nur mein persönlicher Geschmack.

Zu guter Letzt:

lass ihn sich bilden in deinen sklerotischen Adern
Das Wort fällt aus dem Rahmen. Klingt für mich zu gehoben für die Erzählstimme.

Das wars. Vielleicht kannst Du mit meinen Anmerkungen ja was anfangen.

Peace & Blümchen,
d-m

 

Hallo,

ist ja weniger eine stringente Geschichte, als ein grelles Panorama. Ein wenig kam es mir vor wie Bukowksi meets John Waters. Ich sag mal so: Kacke, Titten, Nazis, ein wenig Liebe. Die Klammer, die das irgendwie zusammenhält, ist das Schauen. Er schaut ständig. Aber es ist auch keine Geschichte über einen Voyeur, sondern eine eher voyeuristische Geschichte, die genau jeden Mikrokosmos ausleuchtet, mit Smegma und gesund braunem Kot, aber für mich gibt es dadurch keinen erzählerischen Mehrwert, es wird kein Resonanzraum aufgemacht, das rekurriert auf nichts, es ist einfach nur dieser distanzierte Blick durchs Brennglas. Das geht mir bei Heinz Strunk ähnlich, da wird breit beschrieben, wie ein fauliger Zahn aussieht, aber ich frage mich, für was steht der faule Zahn, was soll der in der Erzählung bewirken? Das ist vielleicht auch dieser leicht erhabenen Erzählposition geschuldelt, wo der Erzähler im Grunde runterguckt auf alles und jeden und das dann unter diesem zynischen Fokus betrachtet. Apropos Erzähler; den bekomme ich gar nicht zu greifen. Was wird mir hier eigentlich erzählt? Das ist so ein wenig der Schaukasten der Monstrositäten, mir wird allerlei bizarres Personal dargeboten und Fikki-Fikki-Fantasien, aber was ist das Thema, was das Motiv? Wohin führt das Ganze? Warum erzählt mir das der Erzähler überhaupt und warum genau jetzt? (Das kann man immer fragen, klar, aber hier scheint es mir angebracht, weil es so eine slice of life Story ist) Eine skurrile Annäherungsgeschichte zwischen Personal in der Geriatrie? Da würde es, glaube ich, einfach bessere Geschichten geben, als dieses Konstrukt. Ich weiß nie, wer der Erzähler ist, wie er zu den anderen Menschen steht, wie er überhaupt zu Menschen steht, er kommt mir wie ein sexuell überhitzter, aber untervögelter Mann vor, der dann solche Sachen sagt:

„Ich hab früher Interrail gemacht“, sage ich. „Also früher heißt bei mir vor zwei Jahren. Hab fast jede Nacht im Schlafsack auf der Isomatte gepennt, in Schottland, in Irland, in Frankreich, in Spanien, hab immer geschaut, dass ich irgendwo am Strand schlafen kann, weißt schon Anna, der Sternenhimmel über mir, das Rauschen des Meeres, die Möwen, der Geruch des Salzwasser in der Nase, die Brise auf der Haut, und am nächsten Morgen hab ich ne Muschel eingesammelt, die mir besonders gut gefiel, als Erinnerung an diese Nacht, diesen Tag, diese Stunde, diesen Moment ...“
Da wird er als astreiner Romantiker inszeniert, aber das wird nie wieder aufgegriffen, es soll wie ein Bruch wirken, hier tritt er heraus aus seinem Zyniker-Dasein, so ist er wirklich, das ist seine menschliche Seite, auch die anderen in der Szene, so eine stille Übereinkunft, wo sie alle etwas Vergangenes schön finden und das im Grunde schon impliziert, es wird wahrscheinlich nicht mehr so kommen, diese Moment sind final und vergangen, nur für den Erzähler nicht, aber der scheint aus dieser Chance nichts machen zu wollen. Mein Problem ist, ich nehme dem Erzähler beides nicht so ganz ab: weder den Zyniker noch den Romantiker. Diese derbe Sprache zieht bei mir nicht, nicht in diesem Zusammenhang jedenfalls. Dieses Motiv des Schauens finde ich hingegen spannend, aber so wie ich es lese, schaut er nicht, er starrt, er glotzt. Da gibt es nichts Stilles, den Moment des Zusehens, des Erfassens, sondern nur den grellen Unfall, das Krasse, was dann wie eine Karikatur wirkt und einfach ohne jeden doppelten Boden; hier ist alles so gemeint, wie es dasteht. Auch die Gesellschaftskritik mit der CSU und den Altersheimen, das wirkt so wie mit der Schrotflinte reingeschossen, als müsste das auch noch irgendwie untergebracht werden. So verliert es aber maximal an Wirkung, weil es eben nur eine weitere Nummer im vorgeführten Kabinett ist und mir der Erzähler nicht ernsthaft, nicht entschlossen genug wirkt, um eine glaubwürdiges Urteil darüber zu haben und zu entwickeln, es könnte auch nur einer seiner Witzchen sein. Ich finde das schade, denn in dieser Geschichte steckt Potential, auch diese Konstruktion mit dem Schauen hat was, auch in diesem Zusammenhang, aber es wirkt zu unentschlossen, zu wenig dezidiert, ohne Fokus, da ist nichts Griffiges dabei, was mich dem Protagonisten nachempfinden lässt, selbst da, wo er offensichtlich etwas von sich preisgibt, wo er sagt, er sei nur neugierig bei Menschen die ihn interessieren, das geht allerdings in den ganzen Umschnalldildoszenarien unter, da verliere ich diesen Zugriff sofort wieder und denke, im Grunde ist das eine Junge, ein Junge der zuviel Zeit in Internetpornographie investiert hat. Das kann man machen, man könnte den so zeigen, so installieren, aber darüber finde ich eben auch nichts im Text, so dass man sagt, sieh mal, das ist nur ein Schwafler, offensichtlich erkennt jeder, was er wirklich ist, er ist gar nicht so, sondern so, anders, aber mir erscheint das Erzählte dafür viel zu zuverlässig, eine Einbahnstraße.

Gruss, Jimmy

 

Hallo @Detlev

flapsig, schnell und wie ein flacher Stein, der über das Wasser springt in zahllosen Sprüngen. Mal oberflächlich (Thematik) unterhaltend und dann wieder wie Nadelstiche, Dornen und ganze Salven brettharte Realität.
So in etwa hab ich mir die Wirkung vorgestellt. Habe versucht im Bewusstseinsstrom zu bleiben und ohne grosses Nachdenken einfach mal rauszuballern (natürlich nicht aus meinem "normalen" Bewusstsein, sondern aus dem des Ich-Erzählers.)
Ich weiß auch nicht, ob "man" so schreiben darf - grammatikalisch - wo das Satzzeichen zu setzen ist
Ich auch nicht. Habe den Text bei der Duden-Rechtschreibprüfung durchlaufen lassen und so noch einige Kommafehler eliminieren können, merke aber selbst, dass da noch einiges im Argen liegt, werd da sicher noch mal drüber gehen und paar Kommas raushauen und Sätze umstellen.
Ja, hab ich gern gelesen und mich konntest Du begeistern.
Das freut mich sehr. Danke dir fürs Lesen und Kommentieren.

Grüsse
Mand

 

Hallo @Habentus

Vielen Dank für deinen Kommentar. Freut mich, dass dir der Text soweit gefallen hat.

Ich habe allerdings zwei Probleme mit deinem Text. Zum einen ist er mir schlicht zu lang. Dadurch verliert der Effekt deiner derben Sprache im Verlauf des Textes zunehmend an Wirkung. Zumindest für mich. Ich finde, du könntest im Mittelteil streichen, ohne dass dadurch deinem Text etwas verloren gehen würde. Ich glaube sogar, dass der Effekt dadurch stärker zutage treten würde.
Verstehe ich. Ist wohl ein klassischer Fall für: Kill your Darlings. Mir gefällt zwar das repetitive Element, dieses mäandern um die immer gleichen Motive, aber wenn sich dadurch der Effekt der Sprache abnutzt ist es am Ende kontraproduktiv. Ich werd da sicher noch mal das Messer ansetzen und versuchen zu straffen.
Selbiges gilt für mich auch für deine derbe Sprache. Wie gesagt passt der Ton gut. Es wird mir aber dann irgendwann zu viel, heißt, die Derbheit wird etwas überstrapaziert und wirkt dadurch immer mehr beliebig und austauschbar. Es wiederholt sich ein wenig. Ich finde, dass du hier den Ton an der einen oder anderen Stelle ein wenig zurückdrehen könntest, ohne dass etwas verloren geht. Ich glaube, dadurch käme die Derbheit deiner Sprache insgesamt noch besser zur Geltung.
Auch das leuchtet mir ein. Ich glaube, wenn man da einmal drin ist in dieser derben, krassen Sprache läuft man leicht Gefahr immer noch einen drauf setzen zu wollen und irgendwann übers Ziel hinauszuschiessen. Ich denk da jetzt speziell an die Stelle, wo sich der ICH-Erzähler den Krebstot des Fallecker wünscht; da stolpere ich selbst immer beim Lesen drüber, weil es eigentlich zu krass ist, (ich mein, wer denkt so? Da vergrault man die Leser eher), aber ich habs bis jetzt drin gelassen und zwar aus purer Lust an der Provokation.
Insgesamt gerne gelesen!
Das freut mich!

Hallo @deserted-monkey

Kann mich dem Tenor meiner Vorredner anschliessen: Habe ich gerne gelesen und die derbe Sprache passt sehr gut. Für mich hat die Geschichte auch sofort eine Art Monstersog entwickelt, also deine Sprache zieht ordentlich durch den Text und es gibt keine Stolperer oder Stellen, wo etwas nicht klar war.
Cool. Monstersog klingt sehr gut.
Um's mal im Jargon der Geschichte zu formulieren: Vom rein inhaltlichen Aspekt des Textes gesehen, ist der für mich noch flacher als die Titten dieser Polin :D
Kann man so ausdrücken, ja. Im Grunde ist die Konstellation auch absurd und lächerlich: Ein junger Pfleger ist eifersüchtig auf einen dementen Bewohner, weil der der Liebling seiner Angebeteten ist. Das kann nur komisch werden, und ich glaube, durch die derbe Sprache wollte ich den Leser auch von dieser Komik ablenken. Gleichzeitig hat der Text für mich aber auch eine Tiefe, eine tragische Dimension, die ich aber wohl nicht rüberbringen konnte, weil die Sprache die Abgründe überdeckt oder davon ablenkt.
Weiss nicht, ob ich die Stelle vielleicht doch nicht ganz richtig gelesen habe, aber würde da vielleicht noch einen draufsetzen: Würde der überhaupt noch reden? Würde der sich nicht einfach nehmen, was ihm zusteht? Vielleicht einfach: [...] würd der anders mit dir umgehen, das is mal klar.
Interessanter Gedanke. Aber ich denke, selbst wenn wir heute noch im Dritten Reich leben würden, gebe es auch unter Nazi-Herrschaft immer noch Gentlemen. Es ging mir bei dem Abschnitt auch nicht um den veränderten Umgang zwischen Mann und Frau, sondern allein um die politische Haltung des Fallecker.
Dieses ständige Sie sagt hat mich an der Stelle schnell ermüdet. Der Prot fragt und sie antwortet, die Fragen, die er ihr stellt, kann man sich vorstellen. Das ist wie aus dem Maschinengewehr gefeuert. Aber mir wurde es etwas zuviel des Guten. Auch wenn die beiden letzten Sätze schön wirken können nach diesem Stakkato. Mein Vorschlag:
Den Vorschlag übernehme ich. Liest sich flüssiger so.
Zu guter Letzt:
lass ihn sich bilden in deinen sklerotischen Adern
Das Wort fällt aus dem Rahmen. Klingt für mich zu gehoben für die Erzählstimme.
Lässt sich drüber streiten. Wir befinden uns ja im Kopf eines Pflegers, der tagtäglich mit solchen Begriffen hantiert. Es trägt für mich also zur Charakterisierung bei.

Vielen Dank dir fürs Lesen und Kommentierten. Hat mich gefreut, dass dich die Sprache abgeholt hat.

Grüße
Mand

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Mand

Zuerst fand ich Deinen Text sehr unterhaltsam. Derbe Sprache, gute Dialoge, oder wie @jimmysalaryman geschrieben hat, ein wenig Bukowski meets John Waters. Also wirklich sehr gerne gelesen. (Ich mag John Waters....)
Dann habe ich den Text nochmals gelesen und dieses Mal fand ich ihn irgendwie deprimierend. Der junge Pfleger interessiert sich nur für die junge Pflegerin, hat nur Augen für sie. Ist eifersüchtig auf einen Patienten. Wie blöd ist denn das? Die Patienten, die er eigentlich pflegen müsste, stören ihn, es ist wenig Empathie zu spüren, wenig Verständnis.

„Bei Drei“, sag ich, und pack Ramdan unter den Achseln, sehe wie die Knöchel seiner zitternden Hände, die die Haltestange umklammern, weiß hervortreten. „Eins … Zwei … Drei!“ Und dann wucht ich den fetten, katholischen Ägypterkörper hoch und halte ihn fest gegen die geflieste Wand gedrückt. „Alter! Benutz deine Beine!“
„Ich spür meine Beine nicht!“
„Drück die Knie durch, Alter! Sonst lass ich dich fallen!“
Tut richtig weh beim Lesen. Stell mir vor, ich bin abhängig von solch einem Pfleger! Nein danke!
die uralte Schube rollt mir ins Blickfeld und fragt, wann ihr Vater sie abholen kommt.
„Übermorgen“, sage ich.
„Ich dachte heute.“
„Nein, erst übermorgen.“
„Ich hab jetzt aber schon die Koffer gepackt.“
Welche Koffer?, denke ich. Niemand hat hier Koffer, hier ist Endstation. „Rollen Sie mal n Stückchen zurück.“
Hier ebenfalls, gut beschriebene Szene, wie es halt so ist auf der Demenzstation und dann solche Antworten. Möchte nicht, dass meine Mutter so behandelt wird im Altersheim.

Meine Vermutung ist, dass Du dies extra so beschrieben hast, etwas damit auslösen möchtest. Und falls dies so ist, ist es Dir gut gelungen.

Ich nehme an, Du hast Erfahrung in der Pflege oder dann Du hast sehr gut recherchiert.

Also, wie gesagt, gerne gelesen, obwohl mich der Text bei näherer Betrachtung deprimiert hat. Und zwar auf verschiedenen Ebenen, nicht nur die Patienten, auch der junge Pfleger hat etwas deprimierendes. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Spass an seiner Arbeit hat, so wie Du ihn beschreibst. Und Anna empfinde ich als übergriffig, eigenartig, wie sie sich verhält, was sie so alles erzählt. Und alle zusammen bewegen sich in diesem Mikrokosmos einer Demenzabteilung und sind sich den Konsequenzen ihrer Handlungen wenig bewusst, vermutlich.

Die derbe und unkonventionelle Sprache hat mir sehr gut gefallen. Korrekturvorschläge oder so habe ich keine.

Das sind meine Gedanken, vielleicht liege ich falsch, denke viel zu weit...

Viele Grüsse
Aida Selina

 

Hallo @jimmysalaryman

Ein wenig kam es mir vor wie Bukowksi meets John Waters.
Bukowski nehm ich gerne mit, den lese ich auch gern, gerade die Gedichte. John Waters hat mich dagegen nie richtig abgeholt, der war mir immer zu aufdringlich mit seinem Bad Taste.
Apropos Erzähler; den bekomme ich gar nicht zu greifen. Was wird mir hier eigentlich erzählt? Das ist so ein wenig der Schaukasten der Monstrositäten, mir wird allerlei bizarres Personal dargeboten und Fikki-Fikki-Fantasien, aber was ist das Thema, was das Motiv? Wohin führt das Ganze? Warum erzählt mir das der Erzähler überhaupt und warum genau jetzt?
Also ich hab mir das beim Schreiben so gedacht: Der Erzähler ist verliebt in Anna, zumindest glaubt er das (da er in meiner Vorstellung noch nie Erfahrung mit wahrer Liebe gemacht hat), steigert sich da auch rein, ist jedenfalls besessen von der Vorstellung mit Anna zusammenzusein. Er ist auch dumm und naiv, noch sehr jung halt. Er baggert Anna an, aber die weist ihn ständig zurück, spielt auch mit seinen Gefühlen, ist in der Beziehung die Mächtigere, da sie emotional nicht involviert ist, die Annäherungsversuche amüsieren sie eher und sie macht sich über ihn lustig. Anna ist also ein manipulatives Miststück, die ganz genau weiß, was er von ihr will, sich aber absichtlich dumm stellt, weil sie sein Leiden und die Aufmerksamkeit genießt. Sie spürt auch seine Eifersucht auf den Fallecker, und reizt das absichtlich aus. Klar, das steht im Text so nicht explizit drin, aber ich hab mir das so beim Schreiben mitgedacht. Der Erzähler ist also für mich die tragische Figur, da er nicht kapiert, wie ihm geschieht, was für ein Spielchen mit ihm betrieben wird, da er in seinem Liebes-Wahnsinn nicht mehr klar sieht, den Überblick verliert. Er ist kognitiv und emotional überfordert mit der Situation, darum wütend und frustriert.
Die Erzählung setzt in einem Moment größter Wut und Frustration ein; Anna hat ihn zum wiederholten Male abgewiesen, kichert und hält Händchen mit dem Fallecker auf der Bank, und das macht den Erzähler rasend. Er schlägt wild um sich wie ein kleines Kind und plustert sich dabei auf, versucht die Deutungshoheit zurückzugewinnen. Er wertet Anna zum Sexobjekt, zum Luder ab, und haut auf den Fallecker drauf. Der Fallecker ist dabei für mich eine ganz unschuldige Figur, der weiß überhaupt nicht, welche Rolle er in dieser Dreiecks-Beziehung spielt. Die Anna benutzt ihn, um den Erzähler eifersüchtig zu machen, und der Erzähler benutzt ihn als Ventil für seine Frustrationen.
Ich weiß nie, wer der Erzähler ist, wie er zu den anderen Menschen steht, wie er überhaupt zu Menschen steht, er kommt mir wie ein sexuell überhitzter, aber untervögelter Mann vor, der dann solche Sachen sagt:
„Ich hab früher Interrail gemacht“, sage ich. „Also früher heißt bei mir vor zwei Jahren. Hab fast jede Nacht im Schlafsack auf der Isomatte gepennt, in Schottland, in Irland, in Frankreich, in Spanien, hab immer geschaut, dass ich irgendwo am Strand schlafen kann, weißt schon Anna, der Sternenhimmel über mir, das Rauschen des Meeres, die Möwen, der Geruch des Salzwasser in der Nase, die Brise auf der Haut, und am nächsten Morgen hab ich ne Muschel eingesammelt, die mir besonders gut gefiel, als Erinnerung an diese Nacht, diesen Tag, diese Stunde, diesen Moment ...“
Da wird er als astreiner Romantiker inszeniert, aber das wird nie wieder aufgegriffen, es soll wie ein Bruch wirken, hier tritt er heraus aus seinem Zyniker-Dasein, so ist er wirklich, das ist seine menschliche Seite, auch die anderen in der Szene, so eine stille Übereinkunft, wo sie alle etwas Vergangenes schön finden und das im Grunde schon impliziert, es wird wahrscheinlich nicht mehr so kommen, diese Moment sind final und vergangen, nur für den Erzähler nicht, aber der scheint aus dieser Chance nichts machen zu wollen.
Sexueller überhitzter, aber untervögelter Mann passt als Charakterisierung. Ich finde aber nicht, dass ich ihn hier als astreinen Romantiker inszeniere, er, der Erzähler inszeniert sich so, um die Romantik des Falleckers zu kontern, er tut das aus Berechnung, um auf Anna Eindruck zu schinden - für mich ist das auch eine humoristische Stelle, wo der Erzähler den Fallecker an Romantik zu überbieten versucht. Darum seh ich hier auch keinen Bruch, da der Erzähler Anna beeindrucken will, und in seinem Wahn in Konkurrenz mit dem Fallecker tritt. Ich finde, nicht ich (der Autor) zeige ihn hier von seiner menschlichen Seite, sondern der Erzähler stellt sich selbst so dar, und das ist ein Unterschied.
Dieses Motiv des Schauens finde ich hingegen spannend, aber so wie ich es lese, schaut er nicht, er starrt, er glotzt. Da gibt es nichts Stilles, den Moment des Zusehens, des Erfassens, sondern nur den grellen Unfall, das Krasse, was dann wie eine Karikatur wirkt und einfach ohne jeden doppelten Boden; hier ist alles so gemeint, wie es dasteht.
Ja, ich gebe dir recht, es ist ein greller und lauter Text, der viel auf Effekt setzt und die derbe Sprache in den Vordergrund rückt, Ich hab gehofft, es klingt noch irgendwas von dem durch, was ich oben beschrieben habe (dass die Anna mit dem Prot spielt, sie eigentlich "die Böse" ist und so auch seine Gedanken triggert). Ich wollte auch, dass der Leser dem Erzähler eben nicht alles glaubt, so wie es da steht, dass da mehr Raum zur Interpretation ist, mehr Grautöne - dass man den Erzähler auch mehr als tragische Figur liest, und nicht als reinen zynischen Großkotz der brutale Sprüche klopft. Aber bisher hat das kein Kommentator so gelesen, also wird der Plan nicht aufgegangen sein.
Ich finde das schade, denn in dieser Geschichte steckt Potential, auch diese Konstruktion mit dem Schauen hat was, auch in diesem Zusammenhang, aber es wirkt zu unentschlossen, zu wenig dezidiert, ohne Fokus, da ist nichts Griffiges dabei, was mich dem Protagonisten nachempfinden lässt, selbst da, wo er offensichtlich etwas von sich preisgibt, wo er sagt, er sei nur neugierig bei Menschen die ihn interessieren, das geht allerdings in den ganzen Umschnalldildoszenarien unter, da verliere ich diesen Zugriff sofort wieder und denke, im Grunde ist das eine Junge, ein Junge der zuviel Zeit in Internetpornographie investiert hat.
Kann dein Urteil nachvollziehen, nur das mit der Internetpornografie finde ich weit hergeholt. Wie kommst du darauf? Weil er Fick-Fantasien hat? Die kann man doch auch haben ohne exzessiv Pornos zu glotzen.
Das kann man machen, man könnte den so zeigen, so installieren, aber darüber finde ich eben auch nichts im Text, so dass man sagt, sieh mal, das ist nur ein Schwafler, offensichtlich erkennt jeder, was er wirklich ist, er ist gar nicht so, sondern so, anders, aber mir erscheint das Erzählte dafür viel zu zuverlässig, eine Einbahnstraße.
Ja, für mich ist der Erzähler auch keine sympathische Figur, er ist selbstgerecht, aufgeblasen, egozentrisch und bricht auch nie wirklich aus dieser Rolle aus, was ihn vielleicht schnell eindimensional wirken lässt. Die Idee war da anfangs schon: Ich lass den in seiner Fantasie so richtig toben, und dann später seine Vorstellungswelt mit der Wirklichkeit kollidieren, damit der Leser ihn als Schwafler und Großmaul entlarvt sieht, seine Unsicherheit und sein Wahnsinn auch stärker zu Tage tritt, er auf menschlicher Ebene zugänglicher wird - aber die Kurve habe ich nie richtig gekriegt.

Vielen Dank dir für deine Kritik und deine Zeit.

Grüße
Mand

 

Hallo,

Wie kommst du darauf? Weil er Fick-Fantasien hat? Die kann man doch auch haben ohne exzessiv Pornos zu glotzen.
Klar, aber ich sag mal so: Umschnalldildo und so, das wirkt schon insgesamt sehr drüber. Das wirkt halt schon sehr inszeniert in diesem Zusammenhang, als würde die Figur das auch nur behaupten; das hat so etwas von Jungs auf dem Pausenhof, die das erste Mal was von Rocco Siffredi gehört haben. Auch wenn es nicht um ihn persönlich geht, aber es ist so dieses Gieren nach kinky Sachen, dass es ihm auch überhaupt wichtig ist zu erwähnen, das wirkt auf mich dann schnell so. Aber:

Die Idee war da anfangs schon: Ich lass den in seiner Fantasie so richtig toben, und dann später seine Vorstellungswelt mit der Wirklichkeit kollidieren, damit der Leser ihn als Schwafler und Großmaul entlarvt sieht, seine Unsicherheit und sein Wahnsinn auch stärker zu Tage tritt, er auf menschlicher Ebene zugänglicher wird - aber die Kurve habe ich nie richtig gekriegt.
Das steckt da schon alles drin in deinem Text. Ich glaube allerdings, du müsstest das invertieren. Er müsste das sagen, aber nicht denken. Wer denkt so? Jemand, der so denkt, müsste doch erfahrener sein, abgekochter, der hat das alles vielleicht schon hinter sich, Beziehung, Liebe, der sieht nur das Fleisch, metaphorisch gesprochen; der will ficken und nicht Händchen halten. Der wäre, denke ich, auch viel verschlagener. Jemand, der tatsächlich Gefühle für jemanden hegt, sagen wir: romantischer Natur, oder der sich nicht darüber sicher ist, der würde vielleicht so daherreden, der klassische locker room talk, weil er sich produzieren will, weil er beeindrucken will, weil er denkt, so komme er erfahren rüber und auch irgendwie interessant, aber in Wahrheit bewirkt es natürlich genau das Gegenteil. Vielleicht müsste auch Anna handfest werden, so nach dem Motto: Zeig mal, was du hast, und er dann so ganz klein und verschämt wird und sie dann sagt: Ich wusste es schon immer, du beschissener Versager. Diese beiden Ebenen die du da hast, die ja gegenläufig sind, die ergeben kein zwingendes Ergebnis für den Charakter, die bleiben jeder in seiner Dimension, aber ich finde, es müsste eine Verwicklung auftauchen, wo sich diese Dimensionen treffen und es eine Frage der Wahrheit geben müsste, was ist nur Fassade, was ist echt?

Btw: Pink Flamingos von John Water ist ein Meisterwerk. Wie Divine am Ende die Hundescheiße frisst, ist ein unfassbar grandioser Moment der Cineastik! Das lasse ich mir nicht nehmen! :D

Gruss, Jimmy

 

Hallo @Aida Selina

Zuerst fand ich Deinen Text sehr unterhaltsam. Derbe Sprache, gute Dialoge,
Danke, das freut mich.
Dann habe ich den Text nochmals gelesen und dieses Mal fand ich ihn irgendwie deprimierend. Der junge Pfleger interessiert sich nur für die junge Pflegerin, hat nur Augen für sie. Ist eifersüchtig auf einen Patienten. Wie blöd ist denn das? Die Patienten, die er eigentlich pflegen müsste, stören ihn, es ist wenig Empathie zu spüren, wenig Verständnis.
Null Empathie und null Verständnis. Die Bewohner werden nur als störender Ballast wahrgenommen. Und solche Pflegekräfte gibt es mehr als man denkt, da wird der Pflegebedürftige nur als Werkstück wahrgenommen, den man bearbeiten, ruhigstellen, "fertig machen" muss. Klar, oft ist diese Einstellung dem Zeitmangel und den beschissenen Arbeitsbedingungen geschuldet, erwächst aus Überforderung; ist auch ein sehr anspruchsvoller Beruf, bei dem man ständig mit Krankheit, Alter und Tod konfrontiert ist, viele Pflegekräfte stumpfen dann ab, werden kühl und distanziert, um sich emotional zu schützen, nicht mitleiden zu müssen. Im Extremfall führt diese Haltung dann dazu, dass sich die Pflegekraft darüber beklagt, dass ein Bewohner während ihrer Schicht verstirbt, so als würde der das aus böser Absicht machen, um ihr zusätzliche Arbeit zu verschaffen.
Also, wie gesagt, gerne gelesen, obwohl mich der Text bei näherer Betrachtung deprimiert hat. Und zwar auf verschiedenen Ebenen, nicht nur die Patienten, auch der junge Pfleger hat etwas deprimierendes. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er Spass an seiner Arbeit hat, so wie Du ihn beschreibst. Und Anna empfinde ich als übergriffig, eigenartig, wie sie sich verhält, was sie so alles erzählt.
Schön, wenn du das so liest. Ich denke, der Text will schon eher unterhalten, locker und flapsig daherkommen, aber das Setting des Altersheims wirkt da automatisch als Gewicht, das runterzieht, den Spass verdirbt, der ganzen Geschichte einen bitteren Beigeschmack verleiht.

Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. Freut mich, dass dich die Geschichte unterhalten und gleichzeitig auf einer unterschwelligen Ebene auch deprimiert hat.

Grüße
Mand

 
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Hallo @jimmysalaryman

Vielen Dank für deine Rückmeldung.

aber es ist so dieses Gieren nach kinky Sachen
Verstehe was du meinst; dasselbe würde ich John Water vorwerfen: Der wedelt dir auch mit seinem stinkenden Mittelfinger vor dem Gesicht rum und sagt dabei: Schau, schau her, jetzt schau doch her, schau was für dreckige Viecher wir Menschen sind.
Ich werde da in jedem Fall nochmal eine "softere" Version erstellen, um zu schauen, wie der Text dann wirkt.

Das steckt da schon alles drin in deinem Text. Ich glaube allerdings, du müsstest das invertieren.

Ja, ich denke, ich lass den Text mal in den Grundzügen so wie er ist, weil er mir doch ganz gut gefällt. Eher reizt mich, die Geschichte nochmal neu zu erzählen, szenischer, mit mehr Dialogen, vielleicht auch Perspektivwechseln, damit Anna als Person stärker zur Geltung kommt.

Danke für deine tollen Kommentare.

Grüße
Mand

 
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Hallo @Mand,

ich habe die Story nicht ungern gelesen. Ich finde, du machst hier viel richtig, und vor allem sehe ich hier ein sprachliches Talent. Das merke ich daran, wie dein Text zieht, deine Sprache ploppt richtig aus dem Bildschirm raus und ich sehe die Bilder. Ich will das jetzt nicht übertreiben, aber es gibt manchmal Autoren, da ist diese Lebendigkeit der Sprache einfach vorhanden, und die Texte bekommen, auch wenn Plots und andere Textkomponenten nicht ganz funktionieren sollten, trotzdem einen Zug. Will nicht sagen, dass das bei dir der Fall wäre, nur im Allgemeinen.

Trotzdem ließ mich die Story etwas unbefriedigt zurück. Vllt sogar, weil ich die fähige Sprache wahrnehme, und selbiges Level von Plot, Figurenzeichnung, etc. erwarte. Ich finde, deine Story verliert etwas den Fokus bzw ist mir der Fokus nicht ganz klar. Klar: Er will ein Date, aber sie will nicht ganz. Das ist für mich aber noch keine Geschichte, allenfalls ein Zweiakter. Mir ist in der Story auch ein wenig zu viel Klamauk, der nirgends hinführt: Schwanz, Smegma, Kacke - aber wohin führt das? Anders gesagt: Die Sprache deines Erzählers ist so eloquent und unterhaltsam, dass ich reingezogen werde, aber mehr passiert nicht. Für mich - und ich bin eine einzelne Leserstimme - bräuchte es hier ein wenig mehr Tiefe, ein wenig weniger Gags und mehr Aussage. Warum will er sie? Weil sie geil aussieht? Ansonsten gibt es keinen Grund? Mir bleibt sein Charakter etwas zu blass, ich weiß nicht, warum er die Dinge möchte, die er will. Ja, Humor ist auch eine schwierige Kiste, finde ich. Ich persönlich bin bek literarischen Texten kein Fan davon, weil sie einfach ein wenig wie Zucker in Lebensmitteln sind. Also ich meine das jetzt nicht unfair, ich denke, du hast Talent, und möchte dich ein wenig pushen, womöglich dich noch mehr auf die Figuren und Aussage deiner Texte zu konzentrieren. Mir wird nicht ganz klar, was mir hier erzählt wird. Bei den Figuren steht nichts auf dem Spiel, und ansonsten wirkt es ein wenig wie eine Rundumschau in die Altenpflege, die allerdings sehr authentisch wirkt. Anders: Was macht die Abfuhr Annas mit deinem Prot? Ich bekomme sie als Figur zu greifen, aber ja, ich finde, ich hoffe, du nimmst es mir nicht krumm, der Text funktioniert gut mit deiner Sprache, aber fokussiert sich ansonsten zu effekthascherisch auf kleine Gags, aber das macht für mich noch keine Kurzgeschichte aus. Mir fehlt hier ein Thema, eine Aussage oder Prämisse. Ein zynisch-witziger Erzählton ist immer schwierig, finde ich, weil es oft zu Lasten der Figurentiefe geht. Dein Erzähler verdrängt ja etwas mit dem Humor; und dieses Etwas, mögen es Unsicherheiten oder Abgründigkeiten des Todes im Altenheim sein, könnten mir als Leser die Figur nahe bringen; so lerne ich ihn nicht gut kennen, er bleibt als Figur blass. Aktuell will er Anna ficken, weil sie geil aussieht und er ist neidisch auf SS. Subtrahiert man die Unterhaltung der Komik, bleibt für mich - ich meine es nicht gehässig, sonder neutral auf den Text fokussiert - sehr wenig, und das finde ich schade, bei deinem Potential. Nach meinem Geschmack müsste an dieser Stelle irgendwo mehr stecken, er müsste zB verliebt in sie sein, und aus romantischen Gründen ihre Nähe suchen; dann hätte ihre Abfuhr Gewicht. So verletzt ihn die Abfuhr nicht, sie ist eig egal, sie schaut nur geil aus und er will sie ficken, hihi, schau ihre Titten, boah, die Alte. Er lügt sich doch in die Tasche. Und wenn er tatsächlich 19 ist und einfach nur ficken will, ich weiß nicht, dann wäre dieser Aspekt für mich langweilig, weil er sehr banal wäre, da bräuchte es mehr, ich würde nichts davon aus dem Text mitnehmen. Er will sie vögeln - so what? Das ist das Problem des Zweiakters: Er will A, aber B. Eigentlich bräuchte es einen Akt mehr, um eine Story zu sein: Deswegen C.
Bukowski ist gefallen, ja, er hat auch über Ficki geschrieben und mit Humor, aber die Texte, die wirklich gut von ihm sind, mMn, da ist auch immer eine große Portion Ernsthaftigkeit, Schmerz, Wahrheit über das Leben mit drin. Reine ficki ficki Shlrtstories hat er auch vereinzelt, aber bei denen stehe ich vor dem selben Problem wie hier, und sie zählen allgemein nicht zu seinen besten Arbeiten, denke ich.

Ein manisch-depressiver Millionärssohn, nie was gearbeitet, gerade depressiv und schon seit Jahren pleite, seit Jahren alt auch, darum ist er hier.
Das fand ich nicht ganz authentisch bzw etwas klischeehaft

Die beiden verstehen sich. Blaublüter halt.
Weiß nicht, das nehme ich dem Text nicht ganz ab - trifft man so oft Blaublüter & sind die dann wie man sich Aristokraten aus dem 19. Jh. vorstellt?

Sie sagt Rammstein. Sie sagt The Departed, sie sagt, hab ich nicht. Sie sagt Hunde, Johnny Depp, Soljanka, Audi A3. Sie sagt Malediven, McChicken, Bart, Penelope Cruz, Frühling. Sie sagt Tequila, Frutti di Mare, Schnecken, Pistazie, Maja, Sergej, Armani. Sie sagt Spinnen. Sie sagt Küssen.
Sehr authentisch & gut

Ich schaue sie an, und SS sagt: „Das muss schön gewesen sein.“
Ja, ist ein wenig Situationskomik, ich bin kein so großer Fan von Slapstick

Also früher heißt bei mir vor zwei Jahren. Hab fast jede Nacht im Schlafsack auf der Isomatte gepennt, in Schottland, in Irland, in Frankreich, in Spanien, hab immer geschaut, dass ich irgendwo am Strand schlafen kann, weißt schon Anna, der Sternenhimmel über mir, das Rauschen des Meeres, die Möwen, der Geruch des Salzwasser in der Nase, die Brise auf der Haut, und am nächsten Morgen hab ich ne Muschel eingesammelt, die mir besonders gut gefiel, als Erinnerung an diese Nacht, diesen Tag, diese Stunde, diesen Moment ...“

Er immer reden.“
„Du redest zu viel, Junge.“
Hier gefällt mir gut, wie deine Figur von aussen bewertet wird und dadurch gezeichnet wird

Und da passiert es. An der Wäscheleine zuckt ein Zitteraal und Annas Hinterkopf touchiert meinen Schwanz.
Hier habe ich nicht verstanden, was passiert

Ich finde dein sprachliches Talent gut, sehe überall gute Ansätze, aber mir fehlt Stringenz, eine Prämisse und Figurentiefe. Ich denke, der Humor führt zu Lachern, leistet deinem Text aber insgesamt eher einen Bärendienst. Alles natürlich nur meine persönliche Meinung. Bin gespannt auf weitere Storys von dir.

Beste Grüße
zigga

 

Hallo @zigga

Sorry für die späte Antwort. Hatte die Tage viel um die Ohren.

Ja, ich gebe zu, dass der Text nicht besonders ambitioniert ist, eine einfache (vielleicht auch banale) Geschichte erzählt, darum überrascht mich deine Kritik nicht völlig auf dem falschen Fuß.
Ich mag Geschichten, die aus dem Alltag erzählen; für mich als Leser braucht es keine raffiniert ausgedachten Plots mit tausenden Wendungen; ich glaube, mir ist in der Literatur das "Wie" wichtiger als das "Was", also wie etwas erzählt wird, die Form, der Stil. Inhalt ist auch wichtig, aber ich denke, die Motive der handelnden Figuren, der Stoff den das Leben schreibt, bleibt sich im Kern meistens gleich (außer man schreibt aus der Sicht eines Psychopathen oder Wahnsinnigen). Anders und geschwollen gesagt: Wir können Literatur nur verstehen, weil der Autor genauso Mensch ist wie der Leser.
Wie auch immer - mangelnder Inhalt, fehlende Figurentiefe lass ich mir ohne Protest ankreiden. Tatsächlich hatte ich ziemlich großen Spaß beim Schreiben, und ich habe die Vorstellung, das sei ein guter Indikator dafür, dass die Geschichte auch den Leser unterhält. Für mich ist der Text im Kern humoristisch, zumindest finde ich die Konstellation komisch, dass ein junger Pfleger auf einen Pflegebedürftigen eifersüchtig ist, weil der einen guten Draht zu Anna, also dem "Objekt der Begierde" hat. Dass dir das als Inhalt zu wenig ist verstehe ich total.

Warum will er sie? Weil sie geil aussieht? Ansonsten gibt es keinen Grund? Mir bleibt sein Charakter etwas zu blass, ich weiß nicht, warum er die Dinge möchte, die er will.
In meiner Vorstellung ist der Erzähler da sehr einfach gestrickt. Er ist vor allem von seinen Trieben, seinen Gefühlen bestimmt. Und er verwechselt Liebe mit seinem Sexualtrieb. Er will die Anna besitzen, haben, flach legen, und es könnte gut sein, dass er nach dem Sex eine große Enttäuschung verspüren würde, weil sie eben nicht das ist, was er in sie - und seine Beziehung zu ihr - hineindichtet.
Würde ich ihn "romantisch" lieben lassen, oder besser: wäre seine Liebe wahr, bekäme er als Figur sicher mehr Tiefe, würde mehr Mitgefühl im Leser wecken, aber dann wäre der ganze Text im Tonfall auch ein anderer. So ist er halt ein sexhungriger, triebgesteuerter Typ, und damit als Figur auch irgendwie banal, ja.
Ja, Humor ist auch eine schwierige Kiste, finde ich.
Total. Ich denk da an Terry Pratchett, der immer so für seinen Humor gelobt wird, mich aber überhaupt nicht anspricht. Ich hab aber grundsätzlich nichts gegen Humor in Texten, sondern eher was gegen Texte, die humorvoll sein wollen. Wenn der Text nicht auf die Lacher zielt, sondern bei Gelegenheit der Humor beiläufig aus dem Ärmel geschüttelt wird, passt das für mich meistens.
Ein zynisch-witziger Erzählton ist immer schwierig, finde ich, weil es oft zu Lasten der Figurentiefe geht. Dein Erzähler verdrängt ja etwas mit dem Humor; und dieses Etwas, mögen es Unsicherheiten oder Abgründigkeiten des Todes im Altenheim sein, könnten mir als Leser die Figur nahe bringen; so lerne ich ihn nicht gut kennen, er bleibt als Figur blass.
Gebe ich dir recht. Bei zynisch-witzigem Erzählton gerät man schnell in die Gefahr, seine Figuren am Nasenring durch die Manege zu führen. Und ich mag das eigentlich gar nicht, wenn mir der Autor seine Figuren wie in einem Kuriositäten-Kabinett präsentiert und der Lächerlichkeit preisgibt. Wäre der Text nicht von mir, würde ich das wahrscheinlich auch kritisieren, aber so ist man bei seinen eigenen Texten doch oft blind für solche Wirkweisen.
Ein manisch-depressiver Millionärssohn, nie was gearbeitet, gerade depressiv und schon seit Jahren pleite, seit Jahren alt auch, darum ist er hier.
Das fand ich nicht ganz authentisch bzw etwas klischeehaft
Da finde ich dein Urteil schwierig; das ist ja eine Figur, die nur ganz kurz auftritt, und dann sofort wieder verschwindet, und ich glaube in der Kürze lässt sich kaum eine Figur zeichnen, die über ein Klischee hinausgeht.
Die beiden verstehen sich. Blaublüter halt.
Weiß nicht, das nehme ich dem Text nicht ganz ab - trifft man so oft Blaublüter & sind die dann wie man sich Aristokraten aus dem 19. Jh. vorstellt?
Interessant, dass du darüber gestolpert bist. Da wo ich aufgewachsen bin ist Blaublüter zwar kein geläufiger, aber doch ein gebrauchter Begriff für eitle, arrogante Leute aus der Oberschicht, die sich für was Besseres halten.
Und da passiert es. An der Wäscheleine zuckt ein Zitteraal und Annas Hinterkopf touchiert meinen Schwanz.
Hier habe ich nicht verstanden, was passiert
Ja, da bin/war ich mir auch sehr unsicher ob das funktioniert. Ist der Versuch die Aktion mit einem Bild zu untermalen. In der ersten Version war das noch ausführlicher, mit Posaunen und Trompeten und explodierenden Sternen vor den Augen - war dann aber selbst mir too much, darum hab ich da viel rausgekürzt, und darum klingt es jetzt so seltsam.
Ich finde dein sprachliches Talent gut, sehe überall gute Ansätze, aber mir fehlt Stringenz, eine Prämisse und Figurentiefe. Ich denke, der Humor führt zu Lachern, leistet deinem Text aber insgesamt eher einen Bärendienst. Alles natürlich nur meine persönliche Meinung. Bin gespannt auf weitere Storys von dir.
Vielen Dank dir für die treffende Kritik. Ich hab mich hier auch angemeldet, weil ich selber nicht genau weiß, was mir Literatur eigentlich bedeutet, was mir daran wichtig ist, warum mir der Text gefällt und der Andere nicht. Ich hab da nicht die große Klarheit im Kopf, merke aber, dass mich der Austausch hier befruchtet und zum Nachdenken anregt.

Grüße
Mand

 

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