Boden unter die Füße kriegen
Boden unter die Füße kriegen
Was will sie eigentlich? Das weiß sie. So was wie bedingungslose Liebe. Irgendwie kann er ihr das nicht geben. Will nicht. Weiß nicht wie. Ist nicht bereit dazu. Vielleicht ist seine bedingungslose Liebe schon aufgebraucht für jemand anderes. Andere vor ihr.
Warten. Ihn haben und doch nicht haben. Sich seiner nie sicher sein. Das war der zustand der letzten Monate. Froh sein um jeden Tag, an dem es gut lief. Wieder ein weiterer Monat. Bald ein Jahr zusammen. Die Pausen zwischendurch zählt sie nicht mit. Die paar Wochen. Am Ende zählt der Jahrestag. Ihr scheint das unglaublich wichtig. Sie würde ihn niemals verlassen.
Letzte Nacht hat sie geträumt. Eine freundliche Frau, die es eigentlich gar nicht gibt aber alles über ihn wusste (wie das in träumen nun mal so ist), hat ihr erzählt, dass sie für ihn nicht das ist, was er für sie ist. Irgendwie war ihr das klar. Morgens aufgewacht. Trotzdem scheiße gefühlt.
Du könntest fliegen, sagte letztens ihre Arbeitskollegin zu ihr. Ihm flögest du nicht hoch genug. Du kannst dich auf den Kopf stellen. Er sieht dich nicht. Aber so kann man das auch wieder nicht sehen findet sie. Die anderen kennen ihn halt nicht so wie sie. Wissen nicht wie er sich nachts im Schlaf an sie schmiegt, seine Hand auf ihrem Bauch. Wissen nicht wie er in weißer Unterhose albern tanzend vor ihr steht, so wie man es von ihm nicht erwarten würde. Wissen nicht wie er sie überrascht in Momenten, in denen sie mit keiner Überraschung rechnet.
Alles würde sie für ihn machen und tut das auch. Das weiß er. Je mehr man für jemanden tut, umso mehr wird man von demjenigen in den Arsch getreten, hat sie ihm letztens gesagt. Nicht im Streit an den Kopf geworfen. Nein. Nebenbei im Gespräch einfließen lassen. Darauf hoffend, dass er versteht. Dass er einsieht. Endlich die große Liebe entflammt. Das kennt sie doch so aus dem Fernsehen. Das muss dann auch in echt so sein. Es muss sich doch mal richtig anfühlen. So wie es bei anderen von außen betrachtet aussieht. So muss es sich doch auch bei ihr anfühlen. Tut es nicht. Tut es das denn bei den anderen? Oder machen und tun die auch nur so, weil die es vom Fernsehen so kennen? Woher wissen denn die, die Fernsehen machen, wie es aussehen muss, sich anfühlen soll wenn es doch niemand kann auf der Welt? Gab es da einmal das Idealpaar, das es allen vorgemacht hat? Eine blonde Frau, mittellanges Haar, leicht gewellt, Gesicht: Grace Kelly, rosarotes Kleid, tailliert, Grinsen im Gesicht. Sie hat ihn. Ihn. Bild von Mann. Dunkle Haare, kurz, Männerfrisur, Männerkopf, breite Schultern, dunkle Sachen. Mann. Beide glücklich. Einfach so. Weil es so ist. Keine Bedingungen. Finden sich halt toll. Soll es geben. Im Fernsehen gibt es das.
Jedenfalls versucht sie immer toll zu sein. Gar nicht großspurig großkotzig. Einfach bescheiden toll. Als sei sie gar nicht so toll. Sie ist einfach so. Unkompliziert und witzig. Wenn sie sich daran zurückerinnert fällt ihr ein, dass sie das sogar mal war. An dem Tag, an dem sie sich kennen lernten (an der Uni, wie im Film) und dann noch mal als zwischendurch Schluss war. Was heißt Schluss. Eine Pause. Er wollte das so. Hat sie nicht gefragt. Hat einfach gemacht. Sie, keine Wahl, hat mitgemacht, hat gewartet, ein bisschen böse gespielt. Dann erstes Annähern. SMS, Telefon, Kaffee. Sich 2 Minuten anstandshalber zieren als sie merkt, dass er sie wiederhaben will. Da wiegte sie sich einmal auf der sicheren Seite. Keine Angst ihn zu verlieren. Er kommt wieder. Ich lass ihn etwas zappeln, sagte sie sich. Zappel. Genug gezappelt. Nicht dass er es sich anders überlegt. Triumph. Babytriumph. Dauert einen Tag oder so. Dann läuft es wieder so wie vorher. Bis er das nächste mal eine Pause einlegt. Bald war jedes Café ein Café, zu dem sie sagen konnte, hier hat er das erste mal mit mir Schluss gemacht, da das x-te mal. Worauf soll das hinauslaufen? Hochzeit. Hochzeitsglocken. Weißes Kleid, schmucke Leute, sonniges Wetter, Lachen, große Torte, alles in Ordnung. Ab da an für immer. Schöne Wohnung oder schönes Haus, viel weiß. Ob er jemals mit ihr zusammen wohnen würde? Jetzt tut er es nicht. Er kommt auch nicht oft zu ihr. Sie kommt zu ihm. Das ist okay für sie. Alles ist okay für sie. Solange es ihm gefällt. Da freut sie sich. Natürlich nicht so richtig. Sie ist froh, dass alles gut läuft. Kein Konflikt. Konflikte enden in Pausen. Die tun weh. Mehr weh als keine Pausen. Also sind keine Pausen besser als Pausen. Jede Pause kann die letzte sein und so für immer. Wenn so richtig Schluss ist (bitte nicht) hat er bestimmt innerhalb von zwei Wochen eine neue, denkt sie sich. Das will sie nicht. Zu groß der Schmerz schon an den Gedanken daran.
Sie denkt. Schon zehn nach elf. Warum ruft er denn nicht an? Wollten doch noch telefonieren. Gute Nacht sagen, uns zehn Minuten anschweigen. Gibt nichts zu sagen. Wie jeden Abend. Heute fragt er bestimmt nicht mehr ob ich noch kommen möchte. Hab ja erst gestern bei ihm geschlafen. Er ruft nicht an. Ich ruf an. Betont fröhlich. Freundlich. Gute Laune vorspielen. Hat doch auch gute Laune. Zumindest keine schlechte. Muss positiv wirken. Schlaf gut und träum was schönes. Von mir. Soll ich es sagen? Zu kitschig. Das mag er nicht. Will nicht nervig wirken. Will alles so sehen wie er. Das ist richtig. Nur so kann es klappen. So muss es klappen. Da hätte ich mir auch eben einen Wein aufmachen können. Muss jetzt eh nicht mehr fahren. Jetzt mach ich auch keinen mehr auf. Fernseher an.
Klar hat sie ihre Grenzen. Sie lässt nicht alles mit sich machen. Nur vieles. Man muss Kompromisse eingehen können. Das hat er ihr früher mal gesagt. Das wusste sie schon damals und tat das auch. Aber seitdem noch ein bisschen mehr. Was sie will ist nicht so wichtig. Was will sie eigentlich?
Das weiß sie.
Sie wird ihn nicht verlassen.