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Boxen-Luder
Mein Name ist Links. Ich bin eine Box. Eine schlanke, elegante Standbox in Buchenoptik und 92 Zentimeter groß. Ich bin fast ausgewachsen, mit meinem Hochtöner und meinen zwei Mitteltönern kann ich schon singen wie die Großen. Naja, an meinem »Wumms« muss ich noch ein wenig arbeiten, diese Geschichte mit dem Bass-Reflex bekomme ich noch nicht ganz hin.
Außerdem habe ich einen Bruder, der ist ein echtes Luder. Er heißt Rechts. Wir müssen wohl einrindige Zwillinge sein oder so, denn er sieht genauso aus wie ich. Aber er macht zu viel Unfug, finde ich.
Als wir das erste Mal in der Fabrik erwachten, war das für mich ein ganz schöner Schock. Erst haben wir geknurrt, dann mussten wir weinen – die ganze Skala von 15–18.500 Hz entlang! Zum Schluss hat uns jemand eine Maske aufgesetzt, so ein merkwürdiges graues Stoffding mit vier Schnappern. Klick! Man kann kaum atmen mit so einem Ding auf der Nase, geschweige denn viel sehen. Aber vorher konnte ich gerade noch erkennen, dass mein Bruder eine Tätowierung auf der Stirn hat. »Tangent Avantgarde« steht da. Angeber. Also, ich hätte mir ja etwas anderes auf die Stirn tätowieren lassen!
Dann schwanden mir die Sinne. Zu mir kam ich erst wieder in einem geräumigen Zimmer. Da standen mein Bruder und ich inmitten eines Gewirrs von Kabeln, Kisten und Verpackungsteilen. Gut, dass ich die ganze Zeit bewusstlos war – eingepfercht mit diesen weißen Quietschedingern in solch einer engen Pappkiste hätte ich mich sicher nicht wohlgefühlt. Verboten müsste das werden! Aber wenigstens hatten sie mich nicht zusammen mit meinem Bruder in dieselbe Kiste gestopft.
»Du bist Links«, sagte der Mensch, als er mich in die Ecke neben dem Bücherregal stellte und meine Kabel schön glattzog. Wie er das nur wissen konnte? Jedenfalls hatte er Recht damit. Und unhöflich war er auch. Eigentlich nennt man doch seinen eigenen Namen zuerst, oder?
Dieser Mensch, dessen Namen ich immer noch nicht wusste, verpasste nun auch meinem Bruder ein Kabel und schleppte ihn dann auf die andere Seite, bestimmt drei Meter von mir weg, unter eine riesengroße, sonnenbeschienene Palme. So gut möchte ich's auch mal haben! Aber immerhin stehe ich am Bücherregal und kann lesen, wenn mir danach ist. Ätsch.
»So, du bist Rechts!« sagte der Namenlose zu meinem Bruder. Das musste wohl irgendein Ritual sein. Ich war gespannt, wann er uns wohl seinen Namen sagen würde.
Nun, wenigstens hatte er uns die lebensnotwendige Energie gegeben, allein für mich 300 Watt. Sinus! Ich erbebte bis zum letzten Winkel meines Inneren und lenkte meine Membranen bis zum Anschlag. Welch ein Gefühl! Dabei bin ich noch gar nicht so groß, dass ich das wirklich vertrage – die Hälfte wäre gut genug. Aber nicht weitersagen.
Der Namenlose kam näher, immer näher. Tu mir bloß nicht weh, dachte ich, als er auch schon an mir herumzerrte und mich etwas schräg stellte. Sowas. Dann – endlich! – nahm er mir die Maske ab. Ein bisschen ruppig war er ja schon, aber wenigstens konnte ich jetzt endlich durchatmen – und vor allem wieder mehr sehen.
Mein Bruder musste natürlich schon wieder Unfug machen. Er knackste und knarrte wie ein Verrückter. Die Aufmerksamkeit des Menschen hatte er nun jedenfalls – blöder Angeber! Aber die Strafe folgte auf dem Fuße: Der Mensch trennte sein Kabel und murrte etwas Unverständliches. Ein bisschen tat mir mein Bruder ja leid – ich weiß, wie es ist, bewusstlos zu sein –, aber nur ein bisschen.
Ich nutzte die Chance, einen Blick auf unsere Kisten zu werfen: »Christian« stand da, und noch ein paar Namen und Nummern. Also hieß unser neuer Besitzer wohl Christian. Hätte er ja auch sagen können! Jedenfalls hatte er ein gemütliches Zimmer, viel schöner als unsere Fabrik. Auf Areca-Palmen, Birkenfeigen und Zierfarne schien die Sonne, auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers stand eine richtig gemütliche Couch. Mit runder Ecke. Jetzt müsste er nur noch die richtige Musik mögen, dann könnte man es hier wohl aushalten.
»Krrrrrracks!« Unsanft riss mich dieses schauderhafte Geräusch aus meinen Träumen und ich schaute erschrocken zu meinem Bruder hinüber. Hoffentlich hatte dieser Christian ihm jetzt nicht weh getan! Selbst die kleinste Regalbox weiß doch schon, dass man mit eingeschaltetem Verstärker keine Kabel anklemmen soll. Die Membranen meines Bruders zuckten verzweifelt. Christian fluchte und nahm schnell Energie weg, mit diesen kleinen Drehknöpfen an unserem Versorger. So möchte ich nicht aufwachen! Zum Glück war Rechts wohl nichts passiert. Er klang schon wieder ganz okay. Puh.
Manchmal kann er ja eine echte Last sein, mein Bruder Rechts, aber ich mag ihn trotzdem. An guten Tagen schaffen wir es sogar, zusammen ein recht passables Duett zu singen. Die Menschen sagen dann, wir sind »Hai-Fai Stereo«.
Mal sehen, wie gut wir in dieser neuen Umgebung harmonieren werden. Und ob wir mit unserem Versorger klarkommen, diesem silberschwarzen 2×300 W Sinus-Genie. Aber das ist eine andere Geschichte.