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Brösels Abgang
"Mensch, Brösel, was haben Sie da denn wieder verbrochen?!" Bungsmeier fitzte mit den Fingernägeln über die Blätter des Manuskripts. "Ich dachte, Sie sind Ihre Krise endlich los. Und jetzt das da."
Dieter Brösel sagte nichts. Bungsmeier war der einzige, der seine Sachen noch hin und wieder druckte. Sie sassen in Bungsmeiers schlecht geheiztem Büro am Rande der Stadt. In der Ecke stand ein altes Grammophon, zur intellektuellen Tarnung lehnte ein Bücherregal hinter Bungsmeier an der Wand und neben der Tür hing eine Art Modigliani. Alle Jahre wieder lud Bungsmeier zum sogenannten Autorengespräch und liess es sich nicht nehmen, ein Werk des Eingeladenen zu "besprechen", wie er es nannte. In Wahrheit ging es um Honroare, Tantiemen und Vorschüsse. Und die hatte Brösel bitter nötig.
"U-Bahn ist ja schön und gut, Brösel, aber müssen Sie die Geschichte so mit Personal vollstopfen? Junkies, Skins, Glatzen, Nutten, Faschos, Jogger, Anzugträger. Da blickt doch kein Schwein mehr durch. Nicht einmal mehr ein Japaner. Und dann Ihr Welschmerz."
Bungsmeier klopfte mit seinem speckigen Zeigefinger auf eine zerknitterte Seite.
"Da. Wenn ich allein das hier schon lese:
‚Es ist ein sonderbares Gefühl, wenn die Zeit stillsteht und alles verschwindet und taucht wieder auf, fast im selben Augenblick‘
Mann, Brösel, was soll diese gequirlte Sch...? Wann kommen Sie endlich wieder weg von dieser geblümten Oma-Lyrik?"
"Ich dachte, einen letzten Rest von literarischem Anspruch..."
Brösel kam nicht weiter.
Bungsmeiers dreckige Lache unterbrach ihn.
"Literarischer Anspruch!" Die Stimme des Kleinverlegers überschlug sich, ertrank in einem Hustenanfall. "Literarischer Anspruch!", fiepte Bungsmeier und musste wieder husten.
"Brösel, manchmal sind Sie echt gut!" Der Herausgeber der "Frivolen Welt" hielt sich den Bauch und meinte schließlich mit heiserer Stimme, nachdem er die Lachattacken endlich unter Kontrolle hatte: "Wenn Sie ihre unfreiwillige Komik in Ihre Geschichten packen würden, könnten wir ein Vermögen machen."
"Spass beiseite!" Bungsmeier wurde wieder ernst.
"Brösel. Wir verkaufen schlechte Pornos für Sozialrentner, die zu blöd sind, um einen PC zu bedienen und für Hausfrauen, die im Schnitt dreimal durch die Fahrprüfung geflogen sind. Begreifen Sie das doch endlich. Literarischer Anspruch! Das war einmal. Lache Bajazzo!"
Brösel war verstimmt. Er war kein billiger Lohnschreiber. Vor drei Jahren hatte er sogar einen Buchpreis gewonnen.
"Kommen wir zurück zu Ihrer Geschichte, Brösel."
Bungsmeiers Miene verdüsterte sich. Er musste an Claudia, seine Frau, denken und an seine Tochter, die ihm seit Monaten wegen eines Reitpferds in den Ohren lagen. Wenn Brösel so weitermachte, würde nichts daraus werden.
"Lassen Sie meinetwegen zwei oder drei Glatzen in Ihrer U-Bahn hocken und dazu irgend so einen altlinken Junkie, der in seinem Dullo einen Gedanken - EINEN, Brösel, hören Sie, EINEN, nicht mehr! - über die Schlechtigkeit der Welt verliert. Anstatt irgendeinen inneren Monolog mit Depri-Schwachsinn zu verzapfen, könnten Sie vielleicht einen der Skins mit einem Schnappmesser herumfuchteln lassen. Das wäre ganz okay. Aber kommen wir zum Kern der Sache, Brösel. Sex."
Bungsmeier zündete sich eine Zigarette an, dann blätterte er drei Seiten in Brösels Story um.
"Nachdem Sie lang und breit Ihren literarischen Anspruch ausgelebt haben, erinnern Sie sich endlich daran, dass es in dieser Welt auch noch so was wie weibliche Wesen gibt, die zwischen ihren Schenkeln ein Stück rosa Fleisch haben, das gefickt werden will. Schön."
Langsam stieg in Brösel etwas wie Hass gegen Bungsmeier auf.
"Und was machen Sie daraus?"
Bungsmeier wartete die Antwort seines vormaligen Starautors nicht ab, sondern las eine Passage aus Brösels Opus vor:
‚Da steigt ein Mädchen ein. Ihr Outfit, die Locken, das Piercing – alles an ihr bewegt sich, als besäßen Klamotten und Körperaccessoires so was wie Eigendynamik.‘
"Mann Brösel, da taucht nach all dem Gedönse um diese Versagertypen in Ihrer schwachen Story endlich, endlich ein Lichtblick in Gestalt einer süssen jungen Mieze auf und Sie erzählen uns von diesem Ereignis, als müssten Sie auf einem Seniorennachmittag die Funktion Ihrer Heizdecken erklären.
'alles an ihr bewegt sich als besäßen – als besäßen – ihre Accesoires eine Eigendynamik.' Bungsmeier zerkaute den Satz wie einen panierten Topflappen und spuckte ihn dann verächtlich aus.
"Be-säää-ssen, Ass-sse-ssoars und dann auch noch Eigendynamik. Nee, Brösel, nee, nee, nee! Mein altes Fahrrad, das hatte auch einen Dynamo, und in der DDR ging man früher mal zu Dynamo Dresden."
Dieter Brösel fühlte sich von Bungsmeiers Kritik mehr als nur gekränkt. Doch er hatte das alles schon kommen sehen und war nicht völlig unvorbereitet in dieses Gespräch gegangen.
Bungsmeier schüttelte den Kopf.
"Der Auftritt Ihrer Tussi hat alles, Brösel -– alles! Nur eines ganz sicher nicht: Nämlich Dynamik. Ihre Story klingt offen gesagt wie der Versuch eines pensionierten Finanzbeamten, der das erste Mal einen Volkshochschulkurs "Wie schreibe ich Romane" besucht hat und jetzt seinen Kegelclub mit den Ergebnissen belästigt."
Brösels Augen verengten sich zu Schlitzen. Er hatte diese Geschichte mit Herzblut geschrieben. Seine Rechte glitt in die Manteltasche, streichelte ganz sacht das Metall der Pistole.
Bungsmeier nahm ein wenig Gas weg. In versöhnlich-jovialem Tonfall brummte er:
"Sagen wir mal so. Sie sind schriftstellerisch ins Stolpern geraten, Brösel. Aber ich lasse Sie nicht fallen. Ich hol' Sie da wieder raus. Passen Sie auf. Ich hab Ihnen da mal ein paar Anregungen an den Rand geschrieben, wie ich mir das in Zukunft ungefähr vorstelle, wenn das wieder was werden soll."
Der publizistische Veteran glättete ein rot vollgekritzeltes Blatt vor ihm auf dem Schreibtisch und las dann laut vor:
"Ein geiles Etwas, so um die Sechzehn, stieg ein, die Lippen gepierct. Irgendeine versaute Puffmutter aus der Vorstadt musste ihr die Jeans direkt auf die nackte Haut gemalt haben. Die alte Hexe hatte das süsse Ding in ein schwarzes Top gezwängt. Das Teil war hinten so fest verschnürt, dass die Birnentitten der Jungnutte förmlich aus den Körbchen quollen."
Bungsmeier schaute Brösel auf Lob wartend an. Aber von Brösel kam nichts.
"Birnentitten, Birnentitten, Brösel. Haben Sie das gerade überhaupt mitbekommen? Wissen Sie, wie selten so was ist?"
Von Brösel kam noch immer keine Reaktion. Er sass nur versteinert auf seinem Stuhl wie ein Kulturmandarin von der FAZ.
"Na gut. Sie wollen offenbar nicht!" Bungsmeier blähte die Nüstern.
"Noch was Brösel. Sie sind mir zu direkt. Deshalb lassen wir die blutjunge Vorstadtnutte an der übernächsten Station aussteigen und dort warten schon zwei Neger auf sie."
"Neger?" fragte Brösel zurück und runzelte die Stirn. "Sie meinen wohl Farbige?"
Bungsmeier behauchte den Siegelring seiner Rechten.
"Nein, Brösel, Neger. Es sind Neger, und wir schreiben auch Neger. Verschonen Sie mich und unsere Leser um Himmelswillen mit Ihrer politischen Korrektheit. Sie greifen sich ja auch nicht hinters Ohr und knoten Ihren Arm um die Fußknöchel, bevor sie sich am Sack kratzen."
Der Verleger bekam allmächlich schlechte Laune.
"Da stehen also zwei baumlange durchtrainierte NEGER auf dem Bahnsteig, in feinen nadelgestreiften Anzügen, mit langen Schwänzen und weissen Hemden, weil die sich so gut von ihrer Hautfarbe abheben. Vermutlich Drogendealer. Und die Sechzehnjährige ist ihre Tussi und der eine Neger greift ihr an den Arsch, während der andere seine Zunge in ihren Mund hängt. Ist das klar?"
Brösel kniff die Lippen zusammen.
"Das mit den Schwänzen müssen Sie nicht auswalzen, Brösel. Sie sollten überhaupt ein bisschen dezenter schreiben. Lassen Sie die Einzelheiten von Ihren Versagern in der U-Bahn zusammenphantasieren, auch wie die zwei NEGER die Kleine zerlegen. Die Skins könnten ja erst mal aus Wut gegen die Scheiben trommeln, während die U-Bahn aus der Station hinausfährt, dann lassen Sie die schmutzige Phantasie mit den Volldeppen durchgehen und schliesslich schlagen die drei aus Frust den linken Drogensüchtigen zusammen. Das hätte dann auch sowas wie Logik, was ich übrigens an ihren Stories auch immer mehr vermisse."
"Ich hatte Sie anders eingeschätzt." Brösels Stimme klang enttäuscht und kalt.
Bungsmeier seufzte.
"Ich weiss schon, links, fortschritlich, aufklärerisch und so weiter und so fort. Hören Sie mir bloß mit dem Sozialkram auf! Das war eine Zeitlang Mode und ist seit Jahren mega-out. Verkauft sich nicht. Falls Sie es immer noch nicht geschnallt haben. Seit Jahren verrottet dieses Land, und nicht nur dieses. Ob rechts oder links oder gar nichts, ob arm oder reich, gebildet oder blöd, alle haben Angst ihr Geld oder ihren Job zu verlieren, andere sind beides schon los. Die einen bevölkern Discos, Fitness-Studios oder Schwulen-Clubs auf der Suche nach schnellem Sex, die anderen hocken vor der Glotze oder vorm Internet, verzocken ihre letzte Kohle und ziehen sich massenweise Sprit und Pornos rein. Globalisierung nennt sich das. Und in weiteren zehn Jahren, Brösel, ist auch hier in Europa völlig der Ofen aus. Dann fahren die Bosse auch hier wie fast überall auf der Welt mit gepanzerten Limousinen durch die Slums und picken sich die süssesten Jungschnecken heraus oder lassen das ihre Bodyguards erledigen. Und wer nicht völlig auf den Kopf gefallen ist, der heult mit den Wölfen. Schau'n Sie sich Schröder an! Den haben Sie doch mal gewählt. Oder?"
Bungsmeier setzte ein böses Grinsen auf.
"Lassen wir die Politik, Brösel. Bringt nichts. Kommen wir wieder zum Geschäft. Die letzten zwei Seiten habe ich ganz gestrichen. Aus Mitleid. Das ist nun wirklich nur noch peinlich.
‚Als ich zum Fenster zurückkehre, ist das Bild ein Neues: Karin hat mir die Exklusivität ihrer Darbietung entzogen.‘
Der Kleinverleger holte tief und theatralisch Luft.
"...ist das Bild eines Neues.. tss ... hat mir Karin die Exklusivität entzogen....Mammamia, Brösel. Holpriger gehts wirklich nicht mehr. Selbst die Gebrauchsanleitung meines neuen Handys liest sich flüssiger. Und das Ding stammt aus Taiwan."
Bungsmeier las weiter aus Brösels Manuskript vor:
‚Sie tänzelt wie eine nymphomane Barbiepuppe, aber alles andere als hölzern vor einem Typen mit Vokuhila in Schnellfick-Jogginghose."
Bungsmeier gähnte.
'Dann greift sie seine Hand und legt sie auf ihre kleinen, phänomenal festen Brüste....
Schon kommt der Nächste. Noch einer und noch einer und noch einer. In der sonst so leeren Gasse, die ich bewohne,...'
"Sie bewohnen also seit neuestem eine Gasse, Brösel. Ich wußte gar nicht, daß es inzwischen so schlecht um sie steht." Der Hohn troff wie Honig von Bungsmeiers Lippen.
'...ist mit einem Mal die Hölle los. Männer aller Altersklassen riechen Lunte und schlurfen mit Unschuldsmiene und unter dem Heiligenschein der Laterne...',
Bungsmeier stiess ein gequältes Ächzen aus,
"...an der Einfahrt vorbei. Anzugträger lockern sich die Krawatten, Jeansträger die Gürtel."
"Warum nicht auch noch Wasserträger, die ihre Kiepen abstellen, Müllmänner, die ihre Handschuhe abstreifen oder Kanalarbeiter, die ihre Gummistiefel ausziehen, Brösel? Das wäre wenigstens noch leidlich originell. Nein, Brösel, Ihr Finale furioso liest sich wie der Jahresrammelbericht eines Karnickelzüchtervereins. Da ist nicht ein Fünkchen Spannung oder Detailfreude drin. Oder gar Errrotikkk. Man merkt, Sie haben das Leben irgendwie satt...
Birnentitten, Brösel, das wär was. Das könnte Sie vielleicht noch retten. Wissen Sie überhaupt noch, wie sich so etwas anfühlt? Das pralle Leben - ein richtig guter Fick?"
Dieter Brösel sass stumm und starr auf seinem Stuhl, das Kinn auf die Brust geheftet. Nur die Finger seiner Rechten in der Manteltasche bewegten sich langsam, ganz langsam, auf den Sicherungsbolzen seiner Pistole zu.
Bungsmeier bekam wieder eine seiner väterlichen Anwandlungen.
"Brösel, ich weiss, Sie hatten eine schwere Jugend, aber muss das wirklich aus jeder Zeile hervorschimmern. Wir waren doch schon mal weiter. Okay, Brösel. Die Idee mit dem Gruppensex ist ja nicht völlig schlecht", versuchte Bungsmeier seinen Autor, der nun endgültig in sich zusammengesunken schien, zu trösten. "Aber muss sich das wirklich so schnarchgeigig anhören?"
Brösel wusste: Bungsmeier hatte ihn auf dem Gewissen. Er hatte das Zeug zu einem wirklich grossen Autor gehabt. Dann war er an Bungsmeier geraten, und der hatte ihn Stück für Stück in seine schmierige Welt voll Heuchelei und drittklassigem Sex gezogen. Der Sicherungsbolzen von Brösels Pistole knackte leise.
Es klopfte.
Erst zaghaft, dann fester.
Ein Gesicht erschien in der Tür und erschrak,
"Entschldigung, ich wollte nicht stören, ich dachte Du bist, ähm, Sie sind allein."
"Aber Sie stören doch nicht, Ella. Im Gegenteil. Kommen Sie rein, kommen Sie rein." Bungsmeiers Stimme klang laut und zuckersüss.
"Was?! Ist es schon so spät? Tatsächlich. Das hier ist Dieter Brösel einer von der alten Garde, ein Autor der Spitzenklasse. Ganz gross im Geschäft." Bungsmeier log, ohne rot zu werden, und deutete mit der ausgestreckten Hand auf sein Gegenüber.
"Und das ist Ella Kaufmann, eines unserer hoffnungsvollsten Nachwuchstalente".
Brösel murmelte etwas wie "Sehr erfreut."
Das Mädchen war sicher noch keine 20. Hinter der Brille von Fielmann blitzten wache grüne Augen. Sie trug ein schwarzes Kostüm und hatte birnenförmige Brüste. Der Rock war zu kurz, fand Brösel. Zu kurz, als dass es zwischen ihr und Bungsmeier nur um Literatur hätte gehen können.
"Ich habe übrigens Ihre neueste Cre – a - tion" Bungsmeier sprach das Wort affektiert in einem falschen Französisch aus "gelesen. Ganz zauberhaft. Sehr anspruchsvoll und absolut gelungen. Ein paar winzige Änderungen noch, und das wird die Titelstory unserer nächsten Ausgabe."
"Wirklich?" jauchzte die Kleine.
Brösel wurde schlecht.