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Brad Pitt, mein Vater und ich

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27.09.2004
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Brad Pitt, mein Vater und ich

Ich habe meinen Vater immer sehr geliebt. Er war die Person, die mir die Hand gehalten hat, als ich als kleines Mädchen die Magen – Darm – Grippe hatte und mir an der Toilettenschüssel die Seele aus dem Leib gekotzt habe. Er hätte selbst an Brad Pitt einen entscheidenden Makel gefunden, wenn dieser „Dreckskerl“ seine Tochter verlassen hätte. Er hat bei langweiligen Verwandtentreffen mit mir ein von ihm erfundenes Spiel namens „Was wäre, wenn...“ gespielt, das sich meist auf Themenbereiche wie „Was wäre, wenn man Oma vergiften würde, damit sie aufhört von ihren Krankheiten zu erzählen“ erstreckte. Nach Mutters Tod hat er mir von seiner kleinen Rente immer ein wenig Geld zugesteckt, schließlich „soll meine Tochter nicht leben wie ein Hund“. Da half es auch nichts, dass ich ihm erklärte, dass man auch als Studentin nicht automatisch Sozialhilfeempfängerin ist, er streichelte mir über den Kopf, murmelte begütigend „Ja, natürlich, weiß ich doch“ und als ich nach Hause in meine eigene Wohnung kam, fand ich doch wieder einen Schein in meiner Manteltasche.
Alles wurde anders, als er mit siebzig von einer Vorsorgeuntersuchung im Krankenhaus zurück kam. Er hatte nach langem Einreden meinerseits endlich auf mich gehört und den Rat der netten Doktoren in der Apothekenillustrierten gehört und sich mit einem bösen Grummeln auf den Weg zu den „Hanseln in Weiß“ gemacht.
Als an diesem Abend mein Telefon klingelte, passte es mir überhaupt nicht. Ich war auf dem Sprung auszugehen, schließlich war es Samstagabend, ich wollte mich mal wieder richtig amüsieren gehen. Meinen Vater, dessen Nummer ich auf dem Display erkannt hatte, konnte ich schließlich auch später noch anrufen und mir dann seine Schimpftiraden auf die schlechte Behandlung von Kassenpatienten in öffentlichen Kliniken anhören. Ich musste lachen. Und ging.

Mein nächster Morgen beginnt erst um drei Uhr nachmittags, offensichtlich sind mein Kopf und meine Leber doch nicht in der Lage mehrere Tequilarunden hintereinander zu vertragen. Nach einem eher spärlich ausfallenden Frühstück, bestehend aus Heringen und einigen Gläsern Wasser, fühle ich bereit, meinen Vater anzurufen. Soll der Mann jetzt seine Gelegenheit haben, mich für meinen Vorsorgeuntersuchungsvorschlag verbal niederzumachen.
„Hallo?“.
„Hallo, Papa, bist du das? Wie geht’s dir? Ich habe gesehen, dass du gestern abend angerufen hast, aber leider war ich da schon weg. Wie wars im Krankenhaus? Hast du den Weißkitteln mal ordentlich Dampf unterm Hintern gemacht?“. Ich grinse in mich hinein, bei der Vorstellung wie mein nölender und betont schlecht gelaunter Vater in einem jungen Assisstenzarzt mit sicherem Instinkt sein perfektes Opfer gefunden hat.
„Oh, doch doch.“
„Ja, erzähl doch mal, spann mich doch nicht so auf die Folter.“
„Also, jaja, Dampf unterm Hintern“, echote mein Vater.
Irgendwas stimmt nicht mit ihm.
„Papa, ist irgendwas nicht in Ordnung?“
„Oh, ähm, weißt du... Sie haben mir gesagt, ich habe Lungenkrebs. Unheilbar. Kannst du bitte vorbeikommen, nur ganz kurz?“
Er hat aufgehängt. Ich stehe sprach- und verstandslos im Raum. In einem Raum, der mir plötzlich viel zu groß scheint. Er beginnt sich zu drehen, immer schneller, schneller und schneller. Ich versuche, mich an der Kante des Telefontischchens festzuhalten, aber hatte vergessen, dass ich noch den Hörer in der Hand hielt. Ich falle hin. Mein Hinterkopf knallt mit einem unangenehmen Geräusch auf den Teppich. Der Schmerz bringt meinen Verstand wieder zurück ins Leben. Mein Vater. Krebs. Unheilbar. Das sichere Todesurteil. Plötzlich spüre ich einen Stich im Herzen. Ich würde bald keinen Vater mehr haben, ich wäre ganz allein auf der Welt. Wie lächerlich und erbärmlich, dachte ich, da liegt dein Vater im Sterben und du denkst darüber nach, was das Leben für dich bringt. Wie egoistisch du bist, schäm dich, du kümmerlicher, egozentrischer Wurm.
Ich versuche verzweifelt, über die Gefühle meines Vaters nachzudenken. Sie nachzuvollziehen. Mich in ihn hineinzuversetzen. Mir kommen tausende von wirren Gedanken in den Kopf, alles innerhalb weniger Sekundenbruchteile. Würde ich mein Leben geben, wenn ich dafür das meines Vaters retten könnte? Welche Schmerzen würde ich für ihn ertragen, wenn ich sie ihm dadurch abnehmen könnte? Ich erschrecke vor mir selber. Ich würde mein Leben nicht für ihn geben. Ich hänge zu sehr daran. Außerdem: Hat der alte Mann nicht schon genug Zeit gehabt? Warum sollte es so eine ungerechte Lebenszeitverteilung geben, dass einer nur wenige Jahre oder Jahrzehnte hat, während der andere ein geradezu biblisches Alter erreicht? Okay, mein Vater ist 70 Jahre, da touren Leute wie Mick Jagger noch fidel durch die Weltgeschichte und ficken sich durch die halbe Groupiebevölkerung des Planeten.
Wie kann ich so etwas denken? Er ist mein Vater! Ich sollte froh sein, etwas, alles für ihn tun zu können. Ich kann aber nicht. Unterbewußt dadurch beruhigt, dass ich nicht vor einer derartigen Tauschentscheidung stehe, denke ich an Gott. Ich rede ihm ohne Worte zu, dass ich natürlich getauscht hätte, ich bin schließlich die Tochter meines Vaters. Wie soll ich sonst in den Himmel kommen.
Ich überrasche mich selber mit solchen Gedanken. Seit ich vom Pastor wegen frechen Benehmens beim Konfirmandenunterricht vor die Tür gesetzt wurde und er mich erst nach langem Zureden meiner Mutter konfirmieren wollte, was ich sowieso nur als eine äußerst geldbringende Angelegenheit ansah, habe ich nie wieder über Gott nachgedacht. In der Oberstufe war ich stolz, in jeder Stunde des Religonsunterrichts, der an meiner Schule Pflicht war, ein Statement wie „Ich stimme da vollkommen mit dem Atheisten Friedrich Nietzsche überein. Gott ist tot.“ abgeben zu können und den rotglühenden Zorn in den Augen meiner Lehrerin zu erkennen.

Ich verdränge alle weiteren Gedanken an frühere Zeiten und schwinge mich ins Auto um auf dem schnellsten Weg zu meinem todkranken Vater zu gelangen. Er wartet auf mich. Ich bin doch ganz die liebende Tochter, das kann ich ihm jetzt beweisen. Wieder dieser Stich im Herzen, der einem vor Schmerz die Tränen in die Augen treibt. Ich lasse sie laufen, baue ich eben wegen Sehunfähigkeit einen Unfall, macht ja auch nichts mehr. Ich rufe mich selber zur Ordnung. Sicher hat er nur übertrieben und alles ist gar nicht so schlimm, wie es sich anhörte. Heutzutage kann man doch bei allem etwas machen.

Als ich das eingefallene Gesicht meines Vaters sehe, ist alles anders. Er wirkt plötzlich alt, so alt. Gestern war er doch noch ein komplett anderer Mensch, fröhlich, voller Tatendrang, fast wie früher als er mich als Fünfjährige in die Luft geworfen hat und ich vor Freude gequietscht habe, weil ich wusste: Mir kann nichts passieren, da unten ist jemand, der mich auffängt.
„Nett, dass du kommen konntest.“
„War ja kein Problem. Es hat ein wenig länger gedauert, weil ich noch im Stau stand, also die A1 wieder mal, weißt du...“.
Ich beginne von den Problemen auf der A1 zu erzählen. Ich weiß, dass es ihn nicht interessiert. Mich auch nicht, aber was soll ich denn machen? Über was sollen wir denn sprechen? Über die Probleme, die man als Tumorkranker hat?
Er macht die Haustür zu, zieht mich am Arm hinter sich her in sein kleines Wohnzimmer.
Kaum dass ich auf dem Sofa sitze, fühle ich mich ruhiger. Das Möbelstück ist noch aus dem Haus meiner Kindheit, das mittlerweile verkauft ist, weil es meinen Eltern zu aufwendig wurde. Auf dem Sofa kenne ich mich aus, sozusagen.
„Mein Mädchen, ich will nicht lange um den heißern Brei herumreden.“ Nein, das hat er noch nie getan, mein Vater war immer schnell dabei, seine Meinung offen und unumwunden auszusprechen, selbst wenn es ihm Schwierigkeiten bereitet hätte. Ich lächele. Das ist der Mann, den ich kenne, den ich liebe.
Als habe er meine Gedanken gelesen, macht er weiter in seiner Rede, die sich in meinen Ohren plötzlich schal und wie vor dem Spiegel ein Dutzendmal geprobt anhört.
„Ich will das nicht. Verstehst du, ich will die Krankheit nicht ausbrechen lassen, also nicht wirklich so, dass ich nur noch ein sabberndes Wrack bin. Ich weiss nicht, ob das passieren kann, aber ich weiß, dass ich alt bin und das ganz offensichtlich meine Zeit abgelaufen ist. Ich will sie nicht künstlich zu verlängern versuchen. Ich weiß, wann es genug ist, ich habe meinen Teil der Ewigkeit gehabt, ich habe hoffentlich mein kleines Zeichen auf dieser Erde gelassen“, er lächelt mich an, „ich habe schließlich dich in die Welt gesetzt. Es reicht mir, ewig leben will ich nicht. Das wird irgendwann langweilig.“
Eine Träne rollt ihm über die Wange. Einsam über eine hügelige und vom Leben gezeichnete Hautlandschaft.
„Ich möchte dich hiermit um einen letzten Gefallen bitten: Hilf mir, mein Leben würdig zu beenden. Heute. Hier.“
Ich verstehe ihn nicht. Schaue ihn an. Erst ratlos, hilflos, dann, als ich verstehe, was er mir sagen will, fassungslos. Er ist mein Vater. Er ist stark. Er ist der Erwachsene von uns beiden, ich kann immer zu ihm aufsehen. Ich beginne zu weinen. Hysterisch. Ich bekommen Kopfschmerzen vom Weinen, aber das hilft mir auch nicht weiter.
Er schweigt. Seine Entscheidung steht fest, unumstößlich. Ich bin nur die Tochter, habe nicht das Recht, meinem Vater zu befehlen. Ich muss tun, was er sagt. Aber. Ich. Kann. Nicht. Das wäre Mord. An ihm, den ich so sehr liebe, dem ich dermaßen zu Dank verpflichtet bin.
„Hör zu, Mäuschen“, so hat er mich nicht mehr genannt, seit ich 13 Jahre alt war, „das ist das Letzte um das ich dich bitte. Bitte!“
Ich muss kichern. Stoße die Luft zwischen den Zähnen aus. Das ist alles ein Scherz, ein grausamer Witz. Mein Vater hatte immer schon einen etwas anderen Humor. Ich schaue ihn an um ihm zu zeigen, dass ich den Witz verstanden habe.
Und schaue hinauf in zwei große traurige graue Augen. Ernste Augen. Man sagt, ich habe die Augen meines Vaters geerbt.

Ich habe in der Apotheke Tabletten geholt. Rezeptfrei. Insgesamt müsste die Dosis reichen. Ich zerbrösele sie und mixe sie in einem Glas Wasser zusammen. Mechanisch. Wie ein Roboter. Ich denke nicht, versuche, nicht zu denken, nur immer an die nächste Umrühr – Bewegung. Linksrum. Rechtsrum. Wieder links.
Im Wohnzimmer sitzt mein Vater. Er hat einen Schlafanzug an. Einen Seidenschlafanzug.
„Den hat mir deine Mutter geschenkt“, lächelt er.
Ich habe das überwältigende Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen und mich wie die Fünfjährige von früher leise von ihm mit einer Gute Nacht Geschichte in den Schlaf hinübertragen zu lassen.
Stattdessen stelle ich ihm das Glas vor die Nase.
„Hier, trink.“
Er schaut mich an, winkt mich heran. Drückt mich fest gegen seine Brust und gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
„Ich danke dir, mein kleines Mäuschen.“
Ich fange an zu heulen.
Er trinkt das Glas in einem Zug leer. Nichts geschieht. Er legt sich auf den Rücken aufs Sofa drauf. Ich setze mich daneben und beobachte, wie er einschläft. Er schläft. Ich sitze. Kann nichts tun, mich nicht bewegen. Es wird dunkel draußen. Ich kann das Licht nicht anmachen, vielleicht verpasse ich den letzten Atemzug meines Vaters. Er beschützt mich, auch schlafend, vor der Dunkelheit, er hat es immer getan, warum sollte er es jetzt nicht tun.
An was ich denke? Ich weiß es nicht. Es vergehen Stunden, Minuten, vielleicht auch nur Sekunden, aber plötzlich bewegt sich der Körper, der mein Vater ist. Keucht. Schwitzt. Hustet. Würgt. Ich bewege mich nicht. Will ihn sterben lassen. Es war sein letzter Wunsch, es war sein letzter Wunsch, hämmere ich mir ein.
Es beginnt nach Urin zu riechen. Nein, nicht es, er, mein Vater, das was bald nicht mehr mein Vater sein wird, sondern nur eine leere Hülle, die zufällig die Züge eines Menschen trägt, den ich einmal kannte.
Ich schaue ihn an, ich kann nicht anders. Der Schlafanzug, der ihm so wertvoll erschien, dass er ihn als letztes tragen wollte, ist voll mit Erbrochenem und Urin. Er hat sich nicht mehr unter Kontrolle. Ich schaue wieder weg. Mein Vater soll in meiner Erinnerung kein unkontrollierter und hilfloser Greis sein, der sich im Delirium auf seinem alten Sofa wälzt, sondern der starke, strahlende Mann, den ich so sehr geliebt habe.
Im Zimmer ist es mittlerweile stockdunkel, nicht einmal Schatten gibt es, nur schwarze, undurchdringliche Dunkelheit. Mein Vater ist wieder ruhig, nur manchmal hustet er noch. Ich entscheide mich, ihn in sein Bett zu legen, nach oben, in sein Schlafzimmer im Obergeschoss.
Ich rüttele ein wenig hilflos am Sofa herum und zerre am Körper, der darauf liegt, herum. Mir war nie bewußt, wie schwer mein Vater ist. Ich kann es nicht, zumindest nicht alleine. Er muss auf dem Sofa sterben, und das alles nur, weil ich nie ins Fitnessstudio gehe. Ich lache über diesen unpassenden Witz, beginne aber sofort danach zu weinen. Meine Tränen tropfen auf das lederige, verschwitzte und vollgebrochene Gesicht meines Vaters und hinterlassen kleine Rinnsale darauf. Es sieht aus, wie eine reliefartige Mondlandschaft.
Ich fummele ein Taschentuch aus meiner Hosentasche, entknülle es und wische das Gesicht ein wenig sauber. Es sieht schon besser aus, aber plötzlich bin ich mir nicht mehr sicher, ob es das ist, was mir zusteht. Es ist der Tod meines Vaters, nicht meiner. Außerdem drehe ich hier gerade eigenmächtig die Rollenverteilung zwischen uns beiden um. Es war schon schlimm genug, endgültig zu merken, dass er alt geworden ist. Wirklich alt, nicht so wie die Frauen, die immer über diverse Krankheiten jammern und danach eine Runde Joggen gehen. Bei ihm war es genau andersrum. Er wollte alles noch genauso machen wie früher, aber irgendwann ging es nicht mehr und er musste seine Spaziergänge zähneknirschend um einige Kilometer kürzen oder morgens an die Vitamintabletten denken.

Ich muss ihn endlich in sein Bett bringen. Nach kürzem Rütteln und Schütteln, das der Körper nur mit stärkerem Würgehusten beantwortet, wird mir klar: Er ist mir noch immer über. Er macht nichts, was er nicht will, bloss weil ich will, dass er es will.
Nach kurzem Nachdenken finde ich mich wild klingelnd an der Tür eines Nachbarn wieder. Man grüßt sich hier, aber mehr auch nicht, man weiß nichts Persönliches, meist nicht einmal den Namen voneinander. Trotzdem muss ich eine Erklärung abgeben können, warum ich jemanden brauche um meinen sterbenden Vater ins Bett zu tragen.
Ein Gesicht erscheint, ein junger Mann, den ich unter anderen Umständen wahrscheinlich sogar attraktiv gefunden hätte, fragend. Ich versuche zu reden, ihn um Hilfe zu bitten, aber alles was aus meinem Mund kommt ist ein hysterischer Schluchzer und dann lange Zeit gar nichts mehr. Ich habe den ganzen Tag soviel geweint, dass ich nicht mehr kann. Wahrscheinlich sind auch die Tränenvorräte des eigenen Körpers irgendwann einmal aufgebraucht.
Der Mann nimmt mich an die Hand, schweigend, im Schlafanzug und zieht mich in die Wohnung meines Vaters zurück. Er folgt dem Husten ins Wohnzimmer und deutet auf die sich krümmende Gestalt auf dem Sofa: „Er?“.
Ich nicke. Er winkt mich zu sich und gemeinsam packen wir das lebende Bündel und schleifen, tragen, ziehen es ins Obergeschoss. Wir legen ihn aufs Bett, der Mann deckt ihn zu und schaut mich an.
„Das wars, oder?“
„Hmmm.“
„Gute Nacht.“
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Rufe ihm ein leises „Danke“ nach, aber mehr nicht. Mein Vater braucht mich. Wenn das, was da liegt, überhaupt noch mein Vater ist.

Den Rest der Nacht verbringe ich zusammengerollt am Fußende des Bettes. Ich wollte eigentlich wach bleiben, aber irgendwann um fünf Uhr morgens konnte ich nicht mehr.
Geweckt werde ich durch die Wintersonne, die mir grell ins Gesicht scheint. Ich habe die Vorhänge im ganzen Haus ja nicht vorgezogen, daher jetzt das unbarmherzige Licht.
Auf dem Bett liegt etwas. Ich renne zu meinem Vater und sehe: Er atmet. Und schläft. Er lebt. Ich setzte mich auf einen Stuhl an seinem Bett, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Es hat nicht geklappt. Woran lag es? Ist er noch zu stark?
„Zu wenig Tabletten.“
Ich schaue erschreckt in die Richtung, in der ich den Besitzer der Stimme vermute. Mein Vater, in seinem eigenen Dreck liegend, Kot, Schweiß, Kotze und Urin, hat die Augen auf. Sie schauen mich an. Böse. Hasserfüllt.
„Ich kann nichts dafür.“
Warum kann ich ihm nicht erzählen, dass ich mich freue, dass er lebt? Dass ich ihn liebe? Dass ich froh bin, dass es schiefgegangen ist?
„Ich will allein sein.“
Ich merke: Ich muss gehen. Ich gehe, ohne noch ein Wort mit ihm zu wechseln, der Vater, das Idol meiner Kindheit und Jugend hat gesprochen, ich, seine Tochter, sein Kind, habe keine Berechtigung, ihn in seinem Zustand zu sehen.

Ich habe ihn nie wieder lebendig gesehen. Am nächsten Tag war er tot. Das Schlimmste war die Ungewissheit: Bin ich schuld? Sind es die Nachwirkungen? War er doch nicht so stark, wie er und ich dachten?
Oder hat er es noch einmal alleine versucht? Warum? Um mir zu helfen oder mich zu bestrafen? Ich jedenfalls bin ihm für sein Stillschweigen dankbar.
Ich durfte den größten Helden meines kindlichen Lebens in makelloser Erinnerung behalten.

 

Hallo Columbia. Abgedreht - war mein erster Gedanke danach wie ich Deine Geschichte finde. Wenn auch der Grundgedanke realistisch ist, kauft man der ihren Vater liebenden Protagonistin diesen Ablauf so nicht ab. Vielleicht kommt die Situation beim Leser ernster an als sie Dir beim Schreiben bewusst war. Und als Held würde er mir an ihrer Stelle sicher nicht in Erinnerung bleiben. Die Idee Deiner Story find ich gut, aber der Humor darin ( was sie sich hier und da denkt) ist entweder zu wenig übertrieben oder fehl am Platz. Beides könnt ich mir vorstellen um die Geschichte "runder" zu erzählen. So wie Du sie erzählst und den Vater beschreibst hab ich erwartet am Ende löst es sich in einem Streich auf den er seiner Tochter gespielt hat. Also - Idee gut, aber zu halbherzig-entweder ergreifender und realistischer oder irrwitziger...so wie das wunderlich-ignorante Verhalten des Nachbarn. An Deiner Wortwahl und Wortwitz in einigen Sätzen liegt potential für tief schwarzen Humor oder eben die ernstere Schiene!Gruss Micha

 

also, ich wollte die geschichte eigentlich schon recht ernst erzählen... schade, dass das nur teilweise durchkommt, freut mich aber natürlich, dass du noch "potenzial" siehts... vielleicht kannst du mir mal eine der stellen nennen, die man deiner meinung nach in beiden richtungen hin verändern kann? und mein problem des ganzen: der nachbar soll eigentlich weniger ignorant als vielmehr verständnisvoll insofern sein, dass er keine fragen stellt....

aber erstmal danke für die erste einschätzung,
liebe grüße,
Columbia

 

Hallo Columbia,

ich kann mich der Einschätzung von Zimmerpanther da nicht so ganz anschließen. Für mich zeigen die teilweise lustigen Gedanken deiner Protagonistin einfach ihre Verwirrung und Hilflosigkeit. Schließlich ist das eine Situation, in die man nicht alle Tage kommt und Menschen neigen dazu, in fremden Situationen merkwürdig zu reagieren und auch nicht zu wissen, was sie denken sollen.

Mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen, besonders die doch bisweilen etwas zwiespältige Beziehung der Protagonisin zu ihrem Vater (sie will ihn als starken Beschützer in Erinnerung behalten, aber sie wehrt sich auch ein bisschen dagegen - wahrscheinlich, weil sie ja selber inzwischen erwachsen ist), und die erwähnte Hilflosigkeit, angesichts der Tatsache, dass man plötzlich eine Person zu verlieren droht, die einen sein ganzes Leben lang begleitet hat. Deine Schilderung finde ich hier sehr gelungen.

Meiner Meinung nach könntest du die Geschichte guten Gewissens so lassen. Allein - wenn der Nachbar hilfsbereit rüber kommen soll, musst du da vielleicht doch noch mal drübergehen, mir erschien er auch eher unbeteiligt ;)

Liebe Grüße,

Ronja

 

Hallo Columbia,
Ok-bevor hier was falsch ankommt-mal ganz klar, gefallen hat mir die Geschichte auch sehr...nur bin ich halt hin und hergerissen zwischen einem Erzählstil a la "six-feet-under" und eben der Ernsthaftigkeit der Situation. Wovon erzählst Du denn...der geliebte Vater bittet die Tochter um aktive Sterbehilfe und zwar ansatzlos! Verwirrung und Hilflosigkeit ist, wie Ronja richtig sagt ganz sicher eine der ersten Reaktionen, aber ich möchte die liebende Tochter sehen die in einer solchen Situation dies durch Humor ausdrückt. Wenn er Alki wär, sich an ihr vergangen hätte...solche Umstände würden es plausibel machen. Aber bei ihr? Sie soll ihn umbringen...ihren Held, ihr Vorbild, ihren eigenen Vater...tausend wirre Gedanken würd ich erwarten - ein Ringen mit sich ob sie es für ihn aus Liebe tun kann...Du schreibst ja sie kann nicht, es wäre Mord - dann aber ein kichern weil sie es für einen Witz hält und im nächsten Moment holt sie die Tabletten aus der Apotheke....??? Und auch wie Ronja schon sagt, Du beschreibst die Tochter als erwachsene Frau mit eigener Persönlickeit und Willen. Fehlt da also nicht der ein oder andere Gedankengang ihrerseits zwischen "Mord" und "Apotheke"...hier könntest Du den Leser mit in den Bann einer solch grausamen Situation ziehen...an genau diesem Punkt fragt sich doch der Leser was-würde-ich-tun...also ernsthaft erzählt hiesse das dort an dem Wahnsinn der sich doch in IHREM KOPF abspielen mag viel mehr und tiefer teilhaben zu lassen. Das zwangsläufige Gegengewicht zu seinem "Ich will nicht sabbernd enden..." vermiss ich.
Wäre es meine Idee...würde ich den Anfang etwas kürzen, vielleicht eine Anspielung auf das innige Verhältnis der beiden machen, den Anruf kommen lassen, den Gedanken ob sie es kann oder nicht mehr rausarbeiten, es tun, während des Zusehens die Protagonistin innerlich zereissen lassen, den Nachbarn einweihen das es Mord ist-denn nur so ist klar das er sich vornehm zurückhält, statt einen vollgekotzen Mann hochzutragen und mir nichts Dir nichts wieder zu gehen (hohl in doch früher ins Boot) und wie bereits erwähnt...die Tochter macht sich in den letzten 5 Zeilen nachvollziehbare Gedanken..."oder war er doch nicht so stark?"...für mich ein Widerspruch zu makelos. Ganz zu schweigen von der Tatsache dass er als Held sie gebeten hat ihn umzubringen. Deinen Humor und den Irrwitz der Situation liesse sich gut NACHDEM sie ihn vergiftet hat und zusieht unterbringen - das könnte ich mir eher vorstellen, nur nicht bei der ersten Auseiandersetzung damit. Vielleicht ist es jetzt klarer das die Zwiespältigkeit ihres Verhaltens über den teilweise ungünstig gesetzen Humor in meinen Augen die Ernsthaftigkeit nimmt und vielleicht so nicht in Deiner Absicht lag. Gut ist sie in beide Richtungen - nur nicht eindeutig ernsthaft genug,
wahlweise, bei anderer Absicht zu wenig sarkastisch. Ich sehe nicht "noch potenital", sondern da die KG für mich mir wenig Änderungen gleich zwei völlig verschiedene Richtungen beherben sehr viel ;) In diesem Sinne.
LG
Micha

 

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