- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 10
Brandenburger Tor
Diese Geschichte handelt in erster Linie von einem alten Bekannten, da ich mir sonst eingestehen müsste, dass mich etwas metaphysisches ergreift. Nehmen sie eine Landkarte, aber bitte nur gedanklich, setzen sie ihren Finger auf die Landkarte, und wenn Sie wissen, wo Berlin ist, dann wandert ihr Finger nun langsam an diese Stelle. Und da Sie den Titel dieser Geschichte kennen, und vielleicht ungefähr wissen, wo in Berlin, das Brandenburger Tor steht, werden sie es sich nun vorstellen. Das Brandenburger Tor, mit den fünf Durchgängen mit der Quadriga und den beiden Seitengebäuden. 1791 ist es erbaut worden. Das heißt, dort in Berlin, steht seit mehr als zweihundert Jahren das Brandenburger Tor, welches Sie nun bildlich vor Augen haben. In welcher Zeit sehen sie es. Ist es schwarz-weiß? Mein Bekannter ist Mitte dreißig und wohnt in einem kleinem Dorf in der Nähe von Bielefeld, auch er kennt das Brandenburger Tor. In Bielefeld wurde der Bahnhof renoviert, und in Berlin wurde ein neuer Bahnhof gebaut, mein Bekannter sagt, der Bahnhof in Berlin sei zwar groß, aber dennoch nicht so riesig, wie er ihn sich vorgestellt hätte. Nun geht es darum, sie näher an die Metaphysik heranzuführen, die ich beschreiben möchte.
In meiner Schublade liegt eine Zeitung aus den dreißiger Jahren. In dieser Zeitung, die mittlerweile mehr als vergilbt ist, ist das Brandenburger Tor abgebildet. Auch hat mein Bekannter einen Film gesehen, eben in schwarz-weiß, wie ein Amerikanisches Auto, ein Jeep, durch das Brandenburger Tor fährt. Auch hat er das Bild vor Augen, wie das Brandenburger Tor durch die Mauer verschlossen war. Immer fragte sich mein Bekannter, was in den Seitengebäuden des Brandenburger Tores untergebracht sei. Keiner antwortete ihm. Nun, es ist kein Geheimnis, es kann gesagt werden, das Brandenburger Tor zog ihn an, wie ein Magnet. Aus diesem Grunde, buchte er einen Platz im ICE, direkt von Bielefeld nach Berlin. Hätte mein Bekannter nun 1791, jemanden erzählt, er würde mit Geschwindigkeiten von bis zu 250 km/h nach Berlin reisen, ich glaub man hätte ihn nur fragend angesehen. Ich denke, ich würde sie überfordern, wenn ich ihnen nun erzähle, im Jahr 2091 sei es möglich nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit zu überbrücken – mein Bekannter ist da optimistisch – aber wenn das möglich wäre, so ist das Brandenburger Tor, ein markanter Treffpunkt, da ihr X mal Urenkel, ja weiß, dass das Brandenburger Tor auch schon 2006 dort stand, wo es in 2091 stand, (ähm!) steht – stehen wird.
(Passend zur dreihundert – Jahr Feier). Also: Mein Bekannter startete in Bielefeld, überbrückte den Raum und landete schließlich in Berlin – Hauptbahnhof. Die ganze Zeit zog ihn das Brandenburger Tor magnetisch an. Ich kann mir nicht verkneifen, an dieser Stelle noch einmal zu warnen, bevor ich sie völlig in den Bann des Brandenburger Tores ziehe, denn das könnte am Ende dabei rauskommen. Also, wenn sie nicht wollen, das ich sie hoffnungslos konditioniere, dann – es fällt mir schwer – brechen sie bitte das Lesen ab. Also: Wiederum zu meinem Bekannten, der nun in Berlin war. Trotz der enormen Anziehungskraft, irrte er an diesem Tag in Berlin herum. Und als er bemerkte, es wäre an der Zeit nun endlich zum Brandenburger Tor zu gehen – so stellte er leicht verdutzt fest, dass er sich beeilen musste, da schon ein großer Teil seiner Aufenthaltszeit verstrichen war. Er stieg in eine Straßenbahn, die er für die richtige hielt, und stieg dann irgendwo aus, und stellte fest, dass der wohl noch etwa zwanzig Minuten zu gehen hätte. Auf seiner Jacke hatte er einen großen Fleck, da er im Fastfoodrestaurant nicht aufgepasst hatte und Milchshake verschüttet hatte. Ich weiß nicht, ob es das große M oder das große B war.
Mit vorgebeugten Oberkörper, vorgebeugt um schneller gehen zu können, rannte er nun förmlich zum Brandenburger Tor. An dem DDR-Ampelmännchen konnte er erkennen, aus welcher Richtung der Stadt, er sich seinem Ziel näherte. Es war ihm nun wirklich egal – das mit der Jacke. Endlich war er am Brandenburger Tor. Über dreißig Jahre hatte er dazu gebraucht. Schnell hatte er aus dem linken Augenwinkel erkannt, dass sich im linken Gebäude des Brandenburger Tores ein Souvenirladen befand. Jetzt musste er sich entscheiden. Da man von links nach rechts liest, entschied er sich, zuerst durch den ganz linken Durchgang des Tores zu gehen. Und schon war er durchgegangen. Dann begutachtete er von der anderen Seite des Tores das Mauerwerk, weil er immer geglaubt hatte, man könne noch Einschusslöcher –aus dem zweiten Weltkrieg- erkennen. Er sagte aber, er habe nichts dergleichen feststellen können. Dann ging wieder zurück auf die andere Seite, um dann noch einmal durch das mittlere Tor zu gehen. Von hier aus konnte er direkt auf die Siegessäule sehen. Nun drängte aber die Zeit. Schnell ging er in den Souvenirladen, griff sich ein kleines Modell des Brandenburger Tores, bezahlte die fünf Euro hierfür, um dann noch rechtzeitig, den ICE nach Bielefeld zu erwischen.
Dieses Modell steht nun vor mir – er hat es mir geschenkt. Stellen sie sich nun vor, wie mein Bekannter mit dickem Klebeband einen Ausdruck dieser Geschichte an die Wand des mittleren Tores des Brandenburger Tores klebt, oder, falls es ihnen zu schwer fällt, stellen sie sich vor, sie selbst kleben einen Ausdruck dieser Geschichte an diese Wand. Stellen sie es sich deutlich und bildlich vor. Sehen sie, ich habe ja gesagt, dass ich sie konditionieren werde. Denn von nun an, werden sie immer, wenn sie durch das Brandenburger Tor gehen, an diese Geschichte denken müssen. Das geht mir aber genauso. Selbst, wenn ich auf das kleine Modell des Tores vor mir schaue, sehe ich, wie im mittleren Tor, ein Ausdruck hängt. Ich denke, sie kennen diese Fernsehserie, es gibt dort diese Gates mit denen man in andere Welten reisen kann. Mein Bekannter sagt, das Brandenburger Tor, sei so ein Gate, zumindest aber eine Zeitmaschine. Denn in dem Moment, in welchem er durch das mittlere Tor ging, konnte er die Wehrmachtssoldaten marschieren und kämpfen sehen, aber auch, wie die Leute Napoleons die Quadriga abmontierten. Ich glaube ihm das. Denn selbst der Blick auf mein kleines Modell, ist wie eine Reise in andere Zeit.