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Brandstifter
Brandstifter
"Der Vater hat ja noch bis siebzig gearbeitet. Krumm ist er dabei geworden und ganz dürr, dass der Wind durch ihn hindurch pfeifen konnte. War noch einer vom alten Schrot und Korn, der an die eigene Scholle glaubte. "Junge", hat er immer gesagt, "behalt` das Land, dann kann es dir nie richtig schlecht ergehen. Dein eigener Herr wirst du dann immer noch sein."
Hat sich kaputt geschuftet als eigener Herr. Noch mit siebzig ist er in den Wald, zog den Leiterwagen hinter sich her und wollte Holz hacken für den Winter. Dort haben sie ihn dann auch gefunden. Brachten ihn heim zu mir. Mutter war ja damals schon lange tot gewesen und ich hab` in der Fabrik gearbeitet, war nicht genug da für zwei.
Zuerst wollte ich den Hof übernehmen. Alle im Dorf haben gesagt: "Rudi, mach weiter, was du von deines Vaters Hand erworben..."
Wir waren ja auch schon seit vielen Generationen freie Bauern, das bleibt, so etwas steckt im Blut. Da kann man nicht einfach den Bauernkittel an den Nagel hängen. Aber es hat sich nicht mehr gelohnt, schon damals nicht. War zu klein, der Hof. Und das Geld war ja auch nie da gewesen, um neue Maschinen zu kaufen.
Dann kamen immer mehr Leute aus der Stadt und wollten bei uns leben. "Hast doch die Hektar, Rudi", sagte der Bürgermeister, "steiniger Boden am Dorfrand. Für`s Sterben zu viel, zum Leben zu wenig. Aber grad recht für die Stadtmenschen, dass sie ihre Häuschen darauf bauen können."
Hab` mich erst gesträubt. So leicht fällt man seinem toten Vater nicht in den Rücken und all jenen, die vorher da waren und gekämpft haben. Dem Boden immer und immer wieder das Wenige abgerungen haben, was sie brauchten zum Überleben.
Aber immer wieder sind die von der Gemeinde gekommen und haben gefragt. Da habe ich irgendwann "ja" gesagt und alles verkauft, bis auf den letzten Hektar.
Das alte Hofgebäude haben sie gleich abgerissen. Da wollt` ich fort. Geld war ja genug da, aber ich konnt`s nicht mehr mit anschauen, wie die Bagger die Erde aufrissen und die ersten Leitungen verlegt wurden.
Dann ist der Kalli gestorben. War früher der Wirt in der einzigen Kneipe am Ort. Und ich habe mir gedacht: "Gesoffen wird immer!" Wo jetzt auch immer mehr Stadtleute herzogen.
Natürlich musste ich `ne Masse reinstecken: keine grauen Putzwände mehr und raus mit dem alten Gelump`. Die alten Fachwerkbalken hab` ich freigelegt und eine moderne Küche reingebaut. Das hat sich gelohnt. Sollte ja nicht nur für die alten Bauernköppe aus dem Dorf sein. Die blieben und hämmerten weiter ihre Karten, sowieso. Und am Bier und den paar Würsten für die war noch kein Wirt reich geworden. Also internationale Küche und Wildgerichte - denen aus der Stadt hat`s gefallen. Die haben ihre Freunde eingeladen. Von wegen, bei uns auf dem Dorf ist nichts los. Von denen wollten dann auch die ersten über Nacht bleiben.
Also hab` ich mir gedacht: "Biet` halt den Gästen noch Zimmer an - Kurzurlaub in frischer Dorfluft."
Die Alten sind mir aus dem Weg gegangen, haben die Straßenseite gewechselt, wenn sie mich sahen. Denen war ich auf einmal zu geschäftstüchtig geworden. Die Großbauern blickten mich an, als hätte ich ihre Kühe vergiftet.
Dann hat es das erste Mal gebrannt, aber ich war ja gut versichert. Also hab` ich alles wieder aufgebaut - natürlich noch größer und noch schöner. Klar hatten sie mich im Verdacht, aber beweisen konnten sie nix.
Plötzlich haben die Großbauern ihren Hut vor mir gezogen. Das erste Mal, dass die jemanden aus meiner Familie gegrüßt haben. Angefleht haben sie mich, ich solle ihnen ihre Schweinehälften abnehmen.
"Macht mir einen vernünftigen Preis und wir kommen in`s Geschäft", hab` ich ihnen gesagt. Am liebsten hätte ich sie angespuckt, diese Bagage. Damals in der schlechten Zeit hätten die uns glatt verhungern lassen. Die haben immer nur auf uns herab geschaut und uns als Habenichtse beschimpft.
Mutter hat sich ja noch bei einem von ihnen als Magd verdingen müssen, weil das Geld nicht reichte. Muss ein richtiges Schwein gewesen sein. Mutter erzählte nie viel von ihrer Arbeit, aber wenn sein Name am Tisch fiel, weinte sie manchmal. Vater schwieg dann mit hochrotem Kopf und legte seine schwielige Hand auf ihre. Da bekam ich den Hass auf all die da oben. Die in ihrem Sonntagsgewand zur Kirche gingen und mit starrem Blick alle anderen zum Schweigen brachten. "Euch zeig ich`s noch", dachte ich damals. Noch mit kurzen Hosen und ständig mit strubbligem Haar, das sich nicht kämmen ließ. Und ich hab` es ihnen gezeigt.
Plötzlich saß ich in der ersten Bank der Kirche und keiner trat mir in den Weg, wenn ich zum Altar ging, um die heilige Hostie zu empfangen. Beiseite sind sie getreten. Platz haben sie für mich gemacht, weil sie wussten, dass ich mehr Geld auf dem Konto hatte. Sogar der Kassierer von der Sparkasse verbeugte sich, wenn ich zum Schalter kam.
Dann brannte es zum zweiten Mal.
Diesmal hatte ich nichts damit zu tun, aber im Dorf wurde getuschelt. Polizisten aus der Stadt kamen in mein Haus und befragten mich. "Ihr könnt´ mir gar nichts", schrie ich sie an, "denn ich war`s nicht!" Als sie die Benzinkanister im Keller fanden, musste ich mit in die Stadt. Aber es waren nicht meine und sie hatten nichts in der Hand. Trotzdem brachten sie mich vor Gericht. Ich hab´ mir den besten Anwalt der Gegend genommen, hatte ja genug Geld auf der Seite.
Freispruch zweiter Klasse wegen Mangels an Beweisen. Ich hab´ dem Anwalt gesagt: "Ich will einen richtigen Freispruch, schließlich war ich es nicht." Aber mein Anwalt meinte: "Seien Sie zufrieden, frei ist frei."
Aber der Brandgeruch blieb an meinen Händen.
Auf der Straße steckten sie unverhohlen ihre Köpfe zusammen und tuschelten, wenn ich an ihnen vorbeiging. Und die Großbauern blickten durch mich hindurch, als sei ich Luft.
Die Versicherung wollte nicht zahlen. Mein Anwalt sagte: "Die müssen, wir verklagen sie. Dauert halt nur."
Ich habe bei meiner Bank gefragt, ob die mir Geld leihen könnten für den Wiederaufbau. Erst drucksten sie herum, dann lehnten sie ab.
Also baute ich auf mit dem, was ich noch hatte. Fast täglich stand einer vom Bauamt bei mir auf der Matte und lief mit seinem Zollstock herum. Immer neue Auflagen und es wurde teurer, als ich dachte. Viel teurer.
Als erstes blieben die Alten aus dem Dorf weg. Die freiwillige Feuerwehr machte ein eigenes Vereinsheim auf, zu dem gingen dann auch die Schützen und die aus dem Kirchenchor. Dann blieben die Zugezogenen weg. "Das Essen ist schlechter geworden", sagten sie. "Ist nicht mehr so wie früher", sagten sie und meinten damit doch nur: "Wir trauen uns bei dir nicht mehr rein!"
Fremdenzimmer liefen schon lange nicht mehr und in der Gaststätte stand ich plötzlich ganz allein. Dann ging es irgendwann nicht mehr und ich musste meinen Koch und die Kellnerinnen entlassen. Da war`s dann endgültig vorbei.
Neulich kam der Pfarrer zu mir und bat mich, nicht mehr in der ersten Bank zu sitzen - um des lieben Friedens Willen. Da wusste ich, sie haben mich geschafft. Die hatten schon immer den längeren Atem und vergessen nichts.
Jetzt sitze ich allein in meinem Zimmer und schaue mir die alten Fotos an. Fotos, auf denen noch Mama und Papa zu sehen sind und das alte Haus. Alles so, wie es damals mal gewesen ist. Ich stehe auf und gehe in die Küche, um mir einen Kaffee zu machen. Plötzlich rieche ich es wieder. Dieser alte, beißende Geruch, den ich für immer vergessen wollte. Er steigt aus dem Treppenhaus zu mir hinauf. Ich gehe zurück in mein Zimmer, setze mich hin und warte."