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Brief an "Du"

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21.04.2002
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Brief an "Du"

Du hast ferngesehen.
Politik und so einen Theologie-Unfug.
Dann hast du das Video vom „Grinch“ zum zehntausendsten Male gesehen und wieder einmal mit der Kreatur über die Ungerechtigkeit der Welt geheult.
Jetzt ist der Fernseher aus.
Stille!?
Dein KAISER spricht. Worte, die Du schon zu oft gehört hast. So eine große Welt und keine Perspektive für dein kleines Leben.
Du hast Schuhe mit Stahlkappen, damit dir keiner zu Nahe tritt; ein Herz aus Stahl, damit es niemals brechen kann.
Und du spürst die Kälte des stählernen Herzens, so daß die Hölle überfriert.
Du hörst das trampeln der Stiefel auf dem blanken Asphalt, und weißt, es gilt dir.
Fühlst dich geschlagen mit der Erkenntnis.
Das es kein Morgen und kein Gestern gibt – und sich alles nur im Kreis bewegt.
Manchmal fallen Worte – wohltuend, beruhigend.
Du mußt ihren Lügen keinen Glauben schenken, du weißt, woher du kommst und wohin du gehst.
Die Lügner sind die Gesellschaft, die Gesellschaft sind Lügner und Gesellschaft eine Lüge.
Außen ist innen, innen ist außen – alle frommen Gedanken sind nur Eigennutz.
Du weißt, da ist kein Weg; kein Ziel; kein Ausweg.
Die Lüge frißt alle.
Die Lüge von Sinn; Zweck; Glück – Arbeit; Leben; Zukunft.
Und diese Wahrheit will keiner Wissen – weil sie aller Verheißung widerspricht.
Life is an accident – and we’re just a part of it.
Trotzdem zieht es an dir.
Du willst mitmachen.
Du willst frei sein; Party machen; vielleicht einmal eine Familie gründen.
Alles in dir spricht: Diene dem Zweck! Verlier‘ dich in deine individuelle Bedeutungslosigkeit!
Aber diese Stimme hat früher zu dir geflüstert: Spring!
Und du bist NICHT gesprungen.
Du hast versucht, dich zu wehren.
Demonstrieren und von der Polizei kassiert werden hat dir jedoch nie etwas gegeben.
Da mußte doch viel mehr sein; bis du merktest, das da viel weniger ist.
Das da nur Unwahrheit und Egoismus ist.
Deshalb willst du nicht mehr ein Leben lang ihren Idealen nachlaufen.
Doch wer gebraucht wird, ist nicht frei – wer braucht wird niemals frei sein.
Du rennst ihren Idealen nicht nach; aber in dir steckt immer noch das verletzte, vereinzelte Kleinkind, das du warst, als du ihre Welt kennen lerntest.
Kein Trost ist in dir.
Keine Musik, die du hörst; keine schöne Frau, die du siehst.
Du siehst nur den Abgrund, in den die Lemminge früher oder später fallen müssen.
Vielleicht bist du auch nur so negativ, weil du keine Drogen mehr zu Hause hast.
Alkohol macht nur sentimental.
Dann merkst du, wie viele Freunde dich verlassen haben; wie wenig Freunde du hattest.
Und dann schaust du dir „Sex and the City“, „Ärger im Revier“, Polittalks und Liebeskomödien an und denkst, du könntest dir jetzt eine Kugel durch den Kopf jagen, weil Typen wie du in Sendungen wie diesen immer die Blöden sind.
Politiker verbreiten einerseits Schauermärchen und andererseits Erfolgsillusionen, um das Volk bei der Stange zu halten wie bei einer hochgradig süchtig machenden Droge.
AWG, Alles wird gut.
Und Frauen stehen auf Typen, die wenig Hirn, viel Geld, einen „Sixpack“ und einen knackigen Arsch haben.
Und alle haben „tolle“ Lebensphilosophien, für die du nichts als kaltes Kotzen übrig hast.
Was für ein Glück für dich, das es nichts gibt, wofür es sich lohnt, zu sterben – oder?
Deine Ideale sind es jedenfalls nicht, für die du Sterben willst.
Nicht deine Ideale, nicht die gängigen menschlichen Ideale vom Zusammenleben.
Und nicht die Tatsache, das du nichts weißt und nie etwas wissen wirst.
Tröste dich mit der Gewissheit, das für die Sehenden dieses Leben nicht ist.
Zu früh oder zu spät geboren, um einen Lebenssinn zu kennen.

Dein Ich

 

Hallo Mad Scientist,

ich finde, Dein Text enthält manch´ Wahres („Politiker verbreiten einerseits Schauermärchen und andererseits Erfolgsillusionen“), problematisiert aber die Thematik nicht in einer Geschichte, sondern zählt düstere Erkenntnisse auf. Die Totale Verallgemeinerung „nur Unwahrheit“, alle der „Gesellschaft sind Lügner und Gesellschaft eine Lüge“ macht die Argumentation angreifbar, einfach weil es Gegenbeispiele gibt - eines müsste ja sogar der Prot. sein.
„Außen ist innen, innen ist außen – alle frommen Gedanken sind nur Eigennutz.“ Solche Aussagen halte ich für nebulös, was hat „innen“ und „außen“ mit „Eigennutz“ zu tun?

Auch hier sehe ich Verbesserungsbedarf:

„Fühlst dich geschlagen mit der Erkenntnis.
Das es kein Morgen und kein Gestern gibt – und sich alles nur im Kreis bewegt.“ - Nach „Erkenntnis“ nicht eher ein Komma? Von der „Erkenntnis“?

„das trampeln der Stiefel“ - Trampeln

„Die Lüge von Sinn; Zweck; Glück – Arbeit; Leben; Zukunft.“ - Nach „Sinn“ und „Leben“ finde ich ein Komma passender.

Tschüß... Woltochinon

 

Hi Wolti,

1. Wieso sollte der Protagonist ein Gegenbeispiel sein? Er ist eher selbst- und gesellschaftsreflektierend... außerdem heißt es doch immer so schön: "Ausnahmen bestätigen die Regel"...

2. Ok, Trampeln mag richtiger sein... Sind eigentlich alles Zitate, das Erste von Ton Steine Scherben: "Denn jeder Stiefel,
der mit Gedröhn dahergeht,
und jeder Mantel,
durch Blut geschleift,
wird verbrannt,
und vom Feuer verzehrt."
Das Zweite sind die Hosen, das Dritte von HbW - das entweder überall mit Komma, oder kein Komma...

Naja, und der Stil ist halt eher experimentell - so würd' halt meine Schreibschule aussehen, wenn's sie gäbe...

MfG Carlton

 

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