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Bringt den Frieden
Lalee warf sich aufgeregt ihren Mantel über. Heute war der große Tag. Heute würde sich das Schicksal ihrer Kolonie entscheiden. Heute war der Tag, an dem sie für ihr Volk kämpfen und – wenn es ein musste – auch ihr Leben lassen würde.
Glen, aus ihrer Einheit, lachte sie an. Auch er machte sich fertig. „So Lalee, heute werden wir den Feind vernichten – endlich ist es soweit. Heute beginnt eine neue Ära und wir werden sie einleiten!“ „Ja, die Raja werden den Sieg erringen und wir werden ein Teil des Neuen sein!“ Seit Monaten war der Kampf das einzige, wofür Lalee und die anderen gelebt hatten. Seit ihrer Geburt lebten sie in einer riesigen Kolonie, in Armut und mit täglicher Gewalt.
Und Schuld daran hatten die Chenyks, eine benachbarte Kolonie. Seit Lalee denken konnte hatte sie die Chenyks gehasst und war überglücklich als sie mit 14 endlich alt genug war in die Armee einzutreten. Und nun war es so weit – die Jahre der Unterdrückung waren vorbei – die 5 langen und harten Jahre des unerbittlichen Trainings würden sich endlich auszahlen. Sie waren alle bis ins letzte Detail vorbereitet worden. Lord Roxtah hatte ihnen alles beigebracht. Alles was Lalee wusste hatte sie von ihm. Sie war unglaublich stolz unter ihm kämpfen zu dürfen.
Der Tag an dem der Lord in ihre Kolonie kam war die Rettung für alle gewesen.
Lord Roxtah hatte ihnen allen neue Hoffnung gegeben, die Hoffnung auf eine Zukunft. Die Glocken läuteten. Glen lief in Richtung Tür. „Los Lalee, wird dürfen Lord Roxtahs Rede auf keinen Fall versäumen!“ Lalee nickte und folgte ihm.
Auf dem Hof war großes Gedränge. Alle hatten sich versammelt, die Jüngsten gerade mal 14 und die Ältesten schon viele Jahre in Ausbildung. Der Anblick dieses gewaltigen Heeres erfüllte Lalee mit Stolz. Sie war ein Teil von dem. Freudig erregtes Gemurmel war überall zu hören. Jeder brannte auf den Kampf.
Lalee und Glen drängelten sich durch die Massen zu ihrer Einheit durch. Rysa, Drew, Jemes und die anderen warteten schon ungeduldig auf sie. „Mensch, wo wart ihr denn, es geht gleich los!“ sagte Rysa. „Schaut“, rief eine Stimme. „da kommt Lord Roxtah!“ Dieser Ruf pflanzte sich durch die Menge, bis in die letzten Reihen. Dann wurde es totenstill.
Lord Roxtah, stolz, stark, ehrwürdig, furchtbar weit entfernt und doch so nah, ging langsam und würdevoll zu einem Podest. Elegant stieg er hinauf und betrachtete mit wohlwollendem Blick sein Heer, seine Armee.
Dann begann er zu sprechen.
„Oh meine Kinder! Was musstet ihr erdulden, was habt ihr gelitten, was für schreckliche Dinge wurden euch angetan? Eure Kinder verhungern, eure Töchter werden am hellen Tag entehrt, eure Väter und Männer werden bei dem Versuch euch etwas zu essen zu besorgen überfallen und ermordet – warum?
Warum stehlen die Chenyks unsere Vorräte, warum zünden sie unsere Felder an, warum töten sie unsere Tiere? Warum rauben sie unser aller Leben?
Waren wir nicht vor langer Zeit alle eins? Ein Volk? – Die Chenyks haben uns verraten, sie dienen finsteren Mächten, der schlechte Weg ist oft einfacher zu gehen. Aber ich frage euch, haben wir uns unterkriegen lassen?
Sind wir den Verlockungen des Bösen erlegen? Waren wir schwach? Nein, wir nicht. Heute werden wir kämpfen, heute werden wir siegen. Die verräterischen Chenyks können uns nichts anhaben. Wir sind stark, wir sind stolz, wir sind eins. Heute ist der Tag, an dem die Raja wie der Phoenix aus der Asche, auferstehen werden. Wir werden sie überrennen, ihrer dunklen Herrschaft ein Ende bereiten. Frieden, Freiheit, Sicherheit, so heißt unsere neue Welt. Niemand wird Hunger leiden, Krankheiten werden ein für alle mal besiegt. Meine Kinder, ich führe euch in ein neues Zeitalter, kämpft mit mir, ich kämpfe für euch. Gemeinsam retten wir unser Volk.
Und nun geht – geht meine Kinder, geht hinaus und bringt den Frieden!“ Ehrfürchtiges Schweigen - dann plötzlich tosender Jubel.
Glen pfiff so laut er konnte, Lalee und Rysa schrieen und klatschten. Aber dann gab der Lord ein Zeichen und alle starrten gespannt auf die riesigen Tore, die sich langsam öffneten. Der Jubel verklang langsam und ein erwartungsvolles Gemurmel schwebte über der Menge. Die Einheiten ordneten sich und gingen in Reih und Glied durch das Tor, um die Chenyks zu vernichten. Ungeduldig wartete Lalee darauf, dass auch ihre Einheit endlich an der Reihe war. Alles in ihr drängte nach vorne. „Ich kann es noch gar nicht richtig fassen, endlich ist es soweit.“ Rysa lachte. „Kaum zu glauben dass sich heute unsere Zukunft entscheidet!“ Jemes nickte. „Ja und wir sind die Zukunft, was soll da schon schief gehen? Chenyks sind Flaschen!“ Lalee ruderte wild mit den Armen. „Große Klappe und nichts dahinter, Chenyks haben absolut nichts drauf!“
„Ruhe dahinten, wir sind dran!“ Augenblicklich war Ruhe. Wenig später setzte sich Lalees Einheit in Bewegung. Sie blickte sich um. Überall sah sie Hoffnung in den Gesichtern der Menschen, Hoffnung und Stolz. Überall schwirrten gute Wünsche durch die Luft. Dann auf einmal, war das Tor direkt vor ihnen.
Ein freudiges Kribbeln machte sich in Lalees Bauch breit. Sie gingen an Lord Roxtah vorbei. Er lächelte, dann sah er Lalee plötzlich an, und obwohl er immer noch lächelte, lief es Lalee plötzlich eiskalt den Rücken herunter. Etwas in seinem Blick erschreckte sie. Doch dann war es schon vorbei, der Lord schaute in eine andere Richtung und Lalee schritt durch das Tor. Wenige Minuten später hatte sie die Begegnung wieder vergessen.
Bis zur Kolonie der Chenyks war es nicht weit, 2 Tage Fußmarsch lagen vor ihnen, dann würden sie auf die Chenyks treffen. Lalee dachte an die bevorstehende Schlacht. Auch die Chenyks würden sich wohl heute auf den Weg machen, um Lord Roxtahs Armee in 2 Tagen auf den Ebenen gegenüber zu treten. Mit nach vorne gerichtetem Blick und schnellen Schritten kam die Armee vorwärts. Lalee und die anderen sprachen nicht viel. Jeder hing seinen Gedanken nach, Lalee träumte von einem kleinen Haus mit Garten, Kindern und einem Hund. Bei dem Gedanken musste sie Lächeln. Sie warf einen verstohlenen Blick zu Glen.
In ihren Träumen war Glen der Vater ihrer Kinder. Als Glen sie lächeln sah grinste er Lalee an. „Hey, woran denkst du?“ Lalee spürte wie ihr Gesicht heiß wurde. „Och, nichts bestimmtes, an die Zukunft.“ Er nickte. „Ja, das ist gut. Morgen um diese Zeit ist schon alles vorbei – und die Zukunft ist da.“ Bei den letzten Worten blickte Jemes sich um. „Hey ihr beiden Turteltäubchen, schwafelt nicht rum, konzentriert euch erstmal auf das Heute, bevor ihr eure gemeinsame Zukunft plant!“ Glen grinste weiter und Lalee wurde knallrot. Sie marschierten den ganzen Tag, am Abend wurde ein Lager aufgeschlagen. Nach dem Essen zog sich jeder auf seinen Schlafplatz zurück. Eine kleine Weile hörte man noch gedämpfte Stimmen, aber schnell war nur noch das gleichmäßige Atmen zu hören. Lalee allerdings wälzte sich unruhig hin und her. Sie träumte.
Sein stechender Blick ruhte auf Lalees Körper. Er verursachte ihr schmerzen und sie wand sich unter seinen Augen. Sein Mund verzog sich zu einem kalten Lächeln. „Hast du dass wirklich geglaubt?“ Ihr Magen verkrampfte sich, ihre Beine trugen sie nicht mehr und sie brach zusammen. „Hast du dass wirklich geglaubt? Antworte!“ „Was soll ich geglaubt haben?“ schrie sie. „Antworte!“ Sie schluckte. „Ich weiß nicht was du meinst.“ Mit geweiteten Augen sah sie wie er die Hand hob, sie hielt ein Messer. „Antworte!“ „Ich weiß es wirklich nicht.“ Panik rollte wie eine riesige Welle auf sie zu und schlug über ihr zusammen. Ohne mit der Wimper zu zucken, rammte er das Messer tief in ihre Seite. Sie schrie. Verzweifelung, Schmerz und Angst. „Was soll ich denn jetzt tun?“ Der Wind zerrte an ihrem Haar, riss ein Blatt mit sich, warf es hin und her, trug es hoch - und ließ es wieder fallen. „Sag mir was ich sagen soll!“ Eine Träne rollte ihre Wange herunter. Ihre Stimme zitterte. „Bitte, hilf mir …“ Entsetzen stand in ihren Augen als sie erkannte dass er ihr nicht helfen würde. Sie stöhnte vor unterdrückten Schmerz. Zitternd streckte sie ihre linke Hand nach ihm aus. „Bitte.“ Schlaff fiel ihre Hand wieder zu Boden. Als er sich umdrehte schien auch das letzte bisschen Kraft aus ihr zu fließen. „Nein …“ Alles was noch aus ihr herauskam war ein Flüstern. Sie sackte in sich zusammen. Ein neuer Krampf verkrümmte ihren Körper. Sie konnte spüren wie sie das Leben verließ – und sich in Dunkelheit verlor …
Mit einem Schrei fuhr Lalee hoch. Schwer atmend fühlte sie nach ihrer Seite. Alles in Ordnung. Eine ungeheure Spannung fiel von ihr ab. „Was ist los?“ flüsterte Rysa neben ihr. „Nichts, nur ein Alptraum, tut mir leid dass ich dich geweckt habe.“ Rysa nuschelte was von „Kein Problem.“ Drehte sich um und schlief sofort wieder ein. Lalee versuchte sich an ihren Traum zu erinnern. Aber außer den furchtbaren schmerzen war alles verschwommen. Alles – bis auf die Augen. Lord Roxtahs Augen. Fröstelnd wickelte sie sich fester in ihre Decke. Was hatte das zu bedeuten?
Zweimal hatte sie nun schon die Augen des Lords so kalt wie noch nie gesehen. Eine Warnung? Unwillig schüttelte Lalee den Kopf, der Lord wollte doch nur ihr bestes. „Du bist bestimmt nur aufgeregt wegen morgen.“ sagte sie sich. Lalee legte sich wieder hin, konnte aber keinen Schlaf finden. Also rief sie sich die schönen Träume von ihrer und Glens gemeinsamer Zukunft wieder ins Gedächtnis – und nach einer fiel sie in einen leichten Schlaf. Immer wieder tauchten die kalten Augen auf und ließen sie aufschrecken.
Am nächsten morgen musste Lalee dennoch von Rysa geweckt werden. „Hey Schlafmütze, aufstehen, das Essen steht bereit. Beeil dich, wir haben nicht viel Zeit. Schließlich wollen wir die Chenyks doch nicht warten lassen!“ Rysas gute Laune, Glens Lächeln und das Frühstück ließen Lalee die Schrecken der letzten Nacht vergessen.
Gegen Mittag stieg die Armee auf einen Hügel. Plötzlich stoppte jemand und die Reihen kamen zum stehen. „Was ist los?“ Jemes reckte sich um vorne etwas erkennen zu können. „Ich kann nichts erkennen!“ Plötzlich ging ein Raunen durch die Menge. „Wir sind da, die Chenyks sind da, der Kampf steht unmittelbar bevor.“
Ein Schrei, flog durch die Luft und erzeugte eine fast fühlbare Spannung – der Kampsruf der Chenyks. Unmittelbar erfolgte die Antwort. Die Schreie alles Rajas vereinigten sich zu einem donnernden Tosen. Und dann geriet das Heer in Bewegung, der Angriff begann. Durch den Schrei in Hochstimmung versetzt stürmten Lalee und ihre Freunde dem Fein entgegen, der sich auch in Bewegung setzte.
Ein neuer Ruf erklang. „Bringt den Frieden! Bringt den Frieden! Bringt den Frieden!“ Dann trafen die Heere aufeinander. Der abscheuliche Klang der aufeinander prallenden Körper riss Lalee aus der Ekstase. Plötzlich waren überall Chenyks, überall Blut, überall Schmerzenschrei, überall Tod. Nach wenigen Minuten war alles Training vergessen, alle schönen Worte und alle Hoffnungen. Es ging nur ums nackte Überleben. Wahllos hieb Lalee auf ihre Gegner ein, trennte Arme und Beine von Körpern, trennte Leben vom Tod. Sie stolperte und fiel, stand wieder auf und machte weiter, automatisch und ohne Gefühl. Zwanghaft verdrängte sie jede Art von Denken, denn sonst wäre sie schreiend zusammen gebrochen. Fast besinnungslos, nur Schlag auf Schlag, kämpfte Lalee sich vorwärts, dann fiel sie wieder. Ein stechender Schmerz ließ sie laut aufschreiend. Sie drehte sich zu ihrem Fuß um und sah in Glens tote Augen. Sie begann zu zittern, starrte Glen und zitterte. Lalee merkte nicht einmal, wie von hinten ein Chenyk kam und ihr seinen Dolch in die Seite rammte.
Der grelle Sonnenschein drang durch ihre Augenlieder und weckte Lalee auf. „Rysa, warum hast du die Vorhänge nicht vorgezogen?“ Lalee wollte aufstehen um diesen Fehler zu korrigieren. Ein stechender Schmerz veranlasste sie die Augen zu öffnen. Der Anblick der sich ihr bot war grotesk. Ich bin nicht zu Hause! Lalee schloss ihre Augen wieder, nur um sie gleich wieder zu öffnen, aber nichts veränderte sich.
Ich bin nicht zu Hause! Ihre Schultern begannen zu zucken und sie machte den Mund auf. Ihr Mund war trocken und so war das Lachen nur ein heiseres Krächzen. Vor ihr lag das Schlachtfeld. Tote Körper solang das Auge reicht. Noch immer lachend berührte Lalee ihre Seite, ihre Hand färbte sich rot. Glen! Sie drehte sich zu ihm um. Sein Gesicht war zu einer Maske verzerrt, diese Maske hatte nichts mehr mit dem lebendigen Glen gemein. Sie zeigte Hass und Angst anstatt Lächeln und Witz. Lalee wandte sich ab.
Hast du dass wirklich geglaubt? Ruckartig bewegte Lalee ihren Kopf.
Hast du wirklich geglaubt ihr könntet gewinnen? Ein schrecklicher Gedanke drängte sich ihr auf. Hatte Lord Roxtah gewusst dass es so enden würde? Hatte er gewusst dass es keinen Frieden geben würde, sondern nur Tod? „Geht hinaus und bringt den Frieden - ha!“ Erst jetzt ging Lalee auf, wie dumm diese Worte waren. Aus Krieg konnte doch kein Frieden entstehen. Aber auch sie hatte an diese Worte geglaubt, jetzt hasste Lalee sich dafür. Mühsam und ihre Schmerzen außer Acht lassend, erhob sie sich. Zum Schutz vor der Sonne hob sie die Hand vor die Augen. Sie blickte sich um, doch wo sie auch hinblickte, über alle nur Tod, hier lebte niemand mehr. Doch bevor dieses Wissen ihr Bewusstsein erreichte lief sie los. Alles Denken und Fühlen ausschaltend humpelte sie der Sonne entgegen. Sie wusste nicht wohin sie lief, sie wusste nur eins, sie wollte weg, nur weg von dem Tod und dem Blut, weg von dem, was früher einmal Glen war, weg von der Lüge. Geht hinaus und bringt Frieden.
Lalee war erschöpft, humpelte und hatte große Schmerzen, aber sie lief immer weiter und weiter. Das Schlachtfeld war groß, sehr groß und Lalee kam nur langsam voran.
Nach einer Weile sah sie etwas. Eine Gestalt bewegte sich auf sie zu. Lalee änderte ihren Kurs, steuerte auf den Menschen zu, froh, in all dem Tod etwas Lebendiges zu sehen. Es war ein Junge, vermutlich nicht älter als Lalee, seine roten Haare kennzeichneten ihn eindeutig als Chenyk. Schweigend blickten sie sich an. Dann streckte der Junge seinen Arm aus und nahm Lalees Hand in seine. Schweigend drehten sie sich um und gingen Hand in Hand der untergehenden Sonne entgegen.