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Buntes Gemüse
"Was darf es sein, meine Dame?" Unschlüssig schaute ich auf den alten Mann der leicht vornüber gebeugt hinter seinem Stand auf dem Wochenmarkt Gemüse verkaufte. Vieles aus eigenem Anbau, wie ein auch schon recht altersschwaches Schild verkündete. Ich war ganz in Gedanken versunken, was ich heute kochen sollte, und da mir nichts einfiel, wollte ich irgendetwas kaufen, nur um weiterzukommen, aber er lachte mich aus allen Runzeln an und so traute ich mich zu sagen: "Ich weiß es nicht."
"Wie wäre es denn mal mit einer Mittelmeerpfanne? Mit Auberginen, habe ich ganz frisch, Zucchini aus eigenem Anbau, sonnengereiften Tomaten aus den Vierlanden und Paprika?" schlug er mir vor. Und er sagte es so freundlich, dass es spontan aus mir herausplatzte: "Mein Sohn kann Zucchini nicht ausstehen."
"Was auf den Tisch kommt wird gegessen!" Bestimmt würde er gleich mit dem Spruch kommen, den meine Mutter jedes Mal von sich gab, wenn eines meiner Kinder etwas nicht essen wollte. Ich wurde schon rot, aber dann hörte ich:
"Nein, dann kommt die Mittelmeerpfanne nicht in Frage, denn ohne Zucchini schmeckt sie nicht richtig. Aber wie wäre es mit Möhren und Broccoli. Haben wir heute morgen frisch geerntet und ich mag diese Kombination sehr gerne. Man kann auch ein paar Mandelplättchen dazu geben oder eine Käsesauce."
Ich war ganz verwirrt. Noch nie hatte mir eine Verkäuferin auf dem Wochenmarkt Rezepte zu dem Gemüse dazugeliefert. Weil ich kleiner bin als die meisten Menschen und mich gerne unauffällig kleide, werde ich eher übersehen, was mir auch lieber ist. Schüchtern hob ich meine Augen und betrachtete den alten Mann genauer. Er lächelte mich weiter an und schien in seiner ausgebleichten grünen Schürze mit dem bunten Wollpullover darunter alle Zeit der Welt zu haben. Und so nahm ich mir ein Herz und sprach aus, was mir durch den Kopf ging: "Das klingt gut, aber meine jüngere Tochter sagt immer, die Möhren sind hart, die kann sie nicht kauen."
'O Gott, ich kann doch vor einem Wildfremden nicht meine ganzen familiären Sorgen ausplaudern.', dachte ich und merkte, wie meine Wagen heiß und bestimmt auch knallrot wurden. Und der alte Mann schwieg, aber als ich meine Augen vorsichtig hob, wurde mir deutlich, dass er nachdachte.
"Sie könnten Sie zehn Minuten alleine dünsten und dann die Broccoli zugeben, dann sind sie bestimmt weich. Aber sie sehen dann immer noch hart aus und wahrscheinlich wird es nicht viel nützen."
Dieser Mann verstand mich. Das war ja geradezu unglaublich und ich überwand meine übliche Unsicherheit und nutzte die Chance, die sich mir da bot: "Meine ältere Tochter ist eigentlich recht pflegeleicht. Nur bei Spinat hapert es bei ihr, aber den mag mein Sohn nun wieder so gerne. Und ich kann doch nicht jeden Tag Spaghetti mit Tomatensauce kochen, nur weil irgendjemand irgendein Gemüse nicht ausstehen kann."
Der Alte hörte mir aufmerksam zu und begann wieder nachzudenken. Ob man so bedächtig wird, wenn man dem Gemüse beim Wachsen zuschaut? Ich werde leicht hektisch, wenn andere Menschen etwas von mir erwarten. Vielleicht sollte ich mir ein Gemüsebeet zulegen - aber wo? Bei unserer Mietswohnung gibt es nur eine kleine Rasenfläche mit einem kümmerlichen Rosenbusch. Vielleicht mag ich deshalb so gerne frisches Gemüse in der Steinwüste, in der wir leben. Der alte Mann hatte inzwischen seine Gedanken zu Ende gebracht, schaute mich lächelnd an und schlug mir vor: "Kaufen Sie doch zehn verschiedene frische Gemüse."
"Soll ich einen Gemüseeintopf kochen? Dann sind doch alle nur am Herausklauben."
"Nein, sie dünsten jedes Gemüse für sich - nur das Gemüse, leicht gewürzt. Dazu dann noch zwei oder drei Saucen, Kartoffeln und Nudeln. Und das stellen Sie alles getrennt in kleinen Schüsseln auf den Tisch. Und jeder darf sich das nehmen, was er mag."
Ich schaute ihn entsetzt an. "Wie soll ich das denn schaffen, bei vier Herdplatten und meinen paar Töpfen. Da stehe ich den ganzen Tag am Herd und nachher ist die Hälfte kalt oder verkocht. Diese Arbeit, nein, das mache ich nicht."
"Haben Sie einen Dampfkochtopf? Da gibt es Einsätze, in denen Sie mehrere Gemüsesorten garen können. Wir müssen nur Gemüse mit gleichen Garzeiten nehmen."
Die Idee gefiel mir, er war auch Feuer und Flamme und so entwickelten wir an diesem Tag die bunte Gemüseplatte, die mir im Ergebnis kaum mehr Arbeit machte als ein anderes Gericht und bei meiner Familie sehr gut ankam.
Dieses Erlebnis auf dem Wochenmarkt ist jetzt bald zwanzig Jahre her. Meine ältere Tochter hat dann beim Einkaufen den Enkel des Gemüsemannes kennen gelernt. Nun bin ich Großmutter und habe mein eigenes kleines Gemüsebeet. Meine Tochter verkauft selbst gezogenes Gemüse auf dem Wochenmarkt. Und ich brauche mir keine Gedanken mehr zu machen, was ich kochen soll. Jeden Tag gibt es ein anderes Gemüse aus eigener Ernte.