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Bus
Der dösende Winter knackt unter meinen Füßen, die zur Bushaltestelle eilen, während mein Bewusstsein schon auf Reisen, zurück in die letzte Nacht, mit der nicht existierenden Unendlichkeit meiner Gedanken ist.
Bevor ich mich dem Schlafe überließ, hatte sich mir ein Gefühl offenbart. Mir war als fiele mein Körper, der doch unbewegt dort auf dem Bette lag, durch die Matratze und verharre schwebend im freien Fall. Es überkam mich für den Bruchteil eines teilbrüchigen Augenblicks. Nur kurz sah ich in sein Gesicht und schnell verschwand die Erinnerung an seine überwältigende Intensität. Die Unbegreiflichkeit des Existierens war auf mich eingebrochen und hatte in mir etwas von kleiner Gestalt zurück gelassen, eine Art meisterlich geschliffenes Leuchten.
Jetzt, halb hier, angekommen an der Haltestelle, beleuchtet der gelbliche Laternenschein die zögernd fallenden Flocken. Ich versuche mich auf eine einzelne zu konzentrieren und ihren Weg mit meinem Blick zu begleiten, ich verlier sie. Die übrigen sind zu zahlreich als dass sie für mich sichtbar bliebe.
Der Bus ist zuhören und die Wartenden um mich herum ziehen sich zu einer Schlinge zusammen. Wir steigen ein.
Ich setze mich mit meinem vor sich hinstrahlendem Edelstein ans Fenster. Angenehm überdeckt der beschleunigende Motor jeglichen Sprachausfluss, sodass ich ungestört meine Augen aus dem Fenster scheinen lassen kann.
In jener Nacht ließ ich für einen Augenschlag mein Leben verschwinden. Versteckte die Vergangenheit unterm Sofa, trennte die unscheinbare Gegenwart von aller Fantasie und wollte nicht mehr wissen was sich hinter dem Begriff der grandiosen Zukunft verbarg. Das was blieb war nur ich. Mich bemerkte ich das erste Mal, ich traute mich jedoch nicht mich anzusprechen. Stattdessen floh ich zurück in Raum und Zeit. Ich werde kein besseres Leben wissen und wenn ich mich noch so oft fragen werde.
Mein Licht nun sucht seinesgleichen. Die sich um mich spannende Collage von verborgenen Individuen, alle für sich eine durchs Leben ziehende Asymptote, schimmert voll von Möglichkeiten. Oder täusche ich meine Sinne nur? Will ich mir nur einbilden, dass das was ich gefühlt habe, mit jenen dort scheinbar in ihrem Alltag verschollenen teilbar wäre? Sehe ich sie mir doch an, sehe ich sie doch.
Eine ältere Frau ist beim durchlaufen des Busses unweigerlich in einen Seemannsgang verfallen, als kämpfe sie mit hohem Wellengang. Wie weit ist für sie, wenn sie sich jetzt umdrehen würde, der Horizont der Geburt entfernt? Wie viele Erinnerungen hat sie mehr als ich? Wie viele hat sie verloren? Verurteilt sie ihre vergangene Jungendwahrhaftigkeit mit einem Lächeln oder ist es auch jetzt noch ein Teil von ihr? All diese abgedroschenen Fragen stellen sich mir, in den Weg. Ich stehe auf und drücke den Halteknopf.
Meinen Blick lege ich in die vorbeiziehenden Baumkronen und lasse mich von dem wankenden Tanz der Wipfel einnehmen. Das wolkenverhangene Papier, auf dem dieses Spiel stattfindet, zerreißt und das sich dahinter verbergende Licht bricht aus. Bunte Flecken versammeln sich hinter meinen Augen. Der Bus hält, ich steige aus und ich weiß, weiß nicht wer noch.