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Carls letzter Sprung

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27.07.2000
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Carls letzter Sprung

Carls letzter Sprung

In der Dämmerung des anbrechenden Morgen stand Carl da, am Rand des Daches jenes 55 Etagen hohen Wolkenkratzers. Hier war er in den letzen Monaten schon ein paar mal gewesen und hatte, so wie jetzt, die Stadt betrachtet.
Ihm war zum heulen zumute. "Die Lichter der Stadt", kam es ihm in den Sinn, " wie Sterne, unendlich und winzig klein." Nie zuvor war es ihm so deutlich aufgefallen.
Starker Regen prasselte auf ihn hernieder, im trüben Licht der anbrechenden Morgendämmerung konnte Carl die dicken grauen Wolkenberge mehr spüren als sehen.
Seine Stimmung wurde noch düsterer als sie sowieso schon war. Carl hatte sich mal wieder mit Christine, seiner Frau, knapp 37 Jahre waren sie jetzt verheiratet, gestritten. Heftiger als sonst. Worum sie sich gestritten hatten? Carl war sich dessen gar nicht mehr so sicher. "Worum eigentlich? Ich habe nicht die geringste Ahnung!"
Allmählich wurde auch der Wind stärker. Auf dem Dach erreichte er beinahe sturmböenartige Ausmaße. Carls eigentlich hellblaue Jacke erschien mittlerweile vom Regen dunkelblau gefärbt und war triefnass. Bei jedem Schritt verursachte das Wasser in seinen Schuhen ein schmatzendes Geräusch. Gänsehaut jagte ihm in heftigen Schauern über seinen gesamten Körper, derartig kalt war es ihm noch nie gewesen. "Aber was macht das schon", dachte er sich "ist eh das letzte Mal."
Einen Schritt weiter nach vorne. Jetzt konnte er auch die Leute ganz weit unten aus dem Bürgersteig sehen. "Nicht wie Ameisen, eher wie Bakterien oder Parasiten sehen sie aus. Wenn sie nur die leiseste Ahnung hätten..."
Dann flackerte ein Bild seiner Tochter vor seinem inneren Auge auf. Ihre Geburt vor nun fast 23 Jahren. Wie sie mit fünf oder sechs im Garten gespielt hatte, im Schatten der Bäume; ihr erster Schultag, die Schultüte fast so groß wie sie selbst; ihr erster Freund, wie hieß er doch gleich? Ach ja, David. An immer mehr erinnerte er sich. Tränen traten ihm in die Augen, sein Hals wurde immer
trockener. Carl musste hart schlucken.
Doch er hatte sich entschieden, jetzt gab es kein zurück mehr. Er ging ein paar Schritte zurück und setzte sich auf einen Mauervorsprung, trotz des Regens. Es machte ihm nicht das geringste aus. " Bald", dachte er sich und langsam legte sich auch seine Aufregung. Langsam realisierte er, dass er es heute wirklich beenden würde.
Carl seufzte. Er griff in die Innentasche seiner Jacke und brachte ein Päckchen Zigaretten zum Vorschein. Er fand tatsächlich noch eine trockene Zigarette, zündete sie an und sog den Rauch tief ein. Er sah in die Schachtel, "... sieben,
acht! Ach, was soll's? Da wo ich hingehe brauche ich die eh nicht mehr". Mit diesem Gedanken stand er auf, ging zurück zum Rand des Daches und warf die Schachtel hinunter. Lange sah Carl ihr nach, bis er sie nicht mehr sehen konnte.
"Dauert aber verdammt lange!", sagte er etwas erschrocken zu sich selbst.
Carl setzte sich hin, lies die Beine über den Rand baumeln und zog noch mal an der Zigarette.
Carl wurde immer ruhiger. Er genoss jeden Zug seiner letzten Zigarette und betrachtete wieder die kleinen Punkte unter ihm. Er dachte an nichts. Als er schließlich aufgeraucht hatte, schnippte er den Stummel in Richtung kleiner Punkte. "Es wird langsam Zeit, oh ja, es wird langsam Zeit".
Noch mal ein Blick über die Schulter, keiner da der ihn hätte aufhalten können.
Er machte sich bereit, stand auf. Eine Böe erfaste ihn, er begann zu zittern.
Diesmal nicht nur wegen dem Regen und dem eisigen Wind.
"Das war's also", ging es ihm durch den Kopf, "na ja, irgendwann wär's eh zu Ende gewesen." Er atmete ein letztes Mal tief durch, dachte an seine Frau und seine Tochter: " Für euch, nur für euch mache ich das."
Carl sprang.


Er fiel ungefähr einen halben Meter. Dann erreichte er die Gondel und begann seinen letzten Tag als Fensterputzer. Morgen würde der Umzug beginnen und in zwei Wochen würden sie schon in einem neuen Haus in einer anderen Stadt wohnen, wo er und seine Frau sich zur Ruhe setzten und seine Tochter würde endlich an ihrer Wunsch-Uni studieren können.

 

Hi Ronni,

eine wirklich gute, spannend aufgebaute Geschichte mit einem leider unbefriedigenden Ende.
Na klar, erst kam die Erlösung, dann die Enttäuschung. Die Sache mit der letzten Zigarette hat die Spannung natürlich enorm gesteigert, und dann? Nichts!!!!!!
Kein Raucher (und davon gibt es trotz zunehmender Diskriminierung immer noch jede Menge) wird dir abnehmen, daß ein Mann, vollgepropft mit zwiespältigen Gefühlen über seinen letzten Arbeitstag, noch vor Beginn seines Arbeitstages seine letzten Zigaretten wegschmeißt, weil er am nächsten Tag umziehen und in Rente gehen wird.
"Da, wo ich hingehe, brauche ich die eh nicht mehr", denkt dein Akteur. Hääähhh?????
Ne, ne, ich bleib dabei, mit dem Schluß mußt du dir schon ein kleines bißchen mehr Mühe geben, um die Geschichte glaubwürdig zu erhalten.
Nicht böse sein über die Kritik, soll nur 'ne Anregung sein, eine Geschichte bis zum Ende durchzuhalten, denn du kannst es ja, wie der Anfang deiner story beweist.


Gruß.....Ingrid

 

äääääääää.....die geschichte ist gut. sehr gut sogar..und wenn sie nicht geändert wurde verstehe ich die kritik nicht.´..

 

Ich hab zwar mit dem Gedanken gespielt, aber letztendlich habe ich nichts an der Geschichte geändert. Ronni

 

Also mir gefällt die Geschichte, vor allem das überraschende Ende. Sicher, kleine Schwächen in der Logik gibt es schon, aber darüber kann man getrost hinwegsehen.

 

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