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Casanova habe ich mir irgendwie anders vorgestellt

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23.10.2008
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Casanova habe ich mir irgendwie anders vorgestellt

Casanova habe ich mir irgendwie anders vorgestellt
@Torqueflite

Mit gegenüber sitzt Laura, Sportstudentin, 22 Jahre alt und äußerst nett anzusehen. Eine große, schlanke Erscheinung mit langen Haaren und interessanten grüne Augen. Auf ihrer Nase verteilen sich etliche Sommersprossen. An diesem besonders warmen Sommerabend sitze ich bei einem Bekannten in der Wohnung auf einer ausgedehnten Sofalandschaft. Er feiert ausgelassen sein bestandenes Examen und die Eingeladenen verteilen sich trotz des heißen Wetters auf die enge Küche und das Wohnzimmer mit den Dachschrägen und den großen, geöffneten Fenstern, aus denen man eine Allee entlang schauen kann. Laura erzählt ausführlich von ihrem Studium und auch davon, wie sie im Sommer immer zwei Wochen zum Tauchen nach Australien fliegt, nachdem sie in den Semesterferien in einer örtlichen Fabrik dafür mehr als ordentlich geschuftet hat. Aufmerksam höre ich zu.

Später, es ist immer noch ziemlich hell, verlagert sich die ganze Party schrittweise nach draußen in den kühleren Innenhof. Obwohl es schon nach 22 Uhr ist, habe ich das Gefühl, es seien immer noch 30 Grad. Die Luft steht. Laura erzählt recht viel von sich, ist aber aufmerksam, wenn ich zwischendurch mal von mir und meinem Leben berichte (sie hat wirklich wundervolle Augen). Keine Frage: Sie ist nett und sehr attraktiv – mal sehen, was dieser Abend noch bringt, denke ich, während ich sie wiederholt und möglichst unauffällig von oben bis unten mustere. Ich habe ein gutes Gefühl und glaube, dass sich Laura ein bisschen für mich interessiert. Sonst wäre kaum zu erklären, warum sie fast die ganze Zeit heute abend mit mir verbracht hat. Dicht steht sie vor mir und ich kann ihr Parfum reichen, das wie eine unsichtbare süße, leichte Wolke zu mir herüber schwebt. Fast schon ein wenig siegessicher überlege ich mir, wie ich ihr ein Kompliment machen kann, ohne dass es abgedroschen oder allzu platt klingt. Doch meine Gedanken werden jäh von einem markanten Motorengeräusch unterbrochen.

Und da kommt plötzlich er. Alle Köpfe im Innenhof drehen sich wie auf ein Kommando zur Straße hin. Lässig rauscht er auf einer weißen Vespa heran, auf dem Kopf einen ebenfalls weißen, vorne komplett offenen Helm. Darunter erscheint ein braungebranntes Gesicht mit markanten Zügen. Elegant parkt er sein Kleinmotorrad im Hof und schwingt sich unter den Augen der Umherstehenden jugendlich-lässig herab. Die verwaschene Jeans und das weiße, weit aufgeknöpfte Hemd leuchten in der gerade verschwindenden Abendsonne. Sein ganzer Auftritt mutet an wie eine perfekt inszenierte Fernsehwerbung. Ich muss allerdings zugeben, dass dieses Bild stimmig ist. Es ist eine grandiose Vereinigung verschiedener Klischees, die da vor ein paar Augenblicken herangerollt kam.

Laura beobachtet den Auftritt des Neuankömmlings sehr aufmerksam und ich ahne schon, dass ich ab jetzt nicht mehr sonderlich interessant für sie sein werde. Sie dreht sich mit ihrem Glas in der Hand von mir weg und starrt auf den weißen Punkt im Hof, inmitten all der Fahrräder und Gartenmöbel, die diesen Ort bevölkern. Während die männlichen Zuschauer des Minispektakels ausnahmslos skeptisch schauen, sehe ich bei den weiblichen so etwas wie freudige Erregung. Der dunkelhaarige Vespa-Mann grinst breit und weiß in die angetretene Runde und meint wahrscheinlich, dass hier alle nur für ihn Spalier stehen. Mit den Frauen im Schlepptau geht es wieder nach oben in die aufgeheizte Wohnung. Auf dem Weg zurück fragt einer halblaut und fast schon entsetzt "Kennt den jemand?" Niemand antwortet.

Oben angekommen, nimmt er selbstbewusst seinen Platz ein (mir fällt das Wort Alphatier ein), begrüßt die Runde mit einem lockeren Spruch. Man kann förmlich spüren, wie er die ganze Atmosphäre hier beeinflusst. Seinem Duft kann man sich nicht entziehen und ich kann gar nicht anders, als ihn anzustarren.

Er muss deutlich älter sein als ich, denn wenn man genau hinsieht, entdeckt man einige Fältchen in seinem Gesicht, die nur notdürftig von der Bräune seines Teints vertuscht werden. Ein paar vereinzelte graue Bartstoppeln verteilen sich auf seinem Kinn. Weiter unten ziert ein dezentes Goldkettchen seinen Hals und die vollen, langen Haare verströmen den Hauch wild-heißer Liebesnächte unter den Sternen Italiens.

Alle Aufmerksamkeit ist nun ungeteilt auf Marco gerichtet (so heißt er), der mit seinen strahlenden Augen und seinen Geschichtchen die umstehenden Frauen verzaubert. Munter erzählt er sofort und vor allem ungefragt davon, dass er Italiener sei und in der Universität in der Fakultät Psychologie arbeite. Außerdem habe er schon ein Kinderbuch geschrieben. Großartig! Die anwesenden Frauen sind sprachlos, das bunte Geschnatter, das vor einer ganzen Weile den Raum erfüllt hat, ist längst verstummt. Seine Stimme hingegen füllt die ganze Altbauwohnung aus und duldet keine andere neben sich. Ich frage mich (und andere Männer im Raum bestimmt auch), wie man soviel und so zusammenhanglos von sich erzählen kann. Aber den braungebrannten Sunnyboy interessiert das wenig, er holt immer weiter aus und ohne Luft zu holen, bringt er die tollsten Stories aus seinem Leben dar. Dazu trinkt er natürlich Rotwein und kein Bier. "Das ist ein Getränk für Fernfahrer", lacht er lauthals und erntet wieder Beifall in Form von erheiterten Blicken.

Schnell wird mir klar, dass sich Laura wirklich nun überhaupt nicht mehr für mich, sondern für den Vespafahrer interessiert, der da lässig und breitbeinig auf der Couch hängt. Mit großen Augen und ihrem süßen Lächeln lauscht sie seinen Ausführungen, die er immer wieder mit wilden Gesten unterlegt. Marco ist sich seiner Wirkung bewusst, da bin ich mir sicher. Er wirft immer wieder prüfende Blicke in die Runde, um sich zu vergewissern, dass ihm noch alle folgen. Selten stellt ihm jemand eine Frage, die dann meist eine Steilvorlage für seine nächste tollkühne Geschichte ist. So könnte es vermutlich unendlich weiter gehen.

Wahrscheinlich könnte er jetzt etwas von seiner letzten Darmspiegelung erzählen und immer noch würden ihm die jungen Frauen im Raum gebannt zuhören und an seinen Lippen hängen. Aber Marco fesselt die jungen Geschöpfe, die fast seine Töchter sein könnten, immer mehr. Mir wird langsam klar, es ist nicht das, was er sagt, sondern vielmehr die Art und Weise, wie er es sagt. Seine rauchige Stimme muss erotisch wirken und seine ungeheure Lässigkeit beim Erzählen dürfte diesen Eindruck noch unterstreichen. Und dem Charme einer echten Vespa kann sich keine Frau entziehen; begeistert führt Marco aus, dass er im Sommer einmal mit seinem Roller in Rom war – einfach so - um dem Gerät „seine Heimat“ zu zeigen. Begeistert kleben die jungen Damen immer noch an seinen sich dauernd bewegenden Lippen und malen sich vielleicht schon aus, wie es wäre, mit dem Casanova auf dem weißen Motorschimmel eine heiße Liebesnacht bei Chianti und italienischen Klängen zu verbringen. Wieder kommt mir das Wort „Klischee“ ganz deutlich in den Sinn.

Angewidert gehe ich in die Küche, wo sich mittlerweile fast alle männlichen Gäste eingefunden haben – genervt von den Endlosmonologen des Italieners, der die Zügel der zwischenmenschlichen Kommunikation fest in der Hand hält und nicht daran denkt, sie aus der Hand zu geben.

"Im Prinzip sind diese Typen alle gleich", werfe ich hämisch lächelnd in die Runde der Vertriebenen und ernte ausnahmslos zustimmende Blicke. "Die blenden die Frauen mit ihrem südländischen Charme und ihrer gespielten Lockerheit. Das Schlimmste ist, dass genug darauf reinfallen". Ich finde sein Auftreten einfach nur lächerlich, wahrscheinlich geht es meinen Geschlechtsgenossen genauso, die wie ich hier biertrinkend um den Kühlschrank stehen, auf dem ein riesiger Fernseher aufgebaut ist, in dem die ganze Zeit Musik-Clips laufen. Aber man muss ihm lassen, dass er sein Handwerk durchaus versteht, denke ich. Souverän und gnadenlos zieht er alle weiblichen Wesen um sich herum in seinen Bann und verzaubert sie mit einem Versprechen – dem Versprechen, dass gerade er sich von dem langweiligen, Bier trinkenden Durchschnittsmann deutlich und angenehm unterscheidet.


Die Nacht ist weit fortgeschritten und ich sitze jetzt mit Marco an die Wand der Küche gelehnt auf schwarz-weiß-karierten, kühlen Fliesen. Großzügig schenkt er mir immer wieder Lambrusco nach, obwohl ich dieses Zeug eigentlich gar nicht mag. Die meisten Gäste sind längst weg und auch der Gastgeber ist von der Bildfläche verschwunden. Durch die immer noch weit geöffneten Fenster fließt ein angenehm kühler Luftstrom in die Zimmer und verdrängt langsam aber stetig den Geruchsmix aus kaltem Rauch, verschiedenen Parfum- und Deo-Sorten und Alkohol. Freimütig und ohne, dass ich ihn danach gefragt hätte, erklärt Marco mir, dass er eigentlich bestenfalls ein „Achtel-Italiener“ sei. "Das mit dem Kinderbuch stimmt so übrigens auch nicht ganz", schiebt er gleichförmig hinterher. "Ich habe mal in einem Verlag als Fahrer gejobbt, der Kinderbücher vertreibt", ergänzt er ohne eine erkennbare Betonung in seiner Stimme. Ach ja, und er sei zweimal geschieden und außerdem habe er noch zwei Töchter. "Die Vespa....", sage ich noch und wieder kommt eine Antwort, die mich nicht mehr verwundert: "Ein Auto kann ich mir einfach nicht leisten". Casanova habe ich mir irgendwie anders vorgestellt.

Er tut mir jetzt richtig leid, dieser heldenhafte Vespapilot, der noch vor gut zwei Stunden der Mittelpunkt des Abends war. "Und was ist mit deiner Dozentenstelle?", frage ich, obwohl ich die Antwort eigentlich schon kenne. "Naja, ich habe mal Psychologie studiert, ein paar Semester lang, so nebenher, nur aus Interesse. Und natürlich wegen der Studentinnen". Verlegen versucht er zu lachen, aber es misslingt ihm gründlich. Seine Lässigkeit ist für heute offenbar aufgebraucht.

Laura hat die ausklingende Feierlichkeit übrigens in den Morgenstunden mit einem schlaksigen Informatiker verlassen. Der hatte den ganzen Abend – nahezu unbemerkt - mit einem einzigen Bier in der Hand in der Ecke gesessen und das bunte Treiben um ihn herum mit süffisanter Miene durch seine runden Brillengläser beobachtet. Arm in Arm sind die beiden aus der Haustür heraus, raus in den schon wieder warm werdenden Tag. Keiner weiß so recht, wie ausgerechnet die zwei sich gefunden haben.

"Im Prinzip sind sie alle gleich, die Frauen", sagt Marco und gähnt gleichzeitig. Dabei nicke ich ihm zu.

 

Hallo Torqueflite und willkommen auf kg.de,
da hast du ja eine tolle erst Geschichte gepostet. Hat mir richtig gut gefallen. Die Idee mag zwar nicht mehr ganz so neu sein, aber dafür hast du mich mit deinem Stil begeistert. Das Einzige, was ich anzumeckeln hätte, wäre dieser kleine Satz:

fragt einer halblaut und fast schon entsetzt Kennt den jemand?

"Kennt den jemand" kommt meiner Meinung nach in Anführungszeichen und nach entsetzt ein Doppeltpunkt und kennt wird dann klein geschrieben.

Aber joa, tolle erst Geschichte. Freu mich schon drauf, vielleicht weiteres von dir lesen zu können.

 

danke für das feedback und die nette begrüßung. das mit den anführungszeichen werde ich mal prüfen, ggf. werde ich die ganze wörtliche rede nochmal deutlich kennzeichnen.

 

Ja, eigentlich sollte man wörtliche Rede immer kennzeichnen.
Was mir gerade noch auffällt ist, dass du nen Tippfehler im Titel hast. Statt mir steht dort mit. Einfach den zuständigen Moderarot in diesem Bereich hier drum bitten, dass er es für dich ändert, da du das selbst nicht mehr nachträglich ändern kannst.

 

Hm,
ist so als wären in der Geschichten im letzten Drittel zwei Sprünge drin, die mir nicht ganz klar werden.
Einmal: Warum denn dieser Super-Cassanova nicht irgendeine abschleppt oder als Blender enttarnt wird, sondern dass er sich selbst entglorifiziert, aus freien Stücken heraus, und dann nicht einer Frau, sondern dem Erzähler.
Und das zweite: Warum der Erzähler dann nicht die Frau bekommt, die bestimmt total erotisiert ist, sondern den Informatiker - auf einmal-, der bis dahin keine Rolle gespielt hat, also hm.

Die beiden Dinge verleiden mir die Geschichte ein wenig. Ich dachte, es läuft wirklich auf einen Konflikt heraus. Der "echte" Durchschnitts-Mann, der sich doch aber nett mit der Frau unterhält und auch lieb wirkt und alles und sensibel, wird in die Ecke gedrängt von dem Blender. Und dann - ja, wo ist der Konflikt da? Also das wär doch der Stoff, aus dem man viel machen könnte.
Aber dann - schwups, Schnitt, drei Stunden später. Alles vorbei. Und es bleibt so ein wenig: Ja, wie erste Eindrücke täuschen können als Pointe über.
Aber für mich war das bis zum Schnitt einfach nicht das Thema der Geschichte, deshalb bleibt ein schaler Nachgeschmack.

Das Positive: Guter Stil, plastisch geschrieben, ziemlich fehlerfrei (mir is jedenfalls nix aufgefallen), lässt sich angenehm lesen; auch wenn's ein wenig an Höhepunkten magelt im Gegenzug.

Gruß
Quinn

 

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