Hallo @jimmysalaryman,
ich traue mich kaum zu kommentieren, denn nach dem ersten Durchgang hinterlässt die Story für mich im Grunde ein großes Fragezeichen.
Aber da ich ja, wie ich hier schon das eine oder andere Mal bemerkt habe, immer nach einmaligem Lesen kommentiere, da das meine Lesepraxis außerhalb des Forums widerspiegelt und ich Texte "am Ernstfall" messen will, kannst du vielleicht gerade deshalb etwas mitnehmen über den ersten Eindruck deines Textes (andere lesen sicher öfter und haben dann wahrscheinlich auch mehr Klarheit erlangt).
Ich geh mal durch:
In dieser Nacht lieh ich mir den Corsa meiner Mutter und fuhr mit L. auf den Parkplatz hinter dem Schützenverein, aber dort gab es eine Feier mit lauter Musik und Bier.
Sehr ungewöhnlich für deine Texte, fand ich, dass der Einstieg etwas holpert. Das "aber" hat mich rausgerissen, denn die Feier mit Musik und Bier erscheinen wie ein natürliches Ziel. Dass sie gerade Ruhe wollen, ist also eine Erkenntnis im Nachgang – ergo Lesefluss schon ausgebremst im ersten Satz. Man fährt hier buchstäblich direkt in eine Sackgasse :-)
Also fuhren wir auf die Wiesen vor der Stadt, wo es nur die Augen von Kühen gab.
Ich weiß nicht, aber die "Augen der Kühe", das ist so gar nicht dein Sound. Das geht ja schon ins Kindliche, man sieht da dumm-glotzende Kuhaugen vor sich, die Szene bekommt einen humoristischen Anstrich, jedenfalls für mich. Würde ich überdenken, schwächt den Einstieg für mich deutlich, diese ... Moment ich suche das Stilmittel heraus ... diese Synekdoche bzw. dieses Pars pro Toto.
Es begann wie ein normales Gewitter. Heftiger Regen. Donner. Dann traf uns der Blitz.
Ein Knall, es wurde sehr hell und roch plötzlich nach verschmortem Plastik.
Vier Sätze, schon zwei Mal irritiert – und hier kommt schon die dritte Irritation: Hier musste ich drei Mal lesen, um zu eruieren, ob es sich um eine Metapher für Sex oder um ein echtes Gewitter handelt. Du dropst das hier so unvermittelt und unerwartet, dass ich es kaum glauben konnte.
Das ist natürlich Absicht und ich sage nicht, ist schlecht. Beschreibe nur die Wirkung. Pärchen fährt zu einem einsamen Ort und: Zack, vom Blitz getroffen! Irre! ;-)
Aber ist ein Auto nicht ein Faradayscher Käfig? Dachte, man kann im Auto nicht vom Blitz getroffen werden. Wirst du sicher durchdacht haben, aber der Text wirft hier diese Frage auf, weil du ja eben gar keinen Kontext gibst (was machen sie vor dem Blitzeinschlag?).
Dann traf uns der Blitz.
Ein Knall, es wurde sehr hell und roch plötzlich nach verschmortem Plastik.
Wir zogen uns an und warteten darauf, dass der Regen nachlässt.
Der Corsa war natürlich hinüber, und die Versicherung wollte nicht bezahlen.
Meine Mutter war der Meinung, ich sei Schuld.
Wieso ist das Auto hinüber, sie sind aber unbeschadet davongekommen?
Sie fühle sich so stark seitdem.
Sie fühle sich so, als ob niemand ihr etwas anhaben könne.
Sie habe Superkräfte.
Ich glaube dir nicht, sagte ich. Beweis es mir.
Diesmal nehmen wir den Wagen von meinem Vater, sagte L.
Davon erzählt er sicher noch heute: von dem Typen ohne Augenlider, der dachte, er habe Superkräfte.
Sie sagt, sie habe Superkräfte, aber dann soll er sie gehabt haben. Das hat mich komplett rausgeschmissen beim Lesen und ich musste zurückspringen, um meine Irritation aufzulösen. Hab ich verpeilt, wer wer ist? Aber war richtig unterwegs, sehe ich dann: Sie meinte, Superkräfte zu haben, dann werden sie ihm angehängt. Seltsam ...
Sie sieht mich dann immer mit diesem Blick an: Du konntest mich nicht ficken und hattest auch keine Superkräfte. Da ist eine Menge Metall in ihrem Körper, das Metall hält ihren Körper zusammen.
Sorry, es ist wirklich schlimm, aber auch die Stelle verstehe ich nicht. Er wird beim Unfall versehrt, sie kann noch rumlaufen und ihn fotografieren, aber dann hat sie das Metall in ihrem Körper, der sonst auseinanderfallen würde? Hier war ich wieder konfus, wer wer ist.
Und ich dachte, beim Blitzeinschlag waren sie nackt. Gut, dass heißt nicht, dass sie de facto Sex hatten, aber so habe ich den Einstieg abgespeichert. Dass er es scheinbar nicht gebracht hat, kommt hier irgendwie als Info aus dem Nichts.
Uns wird nichts passieren, sagte sie. Du hast auch Superkräfte, vergiss das nicht.
Hier löst sich nun auf, warum auch er meinte, Superkräfte zu haben. Aber ich verstehe nicht, warum er dann gefahren ist. Sie soll es doch ihm beweisen:
Ich glaube dir nicht, sagte ich. Beweis es mir.
Warum fährt er dann? Für mich saß gedanklich ganz klar sie am Steuer, dann erfahre ich aber, dass er es war – und muss wieder "blättern". Zwischenzeitlich hab ich sogar überlegt, ob die Textperspektive gewechselt hat oder ob es wirklich Mann und Frau sind. Irgendwie fand ich das alles wirklich schwer verständlich :-/
Soweit mein erster Eindruck. Ich werde den Text natürlich noch ein paar Mal lesen und hier die Kommentare verfolgen und dann wird sicher manches relativieren. Ich bin auch überzeugt, dass alles im Grunde so gewollt ist und ich wahrscheinlich zu stumpfsinnig an den Text herangehe, indem ich ihn einmal durchlese und mich einfach frage: Was passiert da? – Anstatt nach Symbolen, Subtext, Stimmung usw. zu suchen.
Freundliche Grüsse
Henry
PS:
In dieser Nacht lieh ich mir den Corsa meiner Mutter und fuhr mit L. auf den Parkplatz hinter dem Schützenverein, aber dort gab es eine Feier mit lauter Musik und Bier.
Zu viele Menschen, sagte sie. Zu viele Augen.
Also fuhren wir auf die Wiesen vor der Stadt, wo es nur die Augen von Kühen gab. Es begann wie ein normales Gewitter. Heftiger Regen. Donner. Dann traf uns der Blitz.
Ein Knall, es wurde sehr hell und roch plötzlich nach verschmortem Plastik.
Wir zogen uns an und warteten darauf, dass der Regen nachließ.
Der Corsa war natürlich hinüber, und die Versicherung wollte nicht bezahlen.
Meine Mutter war der Meinung, ich wäre Schuld gewesen.
Zwei Tage später sagte L., irgendetwas wäre passiert in dieser Nacht.
Sie fühlte sich so stark seitdem.
Sie fühlte sich so, als ob niemand ihr etwas anhaben könnte.
Sie hätte Superkräfte.
Ich glaube dir nicht, sagte ich. Beweis es mir.
(Teilweise selbst unsicher bei den ganzen Konjunktiven, aber im jetzigen Text ist es auf jeden Fall falsch, wenn alles in der Vergangenheit passiert.)
Diesmal nehmen wir den Wagen von meinem Vater, sagte L. Ich erinnere mich an das Gefühl von Schwerelosigkeit, an den kurzen Moment, als die Reifen den Kontakt zum Asphalt verlieren. An L. , die aus dem Seitenfenster kriecht, ihre Stimme wird leiser, wieder lauter. Sie kommt zurück, um mit ihrem Handy ein Foto von mir zu machen. Da ist Glas überall; auf meinem Gesicht, in meinem Mund. Der Rettungssanitäter, der mich wenig später aus dem Wrack zieht, kann mich kaum ansehen. Meine Augenlider sind fast abgerissen, es wird ein halbes Jahr dauern, bis alles verheilt ist. Davon erzählt er sicher noch heute: von dem Typen ohne Augenlider, der dachte, er habe Superkräfte.
Finde ich nicht optimal, schon hier ins Präsens zu wechseln, weil du ja später tatsächlich in der Gegenwart unterwegs bist. Damit untergräbst du das dramatische Präsens dieser Stelle. Auf der anderen Seite kann man natürlich argumentieren, dass das hier ein noch lebendiges Traumaereignis schildert. Fände eine klare Trennung der Zeitebenen trotzdem besser, um dem Leser mehr Orientierung zu geben.
Ich liebe dich, sage ich, und sie lächelt und sagt: Halt still[Ausrufezeichen!]