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- 02.11.2007
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Charles Desmondt
Mein Name ist Charles Desmondt. Ich lebe in einem, wie ich finde, schönen Stadtteil New Yorks, in Manhattan. Im Grunde bin ich ein Mensch wie jeder andere. Ich arbeite bei einer Bank, bin Single. Ich besitze eine schöne, große und geräumige Penthouse-Wohnung.
Doch in einem Punkt unterscheide ich mich von anderen Menschen…
Was ich meine, geschieht jedes Mal bei Vollmond. Ich weiß bis heute nicht, was mit mir genau geschieht. Denn am nächsten Morgen kann ich mich nur ungenau an einen Albtraum erinnern. Einem Albtraum, in dem ich ein Monster bin, eine Bestie.
Jack The Ripper, wenn man so will, nur brutaler, tödlicher.
Heute ist es wieder soweit. Es müsste jeden Moment passieren. Wenn es geschieht, spüre ich ein…
Jagen, zerreißen, … töten
… merkwürdiges Kribbeln, das meinen ganzen Körper durchströmt. Ich verspüre … Lust. Ich kann nicht genau sagen, was für eine Lust. Vermutlich kann man es am besten mit Jagdlust vergleichen. Lust, sich an jemanden anzuschleichen, lautlos und dann … anspringen.
Zubeißen, reißen, zerfetzen
Alles, was ich sehe, verschwimmt vor meinen Augen, ich kann nur noch schwarz-weiß sehen. Irgendetwas in meiner Seele zerrt an seinen Ketten. Es möchte frei sein, Gewalt über mich erlangen. Ich versuche jedes Mal, diese Lust, dieses Tier in mir zu unterdrücken. Doch ich habe es noch nie geschafft. Früher oder später erlangt es Gewalt über mich. Und dann bin ich nicht mehr ich, sondern dieses Monster, von dem ich träume.
Es geht los.
Das Tier zerrt an den Ketten meiner Menschlichkeit. Und es wird immer stärker, wilder, unbändiger. Ich hasse mich.
Töten, töten, töten! Töööteeen!!
Ich hasse mich für das, was mit mir geschieht, für meine Schwäche. Für meine Angst vor der Lust zu Töten. Mein Körper verändert sich, es tut unsagbar weh. Es ist eine unglaubliche Pein, schlimmer als das Fegefeuer der Hölle. Ich fühle, wie mein Körper weich und formlos wird, nur um dann wieder fest zu werden. Immer und immer wieder. Bis ich meine neue Form erlangt habe.
Die Ketten sind gesprengt.
Die Bestie ist frei, so, wie eine wilde Bestie frei sein muss. Ich habe keine Kontrolle mehr über meinen Körper. Die Bestie in mir schaut in den nachtschwarzen Himmel hinauf. Er ist wolkenverhangen. Ich sehe kaum etwas. Aber den Mond sehe ich. Obwohl ich kaum vermag, Konturen zu erkennen, so ist der Mond doch gestochen scharf. Doch nicht nur das; alles um mich herum ist schwarz-weiß – doch der Mond ist blutrot. Es bereitet mir unerklärliche Pein, die rote Scheibe im Himmel anzuschauen. Aber ich kann nicht anders. Ich heule den blutroten Mond an.
Ich bin verloren. Verloren in der Gier der Bestie.
Ich renne los, laufe durch die Straßen Manhattans, auf der Suche.
Da! Ich rieche einen Menschen, einen hilflosen, vom Alkohol zerstörten Menschen. Der unwiderstehliche Geruch ist nur schwach, er muss am anderen Ende der Stadt sein.
Frisches, blutiges Fleisch
Ich renne zu dem Geruch hin, kann es kaum erwarten, meine Zähne im Fleisch zu vergraben.
Will es zerreißen, zerfetzen
Muss es zerreißen, zerfetzen
Bin da, sehe das Opfer vor mir
Die Augen, vor Entsetzen geweitet
Ein offener Mund, will schreien, kann aber nicht, ist gelähmt
Gelähmt
Leichtes Opfer
Alle Menschen sind leichte Opfer. Sie ertragen es nicht, Dinge zu sehen, die sie nicht begreifen können. Der Geifer trieft aus meinem Maul.
Was mache ich hier, mitten in der Nacht?
Warum geschieht das mit mir?
Warum? WARUM??
Gott, hilf mir aus meiner Qual, aus meinem Schmerz, aus meiner Gier.
Bitte.
Mehr! Will mehr!! Muß zerreißen, zerfetzen, jagen
Hörst du mich denn nicht?
Bitte…
Ich sehe den toten Menschen vor mir, gekleidet in Lumpen. ich möchte kotzen, kann es nicht. Ich gehe von dem Leichnam weg. Neben mir ist eine Schaufensterscheibe. Ich schaue hinein. In der schwachen Spiegelung und mit meinen schwachen Augen sehe ich einen Schatten. Er ist monströs, mindestens zweieinhalb Meter lang und einen Meter groß. Der Körper sieht wie eine albtraumhafte Karikatur eines Hundes aus. Die Augen leuchten hell, sind weiß, ohne Pupillen.
Muss neues Opfer finden…
Was ist mit mir geschehen?
Ich öffne meine Augen. Der Himmel ist schwarz vor Wolken, es regnet in Strömen. Ich liege auf einer Bank im Central Park. Ich wache immer irgendwo auf, wenn ich diesen Albtraum hatte. Ich gehe in mein Penthouse, dusche, ziehe mich um. Dann gehe ich ganz normal zur Arbeit.
… Bis zum nächsten Vollmond, Albtraum.