Was ist neu

Charlotte

Mitglied
Beitritt
21.04.2005
Beiträge
16
Zuletzt bearbeitet:

Charlotte

Charlotte​

So schönes Haar wie du hätte ich auch gerne. Charlotte streicht Lara über die langen blonden Locken. Lara hat braune Augen mit einem leichten Grünstich, schwer zu definieren. Das knallgelbe Kleid mit den roten Blümchen umspielt ihren zierlichen Körper. Sie ist hübsch. Charlotte wünscht sich oft auch so schön zu sein. Vielleicht ginge es ihr dann besser. Ob Lara nicht mal wieder einen französischen Zopf wolle, der stehe ihr doch besonders gut. Charlotte beginnt, die langen Haare zu flechten. Strähne für Strähne, sie ist eine Meisterin im Frisieren. Sie übt es schließlich jeden Tag mehrmals. Nach der Schule, wenn Papa allein sein möchte. In den letzten Wochen ist das fast jeden Tag der Fall. Er ist so laut, Charlotte weiß gar nicht, warum. Sie findet außerdem, dass er komisch riecht. Seine Augen sehen aus wie Glaskugeln, glänzen wie poliert. Er deutet dann nur zur Türe und Charlotte geht sofort in ihr Zimmer.

Einmal tat sie das nicht. Sie sagte, sie habe Hunger, ob es denn nichts zu Mittag gäbe. Papa rührte sich nicht, starrte nur in die Luft. Als Mama noch da war sei alles anders gewesen, besser. Da wurde er wütend, sein Blick tat Charlotte weh, als ob er ihr Nadeln in ihr kleines Herz bohrte. Er stürzte auf sie. Ein Schlag ins Gesicht, ein fester Griff am Oberarm und sie stolperte in ihr Zimmer. Türe zu, der Schlüssel drehte sich laut im Schloss. Damals weinte Charlotte noch, sie klopfte gegen die Türe, jammerte, bettelte. Ihr Vater hörte sie aber schon lange nicht mehr. Er ertränkte seine Wut, seine Trauer, seine Verzweiflung. Am Abend sperrte er wortlos die Türe wieder auf und legte sich sofort in sein Bett. Seitdem sprechen sie nicht mehr miteinander. Papa versucht es noch manchmal, aber Charlotte scheint die Worte für ihn verloren zu haben. Das macht ihn kurz traurig, aber dieses Gefühl ertränkt er weiter.

Charlotte spricht nur noch mit Lara, der hübschen kleinen Lara. Wenn die Türe zu ist, sind sie zwei Prinzessinnen im Turm. Aber bis jetzt hat sie noch keiner gerettet. Manchmal ist Lara für Charlotte auch ein Engel, den Mama geschickt hat, um ihre Charlotte zu beschützen. Die blonden Haare sind so schön, man kann tausende Frisuren machen. Nein, es sind noch viel mehr. Charlotte muss sie alle noch entdecken. Sie erzählt Lara alles. Am Abend, wenn Papa die Türe aufschließt, gehen die beiden hinaus, sie essen, räumen auf, machen die Wäsche. Auch für Papa. Der Müll kommt in den Keller. Es gibt extra Behälter für Braun- , Weiß- , Grünglas und Dosen. Die Behälter quellen über. Papa bringt den Müll nicht mehr weg, schon lange nicht mehr.
Am Morgen schläft er lange und wenn er doch einmal schon wach ist, bevor Charlotte in die Schule geht, geht es ihm schlecht. Ein Presslufthammer ist in seinem Kopf, sein Magen rebelliert. Er ist weiß im Gesicht, um die Augen schwarz. Dünn, grau, wie der Tod. Er nimmt dann Tabletten. Alles werde gut, er sei nur momentan ein wenig krank. Wenn er sich gleich ins Bett lege, sei er aber bald wieder fit.

Papa weint viel, das hört Charlotte auch von ihrem Turm aus. Sie weiß, es ist wegen Mama und sie weiß, dass er deswegen auch so gemein zu ihr ist. Er möchte das nicht, er kann bloß nicht anders. Sie muss das verstehen.
Tränen drängen aus Charlottes Augen und rennen ihre Wangen hinab. Was ist denn los, Lotte? Lara sitzt auf dem Bett. Was los ist, willst du wissen? Warum mein Gesicht so rot ist und glüht? Papa ist wütend auf mich. Ich müsse doch mit ihm sprechen, er liebe mich schließlich. Und trotzdem flog seine Hand in mein Gesicht, und noch mal, noch mal. Ein Schubs. Die Türe ist zu. Die Tränen brennen Charlotte regelrecht im Gesicht, ihre Lippen sind salzig. Flaschengeklirr aus der Küche ist zu hören. Papa möchte seinen Kummer wieder einmal ersaufen. Aber er kommt immer wieder, wahrscheinlich ist er ein zu guter Schwimmer, er geht nicht unter.
Kannst du mir nicht helfen, Lara? Was soll ich nur tun? Lara bewegt sich nicht, keine Regung. Hilf mir doch, hilf mir doch endlich! - Nichts. Charlotte wird wütend. Eine Schere, wo ist eine Schere? Sie packt die Schere mit der einen Hand, Lara mit der anderen. Die Locken sind ab. Sie ist kein Engel mehr. Charlotte packt Lara an den Schultern und schüttelt sie. Ihre Augen klappern. Sie sitzen nicht mehr fest in den Augenhöhlen, Mama wollte sie schon lange kleben. Es scheint, als sei der Moment gekommen, in dem Lara Charlotte nicht mehr helfen kann.

 

Ich wusste nicht genau, in welchen Bereich dieser Text passt. Deswegen habe "Sonstige" ausgesucht. Ich denke, es passt am ehesten.

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Maia!

Auch, wenn Du schon Deine zweite Geschichte hier postest: Herzlich willkommen auf kg.de! :)

Deine Geschichte läßt sich gut und flüssig lesen und Du hast das Mädchen in ihrem Kummer an sich auch recht gut dargestellt. Das Problem, das ich nur sehe, ist daß Du die Geschichte zwar einerseits personal aus der Sicht des Mädchens erzählst, andererseits aber auch Dinge über den Vater, die sie, als Kind, wohl so noch gar nicht sehen kann. Zum Beispiel das Ertränken des Kummers, oder daß er nicht untergeht, weil er ein zu guter Schwimmer ist – an sich ein toller Gedanke, aber er würde sich vielleicht in einer anderen Geschichte noch viel besser machen – als Kind hat man solche Vergleiche eher noch nicht, wenn man denn überhaupt schon etwas übers Untergehen weiß. ;)

Das Alter ist mir ein Rätsel: Einerseits wirkt sie noch sehr naiv, andererseits übernimmt sie die Aufgaben der Mutter.
Oder besser gesagt: Ich hatte erst ein eher kleines Mädchen vor Augen, da sie die Puppe frisiert und aufgrund naiver Aussagen wie »Er ist so laut, Charlotte weiß gar nicht, warum. Sie findet außerdem, dass er komisch riecht«. dann kam aber die Erwähnung der Schule und die schon genannte Selbständigkeit, wodurch ich sie in meiner Vorstellung im nachhinein älter machen mußte.
Eine offene Frage ist auch, wo das Essen herkommt bzw. das Geld dafür, wenn der Vater nur mehr im Bett liegt. - Vielleicht kannst Du da ja noch ein bißchen drüberbügeln. ;)
Wenn sie z.B. erst fünf Jahre alt wäre, könnte sie in den Kindergarten gehen und sich von dort heimlich Obst etc. mitnehmen, das sie abends ißt. Und zumindest aufs Sozialamt (oder wie auch immer das bei Euch heißt) müßtest Du den Vater halt schon gehen lassen.

Wenn Du an den nicht kindgerechten Betrachtungen des Vaters ein wenig arbeiten willst, wozu ich Dir raten will, dann könntest Du Dir stattdessen zum Beispiel über diese Fragen Gedanken machen: Hatte der Papa denn nur die Mama lieb, und mich nicht? Bin ich denn kein Grund für ihn, nicht so viel zu trinken? Warum schlägt er mich jetzt sogar und gibt mir nichts zu essen? Bin ich vielleicht schuld an Mamas Tod? – Vielleicht fängst Du ja was damit an, denn auch, wenn sie das alles verstehen soll (als Forderung des Vaters sehr gut!), sie wird es nicht können.

Ja, das war jetzt zwar sehr kritisch betrachtet, aber trotzdem hat mir die Geschichte schon einmal ganz gut gefallen. Etwa die Sache mit dem Turm, aus dem sie befreit werden soll oder daß sie sich einen Engel vorstellt, der sie beschützen soll. Den Schluß finde ich sehr traurig so: Sie erkennt die bittere Wahrheit, daß sie in Wirklichkeit überhaupt niemanden mehr hat, der ihr hilft, nicht einmal einen Engel. :crying: Sie hat wohl ganz den Glauben verloren, daß es irgendwie wieder besser wird, sonst würde ihr die Puppe, die sie so sehr mit der Mutter verbindet, zumindest Kraft geben…

Drei Kleinigkeiten noch:

»Tränen drängen aus Charlottes Augen und rennen ihre Wangen hinab.«
– meintest Du »rinnen«? (Tränen haben nämlich eigentlich keine Beine…;))

»Lara bewegt sie nicht, keine Regung.«
– sich

»Mama wollte sie schon lange kleben«
– hier würde ich noch ein bißchen Sehnsucht hineinverpacken, sonst klingt es ein wenig vorwurfsvoll, und so ist es wohl nicht gemeint; zumindest sowas wie »aber dafür hatte sie keine Zeit mehr« oder »wenn sie noch da wäre, hätte sie es längst gemacht« würde ich dazuschreiben. Kinder glorifizieren oft den toten Elternteil. ;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Liebe Susi,

zunächst vielen Dank für die nette Begrüßung :)
Und dann natürlich danke, dass Du Dir die Zeit genommen hast, meine Geschichte zu lesen und mir eine Kritik zu schreiben :)
Bei dem Punkt mit dem Alter hast du recht. Wenn ich mir das jetzt noch einmal durchlese, fällt mir auch auf, dass es irgendwie widersprüchlich ist. Da muss ich mich wohl zwischen Kleinkind und einem etwas älteren Kind entscheiden... Allerdings würde es mir leid tun, wenn ich meinen "gut schwimmenden Kummer" streichen müsste, der gefällt mir persönlich nämlich ganz gut ;)
Danke auch für Deine Tipps, ich werde sicher versuchen, davon einiges in nächster Zeit umzusetzen.

Liebe Grüße,
Maia :)

 

Hallo Maia!
Ein wenig plakativ, das Ganze. Die erste Hälfte gefiel mir nicht besonders, ich ahnte bereits, dass Lara eine Puppe ist, bin jedoch ganz froh, weitergelesen zu haben, denn insgesamt ist dir ein ganz ordentlicher Einstand gelungen. Dummerweise weiß ich gar nicht genau, woran ich dieses Nicht-Mögen festmachen könnte... mal überlegen... Gut, vor allem liegt´s wohl daran: Die Handlung stützt sich auf zwei stereotype, eher flach bleibende Charaktere, zudem gibt es keine Überraschungen. Nicht mal Spannung.
Ferner wirkt der Erzählstil seltsam blutleer und distanziert. Das liegt nicht unbedingt an weniger glücklichen Aussagen wie "Lara hat braune Augen mit einem leichten Grünstich, schwer zu definieren" - hier hat man den Eindruck, dem Autoren würden einfach nur die Worte fehlen - sondern auf die Erzählweise, zum Beispiel die massive Verwendung indirekter Rede. Diese gibt dem Ganzen das muffige Flair einer Nacherzählung. Auch den Schlussatz finde ich nicht besonders, er ist mE überflüssig.
Hoffe, dir weitergeholfen zu haben.
...para

 

Hallo Paranova,

erst einmal tut es mir leid, dass ich so lange nicht geantwortet habe, aber momentan habe ich ziemlich viel um die Ohren.
Danke für's Lesen :)
Hm... es stimmt, es gibt keine Spannung und keine Überraschungen, aber das hatte ich eigentlich auch nicht vor. Ich könnte dir jetzt gar nicht sagen, was mir durch den Kopf ging, als ich diesen Text geschrieben habe, er kam einfach.
Die indirekte Rede ist sicher gewöhnungsbedürftig, aber ich fand, dass sie sich in dieser Geschichte ganz gut macht. Allerdings kann ich jetzt auch nicht genauer sagen, warum sie gerade hier passend sein sollte...
Naja, wie gesagt, ich werde mich sicher noch damit auseinandersetzen, wenn ich Zeit habe und freue mich, wenn ihr euch dann die Änderungen auch noch durchlest :)

Liebe Grüße,
Maia

 

Hallo Maia,

deine Geschichte hat ein grundlegendes Problem. Oft klingt dein Text, als ob du aus der Ich Perspektive schreibst (Papa weint viel...) und das wäre wohl auch besser. Zwar liest sich die kg im allgemeinen flüssig, dieser Umstand stört aber.
Achte auch auf die Verwendung der Zeit. Die Rückblicke schreibst du auch im Präsens. Ansonsten gelingt es dir gut die Gefühle deiner Prot einzufangen, auch die Auflösung mit der Puppe hast du gut beschrieben. Bis zum Schluss denkt man an eine gute Freundin. Wenn du dir die oben genannten Sachen also noch einmal vornimmst, gibt es nichts (fast ;) ) zu beanstanden.

Bissl Textkram:

So schönes Haar wie du hätte ich auch gerne.
- Kling für mich wie eine wörtliche Rede „“

Lara bewegt sie nicht
- sich

Einen lieben Gruß...
morti

 

Hallo morti,

auch Dir vielen Dank fürs Lesen :)
Nunja, was du als grundlegendes Problem bezeichnest, ist schon mit Absicht so gemacht. Ich wollte, dass man einen Eindruck bekommt, wie Charlotte das alles sieht, andererseits konnte ich aber nicht aus der Ich- Perspektive schreiben, weil sonst das "Alterproblem", das Häferl schon genannt hat, noch größer geworden wäre. Ich müsste einige Beschreibungen weglassen, weil ein Kind den Blick dafür einfach noch nicht hat.
Mit den Rückblicken weiß ich nicht, welche Stelle Du meinst... Der zweite Absatz ist ein Rückblick und im Imperfekt geschrieben. Beim Rest finde ich, stört das Präsens nicht. Sonst müsste ich gleich die gesamte Geschichte im Imperfekt schreiben.
Und zum letzten Punkt. Ja, es ist wörtliche Rede, aber auch das war eigentlich beabsichtigt und kommt im Text ja auch häufiger vor. Hier weiß ich allerdings, dass das häufig als störend empfunden wird. Ich denke aber trotzdem, dass ich es so stehen lassen werde, weil sonst meiner Meinung nach der Textfluss etwas gestört wird...

Liebe Grüße,
Maia

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom