- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Chinesen die Zweite
Chinesen die Zweite (erste Folge)
Ein kleiner Mann läuft über die Straße.
So weit, so gut, denken Sie nun vielleicht. Doch ich denke da anders, nämlich: Weder noch!
Ich denke: Weder weit, noch gut.
Aus meiner Sicht irren Sie also gewaltig.
Sie irren weil weder, gewaltig wegen noch.
Weder ist weit, noch ist das gut.
Doch Schluss damit.
Und weder um mich einzuschleimen, noch um Sie zu beruhigen:
Ja, mit ihrer zweiten Annahme haben Sie recht. Ich mag Sprachspiele, die die Leute verwirren.
Ein kleiner Mann läuft immer noch über die Straße. Genauer gesagt aber auf dem Zebrastreifen, der seinerseits die Straße überquert.
Eigentlich verwunderlich, kommt mir unpassenderweise in den Sinn, dass es ein Zebrastreifen heißt, wo es doch mehrere Streifen sind...
Das ist wieder diese Stimme in mir, die solche Dinge murmelt, fragt und ungefragt behauptet.
Wann immer ich sie nicht brauche, diese wortspinnende Stimme ist zur Stelle. Sie lässt mich nicht allein. Außer wenn ich sie brauche, dann verschwindet sie einfach, macht sich aus dem Staub. Ich beschließe sie zu ignorieren.
Immer noch läuft er auf und ab. Der kleine Mann scheint den Sinn der Streifen im Überqueren der Straße zu sehen. Auf und ab.
Auf und ab, auf und ab, wiederholt sie sich blöde in meinem Kopf reproduzierend. Sie lässt sich schwer ignorieren, nein, sie fühlt sich erst dadurch so richtig zum Mitteilen animiert.
Im Moment versucht sie folgende Weisheit an den Mann zu bringen:
Sei auf der Hut kleiner Mann, so groß ohne Hut, Hut ab vor dieser Leistung! Die Stimme spinnt wieder. Oder ich, wie auch immer...
Ich bleibe stehen. Ich habe ja Zeit.
Niemand hat Zeit, stellt sie fest. Ich beobachte ihn beim über die Streifen tigern.
Man nimmt sie sich nur, brabbelt es weiter. Da ich das Ignorieren bewusst zurückgefahren habe, ist sie ein wenig leiser geworden.
So leise, dass ich nun auch eigene Gedanken fassen kann.
Natürlich ist es falsch, dass man sich Zeit nehmen kann ... woher sollte man auch? Ich habe aber absolut überhaupt keine Lust auf eine Ich-interne Diskussion. Von daher bitte ich nur flehend: Halte deine blöde Kackfresse, ja?
Sie hält. Manchmal tut sie worum man sie bittet … selten manchmal.
Oft genug aber verstricke ich mich in Streitgespräche mit ihr und vergesse darüber den Sinn der Worte und meine ursprünglichen Ziele. So wie jetzt...
Was wollte ich noch gleich?
Da ist er ja! Aber so sehr ich mich auch bemühe: Im Pendeln des kleinen Mannes kann ich ähnlich wenig Sinn und Ziel erkennen wie in meiner inneren Stimme.
Nein, er hat kein Ziel! Wenn überhaupt, dann ist das eine Methode.
Erst läuft er rüber ... dann wieder hin. Nochmals her ... und dort angekommen ...
na wohin wohl? unterbricht sie mich und fragt: Und außerdem: Eine Methode um WAS zu tun?
Da hat sie recht. Manchmal kann sie doch ganz hilfreich sein … besonders selten manchmal.
Ich bedanke mich ausnahmsweise bei ihr und wünsche mir für meinen Seelenfrieden Hustenbonbons und: Wenn er sich wenigstens verwirrt dabei umsehen würde...
Tut er nicht. Er blickt auf den von Streifen unterbrochenen Asphalt, als suche er zwischen ihnen die Fugen der Bretter, die die Welt bedeuten.
Meine Stimme kann nur vom Dreck dazwischen etwas zum Besten geben. Um nicht endlos mit ihr darüber diskutieren zu müssen, verleugne ich sowohl die Zeit als auch meine Ziele und gehe einfach zu ihm hin.
"Kann ich helfen guter Mann?"
Er stellt sein scheinbar planloses, offensichlich aber gitterloses Streifen auf Zebra ein, rauf und runter, rauf und runter, während sie schon wieder zu flüstern beginnt:
Zebras sind gestreifte Tiere, wie Tiger und Enten ... Das dient der Tarnung und kann durchaus verwirren, wenn man sich unsichtbar auf der Straße wiederfindet, sich aber selbst nur alle paar Schritte und auch nur teilweise wiedererkennt.
Nun bin ich ein wenig verwirrt, augenblicklich. Denn alles was ich nun sehe ist mit Streifen bemalt und völlig unerwartet beginne ich zu fallen. Ich stürze in einen galoppierenden Tagtraum.
*Tagtraum an*
Ich lande auf einem Kanaldeckel mitten in der Wüste und bin verwirrt. Immernoch. Ein Zebra reitet auf mich zu.
Ich stehe auf einem Kanaldeckel mitten in der Wüste und bekomme es mit der Angst. Als wäre das nicht schon genug, nein: Nebenbei ist es auch ganzschön heiß hier.
Ich bekomme es also mit der Angst, weiche sowieso schon schwitzend aus, pralle gegen einen Tiger, der brüllt mich an, verständlich, denn Tiger brüllen nun mal und außerdem...
Ich stolpere in der Hitze nach hinten, verliere den Kanaldeckel unter den Füßen, der mir wie ein fliegender Perser entgleitet und falle rückwärts ... wohin?
Was weiß ich? Hinten habe ich keine Augen.
Als ich endlich am Boden angekommen bin, rückwärtig zum Liegen komme, hat sich die Lage auch schon wieder verändert. Nicht nur die meine, auch das Milieu. Ich rapple mich im neuen Biotop auf und sehe:
Jemand fährt mit kariertem Holzfällerhemd auf einer dampfenden Walze durch herrlich duftenden, noch weichen klebrigen Teig. Schwerfällig schiebt das schwere Gefährt den schwarzen Brei vor sich her, walzt knirschend darüber hinweg wie ein riesiges Nudelholz mit Verbrennungsmotor.
Ein andrer malt zebrafarbene Streifen auf den frisch gewalzten Teer.
"Heda!", rufe ich ihm zu.
Orangebehelmt, mit links pinselhaltend sieht er auf.
"Was tust du da?", frage ich.
"Dschungel!", schreit er über den Lärm seines Teerbrenners hinweg aber zurück. Er hält diesen in der anderen Hand ... zum Korrigieren der Rechtschreibfehler. Und schreit weiter: "Ich male Tiere in den Verkehrsdschungel."
Das scheint mir logisch. Sind doch die Urwälder die artenreichsten Lebensräume überhaupt. Feiner Kerl, denke ich. Sorgt sich um die Artenvielfalt.
Dann sehe ich mich noch ein wenig um. Keine bekloppten, galoppierenden Zebras mehr, die mich umrennen wollen, dafür aber Käfer, Enten, Jaguare, ein Hummer, ein Pferd, ein Stier, ein silberner Engel ... dann ein Mercedes.
Seltsame Welt ... in der sowas frei rumlaufen darf!, denke ich.
Jemand spricht mich an. Da ist aber niemand. Jemand spricht mich an.
Ich schrecke auf und stehe vor, nein, über einem kleinen Mann.
*Tagtraum aus*
Der kleine Mann spricht mich an. Das tut er sicher zum dritten Mal. Sicher sagt er mir gerade, dass er mich bereits zum dritten Mal anspricht... aber ich verstehe ihn nicht.
Ich frage: "Entschuldigung, was sagten sie guter Mann?"
Der gute Mann schaut mich an. Schlitzäugig!, schreit plötzlich die Stimme dazwischen. Da ist sie wieder.
Ich höre sie kaum schreien, da fällt es mir wie Streifen vom Zebra:
Der kleine Mann ist Asiat.
Im selben Moment, im Moment des erkennens, da antwortet er auch schon auf meine letztgestellte Frage.
Das heißt, ich weiß es nicht, auf welche Frage, jedoch antwortet er. Leider tut er auf eine Art, wie ich sie nicht verstehen kann.
Das verstehst du nicht, weil du nix auf asiatisch kannst ... außer Essen., klärt mich die Stimme auf. Ja, vielen Dank auch.
Nachdem er asiatisch geredet hat, will ich ihm antworten, suche kopfbrecherisch nach dem Wort, doch will es mir partout nicht in den Sinn kommen: Zebra auf asiatisch. Verflixt auch!
Das mag wohl unter Anderem daran liegen, dass ich nichts auf asiati... aber nein, das hatten wir ja schon.
Da stehen wir nun, immerhin.
Beide sind wir etwas verwirrt. Ein jeder auf seine Art.
Er der Zebras wegen, ich wegen seiner Sprache und meiner Stimme und sowieso...
Außer der Verwirrung haben wir nur noch gemein, dass wir hier zusammen stehen. Soziale Verpflichtung.
Denn das ist ja keine Art, denke ich mir, sich einfach so davonzumachen weil einem das Wort Zebra auf asiatisch nicht einfällt..., und bleibe. Er genauso.
Um das gemeinsame Herumstehen etwas interessanter zu machen suche ich, nicht krampfhaft, aber verzweifelt, ein Gesprächsthema.
Essen? Ja, das kommt immer gut. In mir der Dialog: Wie fange ich also an? Nicht fragen, machen. Na gut.
„Süß, sauer?“, frage ich also endlich.
Er sagt: „Nuchini.“
Oder sagt er: „Chunichichi“?
Jedenfalls sagt er so etwas ... oder etwas verdammt Ähnliches ... immerhin.
Er schaut mir dabei in mein linkes Auge, weswegen ich verdutzt zu schielen beginne. Auch verdutzt bin ich über seine Antwort, obwohl ich sie wieder nicht verstehen kann.
Da ich aber schon einmal eine Antwort habe, will ich damit wenigstens etwas anfangen. Ich frage:
„Ja, aber wieso das denn?“
Da ist er plötzlich sehr aufgeregt und beginnt mit seinen kurzen Armen zu rudern, als wäre da Wasser. Während ich noch überlege welche Fische Streifen haben, mir außer Korallenfischen aber keine einfallen, blubbert es aus ihm heraus:
„Nikulunachaki olanasa chinichikkala.“
Das kann er prima rufen, darum ruft es gleich mehrmals auch wenn es rein gar nichts bringt. Das tut er in für Männer ungewöhnlich hohem Tonfall, chinesenüblich, denke ich, vielleicht.
Indes habe ich aber immer noch absolut keine Ahnung, was er mit seinen Worten meinen möchte. Aber wie ich ihn so rudern sehe, will mir scheinen, als wolle er auftauchen um nach Luft zu schnappen, klebe aber unglücklich irgendwie fest...
Tigerscheiße! flucht sie. Mir dagegen tut es einfach nur Leid für ihn.
Da der Mann sehr dürr ist, vermutete ich das Nahe liegende. Womöglich hat er Hunger. Wild mutmaßend zeige ich in nördliche Richtung. Dorthin, wo ich die nächste McDonalds Filiale vermute. Ich kenne mich hier ja selbst noch nicht aus und will nur helfen.
Um dem wilden Zeigen einen Wert zu verleihen begleitet meine Geste ein: „Chicken McNuggets.“
Jetzt zieht er seine Brauen hoch - ich wusste nicht, dass auch Chinesen so etwas können - und seine Blicke beginnen zu fliegen. Er sucht.
In fetten Buchstaben beginnt das Wort 'Maxi Menü' zwischen all dem Schweiß auf seiner niedrigen Stirn aufzublinken und ich glaube einen McRib und große Pommes in seinen Augen aufblitzen zu sehen.
'Er versteht also', denke ich. Er hat also Hunger sagt sie begeistert.
Ich gehe davon aus, obgleich mir eigentlich klar sein sollte, dass volksgruppenübergreifende Schlüsse meist völlig unzutreffend sind und man eigentlich eigentlich nicht schreiben sollte.
Das ist mir gerade Wurst ... oder besser HamburgerRoyaldeluxedoppeltgegrilltmitKäse.
Das fiese Fachwissen beiseite schiebend, fahre ich, nun selbst vom Appetit ergriffen, fort:
„Zwanziger Packung Chicken! Lecker. Hmmm ...“ Dabei lehne ich mich wie blöd zurück und beschreibe mit der Rechten Kreise auf meinem Bauch.
Da beginnt er zu lachen, lehnt sich ebenfalls rückwärtig in die Luft, reibt sich spiralend den Bauch und macht dabei:
„Mmmmh!“
Wir scheinen uns prächtig zu verstehen ... als ein paar Leute vorbei kommen.
- Ende der ersten Folge -