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Chris Rea in Afrika

Jon

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05.01.2009
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Chris Rea in Afrika

Er war fünf Jahre meine Heimat, meine Geborgenheit, er nahm es mit jedem Luxus auf, an jedem der über 30 Turnierwochenenden im Jahr war auf ihn Verlass. Bis Dienstag, den 12. morgens im Dezember, an dem sich unser Schicksal auf verschiedenen Kontinenten besiegelte.
Ich war auf dem Weg nach Hannover-Stadt zur Arbeit im call-center eines großen Dienstleisters. Auf den letzten 300 m vor der dreispurigen Einfallstrasse unterbrach Chris Rea seine Hymne über Avenues of Fashion und holte mich auf den Boden der Realität zurück. Warum ging der player aus? An der nächsten Ampel, kam mein 190 auf der mittleren Spur als erster zum Stehen, ich nutzte die Gelegenheit, dem Ausfall der Musik die technische Stirn zu bieten. Schlüssel umdrehen, ausmachen, neu starten, Stille. Vorglühen, Schlüssel drehen, neu starten, Stille. Ich brauchte diesen song! Vorglühen, Schlüssel drehen, starten, Stille. Warnblinkanlage. STILLE. Die Gedanken beschleunigten sich: Tür auf, aussteigen, beide Arme vor dem Bauch kreuzend von innen nach aussen, von aussen nach innen: hier geht nichts mehr! Die benachbarten Spuren fahren an, beschleunigen, fahren immer schneller, mein ausgebremster Hintermann, ein massiger Fahrer bewegt sich schwerfällig aus seinem Wagen, auf mich zu, beschliesst: den müssen wir wohl wegschieben und beginnt heftig zu drücken, während ich, dem linken Holm eine Probe meines trainierten Bizeps bietend, wie Tomb Raider das Steuer drehe und meinen willigen leicht lenkbaren 190 auf die dahinbrausende rechte Spur zusteuere. Es durchfährt mich glühend heiß. Der nächste Wagen wird mit 40 in unsere Seite krachen. Mit aller mir gegebenen Kraft versuche ich den Wagen langsam zu halten, während mein Masse mal Kraft drückender Hintermann die Augen forsch voraus gerichtet hält. Dann fällt auch ihm auf, dass wir für den Moment beim Spurwechsel keine wirkliche Chance haben. Der Verkehrslärm braust um mich herum, ich fühle mich bedroht inmitten der rasenden Maschinen, der Wagen ist zu schwer, mir wird schwindelig, ich habe Angst.

Die Lücke kommt, wir nehmen Fahrt auf und biegen im Laufschritt den Diesel in Händen in eine Nebenstrasse mit Tankstelle ein. Auf der Hälfte des Wegs ruft der Schieber realistisch: ich muss mein Auto von der Straße holen. Ich verkneife mir eine Bemerkung über seine Frau, die auf dem Beifahrersitz sitzt, winke ein fröhliches DANKE! Ich komm schon klar! und versuche im selben Moment meinen dicken Roten davon abzuhalten, rückwärts auf die Straße zu rollen - Respekt vor dem minimalen Anstieg vom Gehweg zur Tankstelle! Ein Satz mit beiden Füßen voraus auf den Fahrersitz. Füße sortieren, Bremse, Kupplung, Gang rein und mein Dicker steht quer, den Hintern auf der Straße, den body auf dem Gehweg, die Augen still, stumm, vorwurfsvoll auf die Tankstelle gerichtet. Ruhig bleiben. Temperatur runterfahren. Es ist der erste kalte Wintertag in Deutschland, meine Hose zu leicht und Schwitzen in der kalten Luft nicht ungefährlich. Durchatmen. In 5 min fängt die Arbeit an. Erstmal Rettung aus einer Gefahr vermelden, von der niemand etwas weiss, Verspätung ankündigen, Spott abholen, Auto von der Straße holen.

Neun Sätze später hat das Tankstellenmädchen die Situation nicht durchschaut, und für sich den Schluss gezogen, dass dies ein Fall für den männlichen Kollegen ist. Zu zweit mit Glück zusammen 40 schieben sie den Daimler 4 m auf die Tankstelle, ausreichend für eine profunde Diagnose, die den Tod der Lichtmaschine bescheinigt. Sie beschließen, dass sie nichts weiter für mich tun können. ADAC?

Traurig winke ich ab. Ich kenne den Hergang der Pannenhilfe. Viermal bin ich in den vergangenen zwölf Monaten aus dünn besiedelten norddeutschen Landstrichen geborgen worden, in 15 km nahegelegene Vertragswerkstätten geschleppt und nach durchschnittlichen 7 h unverrichteter Dinge genau dort gelandet, wo ich voller Erwartung losgefahren war. Dreimal bereits hat der Dicke mit seiner Unwucht in der Kardanwelle die Hardyscheibe durchgeorgelt. Ein vierte Operation ist überfällig. Nein. Nein. Es ist soweit. Ich muss den Dingen ins Auge schauen. In 20 Tagen wird die neue Feinstaubverordnung in Kraft treten, mein Diesel wie ein Aussätziger für immer am Berollen der Innenstadt gehindert, uneinsichtige Familienangehörige mit Buße bestraft.

Es ist ein kalter, rationaler Moment gefühlloser Feierlichkeit. Auf der hölzernen Mittelkonsole liegen fein säuberlich gesammelt die Visitenkarten, Normgröße eine wie die andere, 15 Stück, 2 doppelte. Für den Moment vergesse ich die Kälte, meine Angst, dies ist ein Abenteuer. Sorgfältig lese ich jede einzelne durch, jede gleich bunt, alle bei Rechtschreibung gefehlt, die einen von links oben nach rechts unten, die anderen umgekehrt. Ich brauche die richtige, die einzige, die mir jetzt sofort zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt. Schon die vierte ist in der engeren Wahl. Die siebte ebenfalls. Jetzt geht alles recht schnell. Nach dreimaligem Klingeln meldet sich eine weiche, nicht sehr dunkle, arabische Stimme. Ich biete einen MB 190 D, 92 Baujahr, 200.000 km sofort zum Kauf, ein Kultauto in Deutschland und einiges an dem Auto gut für weitere 100.000 km in allen Ländern ausser jenem Deutschland. Wie erwartet zeigt das andere Ende keinerlei Emotion. Ich gebe meinen Standort durch. In 15 Minuten wollen sie da sein. Ich bin nur noch Denken, Klären, Lösungen suchen. Gehirnflash aus Schock über meine eigene Entscheidung. Keine Emotion durchdringt das rationale Bollwerk meines Handelns, in der Kälte laufe ich ohne etwas wahrzunehmen vom Kofferraum zur Rückbank, zum Handschuhfach und zurück zum Kofferraum. Alles ist ausgeknipst. Kein „Ist es richtig oder falsch? Denken. Handeln. Lösungen suchen. Was tun mit den beiden Sporttaschen, der Werkzeugkiste, den CDs, Sicherungen, Bürsten, Verkehrskarten, Frostschutz, Tennisbällen, Handyladern, Altglas, Butterkeksen, Überbrückungskabeln, na was man halt so braucht, wenn man zur Arbeit fährt. Ein Afrikaner braucht keinen Eiskratzer.
Das Handy klingelt, die Araber kündigen ihr Erscheinen für die nächsten 2 min an. Nach 20 abendländischen oder 3 morgenländischen Minuten treffen zeitgleich ein herbeigerufener Nachbar und die beiden arabischen Autohändler links und rechts von der Ursache meines Elends ein. Als der Nachbar mein Vorhaben durchschaut, geht sein Blick ungläubig prüfend über mein Gesicht. Vor der Entschlossenheit meiner Augen wendet er sich ab. Wortlos räumt er die Werkzeugkiste, CDs, Sicherungen, Bürsten, ... in seinen Wagen. In 2 min ist alles verstaut. Ein letzter ungläubiger Blick in mein Gesicht. Ich zucke mit der Schulter, die Augen kühl, die Lippen fest entschlossen. Er macht sich davon.

Die beiden Araber atmen auf. Sie sind friedliche Geschäftsleute und der breitschultrige, körpergeschmückte Deutsche weckte in ihnen die Instinkte des Fremden in einer anderen Kultur. Sie begutachten den Wagen, gehen um ihn herum, zeigen auf eine schlecht bearbeitete Delle im Kofferraumdeckel.
Ich winke ab: „Die Kardanwelle ist hin, die Hardyscheibe und die Lichtmaschine auch. Was zahlt Ihr?“
„Was willst Du haben?“
„500.„
„200.“

Das ist zuwenig, viel zuwenig. Ich weiss es sofort und weiss nicht, was ich tun soll. Was soll ich machen? Die Gedanken rasen: keine Entsorgung, sofort Bares, keine Pannenhilfe, Problem gelöst jetzt, hier, auf der Stelle. Noch 100.000 km Gnadendiesel in Afrika für meinen geliebten MB. 200 ist zuwenig. Was mache ich? Ich habe keine Ahnung von Autos. Ich kann nicht handeln. Der rettende Gedanke kommt auf Bestellung: meine Werkstatt, die schon bei der 2. Gelenkoperation nicht verstanden hat, weshalb ich den Alten nicht verschrotte. Sie sind Brüder. Der eine, ruhige, freundliche, der immer das heftige Temperament seines Bruders ausgleichen muss, gerät in politische Aufruhr:
„200.
Das ist eine Unverschämtheit!
Für 400 nehm’ ich ihn noch.
Da krieg ich ja noch was raus am Ende. Die sind doch alle Gauner!
Der macht noch nen 1000er gut mit dem Wagen.
Also für 400 hole ich ihn sofort.“

65 min nachdem Chris Rea aufgehört hat zu singen, gehen wir auseinander. Ich nehme es ihnen nicht übel. Sie sind Geschäftsleute. Sie haben es versucht. Und der Weg nach Afrika ist lang.
Die beiden Sporttaschen sind unbequem und einen Fahrschein für die S-Bahn habe ich auch nicht. Der Automat wechselt keine 100. Als mein Handelspartner am nächsten Tag den Brief entgegennimmt, erzählt er, dass mein Daimler schon verkauft sei und dass er bei dem Deal 100 draufgelegt habe. Er fragt, ob es schwer sei für mich, so allein. Die vergessene CD-Halterung hinter der Sonnenblende hat er abgelöst und mitgebracht. Nur Chris Rea nicht, er singt guitar street jetzt in der arabischen Wüste.

 

Hallo Jon,

ich fand die Geschichte leider auch sehr nichtssagend, inhaltlich leer und recht banal...sorry, aber es gibt meiner Ansicht nach kein wirkliches Thema. Es kommt jedenfalls nicht heraus. Sprachlich hat mir der abgehakte Wortbau an vielen Stellen nicht gefallen.

Formal solltest Du die richtige Verwendung von Zahlen oder ausgeschriebenen Zahlwörtern beachten.

LG Madrugada

 

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