Claire - Teil 2
"Ein Mädchen?" Claire zog einen Moment lang ihre Augenbrauhen zusammen und schien zu überlegen, ob es sich vielleicht um einen Scherz handelte. Sie warf Anna einen kurzen, fragenden Blick zu. Anna beantwortete ihre unausgesprochene Frage damit, daß sie mich Claire vorstellte. "Das ist Sophia", sagte sie.
"Okay." Claire reichte mir ihre Hand. "Hallo, Sophia. Ich bin Claire."
"Hallo", antwortete ich mit vor Aufregung leicht belegter Stimme und erwiderte ihren Händedruck. Ich sah Claire an, daß sie sehr gerne einen Moment mit Anna unter vier Augen gesprochen hätte, doch Anna, die einer solchen Situation offensichtlich ausweichen wollte, verabschiedete sich bereits. "Viel Spaß euch zweien", sagte sie, indem sie sich langsam entfernte, und sie lächelte schuldbewußt dabei. Dann drehte sie sich um und ging. Claire und ich schauten ihr einen Moment lang nach, dann trafen sich unsere Blicke. "Anna hat mir nicht gesagt, daß mein Kunde eine Kundin ist", stellte Claire fest.
"Nicht? Ich dachte, sie hätte..."
"Nein, das hat sie durchaus nicht."
Ich fühlte mich äußerst unbehaglich. "Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus", stammelte ich unsicher und fragte mich im selben Moment, warum ich mich von Anna zu dieser Schnapsidee hatte überreden lassen, denn es war schließlich abzusehen, daß Claire mich nicht einfach nur so sehen würde wie all ihre anderen Kunden. Und die Wahrscheinlichkeit, daß sie es ablehnte, ihre üblichen Dienste an einer Frau zu leisten, lag nahe. Unsicher sagte ich: "Also, wenn Sie nicht möchten, dann..."
"Sag, um Gottes Willen, nicht 'Sie' zu mir", unterbrach Claire mich.
"Entschuldigung", sagte ich hastig. Ich bemerkte eine leichte Verärgerung in ihrem Gesichtsausdruck. "Wir müssen wirklich nicht, wenn du nicht willst", sagte ich schüchtern.
Claire zündete sich eine Zigarette an. "Anna hätte mir wirklich vorher etwas davon sagen können", sagte sie, mehr zu sich selbst als zu mir. Ich schaute zu Boden. Es war wirklich eine dumme Idee gewesen. Natürlich begehrte ich sie. Aber der Gedanke, mir ihre Liebe einfach zu erkaufen, nur weil es ihr Beruf war, ihre Liebesdienste gegen Geld an andere Menschen weiterzugeben, war töricht. Was, wenn sie einen anderen Beruf gehabt hätte? Dann hätte ich ihr auch nicht einfach einen Geldschein unter die Nase halten können und sie darum bitten, mit mir ins Bett zu gehen. Klar, es war Claires Job, sich zu verkaufen. Doch ich sah sie nicht als verkäufliche Ware, sondern als eine wunderschöne, äußerst erotische Frau.
"Vielleicht sollte ich gehen", sagte ich leise.
"Unsinn", sagte Claire und blies mir dabei den gerade eingeatmeten Rauch ins Gesicht. "Ich muß mich nur erst an den Gedanken gewöhnen."
"Wenn du es ekelig findest, mit einer Frau, dann müssen wir nicht..."
Claires Blick in meine Augen brachte mich zum Schweigen. "Wie gesagt", wiederholte sie, "Ich muß mich nur erst an den Gedanken gewöhnen." Das klang ziemlich professionell. Ich fühlte mich unwohl. Wünschte mir, ich wäre nie in diese Situation geraten.
Während sie in Ruhe ihre Zigarette rauchte und mir dabei immer wieder - ob absichtlich oder unabsichtlich, vermochte ich nicht zu beurteilen - den Rauch ins Gesicht blies, musterte sie mich ausführlich und schien zu überlegen, was sie mit mir anfangen sollte. Ich hätte ihr sehr gern gesagt, daß ich eigentlich mehr an ihr als Person als nur an ihren puren, körperlichen Liebesdiensten interessiert war. Ich wagte es nicht. Zu groß war meine Befürchtung und die Wahrscheinlichkeit, daß sie in schallendes Gelächter ausbrechen und allenfalls Mitleid für mich empfinden würde.
Schließlich drückte Claire ihre Zigarette im Aschenbecher aus. Sie nahm meine Hand, so, wie sie es wohl auch mit ihren anderen Freiern tat. "Komm mit", sagte sie und zog mich hinter sich her durch den Club. Ich wußte nicht, ob es irgendjemanden gab, der uns verwundert anschaute, denn ich starrte nur auf meine eigenen Füße, während ich ihr in ein abgelegenes, kleines Zimmerchen folgte, das mit rottönendem Licht beleuchtet und mit einem großen, satinbezogenen Bett und einem großen Spiegel an der Wand sowie einem weiteren an der Decke ausgestattet war. Als sie die Tür hinter uns schloß, war von der lauten Musik aus dem Club nichts mehr zu hören. Statt dessen drang leisere, langsame Musik aus mehreren, in den Zimmerecken hängenden Lautsprechern.
"Mach es dir bequem", bot Claire an, "Möchtest du etwas trinken? Ein Glas Sekt vielleicht?" Vermutlich fragte sie das jeden, den sie mit hierher nahm. Ich hatte gegen ein bißchen Alkohol nichts einzuwenden. Vielleicht würde der mir helfen, nicht mehr so sehr darüber nachzudenken, was hier eigentlich gerade geschah. "Ja, ein Glas Sekt wäre schön", sagte ich deshalb, während ich mich auf den Bettrand setzte, und fragte mich, ob ich nicht gerade einen Riesenfehler beging. Gleichzeitig war die Vorstellung, in wenigen Augenblicken mit Claire intim zu werden, unwahrscheinlich aufregend.
Claire setzte sich neben mich und reichte mir ein Glas Sekt. Sie selbst hatte ebenfalls eines in der Hand. "Prost", sagte sie, und wir ließen unsere Gläser klingend aneinander stoßen. Ich trank gleich das halbe Glas leer, während Claire an ihrem nur nippte. "Bist du eigentlich lesbisch?", fragte sie mich dann ganz direkt. "Oder bi?"
Diese Frage kam so überraschend, daß ich nicht gleich wußte, was ich darauf antworten sollte. Die Wahrheit wäre gewesen, daß ich es nicht wußte, und daß ich mich lediglich in Claire verliebt hatte. Statt dessen sagte ich: "Bi."
Ich hatte Angst vor weiteren Fragen. Doch Claire stellte keine. Sie ermutigte mich, noch ein bißchen von meinem Sekt zu trinken. Dann nahm sie mir mein Glas aus der Hand und stellte es zusammen mit ihrem Glas beiseite. Danach setzte sie sich wieder neben mich. Nur dieses mal viel dichter. Sie legte ihren Arm um meine Rücken und striff mir meine Jacke von den Schultern. Auch das gehörte sicher alles zu ihrem gewöhnlichen Programm. Wie oft schon hatte ich heimlich davon geträumt, das einmal zu erleben! Viel lieber allerdings wäre ich dafür vorübergehend in den Körper eines Mannes geschlüpft, ganz einfach, um vollkommen unerkannt zu bleiben. Nun ja, jetzt saß ich hier, und Claire nah bei mir. Sie streichelte meine jetzt nackten Schultern und leckte sich dabei genußvoll über die Lippen. Übliches Programm oder nicht, aber es erregte mich. Ihre Augen glänzten vielversprechend, als sie mein Top hochschob und es mir schließlich über den Kopf hinweg auszog. Mit nackten Oberkörper saß ich jetzt neben ihr. Sie betrachtete meine Brüste, um sie daraufhin zu streicheln und sich abermals langsam die Lippen mit der Zunge zu befeuchten. Nach anfänglicher Schüchternheit wagte ich es schließlich, ihr Gesicht dabei direkt von der Seite anzusehen. Meine Blicke hingen an ihren Lippen, und ermutigt davon, setzte Claire das Spiel ihrer Zunge fort. Dabei streichelte sie erst meine rechte, dann meine linke Brustwarze, bis sie steil von meinen Brüsten abstanden. Ich war bereits so erregt, daß vermutlich ein einziger Lufthauch mich zum Höhepunkt gebracht hätte. Aber wir waren erst am Anfang.
Claire knöpfte meine Hose auf. Ich lüpfte meinen Po ein wenig, damit sie sie mir von den Beinen ziehen konnte. Sie zog mir den Schlüpfer gleich mit aus. "Leg dich hin", hauchte sie. Ich legte mich auf den Rücken. Claire blieb vorerst stehen und ließ mich dabei zusehen, wie sie sich gemächlich ihres Seidenkleides und ihrer Spitzenunterwäsche entledigte. Sie hatte wunderschöne Brüste und überhaupt einen absolut perfekten Körper. Dann kam sie zu mir auf das Bett, plazierte ihre Knie rechts und links meiner Taille. So über mir, legte sie ihren Kopf in den Nacken und liebkoste mit ihren Händen ihren eigenen Körper - ihren Hals, ihre Brüste, ihren Bauch und ihre Vagina. Es war wohl der schönste Anblick, den ich in meinem Leben bis dahin jemals gesehen hatte. Mein Unterleib zog sich vor Erregung krampfartig zusammen.
Nun stützte sie sich mit ihren Händen neben meinen Ohren ab und kam mit ihrem Gesicht dicht an mich heran. Sie leckte über meine rechte Wange, küßte mein rechtes Auge und leckte mir dann über die Lippen. Ein unkontrolliertes Stöhnen entwich mir. Claire küßte mein Ohr und ließ ihre Zunge dann an meinem Hals herunterwandern. Sie leckte an einer meiner Brustwarzen und umschloß sie dann mit ihren Lippen, um leicht daran zu saugen. Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, daß es auch ihr ein bißchen gefiel. Sie machte einen sehr leidenschaftlichen Eindruck, während sie meine Brustwarzen mit ihrem Mund stimulierte. Ab und zu schaute sie zu mir auf, als ob es ihr Spaß machte, mir in meiner Erregung zuzusehen.
Immer weiter nach unten wanderten ihre Küsse, bis sie am empfindlichsten Teil meines Körpers angelangt war. Ich mußte die Hände zu Fäusten ballen, um nicht vor Lust laut aufzuschreien. Claire, die meine Erregung bemerkte, sparte das Zentrum meiner Lust von nun an aus, verteilte ihre Küsse dicht darum herum. leckte an den Innenseiten meiner Oberschenkel entlang, massierte meinen Bauch knapp oberhalb der Klitoris. Alles schien sich um mich herum zu drehen. Fast schon wollte ich sie anflehen, mich zu erlösen, als ihre Zunge zwischen meine Schamlippen glitt. Sie küßte meine Klitoris und saugte daran, gleichzeitig schob sie einen Finger in meine Scheide. Die Anspannung baute sich unerträglich stark auf, beinahe schon schmerzhaft - da hielt Claire plötzlich in all ihren Bewegungen inne.
Entsetzt hob ich den Kopf und sah sie an. Sie lächelte frech zu mir herauf. "Gefällt es dir bis jetzt?", fragte sie. Mein ungläubiger, bettelnder Blick sagte wohl mehr als tausend Worte. Sie lächelte, und ihre Augen glänzten diabolisch. Während ich zusah, leckte sie mit ihrer Zunge großflächig über meine Klitoris. Dann endlich erlöste sie mich. Ich gab laute, unkontrollierte Geräusche von mir, während sich die gesamte Spannung aus meinem Körper, vor allem meinem Unterleib, löste, und ich spürte meine Muskeln sich rhythmisch um Claires Finger herum bewegen. Ich fühlte, daß Claire mich die ganze Zeit ansah, während ich mich in meiner Lust wand. Fast eine halbe Minute lang. Dann wurden die Muskelkontraktionen in meinem Bauch langsamer und versiegten schließlich ganz.
Claire zog ihren Finger aus mir heraus. Sie stand auf, wischte sich den Finger mit einem Taschentuch ab und trank ihr Glas Sekt in einem großen Schluck aus. Ich schaute ihr dabei zu, schwer wie ein Stein, nicht fähig, mich zu bewegen. Claire brachte mir mein Sektglas und setzte sich zu mir auf die Bettkante. Sie steckte sich eine der Zigaretten, die auf dem Nachttisch lagen, an. "Prost", sagte sie und ließ ihr Glas an meines stoßen. Mit letzter Kraft hob ich meinen Kopf, um mir nicht alles über das Gesicht zu gießen, während ich trank. Dann ließ ich den Kopf ins Kissen zurück fallen.
"Mir scheint, es hat dir gefallen", sagte Claire mit weicher Stimme.
"Das hat es", stieß ich aus - mehr konnte ich nicht sagen.
Claire nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette. "Es war das erste Mal, daß ich es einer Frau besorgt habe", erzählte sie, und wieder einmal landete der gesamte Rauch, der sich eben noch in ihrer Lunge befunden hatte, in meinem Gesicht. 'Daß ich es einer Frau besorgt habe' - das klang keinesfalls romantisch, sondern nur geschäftlich, und beraubte mich der Illusion, daß es nicht nur mir, sondern auch ihr Spaß gemacht hatte. Sie neigte den Kopf ein bißchen zur Seite. "Aber dafür war es nicht schlecht, oder? Das hoffe ich doch wenigstens."
'Es war fantastisch, einmalig, das schönste, was ich je erlebt habe', hätte ich wohl noch vor wenigen Augenblicken ausgerufen, aber jetzt war mir nur noch danach zumute, sie mit einem kurzen "Ja, es war okay" abzuspeisen.
"Nur okay?" Das war ihr wohl doch etwas zu wenig.
"Es war schön", räumte ich ein.
Claire klopfte die Asche ihrer Zigarette über dem Aschenbecher ab, doch ein kleiner Teil der Glut war nicht mit abgegangen und fiel nun auf mich herunter, während sie ihre Hand vom Aschenbecher zurückzog. Ein paar Fetzen glühender Asche landeten direkt zwischen meinen Brüsten. Schmerzerfüllt zuckte ich zusammen, saß sofort aufrecht da und wischte die Asche weg.
"Verdammt, entschuldigung, das wollte ich nicht", sagte sie und streichelte mir fast zärtlich über die verbrannte Stelle. "Ich hoffe, es bleibt kein Punkt zurück oder so etwas."
"Ich lebe ja noch", gab ich gereizt zurück. Ihre Art, mich professionell zu behandeln, gefiel mir überhaupt nicht. Und dabei hatte ich doch für nichts anderes als das bezahlt - beziehungsweise, ich wollte es noch tun. Körperliche Liebesdienste eben, und mehr nicht. Ich war in sie verliebt, sie jedoch keinesfalls in mich. Bis vor nicht allzu langer Zeit hatte sie wohl nicht einmal gewußt, daß es mich gab. Ich mußte mich ermahnen, das nicht zu vergessen.
"Verzeih mir", säuselte Claire, um meine Gereiztheit in den Griff zu bekommen, kam mit ihrem Gesicht ganz nah an meines heran und küßte mich kurz, aber sehr intim. Dann stand sie auf und zog sich an. Ich erkannte, daß es nun auch für mich an der Zeit war, mich wieder anzuziehen. Vor dem großen Wandspiegel richtete ich mein Äußeres, so gut es ging, wieder her, dann zückte ich mein Portemonnaie. Ich haßte es, ihr diese Frage stellen zu müssen: "Wieviel schulde ich dir?"
Claire nannte mir einen Preis, der wohl für das Geleistete angemessen war, und ich gab ihr das Geld. Nun wollte ich so schnell wie möglich hinaus, um über das, was ich soeben erlebt hatte, in Ruhe nachzudenken. Claire ging mit mir bis zur Zimmertür. "Tschüs", sagte ich, "Und vielen Dank", obwohl ich mich bei ihr in Form des Geldes ja längst bedankt hatte. Doch vielleicht erwartete sie ja einen kleinen Dank von mir dafür, daß sie es meinetwegen einer Frau hatte 'besorgen' müssen.
"Ist okay", sagte sie, und als ich schon die Klinke in der Hand hatte, legte sie ihre Hand um mein Handgelenk. Sie sah aus, als ob sie das, was sie jetzt sagte, einiges an Überwindung kostete. "Ich würde mich übrigens freuen, wenn du mal wieder vorbeischauen würdest."
Sagte sie das jedem? Oder meinte sie es ernst?
"Mal sehen", sagte ich nur, "Vielen Dank nochmal für alles." Dann schlüpfte ich zur Tür hinaus. Mit gesenktem Haupt eilte ich durch den Club und zur Bar, in der Hoffnung, daß nicht so viele Gäste sahen, aus welchem Raum ich gerade gekommen war. Entweder wüßten sie, daß eine der Hausdamen es gerade mit einem Mädchen getrieben hatte - nämlich mit mir, oder sie hielten mich für eine käufliche Frau. Keine der beiden Alternativen war für mich besonders erhebend.
Kaum war ich am Bartresen angelangt, stand Anna neben mir. "Und?", war ihre kurze, aber alles beinhaltende Frage.
"Ja", war meine ebenso kurze Antwort.
"Habt ihr...?" Sie sprach die Frage nicht zu Ende aus.
"Wir haben. So war es ja auch gedacht. Dafür hat sie ja auch Geld bekommen."
"Nun ja, es hätte ja sein können, daß... ich meine, daß sie sich weigert, mit einer Frau zu schlafen."
"Sie war ärgerlich, daß du ihr nicht vorher gesagt hast, daß ich eine Frau bin. Ich hatte übrigens auch damit gerechnet, daß du sie vorher einweihst."
Anna zuckte entschuldigend mit ihren Schultern. "Tut mir leid, ich hab´s irgendwie verpennt..."
"Na ja, ist jetzt auch egal."
"Und hast du ihr denn gesagt, daß du auf sie stehst?"
"Nein. Was würde sie dann von mir denken? Nein, das kann ich nicht."
"Hätte ich wohl auch nicht", meinte Anna. "Sie ist sowas von hetero und da hat eh keine Frau eine Chance, glaube ich. Es ist überhaupt ein Wunder, daß sie sich auf die Sache mit dir eingelassen hat."
"Gegen Bezahlung tun viele vieles", stellte ich frustriert fest.
Während Anna und ich an der Bar noch einige Drinks zu uns nahmen, sah ich Claire noch ein paar Mal im Club nach Kundschaft Ausschau halten, und mit einigen Männern zog sie sich in ihr stilles Gemach zurück. Mir brach es beinahe das Herz, wenn ich daran dachte, an welche Kerle sie sich nur wegen des Geldes verkaufte. Der Gedanke, daß sie etwas ähnliches von ihr bekamen wie ich und es nicht ansatzweise so sehr zu schätzen wußten, tat weh. Am liebsten hätte ich sie sofort, wie ein edler Ritter, aus dieser Situation befreit und mit auf ein großes Schloß genommen, in dem sie friedlich und ohne irgendwelche Freier leben konnte. Vielleicht machte ihr der Job ja Spaß - vielleicht wartete sie aber auch tatsächlich auf den Retter. Nur ganz sicher nicht auf einen, der wie ich ein junges, sexuell unorientiertes Mädchen war.
Anna ging bald darauf nach Hause, und ich wollte es ihr eigentlich gleichtun, wenn ich mein Glas leergetrunken hatte. Aus irgendeinem Grund aber beschloß ich, nun auch noch die wenigen Augenblicke bis zu Claires Feierabend abzuwarten. Ich wußte nicht, was ich dann tun sollte. Als es soweit war und sie in unauffälliger Straßenkleidung in Richtung Ausgang ging, stand ich auf und folgte ihr. Ich erwartete, daß sie in das nächste Taxi stieg, doch sie machte sich zu Fuß auf den Weg zur U-Bahn-Haltestelle. Glücklicherweise hatte ich leises Schuhwerk an, so daß ich unbemerkt hinter ihr hergehen konnte. Ich stieg in dieselbe U-Bahn, allerdings einen Wagon weiter. Da die einzelnen Wagen Fenster hatten, die den Blick in den nächsten Wagen gestatteten, konnte ich Claire beobachten und sehen, wann sie wieder ausstieg. Die Haltestelle, an der sie ausstieg, lag in einem als nicht besonders edel verschrienen Stadtteil. Ich fühlte mich unwohl, hier im Dunkeln entlang zu laufen. Claire dagegen machte keinen besonders ängstlichen Eindruck, schritt gelangweilt voran. Sie ging diesen Weg ja jeden Abend.
Schließlich betrat sie die große Hochhaussiedlung, und bald waren ich und sie die einzigen Menschen weit und breit. Als sie einen Schlüsselbund aus ihrer Handtasche herauskramte, verlangsamte ich meinen Schritt und vergrößerte meinen Abstand zu ihr. Aus dem Haus, in das sie hineinging, kamen zwei Betrunkene heraus und rannten sie fast um. Ich war schockiert. Hier wohnte sie also! In dieser verkommenen Gegend. Aus irgendeinem Grund hatte ich mir eingebildet, das Geld, das sie den ganzen Tag lang verdiente, würde für wenigstens ein bißchen Luxus reichen. Aber das war wohl ein Irrtum. "Der Chef verlangt ziemlich viel", hatte Anna mal gesagt. Daran lag es wohl. Ich hatte von dieser Branche ja nicht besonders viel Ahnung.
Eigentlich hatte ich, nachdem ich wenigstens einen Teil von Claire bekommen hatte, eine Weile nicht mehr in den Club gehen wollen. Sie sollte mein Gesicht vergessen, und ich wollte versuchen, sie zu vergessen, da sie zu bekommen für mich ohnehin aussichtslos war. Doch ihre Worte - 'Ich würde mich übrigens freuen, wenn du mal wieder vorbeischauen würdest' - spukten in meinem Kopf herum, und außerdem war es nicht so leicht, sie zu vergessen, wie ich gehofft hatte. Und so trieb es mich bereits eine Woche später wieder in den Club. Diesmal sagte ich Anna vorher nicht Bescheid und ging allein. Ich steckte mir vorsichtshalber ein bißchen Geld ein, setzte mich an die Bar und wartete darauf, Claire zu sehen. An diesem Tag hatte sie wieder einen ihrer Bühnenauftritte, sang einige langsame Lieder, und ich schmolz heimlich dahin, während ich ihr zusah und zuhörte. An solchen Abenden, so hatte Anna es mir erzählt, konnte sie sich meist anschließend vor Kundschaft nicht retten, denn sie liebten Claires Gesang. Ich konnte Claires Kundschaft absolut verstehen. Obwohl sie sich auf der Bühne nicht übertrieben anzüglich benahm, sondern sich eben einfach nur ein bißchen lasziver bewegte und ein bißchen schärfer einatmete als es eine gewöhnliche Sängerin getan hätte, überbot sie die anderen Frauen an Erotik weit. Sie hatte eine ganz spezielle Art von erotischer Ausstahlung, eine, die sich nicht einfach auf den Körper reduzieren ließ, sondern eine, die mich erkennen ließ, daß sie ein ganz besonderer Mensch war und daß sie sich nach etwas bestimmten sehnte - etwas, das sie allerdings hier nicht bekam. Denn ihre Sehnsüchte interessierten keinen ihrer Kunden.
Aber mich.
Nach ihrem Auftritt war sie kaum an der Bar angekommen, um sich ihre Kehle mit einem Getränk zu befeuchten, als bereits der erste Mann neben ihr stand und sie ansprach. Er war ein alles andere als attraktiver Mann, und ich verspürte das plötzliche Bedürfnis, sie vor ihm zu bewahren, und so näherte ich mich ihr, bis sie meiner ansichtig wurde. Sie sah ehrlich erfreut aus. Ohne Rücksicht darauf, daß der Mann neben ihr ein Gespräch mit ihr anzufangen suchte, wandte sie sich von ihm ab und kam stattdessen auf mich zu. "Hallo, Sophia", sagte sie und begrüßte mich mit einer Umarmung. Sie roch wundervoll. "Ich hatte gehofft, daß du wieder kommst", sagte sie, und das klang aufrichtig und ernst gemeint. "Ich hab allerdings schon Kundschaft." Sie deutete mit einer kleinen Kopfbewegung unauffällig zu dem Mann hinüber.
"Kannst du ihm nicht sagen, daß ich erst dran bin?", fragte ich in dem hilflosen Versuch, ihr diesen Mann zu ersparen. Claire lächelte gerührt. "Du bist süß. Wenn ich mit ihm fertig bin, können wir einen Moment reden. Jetzt muß ich erstmal Geld verdienen." Sie seufzte leise.
Die Zeit, die der Mann mit ihr verbrachte, schien nicht enden zu wollen, und ich mochte gar nicht darüber nachdenken, was sie gerade mit ihm trieb. Bei dem Gedanken, was er vielleicht von ihr haben wollte, wurde mir beinahe übel. Doch Claire sah ganz gefaßt und ihr Haar nicht zerwühlt aus, als sie wieder zu mir kam. Ich konnte mir die Frage nicht verkneifen: "Wollte er irgendwas ekeliges?"
Claire mußte lachen. "Nein." Dann streichelte sie mir freundschaftlich den Oberarm. "Machst du dir etwa Sorgen um mich?"
"Na ja, ich weiß nicht, vielleicht schon. Wenn ich diese Typen immer sehe..."
"Es ist nicht schlimm. Die meisten sehen schlimmer aus, als sie sind. Ausgefallene Dinge wollen auch die wenigsten. Natürlich ist es angenehmer, ein süßes, junges Mädchen wie dich anzufassen, als einen Typ wie den." Claire lächelte, beinahe verlegen. "Bist du deswegen hier?"
Die Frage traf mich unerwartet. "Na ja, ich weiß nicht, eigentlich... eigentlich wollte ich nur mal wieder vorbeischauen", stammelte ich.
"Ich würde dir auch, ehrlich gesagt, nur ungern noch mehr Geld aus der Tasche ziehen", sagte Claire. "Du bist ein liebes Mädchen." Eine Weile sahen wir einander nur an, und ein eigenartiger Glanz war in ihren Augen.
Und schon stand der nächste Mann neben ihr. "Bist du frei?"
"Fünf Minuten, okay?", sagte Claire zu ihm. "Du kannst schonmal nach da hinten vorgehen, ich komme gleich nach." Sie deutete in die Richtung, in der ihr 'Arbeitszimmer' lag. Der Mann trottete los. Claire seufzte tief. "Weißt du", sagte sie, "Es gibt Tage, da habe ich ganz einfach keine Lust..."
"Bei diesen Männern kann ich das gut verstehen", pflichtete ich ihr bei.
"Aber so ist es in jedem Job", winkte Claire ab. "Kein Job macht immer nur Spaß." Sie steckte sich eine Zigarette an. "Eines möchte ich wissen", sagte sie. Es war ihre Spezialität, mir den inhalierten Rauch beim Sprechen ins Gesicht zu pusten, und so geschah es auch dieses Mal wieder. "Was hat ein junges, hübsches Mädchen wie du in so einem Laden wie diesem verloren?"
Ich erklärte ihr, daß ich über Anna hierher gekommen war beziehungsweise über eine Freundin von Anna, deren Mutter hier ebenfalls arbeitete.
"Du bist mir schon früher aufgefallen", sagte Claire. Das überraschte mich. "Ich habe dich ab und zu im Publikum gesehen, wenn ich gesungen habe", führte Claire aus. "Du warst zwischen den ganzen Typen die einzige Frau, die mich aufmerksam angesehen hat. Weißt du, es ist ein schönes Gefühl, nicht nur für die Schwänze der Kerle zu singen, sondern auch für jemanden, den mein Gesang interessiert."
Ich lächelte verlegen.
"Und noch etwas mußt du mir erklären", fuhr Claire fort. "Wie und warum bist du auf die Idee gekommen, mit mir zu schlafen?"
Mir blieb der Mund offen stehen. Was sollte ich jetzt sagen?
"Einfach nur aus Spaß?", fragte Claire. "Zum Probieren?" So, wie sie fragte, klang es, als ob sie genau diese Antwort auch von mir erwartete.
Und so bestätigte ich ihr ihre Vermutung - was natürlich nicht stimmte.
"Du sagtest doch, du seist bi - hast du denn vorher nie mit einer Frau geschlafen?"
Ich erinnerte mich daran, ihr das gesagt zu haben. Jetzt wurde ich unsicher. "Nein", stammelte ich.
"Aber du warst schon in eine verliebt?"
Ich nickte. Außer in Claire war ich vorher noch in keine Frau verliebt gewesen. Allerdings auch noch in keinen Mann.
Claire warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. "Mein Kunde wartet", sagte sie. "Und wie es aussieht, werde ich den ganzen Abend ziemlich beschäftigt sein." Sie drückte ihre Zigarette aus und stand auf. Ich wollte sie nicht einfach so gehen lassen, ohne zu wissen, wann ich wieder die Gelegenheit haben würde, mit ihr zu sprechen. Und so fragte ich geradewegs heraus: "Wann machst du Feierabend?"
Ein bißchen irritiert sah sie mich an. "Wie immer", sagte sie dann.
"Ich warte auf dich", sagte ich und sah die Verwunderung darüber in ihrem Gesicht. Aber sie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Ihr Kunde wollte versorgt werden.
Der Abend war unendlich lang. Ich zählte die Minuten, in denen Claire mit irgend einem Mann in ihrem Zimmerchen war. Und davon gab es ziemlich viele. Ich wartete auf die kurzen Augenblicke, in denen sie auftauchte, um neue Kundschaft aufzugabeln. Zeit, mit mir ein paar Worte zu wechseln, hatte sie wirklich nicht.
Als sie endlich in ihrer normalen Straßenkleidung ein letztes Mal in den inzwischen fast leeren Clubraum zurückkam, war ich so müde, daß ich kaum noch die Augen offenhalten konnte. Claire sah ebenfalls sehr müde und abgeschlafft aus. Ihr Haar war mehrere Male durcheinander gebracht und auf die Schnelle wieder hergerichtet worden, und genauso sah ihre Frisur jetzt auch aus. Claire blieb neben mir an der Bar stehen. "Du hast tatsächlich gewartet?", sagte sie. Ihre Stimme war rauh vor Müdigkeit. Sie roch nach Alkohol. Vermutlich hatte sie mit jedem ihrer Kunden ein halbes Glas Sekt geleert. Sie lallte ein bißchen.
"Ich habe doch gesagt, daß ich warte."
"Du bist verrückt. Das hättest du wirklich nicht tun müssen." Während wir zum Ausgang gingen, fragte sie: "Warum tust du das?"
"Nur so", sagte ich und wußte nicht, wie ich es ihr erklären sollte. Ohne sie zu fragen, ob ich sie überhaupt begleiten durfte, ging ich mit ihr bis zur U-Bahn und bis zur Haltestelle hinauf. Ganz still war es hier. Außer uns war hier nur noch ein Obdachloser, der mit einer Bierdose in der Hand auf einer Bank saß und anscheinend schlief.
"Wo mußt du hin?", zerbrach Claires Stimme die Stille. Ich hörte ihre Stimme das erste Mal außerhalb des Clubs und der damit zusammenhängenden Geräuschkulisse. Wenn sie in normaler Lautstärke sprach, weil sie nicht gegen Musik anschreien mußte, war ihre Stimme tiefer und weicher, als ich sie bisher kennengelernt hatte.
"Nirgendwohin", sagte ich und wußte im selben Moment, wie dumm diese Antwort war.
"Nirgendwohin? Willst du nicht nach Hause?"
In der grellen Neonbeleuchtung auf dem Bahnsteig sah ich, daß Claires Augäpfel leicht gerötet waren.
"Doch. Aber jetzt noch nicht."
"Und wo willst du jetzt noch hin?"
Ich trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. "Ich will dich noch nach Hause bringen."
"Mich nach Hause bringen?", fragte Claire ungläubig. "Denkst du nicht, daß ich das auch allein schaffe?" Sie lachte - es schien mir beinahe, als lachte sie mich aus.
"Bestimmt schaffst du es auch allein", entgegnete ich. "Trotzdem würde ich gern, wenn es dir nichts ausmacht..."
"Bitte, tu dir keinen Zwang an." Claire schüttelte den Kopf und schmunzelte noch immer. Vermutlich war es eine dumme Idee gewesen, sie zu begleiten. Sie verstand ja überhaupt nicht, warum ich das tat. Wie sollte sie auch? Sicherlich hielt sie mich für ein bißchen verrückt. Aber sie jetzt hier allein stehen zu lassen, würde schließlich noch dümmer aussehen.
"Oder hast du Ärger zu Hause und keinen Bock zurückzugehen?", fragte sie jetzt. Ärger zu Hause! Für wie jung hielt sie mich? Ich wohnte zwar noch zu Hause, war aber längst aus dem üblichen Ärger, den Kinder - vor allem Teenager - mit ihren Eltern haben, herausgewachsen.
"Nein", brummte ich nur.
"Oder findest du es so schön, nachts todmüde auf zugigen Bahnsteigen herumzustehen?" Wieder lachte sie. Ich fühlte mich gekränkt. Ein bißchen hatte ich doch darauf gehofft, sie wäre froh, hier nicht allein stehen zu müssen. Als sie mein betretenes Gesicht sah, legte sie ihren Arm um meine Schulter und zog mich ein bißchen näher an sich heran. "He, entschuldige, es war nicht so gemeint. Das war blöd von mir."
Ich sah zur Seite. Ihr Gesicht war ganz nah. Sie lächelte mich versöhnlich an. "Aber du mußt mir doch erklären, warum du das tust", sagte sie. Eine Sektfahne schlug mir aus ihrem Mund entgegen.
"Ich möchte dich eben nach Hause begleiten", gab ich leise zurück.
"Einfach so?"
"Ja, einfach so."
"Hat es dir mit mir so gut gefallen?"
Ich schluckte. Ahnte sie vielleicht, was mit mir los war? Ich kam nicht dazu, irgendetwas zu sagen, denn im nächsten Moment schon hatte sie ihre Hand unter mein Kinn gelegt und gab mir einen Kuß. Ihre Zunge huschte dabei zwischen meinen Lippen hindurch. Dann strahlte sie mich an. "Du bist süß", stellte sie fest.