Cold Days
Es war ein heißer Sommertag. Wir hatten die Badetücher auf dem frisch gemähten Gras ausgebreitet.
Ich lag auf dem Boden. Ein leichter Ostwind wehte mir die Haare immer wieder ins Gesicht. Mit der linken Hand strich ich sie wieder hinters Ohr. Schloss die Augen. Man hörte einige Kinder schreien. Irgendjemand war gerade in den Weiher gesprungen. Ein älterer Mann, der ein paar Meter weiter in einem Liegestuhl lag, hatte vor ein paar Minuten in einem unerträglichen Ton das Schnarchen angefangen. Ich versuchte ihn zu ignorieren. Versuchte wegzuhören. Auszuschalten. Alles zu vergessen. Wieder die Kinder. Sie kamen näher, oder vielleicht wurden sie auch einfach nur lauter. Sie spielten Ball. Der Klang, wie der Fuß den Ball traf. Der Ball im Wasser. Gelächter. Geschimpfe. Geschrei. Der schnarchende Mann war aufgewacht. Ich hörte wie er sich von der Liege herunter quälte, wie er mit stampfenden Schritten zum Wasser hinunter ging. Wieder der Wind, der mir die Haare ins Gesicht wehte. Ich strich sie zurück und öffnete die Augen. Ich sah die grelle Sonne die mir direkt ins Gesicht schien.
Er war noch immer nicht zurück. Er wolle etwas schwimmen, hatte er gesagt, dann war er gegangen. Das war bereits eine Weile her. Ich blickte hinunter zum Weiher. Der alte Mann stand bis zu den Knien im Wasser und bewegte sich nicht. Die Kinder planschten fröhlich im Wasser. Doch er war nirgends. Ein weiteres Mal ließ ich meinen Blick übers Wasser streifen, dann legte ich mich wieder hin, schloss die Augen wieder. Er war nicht mehr da. Ich wusste nicht wo er war. Ich wusste nicht, ob ich mich aufregen oder es akzeptieren sollte. Eigentlich passte es ja ins Schema der letzten Zeit. Es war nichts neues, dass ich nicht wusste wo er war oder dass er mir nicht sagte wo er hinging. Im Grunde redeten wir in letzter Zeit sowieso eher wenig.
Ich versuchte zu schlafen. Anfangs hielt mich der Lärmpegel der herrschte noch davon ab, doch dann versank ich in einen seltsamen Traum.
Er und ich standen im warmen Weiher, ein paar Zentimeter voneinander entfernt. Nein es waren Meter. Der Weiher fror zu. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Streckte meine Hand nach im aus. Unerreichbar. Er war einfach zu weit entfernt.
Dann eine Stimme die mich zurück in die Realität holte.
„Fahren wir?“, sagte er, vor mir stehend.
Er hatte seine Sachen bereits zusammengepackt und über die rechte Schulter geworfen.
Ich rieb mir die Augen, dann nickte ich.
„Ich warte im Auto.“
Wieder nickte ich. Er ging. Ich sah im einen kurzen Moment nach, dann packte ich meine Sachen zusammen. Ich beeilte mich nicht. Mir war bewusst, dass es keinen Unterschied machen würde ob ich fünf oder fünfzehn Minuten brauchte.
Er wartete ihm Auto. Nicht mehr und nicht weniger.
Auf der Fahrt sagte er wenig bis gar nichts.
„Wo warst du?“, einmal der Versuch eine Erklärung zu bekommen.
„Schwimmen.“
„Hmm.“
Das war alles.
Die Fahrt kam mir lang vor, länger als sonst. Er fuhr wie immer zu schnell, zu risikoreich. Ich hatte immer ein wenig Angst.
Zuhause angekommen schloss er die Tür auf, wir gingen die Treppe zur Wohnung hoch. Ich verräumte unsere Sachen.
„Hast du Hunger?“, meine Frage.
„Nein.“
„Okay.“
Ich ging in die Küche. Machte mir eine Kleinigkeit und aß – alleine.
Ich war fast fertig, als er in die Küche kam. Er öffnete den Kühlschrank, nahm ein paar Dinge heraus und verschwand damit wieder.
Draußen begann es düster zu werden. Ich ging zu ihm ins Wohnzimmer. Er saß auf der Couch, blickte vom Fenster hinaus.
„Es wird dunkel.“, sagte ich.
Er nickte.
„Ist dir kalt?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Willst du heute noch wo hingehen?“
Diesmal schüttelte er den Kopf.
Ich stand eine Weile einfach nur da, er blickte wieder zum Fenster hinaus.
„Ich gehe jetzt schlafen.“
„In Ordnung.“, seine Antwort.
Ich ging noch kurz ins Badezimmer, danach stieg ich die Treppe zum Schlafzimmer hoch.
Jetzt war es ganz dunkel. Die Sonne war Untergegangen und wir fanden uns wieder in der Tiefe der Nacht. Der Himmel war immer noch klar. Man konnte die Sterne sehen, doch als ich das große Schlafzimmerfenster öffnete, stellte ich fest, dass es kalt geworden war. Ich ließ das Fenster trotzdem geöffnet und stieg ins Bett. Das Mondlicht viel ins Schlafzimmer. Ich zog meine Bettdecke über meinen Körper und drückte sie fest an mich.
Ich schloss die Augen. Schlafen konnte ich nicht. Ich lag einfach nur da – völlig bewegungsunfähig. Ich weiß nicht wie lange ich so da lag, ich blickte nicht zur Uhr. Es war mir im Grunde auch egal, ob es nun Stunden oder doch nur Minuten waren die vergingen.
Ich hörte ihn die Treppe hochkommen.
Als er zur Tür rein kam, öffnete ich die Augen nicht. Er stand eine Weile vor dem Bett, dann erst legte er sich zu mir. Er lag direkt neben mir, berührte mich jedoch nicht. Sein Atemgeräusch in meinem rechten Ohr. Meine Augen noch immer geschlossen.
Ich hörte das Bett quietschen, als er sich umdrehte. Ich vermutete, dass er nun mit dem Rücken zu mir lag. Ich drehte den Kopf leicht und öffnete kurz die Augen. Ich fand Bestätigung für meine Vermutung. Wieder ein Quietschgeräusch. Jetzt lag er auf dem Rücken.
„Schläfst du?“, fragte er schließlich.
„Nein.“
Dann starrte er wieder zur Decke. Ich sah ihn einen Moment lang an.
„Du kannst nicht schlafen, oder?“, sagte er.
„Hmm“
„Ich schließe das Fenster“, sagte er leise und strich mir dabei übers Haar.
„Okay?“
Ich nickte und er stand auf.
Ich hätte nein sagen können, doch wenn ich ehrlich war, war das nicht das was ich wollte, schließlich sehnte ich mich nach etwas Nähe.
Er hatte die Fenster geschlossen, streifte gerade seine Hose über seine Knie nach unten.
Seine Hand zwischen meinen Beinen. Sein nackter Körper zuerst über, dann unter mir. Sein fester Griff um meine Taille. Seine linke Hand die über meinen Körper stich. Der Hauch eines Kusses an meinen Brüsten. Der tiefe Blick in seine Augen. Für den Augenblick so nah und im Grunde doch so fern.
Ich lag wieder neben ihm. Ich schwitzte. Ich strich im durchs Haar, es war feucht. Er stand auf um das Fenster wieder zu öffnen. Von draußen drang die kalte frische Luft ins Zimmer. Ich zog die Bettdecke über meinen nackten Körper. Sie war schwer. Wir lagen da. Beide auf dem Rücken. Die Blicke starr nach oben gerichtet. Ohne ein liebevolles oder verletzendes Wort. Wir schenkten einander weder eine zarte sanfte, noch eine harte stumpfe Berührung.
Eine undurchdringliche Wand des Schweigens zwischen unseren nackten verschwitzten Körpern. Wir kannten uns nicht. Wir hatten uns noch nie zuvor gesehen. Dem Schein nach für immer blind, doch jetzt in der tiefsten Düsternis und Bitterkeit die Augen öffnend. Die Sterne am Nachthimmel betrachtend, lagen wir da, die ganze Nacht. Bis die ersten Sonnenstrahlen den Raum erfüllten. Wir aufstanden, uns anzogen und weiter lebten. So verging ein weiterer Tag, wie auch alle anderen Tage zuvor vergangen waren und auch die künftigen vergehen sollten.