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Complete My Life

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12.08.2005
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Complete My Life

Complete My Life

Er lernte sie an einem kalten Dezembertag kennen. Es war kurz vor Silvester und er hatte für einige Tage frei. Der Himmel war weder hell noch richtig dunkel, sondern nahm verschiedene Grautöne ein. Das Licht kam wohlüberlegt und unbestimmt, oder einfach nur desinteressiert. Das Einzige, was ihm auffiel, war die Kälte, die durch seine Kleider drang und gegen sein Gesicht wehte. Aber dann sah er sie ihm lächelnd zuwinken. Etwa zehn Meter weit entfernt, saß sie an einer Bushaltestelle. Er kannte sie nicht, trotzdem ging er zu ihr, etwas verwundert über ihr Verhalten.

Das Mädchen hatte lange, dunkle Haare, was die Blässe in ihrem Gesicht noch zusätzlich betonte. „Sie sollte mal ins Solarium gehen.“, war sein erster Gedanke. Ihre schwarzen Augen blickten ihm direkt ins Gesicht. Er fand, dass etwas Unheimliches in ihr lag. Es waren diese Funken in ihren Augen, dieses durchdringende Leuchten, als ob sie ihm in die Gedanken blicken konnte. „Sie ist nicht mein Typ...“, überlegte er. Aber dann stand er bereits vor ihr und sah sie fragend an.

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„Bist du einsam?“, fragte sie lächelnd. Sie sah mir in die Augen, als ob sie meine Überraschung bereits erahnen konnte. Das gab mir wiederum ein Gefühl von ...
Wirklich seltsam. Es war wie ein Gefühl des Vertrauens. Allein aus diesem Grund nickte ich und wartete auf ihre Reaktion. Sie sprach leise aber bestimmt: „Dann lasst uns die letzten Tage dieses traurigen Jahres zusammen verbringen.“ Sie schaute mich dabei nicht an, obwohl ich wirklich gerne den Ausdruck in ihren Augen erfasst hätte.

Warum nicht, dachte ich. Meine Freundin hatte sich von mir aus irgendeinem Grunde getrennt. Eigentlich hatten wir uns auch nicht wirklich geliebt, aber wir wollten eben beide jemanden bei sich haben. Allein aus solchen ziemlich egoistischen Motiven verbrachten wir ganze drei Jahre miteinander. Aber wenn ich nun zurückdachte, bezweifelte ich, ob das wirklich geschehen war. Die Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit hatte sich nicht in meinem Gedächtnis festgesetzt, was ich auch nicht beabsichtigt hatte.

Nur um mir diese Gelegenheit auf ein neues Abenteuer nicht entgehen zu lassen, sagte ich diesem wildfremden Mädchen zu. Aber mein Herz schlug auf einmal nicht mehr so gleichmäßig und ruhig wie früher. Dann machte ich mir nochmals klar, dass ich mich nicht in sie verlieben kann und ich mich vor nichts zu fürchten habe. Das sagte ich mir auch immer wieder, als sie meine Hand nahm und wir durch die fast menschenleeren Straßen schlenderten, um in einem kleinen Café etwas Warmes zu uns zu nehmen.

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An diesem Abend lud sie ihn zu sich nach Hause ein. Sie wohnte alleine in einer ziemlich geräumigen Wohnung. Auf den Wänden sah er verschiedene Bilder, die ihm nur wenig sagten. Für ihn waren sie nur Landschaften oder Tiere, manchmal nicht einmal das. Aber sie bestimmten offensichtlich diese kleine Welt. Als Besucher konnte er nichts von ihr verstehen.

Sie kochte etwas für ihn und er half ihr dabei. Genauer gesagt versuchte er ihr zu helfen, trug aber in der Wirklichkeit nur wenig bei. Sie aßen zusammen und währenddessen fragte er sie nach ihrem Namen.

„Nenne mich einfach ‚Du’.“, sagte sie.

OK, sagte er. Aber er hieße Thomas, falls sie ihn so nennen wollte.

Diese Nacht verbrachten sie wie erwartet zusammen und vergaßen zumindest für ein Weilchen ihren Kummer.

Es war der 31. Dezember in diesem Jahr. Tagsüber hatten sie sich mit ihren eigenen Sachen beschäftigt und erst gegen Abend trafen sie sich. Seit ihrer ersten Begegnung waren bereits drei Tage vergangen. Sie hatten darüber gesprochen, dass sie sich im Neujahr trennen würden, um sich nicht in das Leben des anderen einzumischen. Also würde diese Nacht ihre letzte werden.

Thomas wartete in einem Café auf sie. Aber sie schien zu spät zu kommen. Unwillig begann er, über die letzten Tagen nachzudenken.

Er fand nichts Schlimmes an ihr. Sie konnte zärtlich sein und war ein guter Gesprächspartner. Man konnte ihr weder vorwerfen, dass sie hässlich war, noch dass sie keinen Humor und Verstand besaß. Eigentlich bestand er gar nicht so sehr darauf, sich nach so kurzer Zeit wieder zu trennen. Aber es war ihr Entschluss und er wusste keinen Grund, ihr zu widersprechen, außer ... Deshalb entschloss er sich, ihren Vorschlag anzunehmen.

Wenn man wirklich nach ihren Fehlern suchte, dann könnte man vielleicht genau diese komische, eigensinnige Denk- und Handlungsweise von ihr nennen. Er konnte sie nicht verstehen und er wollte das auch nicht. Wozu denn das, wenn man morgen bereits getrennte Wege gehen musste. Er wusste nicht einmal ihren Namen. Auf ihrer Klingel bei ihrer Wohnung stand „A. Sommer“. Aber war das ihr richtiger Name? Wofür stand dann dieses „A.“?

Während er sich solche Überlegungen anstellte, kam sie durch die Eingangstür. Zehn Minuten später als vereinbart. Aber sie sagte nichts und setzte sich einfach lächelnd neben ihn.

Er bemerkte, dass sie sich heute etwas geschminkt hatte. Ein dunkles Violett umrandete hauchdünn ihre undurchschaubaren Augen. Ihre dichten, schwarzen Wimpern warf einen verführerischen Schatten auf ihr blasses Gesicht. Die Lippen glänzten ein wenig in zartem Rosa. Bevor er sie weiter betrachten konnte, begann sie zu sprechen: „Tut mir leid, dass ich etwas spät bin. Aber dafür habe ich dir etwas mitgebracht.“

Sie überreichte ihm ein kleines Päckchen in rotem Geschenkpapier. Er nahm es und öffnete. Darin befand sich ein Buch mit sehr schönem Umschlag. Darauf stand: „Die kleine Meerjungfrau“.

„Ein Märchen?“, fragte er überrascht. Diese Geschichte von Hans Christian Andersen hatte er zuletzt in seiner Kindheit gelesen.
Sie nickte und sprach: „Aber es ist mein Lieblingsmärchen. Und nun schenke ich es dir, weil es etwas Symbolisches an sich hat, das mich zwar tief traurig macht, aber auch bewegt.“

Fast beiläufig bedankte er sich und sehnte sich eigentlich eher auf den bevorstehenden gemeinsamen Abend, auch wenn es der letzte sein sollte. Sie hatte eine dunkelblaue Mantel und ein schwarzes, enges Oberteil. Er sah ihre feine, verborgene Silhouette und spürte sein Blut in den Adern schneller durchs Herz jagen. Dann sagte sie etwas, was ihm zuerst einen Schuss ins Gehirn, aber schließlich doch eine entfernte Hoffnung gab: „Ich kann heute nicht lange bleiben, es ist nämlich etwas dazwischen gekommen... Eigentlich wollte ich dir das nur bescheid sagen. Aber ich gebe dir meine Telefonnummer, vielleicht können wir das dann ein anderes Mal nachholen.“ Mit diesen Worten hinterließ sie ihm einen Zettel und verabschiedete sich von ihm.

Er starrte vom Fenster aus zu den Silvesterlichtern und fing an, irgendetwas in seinem Leben zu bereuen.

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Leeres Herz. Mein Dasein hat keine Bedeutung. Es ist alles nur ein Spiel, ein Schattenspiel. Niemand sieht mich, wie ich mit schmerzverzerrtem Gesicht hier am Bett sitze. Ich bin müde und will nicht mehr. Nein, ich kann einfach nicht mehr. Ich will loslassen. Alles was ich habe und mir wichtig ist. Alles, woran ich mich so festgeklammert habe. Denn das alles ist nicht wirklich. Ich weiß, dass ich mich selbst betrüge und belüge. Aber lieber eine Fälschung, lieber ein glückliches Trugbild als gar nichts. Wofür kämpfe ich eigentlich. Diese Frage lässt mich nicht los. Aber immer wieder darüber nachzudenken und zu keiner endgültigen Lösung zu kommen erscheint mir so sinnlos. Was hält mich noch innerlich zusammen?

Ich sehne mich nach einer Erlösung. Eine Erlösung muss keine Lösung bedeuten, aber sie befreit etwas in mir. Daran glaube ich mindestens. Deshalb nehme ich das Messer. Es ist nicht mehr sehr scharf, deshalb tut auch schon ein kleiner Kratzer am Arm bereits ziemlich weh. Ich will nicht einsehen, dass ich selbstmordgefährdet bin. Ich bin am Leben, weil ich mich noch nicht mit dem Tod zufrieden geben kann. Wo ich doch mein Glück, mein richtiges Glück noch nicht gefunden habe. Aber dieser Schmerz erinnert mich an den Tod. Er erinnert mich ebenfalls daran, wie wenig ich einfach so dahinsterben möchte. Deshalb gibt er mir in gewisser Weise Kraft, denn nun weiß ich, was mein absolutes Ende bedeutet und dass es noch nicht gekommen ist. Das bedeutet für mich Erlösung, eine Motivation wieder stark zu werden.

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Drei Tage nach Neujahr rief Thomas sie doch an. Er wollte sich mit ihr treffen und sie sagte zu. Also sahen sie sich am gleichen Abend wieder. Thomas erblickte zum wiederholten Male diese schattenreichen Augen. Er wusste sich vorher beim Begriff „mystische Macht“ nicht besonders viel vorzustellen, aber nun gewann er davon einen ersten Eindruck, indem er diese Augen ansahen.

Sie umarmten sich und schien leider nicht viel Gesprächsstoff gefunden zu haben. Schweigend fuhren sie zur Wohnung des Mädchens. Dann küssten sie sich, warfen Stück für Stück ihre Kleider ab und gaben sich der menschenüblichen, körperlichen Sehnsucht hin. Als sie den Durst ihres jungen Fleiches gestillt hatten, wusste keiner von den Beiden, was sie nun eigentlich anfangen sollten. Deshalb schlug das Mädchen vor, ins Kino zu gehen und eine Spätaufführung zu sehen.

Da dem Jungen nichts Besseres einfiel, stimmte er ihr ohne große Überlegungen zu. So kamen sie nach einer halben Stunde im Kino an. Der Film war ... Es war ein Liebesfilm, und zwar ein sehr idealistischer. Es handelte sich um ein junges Paar, das sich unsterbliche Liebe geschworen hatte. Sie verbrachten jede freie Minute miteinander und konnte sich ein Leben ohne die andere Hälfte des eigenen Ichs nicht vorstellen. Aber dann, nach relativ kurzer glücklicher Zeit (das Glück erscheint uns immer kurz), erkrankte das Mädchen schwer. Ihre Zeit würde bald abgelaufen sein. Ihr Liebhaber drohte zu verzweifeln. Aber dann glaubten sie an ihr gemeinsames Schicksal und hielten auch in den schwierigsten Zeit entschlossen zusammen. Gegen Ende musste das Mädchen zu einer gefährlichen Operation. Das Ergebnis wurde aber nicht direkt gezeigt. Es gab dann noch einige Flashbacks von der schönen Erinnerung an das gemeinsame Glück. Der Film endete in diesen gefühlsvollen Bildern und leicht melancholischer Musik.

Der Film brachte die beiden in einer seltsamen Verlegenheit. Deshalb trennte sie sich bald daraufhin voneinander, ohne viele Worte darüber verloren zu haben.

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Ich will eine richtige Liebe. Eine, die wirklich mein Herz berühren und erschüttern kann. Eine, für sie es zu leben und sterben lohnt. Ich hatte fast alles in meinem Leben, habe vieles erlebt und viel gelacht, aber es gab nichts, was andauerte. Alles verging und es machte mir auch nichts aus. Aber es ist mir irgendwie leid. Das kann doch nicht alles vom Leben gewesen sein. Es gab so vieles, was ich nicht verstand. Ich will mich auf die Suche machen, Rätseln lösen und geheime Welten entdecken. Ich will mich auf ein Wunder einlassen, obwohl ich nicht an Wunder glaube. Aber nun will ich sie zu spüren bekommen. Ja, ich durste mich danach. Ich will ihr begegnen.

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Sie überlegte, ob sie zum Telefon greifen sollte. Sie überlegte, ob sie ihm begegnen wollte. Dann aber dachte sie, wozu das Ganze gut war. Mochte sie ihn? Oder wollte sie nur seine Nähe spüren. Sie kannte ihn kaum. Er ging noch zur Schule. - Aha. Weil er noch bei seinen Eltern wohnte, trafen sie sich immer bei ihr. - Interessant. Er ist vielleicht so um die drei Jahre jünger als sie selbst. Aber das sagte ihr nichts. Sie spürte nichts.

Es war so schwierig einen Menschen richtig kennen zu lernen. Deshalb lehnte sie es grundsätzlich ab, mehr als nötig über einen anderen Menschen zu kennen. Wer weiß, ob man sich noch einmal sieht. Wozu all diese unnötigen Informationen? Sie musste sich doch mehr als genug Gedenken machen, über ihr Leben, über ihre Vergangenheit...

Dann fasste sie doch den Entschluss und lud ihn zum Essen ein. Sie konnte gut kochen. Das kam daher, weil sie schon seit fünf Jahren einen eigenen Haushalt führte und sich um alles kümmern musste. Egal ob es um Einkaufen, Essen zubereiten, Ordnung halten oder Schmücken ging, sie war allein verantwortlich für all das, was hinter der Wohnungstür passierte. Am Anfang gab es ihr diese ungewöhnte Freiheit und Last auch viele Schwierigkeiten, denn z. B. wusste sie nur ein oder zwei einfache Gerichte zubereiten und ernährte sich deshalb auch aus Zeitgründen hauptsächlich von Schnellgerichten. Nach ein paar Monaten kannte sie diese Sorte von Essen alle in und auswendig und hatte auch keine Lust mehr auf Kuchen und Eis in Massen. Dann lernte sie doch nach und nach selbst kochen und die Wohnung einigermaßen sauber halten.

Ich (also die Erzählerin, die sich hier und überall einmischen will) glaube, der Anblick ihrer unaufgeräumten Wohnung im Originalzustand würde bleibende psychologische Schäden hinterlassen... Also auf jeden Fall nicht ratsam für die neugierigen Besucher. Aber irgendwann merkte sie auch selbst (gemerkt hatte sie das natürlich schon lange, aber etwas dagegen zu unternehmen ...), dass es so nicht weitergehen konnte. Jeden Tag in einem Dreckloch zu sitzen ist auch kein sonderlich erhabenes Gefühl. Also versuchte sie so ungefähr einmal im Monat gründlich die Wohnung zu putzen, damit sie auch Besuche empfangen konnte, ohne sich in einem Erdloch jämmerlich verkriechen zu müssen. Irgendwann ging es nicht mehr um Wollen oder nicht Wollen, sondern um Müssen bzw. do or die ...

Im Laufe der Jahre hatte sie wenigstens ihren Haushalt mehr oder weniger im Griff. Ihr Schulleben unterlag zeitweise starke Schwankungen, normalisierte sich aber allmählich. Dennoch musste sie sehr vieles aufholen, nämlich aus den Zeiten, als sie in zwei Schulhalbjahren so gut wie keine Hausaufgaben erledigte, geschweige lernte. Damals schwänzte sie auch ungefähr die Hälfte des stattfindenden Unterrichts und in der Hälfte, bei der sie anwesend war, hörte sie auf Grund unaufhaltsamer sinnloser Langweile auch so gut wie nie zu. Deshalb wunderte sie sich später auch nicht darüber, dass ihre Noten „glänzend“ ausfiel, nämlich mit einem Durchschnitt viel weit unter der minimalen Leistungsgrenze.

Ja, damals war man so jung und unwissend... Man kümmerte sich nicht so richtig um die Konsequenzen des eigenen Handelns und ließ sich einfach nur so von den jeweiligen Gemütern treiben. Sie musste sitzen bleiben, was für sie einen derartigen Tritt in den Hintern bedeutete, dass ich sich doch vornahm, endlich etwas mehr aus ihrem Leben zu machen. Und das nicht nur im Hinblick auf die Schule.

Nun war sie um ein paar Jahre älter geworden und hoffentlich auch etwas weniger lächerlich... Aber trotzdem konnte man bei ihr längst noch nicht von einer tiefen Lebensweisheit sprechen. Ihr unruhiges, unstetes, unberechenbares Gemüt bestimmte noch allzu oft ihr Handeln. Aber auf Grund vieler schmerzvoller, bitterer Erfahrungen will sie nie wieder all die schweren Fehler ihres noch relativ kurzen Lebens wiederholen. Das war doch schon mal ein guter Ansatz, man konnte ihr nur beipflichten.

Wie auch immer, zurück zum Thema. Sie kochte eine Speise mit verschiedenen Meeresfrüchten und hielt dafür auch etwas Alkoholisches parat. Dann hörte sie das Klingeln und machte die Tür auf. Thomas stand lächelnd vor ihr und hatte sogar etwas Blumen mitgebracht (wieviel Mal das in seinem Leben wohl geschieht?). Sie waren gelb, vielleicht Rosen oder Tulpen. Das Mädchen steckte die zarten Blütenstengel hastig in eine Vase, ohne sie vorher genauer zu betrachten.

Dann aßen sie das doch sehr gelungene Mahl bei Kerzenlicht. Die vielen Bilder an den Wänden, die im Halbschatten gehüllt sind, umzingelten sie. Thomas hatte das Gefühl, dass das alles nicht wirklich war, dass hier, in diesem Raum andere Gesetze galten als irgendwo da draußen.

Als sie mit den Essen fertig waren und das Geschirr abgeräumt hatten, schauten sie zunächst noch eine DVD an. Es war aber ein Film über eine Reihe mysteriöser Vorfälle, die alle einen gemeinsamen, höhst grauenhaften Hintergrund hatten. Das sollten sie Hauptpersonen im Laufe der Geschichte noch an ihren eigenen Leiber erfahren ...

Es war bereits ziemlich spät, als sie mit den Film fertig waren. Thomas war es nicht ganz geheuer. Aber er blieb dennoch diese Nacht bei dem „namenlosen Mädchen“ und hatte mit einem leichten Schaudern entdeckt, wie eiskalt ihre Hände doch waren.

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Sie waren kalt. Sowohl ihr Körper, als auch ihre Augen. Ich bemerkte zum ersten Mal so überdeutlich, wie wenig ich sie doch kannte. In meiner Vorstellung könnte sie fast eine Mörderin sein, kaltblütig und egoistisch, rachsüchtig. Aber sie tat nichts, was auch den geringsten Anschein darauf gab. Deshalb verunsicherte sie mich. Ich war es mir nicht gewöhnt, mit Menschen umzugehen, die ihre Gefühle so dermaßen gut mit einem ausdruckslosen Gesicht und schleierhaften Augen überdecken konnten. Ich glaubte fast, ich hätte Angst vor ihr.

Sie müsste so Anfang Zwanzig gewesen sein. Ich wusste nicht einmal, was sie sonst in der Zeit, wo wir uns nicht trafen, eigentlich machte. Studierte sie? Arbeitete sie? Oder hatte sie noch andere Männer? Sie hatte zwei große Bücherregale in der Wohnung stehen, wo viele Schulbücher, aber auch Romane und Lexika standen. Sie dürfte also nicht allzu ungebildet sein. Aber trotzdem konnte ich sie nicht erfassen, weder verstehen noch einordnen. Vielleicht lag das daran, dass ich noch nicht allzu viel Lebenserfahrung gesammelt hatte, dass ich ihr einfach nicht wirklich gewachsen war in solchen Bereichen. Wie konnte man einen Menschen verstehen, wenn man so gut wie keine gemeinsamen Erlebnisse oder Gespräche fand?

Auch beim Höhepunkt der Leidenschaft machte sie kaum bemerkbar. Sie schloss ruhig ihre Augen und umfasste mich, so leicht und unbestimmt wie immer. Aber ich schätze, in dem Moment, als sie ihren Mund einen sanften Spalt weit offen hielt, konnte ich ihr die ersehnte Antwort auf ihr Verlangen geben. Manchmal verglich ich unwillkürlich dieses Bild mit dem meiner früheren Freundin. In einem bestimmten Zustand gab sie immer halb zufrieden, halb flehend deutliche Töne von sich, was mir ein oberflächliches Selbstvertrauen verleihen konnte. Mit der Zeit drohte ich auch diese nicht wirklich traurigen Erinnerungen aus meinem Gedächtnis zu verlieren und wusste nicht wirklich, wie das denn geschehen konnte.

Sie sagte, sie wäre zu einsam. Deshalb wäre sie auch so kalt, um sich vor den Menschen zu schützen. Ihre Unnahbarkeit war wie eine Mauer gegen die Außenwelt, nur um ihr zerbrechliches Traumschloss vor barbarischen Angreifern fernzuhalten. Ich verstand ihre Gedanken nicht so recht, aber zumindest hatte ich eine ziemlich bildliche Vorstellung davon, auch wenn ich das Bild nicht interpretieren konnte.

Irgendwann nahm ich all meinen Mut zusammen und fragte sie, ob wir unsere Beziehung doch ein wenig länger fortführen konnten. Denn ich wollte nicht, dass es unser letzter gemeinsamer Abend gewesen ist.

Sie schwieg für eine Weile und schaute mich nicht an. Ich wurde immer unruhiger und diese Unruhe in meinem Inneren verunsicherte mich noch dazu. Hatte ich etwa etwas Falsches gesagt und ihr eine unmögliche Forderung gestellt? Ärgert sie sich nun über mich, weil ich nun unsere ursprüngliche Vereinbarung zu brechen versuchte? Aber warum sollte sie sich denn so schnell von mir trennen wollen, wenn sie doch – wie sie selbst bereits sagte – so einsam war?

„Liebst du mich?“, fragte sie plötzlich unerwartet. Ich glaubte in diesem Moment die Spur von einem ziemlich ironischen Lächeln an ihrem Mundwinkeln zu entdecken.

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Ich hatte mir vorgenommen ihn nie wieder zu sehen. Es war vorbei, er war bereits glücklich mit jemandem anders(?!). Es gab keinen Platz mehr für mich. Ich konnte nicht weiter bleiben. Ich konnte nicht so tun, als wäre nichts geschehen. Ich musste damit alleine fertig werden.

Es tat so weh. Mein Herz war viel zu müde, meine Gedanken waren ziellos und leer. Wie gerne würde ich wieder in die Vergessenheit zurückfallen. Ich war nicht gut genug für die Liebe. Das wurde mir wieder einmal so schmerzhaft überdeutlich gemacht. Ich gehörte in die zweitklassige, nein drittklassige Liga. Niemand von den glücklichen Menschen könnte meine jetzigen Gefühle verstehen.

Ich stand hier und war wieder dabei, einen wichtigen Menschen aus meinem Leben zu verlieren. Ich sah mir dabei nur zu und konnte nichts dagegen machen, mich nicht einmal dagegen wehren. Warum war alles so gekommen. Ich kann die Welt nicht begreifen. Denn ich kann dich nicht verstehen.

Wenn andere mich nun so sehen, in meinem jetzigen Zustand, dann würden sie höhnisch lachen und sagen: „Was für ein Loser. Feigling.“

Ich war nicht mehr im Stande, irgendetwas dagegenzuhalten. Ich konnte mich selbst nicht mehr vor dem Rest der Welt verteidigen. Ich hatte keine Würde und spüre umso mehr Schmerzen, weil ich so viel getan hatte, um die Würde zu wahren. Aber nun war das alles nicht mehr wichtig. Ich hatte bereits zu vieles verloren.

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Am 4. Februar trennten sich Thomas und Adriane. Es geschah plötzlich und doch mit Bedacht. Der Schluss schien so einfach, kurz und bedeutungslos. Es lief wie folgt ab: Thomas rief Adriane an und wollte sich mit ihr treffen.
Sie fragte aber nur: „Warum?“
Darauf konnte er nicht antworten. Dann schwiegen sie beide sehr lange und schließlich legte Adriane auf.

Im Herzen wusste sie, dass dies ein Abschied für immer bedeuten würde. Niemand konnte sie aus der Tiefe ihrer Verzweiflung retten. Ihr einzigster Weg war das Vergessen. Aber wehe, wenn die Erinnerungen wieder auftauchen.

Irgendwann erinnert sie sich vielleicht doch daran, wie es ihr einst in den Sinn kam, den Rest ihres Lebens mit einem Menschen zu verbringen und nie wieder alleine zu sein.

...

Als sie sah, wie der Zug langsam wegfuhr, schossen ihr die Tränen in die Augen. Es war so, als wäre sie gerade erst aus einem langen Traum aufgewacht. Sie war nun frei und alleine, aber tief in ihrem Bewusstsein hörte sie eine Stimme nach dem gemeinsamen Glück rufen. Dieses Mal gelang es ihr nicht wie immer sich zu überzeugen, dass es so besser war. Wer würde auch alle Teile ihres Herzens verstehen, wenn sie sie selbst nicht verstand. Es waren immer nur einzelne Teile, nie ein komplettes Stück. Vielleicht konnte sie das einfach nicht akzeptieren.

Vielleicht wird sie eines Tages doch noch etwas Vollständiges finden und all ihre Schmerzen vergessen können.

 

Hallo toonworld,

und herzlich willkommen hier.
Zunächst, als ich die Länge deiner Geschichte sah, war ich sehr angetan. Es ist selten, das hier mal jemand eine Geschichte erzählt. Leider änderte sich das mit zunehmendem Lesen. Der Perspektivwechsel ist häufig unklar, gerade weil du zwischen Ariane, Thomas und einem allwissenden Erzähler hin und herspringst. Vielleicht wären zwei Perspektiven übersichtlicher gewesen. Dann wimmelt der Text leider nur so von Fehler, leider auch von Formulierungsfehlern.
Ein Nachteil des Perspektivwechsels ist, dass du Begebenheiten zwei Mal erzählst. Dazu ist das Geschehen mE aber nicht spannend genug, auch wenn ich die Idee des Zustandekommens der Beziehung recht originell finde. Über weite Passagen erstreckt sich die Erzählung aber doch sehr in Banalitäten und die selbstmitleidigen Betrachtungen von Thomas gehen mit der Zeit einfach auf die Nerven, weil sie zu viel sind. Da wäre Straffung doch angebracht.
Die beiden scheinen sich nicht einig zu sein über das, was sie einander bedeuten, da hatte es Thomas in seiner vorherigen Beziehung leichter, denn es herrschte Einverständnis über den gegenseitigen "Missbrauch" der Bedürfnisse. Hier kommen Gefühle ins Spiel und so muss es tragischer enden. Von der Idee und vom Konflikt her sicherlich interessant, von der Umsetzung vor allem sprachlich leider eher langweilig und fehlerhaft.
Einige habe ich dir aufgelistet:

als ob sie meine Überraschtheit bereits erahnen konnte.
meine Überraschung
Das gab mir wiederum ein Gefühl von...
von ... (immer ein Leerzeichen zweischen Wort und Auslassungszeichen. Nur wenn das Wort unvollständing ist, wird keines gesetzt.)
Dann lasst uns die letzten Tage
lasst
aber wir wollten eben beide jemanden bei sich haben.
entweder wollte wollte "jeder von uns jemanden bei sich haben" oder "wie wollten beide jemanden bei uns haben"
Die Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit hatte sich nicht in meinem Gedächtnis festgesetzt, worum ich mich eigentlich auch nicht bemüht hatte
Das ist deshalb überflüssig, da man sich um dieses Festsetzen ohnehin nicht bemühen muss. Selbst wenn er das gemusst hätte, wäre es schon ein schlechtes Bild für die Beziehung gewesen.
Während er sich solche Überlegungen anstellte
wem sollte er sie sonst anstellen?
und sehnte sich eigentlich eher auf den bevorstehenden gemeinsamen Abend
man sehnt sich nach etwas
Eigentlich wollte ich dir das nur bescheid sagen
und Bescheid
Ich gebe nicht zu, dass ich selbstmordgefährdet bin.
ich nehme an, du meinst es genau andersherum, wenn ich den Zusammenhang lese: Ich gebe zu, dass ich nicht selbstmordgefährdet bin
Er wusste sich vorher bei „mystische Macht“ nicht besonders viel vorzustellen
unter "mystische Macht" (man stellt sich etwas unter einem Begriff vor, nicht bei einem)
indem er diese Augen ansahen.
ansahen
Sie umarmten sich und schien nicht viel Gesprächsstoff gefunden zu haben
schienen
Ja, ich durste mich danach. Ich will ihr begegnen.
Ja, mich dürstet danach. Ich will ihnen (nämlich den Wundern) begegnen.
Dann aber dachte sie, wozu das Ganze gut war.
hier dachte sie nicht, sondern "fragte sich"
Am Anfang gaben es ihr diese ungewöhnte Freiheit und Last auch viele Schwierigkeiten
denn z. B. wusste
keine Abkürzungen in Geschichten
bzw. do or die...
dito
dass ihre Noten „glänzend“ ausfiel,
ausfielen
hatte sogar etwas Blumen mitgebracht.
ein paar Blumen (kannst das "etwas" aber auch ersatzlos streichen)
Das Mädchen steckte die zarten Blüten hastig in eine Vase,
Man steckt die Stiele in die Vase, nicht die Blüten
Dann aßen sie das ziemlich gelungene Mahl
nur ziemlich gelungen? Was daran war denn nicht gelungen?

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

erst mal danke, dass du meine Geschichte durchgelesen hast und dir sogar die Mühe gemacht hast, so viele Fehler aufzulisten. Ich gebe gerne zu, dass ich im sprachlichen Bereich noch ziemlich unsicher bin. Vor allem, weil ich es gewöhnt bin, mal nach Lust und Laune loszuschreiben. Da vernachlässigt man schon ziemlich vieles.

Aber manches ist absichtlich eingebaut. Zum Beispiel dieser ironische Unterton, den du vielleicht bemerkt, aber vermutlich eher als lästig empfunden hast. Es sollte auch keine spektakuläre Liebesgeschichte werden und es handelt hierbei keinesfalls um eine "erfüllende Liebe" oder so etwas in der Art, wovon die meisten träumen mögen.

Der Perspektivenwechsel wurde eigentlich mit Trennlinien angedeutet, was man aber hier leider nicht mehr sah. Deshalb erscheint das Ganze etwas unübersichtlich und kompliziert. Aber manchmal befindet man sich auch in einer gewissen Situation, wo man die Gefühle und Gedanken nicht mehr klar ordnen kann. Ich will damit nur sagen, dass ich eben einen kleinen Ausschnitt aus dem Leben darstellen wollte, womit sich vielleicht nicht jeder identifizieren kann.

Die Geschichte ist in sich selbst gekehrt und leise, man kann es nur fühlen und nicht wirklich verstehen. Aber ich weiß, dass so etwas nicht jedermanns Geschmack ist, was ja auch nicht beabsichtigt war.

So, erst mal so viel dazu.

Schöne Grüße

toonworld

 

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